Schlangenlemma

Schlangenlemma

Das Schlangenlemma, eine in allen abelschen Kategorien gültige Aussage aus dem mathematischen Teilgebiet der homologischen Algebra, ist ein wichtiges Werkzeug zur Konstruktion der in der homologischen Algebra weit verbreiteten langen exakten Sequenzen bzw. Folgen. Wichtige Anwendungen findet es beispielsweise in der algebraischen Topologie. Die mit dem Schlangenlemma konstruierten Homomorphismen werden üblicherweise als Verbindungshomomorphismen bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Aussage

In einer abelschen Kategorie (etwa der Kategorie abelscher Gruppen oder der Vektorräume über einem gegebenen Körper), stelle man sich das folgende kommutative Diagramm vor:

SnakeLemma01.png

Hierbei sind die Zeilen exakt und 0 bezeichnet das Nullobjekt. Dann gibt es eine exakte Sequenz, die die Kerne und Kokerne von a, b, c in Beziehung setzt:

SnakeLemma02.png

Ist außerdem f ein Monomorphismus, so ist das auch der Morphismus ker (=Kern) a → ker b. Ist g' ein Epimorphismus, so gilt das auch für coker (=Kokern) b → coker c.

In der Kategorie der Gruppen gilt das Schlangenlemma dagegen nur unter Zusatzvoraussetzungen an die Homomorphismen a, b, c (siehe unten).

Herkunft des Namens

Erweitert man das Diagramm um Kerne und Kokerne, so sieht man, wie sich die behauptete exakte Sequenz durch das Diagramm „schlängelt“:

SnakeLemma03.png

Beweis

Für den Beweis nimmt man zunächst an, dass das Diagramm die Kategorie der Moduln über einem Ring betrifft. Dies gestattet es, die Behauptung durch Diagrammjagd nachzuweisen. Die Gültigkeit für den Fall einer beliebigen abelschen Kategorie ergibt sich dann aus dem Einbettungssatz von Mitchell.

Konstruktion der Homomorphismen

Die Homomorphismen zwischen den Kernen bzw. Kokernen werden in natürlicher Weise von den gegebenen horizontalen Homomorphismen über die universellen Eigenschaften von Kern bzw. Kokern induziert. Die wesentliche Aussage des Lemmas ist die Existenz des Verbindungshomomorphismus d, der die Sequenz vervollständigt.

Im Falle der Kategorie abelscher Gruppen oder von Moduln über einem Ring kann man d elementweise durch Diagrammjagd konstruieren: Sei x \in \operatorname{ker}\,c gegeben, d.h. ein x\in C mit c(x) = 0. Wegen der Surjektivität von g gibt es ein y\in B mit g(y) = x. Wegen g'(b(y)) = c(g(y)) = 0 gibt es ein (wegen der Injektivität von f' eindeutiges) z\in A' mit f'(z) = b(y). Definiere d(x) als das Bild von z in \operatorname{coker}\, a.

Die Wahl von y\in B war hierbei nicht eindeutig, wegen der Exaktheit bei B hat jedoch jede andere Wahl die Form y + f(w) für geeignetes w\in A. Als Folge wird z durch z + a(w) ersetzt, was dann jedoch auf denselben Wert für d(x) führt. Somit ist die Abbildung d wohldefiniert.

Hat man zu x_1,x_2 \in \operatorname{ker}(c) jeweils y_1,y_2\in B sowie z_1,z_2 \in A' mit g(y1,2) = x1,2 und f'(z1,2) = b(y1,2) gewählt, so kann man zu x1 + x2 offenbar y1 + y2 sowie z1 + z2 wählen: g(y1 + y2) = x1 + x2, f'(z1 + z2) = b(y1 + y2). Hieraus ergibt sich d(x1 + x2) = d(x1) + d(x2). Ebenso folgt, wenn r ein Ringelement ist, aus g(r\cdot x_1)=r\cdot x_1 und f'(r\cdot z_1)=b(r\cdot y_1), dass d(r\cdot x_1)=r\cdot d(x_1) ist. Somit ist die Abbildung d linear, also ein Homomorphismus.

Komplexeigenschaft

Dass die Schlangensequenz einen Komplex bildet, dass also zwei „Pfeile“ hintereinander stets die Nullabbildung ergeben, folgt rasch:

  • Die Abbildung \ker a\to\ker c wird induziert von g\circ f = 0
  • Für die Abbildung \ker b\to \operatorname{coker} a sei y\in\ker b und x = g(y). Dann kann man in der obigen Konstruktion von d(x) ebendieses y wählen, woraus sich b(y) = 0, dann z = 0 und somit d(x) = 0 ergibt.
  • Für die Abbildung \ker c\to  \operatorname{coker} b sei x\in\ker c. Mit den Bezeichnungen wie in der Konstruktion oben ergibt sich das Bild in \operatorname{coker} b aus b(y)\in B'. Da dies in \operatorname{Bild} b liegt, ergibt sich 0.
  • Die Abbildung \operatorname{coker} a\to \operatorname{coker} c wird induziert von g'\circ f'=0

Exaktheit

Die Exaktheit der Homomorphismen zwischen der Kernen, zwischen den Kokernen sowie an Anfangs- und Endpunkt des Pfeils d weist man wiederum durch Diagrammjagd nach:

