Schifffahrtskanalprojekte in den Alpen

Schifffahrtskanalprojekte in den Alpen

Schifffahrtskanalprojekte in den Alpen waren bis ins 20. Jahrhundert ein Versuch, die Überquerung der Alpen besonders für den Güterverkehr leichter zu ermöglichen. Aufgrund des Ausbaus des Straßennetzes und der untergeordneten Bedeutung der Binnenschifffahrt im Alpenraum sind solche Bemühungen heute weitgehend vergessen.

Inhaltsverzeichnis

Historische Bedeutung der Binnenschifffahrt im Alpenraum

Bis ins letzte Jahrhundert hatte die Schifffahrt in den Alpen eine weitaus größere Bedeutung als heute.

Besonders die großen Seen, die vom Rand der Alpen zum Teil weit bis in selbige hinein reichen, waren bis weit in das letzte Jahrhundert ein wichtiger Teil des Weges, den der Alpenverkehr nahm. Anders als die zum Teil abenteuerlichen und gefährlichen Wege über Land waren die Wege über die Gewässer vergleichsweise sicher und bequem und wurden immer gerne genutzt.

Auch die Flussschifffahrt hatte früher eine höhere Bedeutung. Schon die Römer treidelten auf dem Rhein bis Chur, wo die Waren auf Karren und Wagen umgeladen wurden und Reisende Pferd oder Wagen bestiegen. Auch die Save und die Drau waren wichtige Wasserwege.[1]

Noch im Mittelalter und der frühen Neuzeit wurden die Flüsse nicht nur für einfache Holzflößerei genutzt, sondern sogar bis tief in die Alpen von Kähnen befahren. So wurde beispielsweise ein großer Teil des Verkehrs auf der Brennerroute mit Kähnen bewältigt, die den Inn bis Hall bzw. die Etsch bis Bozen befuhren. Um das Jahr 1300 betonten die Bürger von Hall, dass ihre Haupteinnahmequelle eben diese Flussschifffahrt sei. Hall war der Endpunkt für die Schiffe, die ‚Hohenauerinnen‘ genannt wurden, welche bei einer Länge von 40 m bis zu 800 Zentner fassen konnten – was etwa 30 Wagenladungen entsprach. Diese Schiffe wurden bei ihrer Reise bergaufwärts von Kufstein nach Hall von 20 Pferden getreidelt, bei den damaligen Straßenverhältnissen brauchte man für den Transport zu Land mehr als sechsmal so viele Pferde. Dazu kam eine höhere Bequemlichkeit für Reisende und der Zeitgewinn, vor allem bei der Reise bergabwärts, wo für die Strecke Hall-Kufstein nur sechs Stunden gebraucht wurden[2]. Auch von Verona wird berichtet, dass die Stadt sehr von der Etsch profitierte. Geräumige Barken befuhren sie von Venedig kommend, so es die Etsch zuließ, bis nach Bozen. Dabei transportierten sie gleichermaßen Reisende wie eine Vielzahl von Waren.

Mit den Aufkommen der Eisenbahn verschwand diese Flussschifffahrt recht schnell. Die Bergflüsse führen zu wenig und unregelmäßig Wasser, Hindernisse im Wasserlauf und das starke Gefälle machten die Flüsse nur für Kähne mit sehr niedrigem Tiefgang und geringen Ausmaßen schiffbar. Wasserwirtschaft und Kanalisierung der Alpenflüsse in den letzten 100 Jahren haben den Flüssen einen relativ stabilen und teilweise sogar ausreichenden Wasserstand in einem hindernisfreien Bett beschert, der rein technisch eine beschränkte Flussschifffahrt zulassen würde. Am Tiroler Inn etwa wird seit 1998 wieder Schifffahrt betrieben, diese dient allerdings nur touristischen Zwecken[3]. Insgesamt ist heute die Bedeutung der Flussschifffahrt in der Alpenregion zu vernachlässigen, nur wenige Abschnitte zumeist nur sehr bedingt schiffbarer Wasserwege reichen in die Randregionen der Alpen hinein.

Bedeutung von Kanälen in den Alpen

Projekte für Schifffahrtskanäle waren von Bedeutung, da die Alpenpässe große Lücken im Netz der schiffbaren Flüsse bildeten, die auf dem Landweg überwunden werden mussten. Durch die Höhe dieser Pässe und die daraus resultierenden Probleme konnten diese Vorhaben jedoch nie ausgeführt werden.

