- Schlemihl
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Der Ausdruck Schlemihl (von jiddisch: Schlamassel) bezeichnet in der ostjüdischen Kultur den sprichwörtlichen Pechvogel, Unglücksraben, Narren. Massel (מזל mazal) bedeutet Glück im Jiddischen.
Inhaltsverzeichnis
Zur Figur des Schlemihl
Heinrich Heine bietet in seinem Gedicht Jehuda Ben Halevy folgende Etymologie an:[1]
„[… ] In der Bibel ist zu lesen,/ Als zur Zeit der Wüstenwandrung/ Israel sich oft erlustigt/ Mit den Töchtern Kanaans,//
Da geschah es, daß der Pinhas/ Sahe, wie der edle Simri/ Buhlschaft trieb mit einem Weibsbild/ Aus dem Stamm der Kananiter,//
Und alsbald ergriff er zornig/ Seinen Speer und hat den Simri/ Auf der Stelle totgestochen -/ Also heißt es in der Bibel.//
Aber mündlich überliefert/ Hat im Volke sich die Sage,/ Daß es nicht der Simri war,/ Den des Pinhas Speer getroffen,//
Sondern daß der Blinderzürnte,/ Statt des Sünders, unversehens/ Einen ganz Unschuld'gen traf,/ Den Schlemihl ben Zuri Schadday.//
Dieser nun, Schlemihl I.,/ Ist der Ahnherr des Geschlechtes/ Derer von Schlemihl. […]“Der Schlemihl als Protagonist
Literatur
Die Gestalt des Schlemihl fand in folgenden Werken literarischen Niederschlag:
- Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte (1813)[2]
- E.T.A. Hoffmann: Fantasiestücke in Callots Manier (1819)
- Heinrich Heine: Jehuda Ben Halevy in: Romanzero (1851)[3]
- Hannah Arendt: The Jew as Pariah. A hidden tradition., Zs. Jewish Social Studies, darin Heinrich Heine: The Schlemihl and Lord of Dreams. 1944 [4]
- Isaac Bashevis Singer: Gimpel der Narr (jidd. Gimpl tam, 1945)
- Isaac Bashevis Singer: Als Schlemihl nach Warschau ging (engl. When Schlemiel went to Warsaw, 1968)
- Isaac Bashevis Singer: Schlemiel der Erste (engl. Schlemiel the First, Schauspiel, 1974)
- Thomas Pynchon, V (1963)
- Patrick Modiano: Raphaël Schlemilovitch in La Place de l’Étoile (1968)[5]
Der deutsche Schriftsteller Ludwig Thoma und der Komponist, Schriftsteller und Mitarbeiter Friedrich Nietzsches, Heinrich Köselitz (alias Peter Gast), verwendeten Peter Schlemihl als Pseudonym.
Musik und Tanz
Der Komponist Emil Nikolaus von Reznicek schrieb 1912 eine sinfonische Dichtung namens Schlemihl[6], in der er die Lebensgeschichte eines Pechvogels musikalisch ausgestaltet.
Peter Ronnefelds Ballett Peter Schlemihl nach Adelbert von Chamisso wurde 1956 mit einer Choreographie von Paul Böhm (Choreograph) in Hildesheim uraufgeführt. 1961 entstand mit einer Choreographie des kalifornischen Tänzers und Choreographen Richard Adama (*1928) eine Fernsehfassung des Balletts, welche sich in den Archiven des Österreichischen Rundfunks (ORF) erhalten hat.
Wilhelm Dieter Siebert komponierte die „magische Operette“ Schlemihl, die 1987 am Theater des Westens in Berlin uraufgeführt wurde.
Figurentheater
1992 wurde anlässlich der 3. Münchener Biennale für Neues Musiktheater Die Wundersame Geschichte des Peter Schlemihl nach Adelbert v. Chamisso als Figurentheater aufgeführt, Libretto Claus-Michael Trapp, Komposition für Streichquartett Susanne Erding, Inszenierung Alexander E. L. Schulin. Der Auftrag für die Komposition erging von Hans Werner Henze.
Schlemihl hieß in der deutschen Übersetzung auch die Figur des windigen Händlers Lefty aus der Sesamstraße, der (manchmal unsichtbare) Buchstaben und Zahlen an den Mann zu bringen suchte oder Ernie einen leeren Pappkarton verkaufen wollte für den Fall, dass es Himbeerdrops regne.
Zeitschriften mit humoristischem Bezug[7]
- 1903 wurde von Leo Winz eine nur in einer Nummer erscheinende Zeitschrift Schlemihl (mit h) herausgegeben. Mitarbeiter waren u. a. Max Jungmann, Theodor Zlocisti, Emil Simonsohn und Sammy Gronemann.
- Im zweiten Anlauf zu einem jüdischen Witzblatt entstand (mit etwa demselben Mitarbeiterstamm) die Zeitschrift Schlemiel (mit ie) (Berlin 1903–1906). Herausgeber war Julius Moses.
- Schlemiel – Jüdische Blätter für Humor und Kunst war der Titel einer Zeitschrift, die 1919–1920 in Berlin von Menachem Birnbaum herausgegeben wurde. Wiederum fanden sich neben anderen die genannten Mitarbeiter zusammen.
Literatur
- Max Zeldner: A Note on “Schlemiel”, in: The German Quarterly, Vol. 26, 115-117 online in engl. Sprache
- Juliette Vion-Dury & Pierre Brunel: Dictionnaire des mythes du fantastique. Presses Universitaires PU de Limoges et du Limousin, Limoges 2004 ISBN 2842872762 (in frz. Sprache) S. 227 - 231 Verlagsangaben
- Rochelle Tobias: Writers and Schlemihls. On Heine's Jehuda ben Halevy, in Aris Fioretos Hg.: Babel. Für Werner Hamacher. Urs Engeler, Basel 2009 ISBN 3938767553 S. 363 - 370 (dieser Essay in Englisch; auch über Arendt)
Weblinks
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Wiktionary: Schlemihl – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Einzelnachweise
- ↑ Jehuda Ben Halevy, Heine, Werke, zeno.org
- ↑ hier auch Verweis auf weitere künstlerische Verwendung des Motivs
- ↑ in diesem Lemma weitere Lit.
- ↑ Häufige engl. Auflagen, notiert in H. A. Ich will verstehen., Hg. Ursula Ludz, Piper 1996, Anhang, S. 262, #028.- Deutsch: H. H. Schlemihl und Traumweltherrscher. in H. A., Sechs Essays. Schneider, Heidelberg 1948; wieder in Die verborgene Tradition. 8 Essays, Suhrkamp 1976, S. 48ff.- Heine ist für Arendt der freie "Paria" (wie sie selbst sich auch verstand). Den Schlemihl gibt es bei ihr in zwei Ausprägungen: als verachteten Paria und als "Traumweltherrscher", der um einen hohen Preis versucht, aufzusteigen, den Parvenü. Er betet die "Götzen gesellschaftlichen Vorteils" an (dt. Fass. S. 51). - Nach Meinung von Ludz war die Erstfassung des Essays in Deutsch, S. 271 #078
- ↑ Jochen Schimmang: Die Identitäten des Raphaël Schlemilovitch. In der Literaturbeilage der tageszeitung (taz) vom 31. Juli / 1. August 2010.
- ↑ Emil Nikolaus von Reznicek, proclassics.de
- ↑ Sammy Gronemann: Erinnerungen, Berlin/Wien 2002
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