  • Exaktheit bei ker b: Ist x\in\ker b mit g(x) = 0, so immerhin x = f(u) für ein  u \in A. Wegen f'(a(u)) = b(f(u)) = b(x) = 0 und der Injektivität von f' folgt a(u) = 0, also in der Tat wie erforderlich x = f(u) für ein u\in\ker a.
  • Exaktheit bei ker c: Sei x\in\ker c mit d(x) = 0. Mit den Bezeichnungen von oben ist dann z = a(u) für ein u\in A. Dann ist b(y) = f'(z) = f'(a(u)) = b(f(u)), folglich y = f(u) + v für ein v\in\ker b. Damit wird x = g(y) = g(f(u)) + g(v) = g(v)
  • Exaktheit bei \operatorname{coker} a: Ein Element \bar z von \operatorname{coker} a stammt stets von einem z\in A. Dass es auf  0\in \operatorname{coker} b abgebildet wird, bedeutet, dass f'(z) im Bild von b liegt. Seiy\in B mit b(y) = f'(z) und setze x = g(y). Dann gilt c(x) = c(g(y)) = g'(b(y)) = g'(f'(z)) = 0. Somit ist x\in\ker c und es wird, so wie es nach Konstruktion auf das gegebene \bar z abgebildet.
  • Exaktheit bei \operatorname{coker} b: Ist \bar x \in \operatorname{coker} b das Bild von x\in B' und wird \bar x auf die Null in \operatorname{coker} c abgebildet, so gilt g'(x) = c(y) für ein y\in C. Wegen der Surjektivität von g gibt es ein z\in B mit g(z) = y. Dann g'(b(z)) = c(g(z)) = c(y) = g'(x), also x = b(z) + f'(u) für ein u\in A. Beim Übergang zu den Kokernen fällt b(z) weg, also ist \bar x das Bild von \bar u\in\operatorname{coker} a.

Die letzten drei Punkte nutzen aus, dass die vertikalen Sequenzen exakt sind.

Natürlichkeit

Für Anwendungen des Schlangenlemmas ist es häufig nötig, dass die langen exakten Sequenzen „natürlich“ sind (im Sinne einer natürlichen Transformation). Dies ergibt sich dann aus der Natürlichkeit der vom Schlangenlemma gelieferten Sequenz.

Ist

Snake lemma nat.png

ein kommutatives Diagramm mit exakten Zeilen, so kann man das Schlangenlemma einmal auf den "vorderen" Teil anwenden und einmal auf den "hinteren". Die beiden sich ergebenden exakten Sequenzen stehen miteinander über ein Diagramm der Form

Snake lemma nat2.png

in Beziehung.

Man kann dies auch durch Anwendung des Schlangenlemmas auf die Kategorie der Morphismen zwischen Objekten der ursprünglichen Kategorie erkennen.

Kategorie der Gruppen

Da eine Reihe von Sätzen der homologischen Algebra nicht nur für abelsche Kategorien, sondern auch für die Kategorie der Gruppen Gültigkeit haben, sei darauf hingewiesen, dass dies für das Schlangenlemma nicht der Fall ist. Zwar findet man auch hier einen natürlichen Verbindungshomomorphismus d, jedoch ist die lange Folge lediglich ein Kettenkomplex und nicht notwendigerweise exakt. Nur wenn die vertikalen Sequenzen exakt sind, d.h. die Bilder unter a, b und c jeweils Normalteiler in A', B' bzw C' sind, funktioniert der Beweis der Exaktheit auch für Gruppen.

Die einfache alternierende Gruppe A5 enthält eine zur symmetrischen Gruppe S3 isomorphe Untergruppe, in der wiederum die zyklische Gruppe C3 ein Normalteiler ist. Hieraus erhält man ein kommutatives Diagramm

\begin{matrix} & 0 & \to & C_3 & \to & C_3 & \to 0\\
& \downarrow && \downarrow && \downarrow \\
0 \to & 0 & \to & S_3 & \to & A_5
\end{matrix}

mit exakten Zeilen.

Da A5 einfach ist, ist der Kokern der rechten Abbildung trivial, während S3 / C3 isomorph zu C2 ist. Die lange Sequenz hat daher die Form

0 \longrightarrow 0 \longrightarrow 0  \longrightarrow 0  \longrightarrow C_2  \longrightarrow 0

und ist folglich nicht exakt.

Wissenswertes

  • In dem Film It's my Turn (1980) beweist Jill Clayburgh das Schlangenlemma.
  • Charles A. Weibel verzichtet in seinem Buch "An Introduction to Homological Algebra" (Cambridge U. Press, 1994) auf einen Beweis mit dem Hinweis auf It's my Turn.
  • Ganz am Anfang des Filmes Die Reifeprüfung (1967) sieht man die Aussage des Schlangenlemmas auf einer Tafel hinter Dustin Hoffman.

Literatur

  • M. F. Atiyah; I. G. MacDonald: Introduction to Commutative Algebra. Oxford 1969, Addison-Wesley Publishing Company, Inc. ISBN 0-201-00361-9.
  • Hilton, Peter und Stammbach, Urs: A course in homological algebra. 2. Auflage, Springer Verlag, Graduate Texts in Mathematics, 1997, ISBN 0-387-94823-6.

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