Zwar wurden in den Alpen eine ganze Reihe von Kanälen geplant und gar gebaut. Diese dienten aber meist dem Zweck, Landschaften oder Seen zu ent- oder zu bewässern, wie beispielsweise die Waale im Vinschgau, und faktisch nie dem der Flussschifffahrt und waren dafür auch meist zu klein.

Der Canal du Stockalper

Eine der wenigen Ausnahmen ist der Canal du Stockalper, der in den Genfersee mündet. Dieser Kanal geht auf den Schweizer Unternehmer Kaspar Jodok von Stockalper (1609-1691) zurück und sollte vor allem dem Handelsimperium Stockalpers mit seinem Weg über den Simplon dienen. Stockalper plante, über den kaum zwei Meter breiten Kanal vor allem Waren auf flachen Kähnen zu staken, um sie im Genfersee auf größere Schiffe umzuladen. Wahrscheinlich plante Stockalper aber auch schon eine spätere Verbreiterung des Kanals, um ihn den Schiffen des Genfersees zugänglich zu machen. Der Kanal wurde jedoch nie fertiggestellt, in den Jahren 1651-1659 konnten nur acht Kilometer zwischen Collombey und Vouvry vollendet werden. Daher wurde das Bauwerk auch kaum genutzt und zwanzig Jahre später wieder aufgegeben[4].

Transhelvetischer Kanal

Das Projekt eines Transhelvetischen Kanals geht genau genommen nicht durch die Alpen, sondern tangiert sie nur. Er sollte die Mittelgebirgslandschaft zwischen Alpen und Jura durchschneiden und die Flusssysteme von Rhein und Rhone miteinander verbinden.

Ein erster Versuch dazu ist im Canal d'Entreroches zu sehen, als im 17. Jahrhundert die Holländer als abkürzende Wasserstraße auf den Weg ins Mittelmeer und weiter nach Indien ansahen. Für die Holländer führte der Weg bisher über den Atlantik vorbei an feindlich gesinnten Engländern, Franzosen und Spaniern. Damit nicht genug, gab es jede Menge Piraten und Freibeuter. Auf dem Kontinent führten die Kanäle und auch die Wege durch das ebenfalls von Spanien beherrschte Burgund und Belgien. So plante und baute Holland eine transeuropäische Verbindung durch die Schweiz. Zwar gedieh der Kanalbau über die Wasserscheide hinaus und zum Genfersee waren es nur noch gute 20 km, aber der Bau musste dennoch aus Geldmangel eingestellt werden.

Im Schatten des Baus des Main-Donau-Kanals, sowie des Aus- und Neubau von weiteren transeuropäischen Verbindungen, kam die Diskussion um einen Transhelvetischen Kanal, der faktisch identisch mit den Canal d‘Entreroches wäre, wieder in Gang. Von der der gut 400 km langen Kanalstrecke, sind schon gute 100 km über den bereits bestehenden Zihler Kanal, sowie weiterer kleiner Kanäle, Flussabschnitte der Aare schiffbar, dazu noch die vielen Seen auf der Trasse. Die Scheitelhöhe des Kanals wäre bei 443 m gelegen und hätte dabei die Wasserscheide in einem kurzen Tunnel unterquert. Vorerst wurde erst einmal der alte Kanal mit einem Wanderweg erschlossen, der zum Teil die nie fertiggestellte Kanaltrasse bis an den Genfersee mit einschließt. Im Jahre 2006 wurde der Plan eines Transhelvetischen Kanals endgültig aufgegeben[5].

Alpenquerkanalprojekte

Maloja-Inn-Kanal

Der Gedanke an einen alpenquerenden Schifffahrtskanal wurde erstmals im Jahre 1713 aufgeworfen. Die österreichische Linie der Habsburger hatte gerade die ehemals spanische Lombardei erhalten und suchte nun nach einer leistungsfähigen und direkten Verbindung von Wien nach Mailand. Dabei wurde das Projekt eines ‚Inn-Maloja-Kanal‘ geboren, der den Schiffen ermöglichen sollte, von Wien aus über die Donau und den Inn nach Tirol, durch das Engadin und über den Malojapass hinweg in den Comer See zu gelangen. Vom Comer See wären problemlos Kanalverbindungen zum Po und dessen Nebenflüssen möglich gewesen, damit hätte dieser Kanal auch Zugang zur Adria geboten. In Zeiten, wo selbst Flachlandkanäle die Ingenieure vor größte Schwierigkeiten stellten und die allerwenigsten Straßen der Alpen überhaupt befahrbar gemacht werden konnten, war aber an einen Kanal über den Malojapass kaum ernsthaft zu denken.[6]

Splügenkanal

Erfolgsversprechender war da schon ein Projekt, welches Anfang des 20. Jahrhundert auf italienischer Seite entstand. Gerade die Hafenstadt Genua hatte sich von der Eröffnung des Suezkanals einen sprunghaften Anstieg des Umschlages ausgerechnet, eine Kalkulation, die nur geringfügig aufging. Um den Handel Süddeutschlands dennoch abzulenken, plante man daher einen Kanal, der Süddeutschland einen ungleich kürzeren Zugang zum Mittelmeer geboten hätte als die bisher bestehenden Verbindungen über den Rhein. Dabei sollte der Kanal den Alpenhauptkamm bei einem der Bündner Pässe mittels eines Tunnel durchqueren. Der Anfang des Kanals wäre bei Genua gelegen, von dort wäre er entlang der Polceva zum ligurischen Giovopass angestiegen. Nachdem dieser mit einem Tunnel unterquert worden wäre, sollte er entlang der Scrivia zum Po-Fluss hinabsteigen. Über Mailand und Lecco wollten die Planer den Kanal den Comer See erreichen lassen, an dessen Ende der Alpenanstieg beginnen würde. Entlang der Täler der Flüsse Mera und Liro sollte der Splügen erreicht werden, welcher mit einem längeren Tunnel unterquert werden sollte. Die nördliche Fortsetzung dieses Alpenquerkanals sollte entlang des Rheintales über Chur in den Bodensee erfolgen, für welchen seinerseits Zugangsmöglichkeiten zum schiffbaren Rhein geplant waren. Ein weiterer zu dieser Zeit ohnehin geplanter Schifffahrtsweg aus dem Bodensee hinaus war der Donauseitenkanal, der den Bodensee mit der Donau verbinden sollte.[7]

Greina- bzw. San-Bernardino-Kanal

Das Projekt erregte viel Aufsehen und der Kanton Tessin schlug Änderungen vor, die den Alpenquerkanal auf dessen Territorium geführt hätte. Im Jahre 1906 schlug daher das Tessin vor, den Kanal anstatt in den Comer See in den Lago Maggiore münden zu lassen. Entlang der Flüsse Tessin und Brenno sollte der Greinapass erreicht werden, für dessen Unterquerung man ebenfalls einen längeren Tunnel plante. Nördlich des Greinapasses sollte der Kanal in den Vorderrhein münden um im weiteren Verlauf die ursprünglich geplante Trasse ab Chur zu benutzen. Eine Alternativvariante der Tessiner sah vor, über die Flüsse Tessin und Moësa den San Bernardino zu erreichen, der ebenfalls mit einem längeren Tunnel unterquert werden sollte. Die Nordrampe des Alternativvorschlages hätte dann zwangsläufig die schon geplante Trasse zum Bodensee hin genutzt.[6]

Gotthardkanal

Alternativ dazu wurde auch der Gotthardpass als Weg der Alpenquerung in Erwägung gezogen. Die Strecke wäre in diesem Fall vom Lago Maggiore über den Vierwaldstättersee nach Basel verlaufen. 1905 wurde ein entsprechendes Projekt von dem italienischen Ingenieur Caminada präsentiert[8].

Technische Probleme und Lösungsmöglichkeiten

Angesichts der größeren Kanäle des Flachlandes, die mit ihren riesigen Schleusentreppen und Schiffshebewerken ja nur wenige Dutzende Meter Höhenunterschied überwinden, wird der Aufwand deutlich, den ein Alpenquerkanal mit Anstiegen über hunderte Meter notwendig gemacht hätte. Herkömmliche Kammerschleusen wären dabei völlig unzureichend, weit über 100 Stück wären alleine für den Anstieg zwischen Mailand und dem Tunnelsüdportal nötig gewesen. Und auch von den Schiffshebewerken hätten wohl einige Dutzende errichtet werden müssen. Aber der Ingenieur des Projektes, der Italiener Caminada, hatte sich sein Projekt gut durchdacht. Die enormen Höhenunterschiede sollten durch Schrägtunnel überwunden werden. Diese waren als Doppeltunnel geplant, was einen Einbahnverkehr ermöglicht hätte. Während in dem einen Tunnel ein Schiff auf einer abzulassenden Wassersäule ins Tal hinab stieg, sollte das abgelassene Wasser des einen Tunnel in den anderen Tunnel gepumpt werden. Mit zusätzlich von der Bergseite eingelassenem Wasser wäre so die dortige Wassersäule angestiegen und hätte ein Schiff gar über hunderte Meter hinweg in höhere Lagen gebracht. Der überaus enorme Wasserdruck und -bedarf, den eine solche Röhrenanlage nötig gemacht hätte, hätte mit mehreren ‚zwischengeschalteten‘ Toren gemindert werden können.

Von Caminada zwar nicht vorgeschlagen, aber zu dieser Zeit besser erprobt, war der Bau von schräggestellten Schiffshebewerken. Große Tröge wären über Gleisanlagen und Seilzüge, ähnlich eines normalen Schiffshebewerkes, auf den Berg gezogen worden, oder ins Tal hinab. Eine Doppelanlage hätte hier viel an Energie gespart, ohnehin hätte diese Variante viel an Wasser gespart, und eine Tunnelanlage wäre nicht unbedingt notwendig gewesen, wie es Caminadas Projekt zwingend vorsah. Für die Unterquerung des Splügenpasses war ein 15 km langer Doppeltunnel mit einer Scheitelhöhe von 1247 m vorgesehen. Große Teile des Kanals wären eher in Hanglage errichtet worden, was vielfältige Viaduktbauten, ähnlich der Lötschbergsüdrampe erforderlich gemacht hätte. Der enorme Wasserbedarf solch eines Kanals hätte mit der Anlage von Reservoirs und Ableitungskanälen durchaus geregelt werden können, ebenso wie der enorme Energiebedarf der Schleusenanlagen zu einem großen Teil von der Energie des talwärtsströmenden Wassers hätte gewonnen werden können. Mit gewissen Adaptionen hätte der Kanal gar mehr Energie erzeugen können, als er selbst zu verbrauchen im Stande gewesen wäre, womit eine weitere Quelle erschlossen geworden wäre, die Kosten für den Kanalbau wieder herein zu bringen.

Das Interesse für das Projekt und den Bau eines Alpenquerkanals war nicht nur im oberen Italien und dem Tessin groß, sondern auch in Deutschland. Der Berliner Königliche Baurat Max Contag bescheinigte Caminadas Projekt in einem Gutachten die Realisierbarkeit. Die Kosten wären wohl finanzierbar gewesen, auch wenn sie mit 400-550 Millionen Lire erheblich über denen einer zusätzlichen Alpenbahn gelegen hätten. Da der Kanal nur eine maximale Scheitelhöhe von unter 1300 m aufweisen sollte, wäre er auch einen Großteil des Jahres über nutzbar gewesen. Angesichts der damaligen enormen Bedeutung der Binnenschifffahrt und des überaus großen Einzugsgebietes eines solchen Alpenquerkanals hätte dieser mit einer guten Auslastung rechnen können. Er hätte den Weg von den rheinischen Häfen hin zum Mittelmeer und darüber hinaus auch zum Indischen Ozean um einiges abgekürzt, auf der anderen Seite wäre der Weg von den Donauhäfen zum Mittelmeer und zum Atlantik ebenfalls um ein Erhebliches verkürzt worden; der Kanal hätte der gesamten europäischen Binnenschifffahrt einen Grad der Belebung gegeben, der bis in heutige Zeiten hineingewirkt hätte. Angesichts der heutigen umfangreichen, wenn auch nur halbherzigen Bemühungen, die Binnenschifffahrt zu beleben, und angesichts des enormen Bedarfs an Arbeitsplätzen, welcher der Bau eines Alpenquerkanals mit sich bringen würde, kann Caminadas Projekt nach gut einem Jahrhundert durchaus wieder in die Diskussion geraten.[6]

Quellen

  1. Paul Gleirscher; Landesmuseum Kärnten (Hrsg.): ertauchte Geschichte. Zu den Anfängen von Fischerei und Schifffahrt im Alpenraum. Landesmuseum Kärnten, Klagenfurt 2006, ISBN 3-900575-33-9 (Katalog zur Sonderausstellung „ertauchte Geschichte“ im Landesmuseum Kärnten 5. Mai bis 3. September 2006).
  2. http://fp.tsn.at/hall/innschifffahrt.htm
  3. http://www.tirol-schiffahrt.at/start.php?t=2&m=3
  4. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7967.php
  5. http://www.schlossmuseumnidau.ch/images/Vision_2008.pdf
  6. a b c Steffan Bruns: Alpenpässe - vom Saumpfad zum Basistunnel, Bd. 5
  7. Steffan Bruns: Alpenpässe - vom Saumpfad zum Basistunnel, S.5
  8. http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/1258d936-7ce6-42e3-bb21-124bb3b32616.aspx

Zum Projekt des Alpenquerkanals: aus dem Gutachten des Baurates Contag, welches in der Berliner Staatsbibliothek einsehbar ist und viele weitere Details liefert.


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