- Jehuda ha-Levi
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Jehuda ben Samuel ha-Levi (arabisch Abu 'l-Hasan ibn Alawi; * um 1075 in Tudela; † 1141) war ein spanisch-jüdischer Philosoph und der bedeutendste sephardische Dichter des Mittelalters.
Inhaltsverzeichnis
Leben
In Spanien
Jehuda ha-Levi entstammte einer reichen und gelehrten Familie und erhielt eine umfassende Ausbildung sowohl in Hebräisch als auch in Arabisch. Als junger Mann reiste er nach Andalusien und verbrachte einige Jahre in Granada. Hier schrieb er seine ersten Gedichte, hauptsächlich Eulogien und poetische Briefe, sowie auch einige Wein- und Liebesgedichte, die sein sorgenloses, genießerisches Leben in diesen Jahren widerspiegeln. Nachdem die Almoraviden in den 1090er Jahren von Marokko aus die Macht in Spanien übernommen hatten, verschlechterte sich die Lage der dortigen Juden, und Jehuda ha-Levi verließ Granada. Während der nächsten 20 Jahre bereiste er weite Teile Spaniens und Nordafrikas und traf zahlreiche jüdische und nichtjüdische Würdenträger. In Toledo praktizierte er Medizin, sehr wahrscheinlich im Dienste des Königs und seiner Adligen. Ebenso wie viele Juden der damaligen Zeit war er zunächst der Ansicht, der Einfluss der jüdischen Adligen und führenden Gemeindemitglieder, die dem Königshaus nahe standen, würde die Sicherheit der jüdischen Bewohner unter christlicher Herrschaft garantieren. Nachdem jedoch der Adlige Salomo ibn Ferrisuel, der sein Gönner war und im Dienste von Alfons VI. einen hohen Rang erreicht hatte, 1108 in Toledo umgebracht wurde, verließ Jehuda Toledo noch vor dem Tode von König Alfons (1109) und reiste weiter. Sein Ruhm und der Kreis seiner Freunde und Bewunderer, für die er zahlreiche Gedichte schrieb, vergrößerten sich. Er stand in brieflichem Kontakt mit jüdischen Gemeinden in Nordafrika, Ägypten und Narbonne. Eine langjährige Freundschaft verband ihn mit Abraham ibn Esra. Beide wanderten gemeinsam durch die Städte des islamischen Spanien und mindestens einmal auch nach Nordafrika.
Reise ins Heilige Land
Seine Entscheidung, in das Heilige Land (Erez Israel) auszuwandern, traf er erst nach langen inneren Kämpfen. Einerseits war er Spanien, dem Land der „Gräber seiner Väter“, tief verbunden, andererseits musste er auf Ehre und hohen sozialen Rang verzichten, die er in seiner Heimat erworben hatte. Die Lebensbedingungen im Heiligen Land, das damals unter der Herrschaft der Kreuzfahrer stand, würden für ihn äußerst schwierig sein. Sein Freund Halfon ha-Levi ermutigte ihn jedoch, die Reise zu unternehmen. Am 8. September 1140 traf Jehuda ha-Levi in Alexandria ein. Von hier zog er weiter nach Kairo, wo er sich zusammen mit Halfon ha-Levi aufhielt. Seine Freunde drängten ihn, in Ägypten zu bleiben, und wiesen auf die Bedeutung des Landes hin, in dem der erste Prophet gewirkt habe und sich große Wunder ereignet hätten. Schließlich bestieg Jehuda ha-Levi ein Schiff in Alexandria, dessen Abfahrt ins Heilige Land jedoch durch ungünstiges Wetter aufgehalten wurde. Die Umstände seines Todes sind nicht genau überliefert. Aus Briefen aus der Kairoer Geniza, in denen sein Tod erwähnt wird, lässt sich folgern, dass er etwa sechs Monate nach seiner Ankunft in Ägypten starb und dort auch beerdigt wurde. Eine Legende, die später im Romanzero von Heinrich Heine aufgenommen wurde, besagt, dass er Jerusalem, das Ziel seiner Träume, erreichte, und vom Pferd eines vorüberziehenden arabischen Reiters in dem Moment zertreten wurde, als er seine Elegie Zion ha-lo tischali („Fragst du nicht, Zion“ [nach dem Wohl deiner Gefangenen]) rezitierte.
Werk
Poesie
Von Jehuda ha-Levi sind etwa 800 Gedichte bekannt. Ungefähr 180 davon sind Lob- und Klagelieder auf Freunde, meist in Form der Qassida. Die Sprache der Lobgedichte ist reich und brillant mit zahlreichen Ausschmückungen. Die Eröffnung ist normalerweise der künstlerischste Teil des Gedichts, wogegen das Lob selbst zwar den Großteil des Inhalts ausmacht, jedoch routinemäßig verfasst ist und maßlose Übertreibungen enthält, ohne dabei individuelle Züge zu tragen. Ähnliches gilt für seine Klagelieder, die ebenfalls in der Qassida-Form geschrieben sind und den Tod von Freunden und Bekannten zum Thema haben. Auch hier sind die Gedichtanfänge stilistisch einzigartig, während die folgenden Strophen klassischen Mustern folgen. Hier sind oftmals Einflüsse von Volksliedern erkennbar, manchmal wird die Versform der Ballade verwendet, vor allem im Dialog zwischen den Hinterbliebenen am Grabe und dem Verstorbenen.
Seine etwa 80 Liebesgedichte sind an einen Hirsch oder eine Gazelle oder - bei Hochzeitsgedichten - an beide gerichtet. Inhalt und Form entsprechen der üblichen arabisch-hebräischen Liebeslyrik, wo die Sehnsucht des Liebenden, die Grausamkeit der Geliebten, die lustvoll ihre Opfer verspottet, ihre „tödlichen“ Blicke und der Schein ihres Antlitzes aus der Dunkelheit einer stürmischen Nacht besungen wird. Ein volkstümlicher Ton lässt sich im klaren und einfachen Stil der Hochzeitsgedichte erkennen.
Jehuda ha-Levi schrieb etwa 350 Pijjutim. Diese lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: einerseits Gedichte zur Verwendung an jüdischen Feiertagen, in denen das Leiden des jüdischen Volkes in der Diaspora zur Sprache kommt und zum Ausdruck der Sehnsucht nach baldiger Erlösung eschatologische Bilder aus dem Buch Daniel verwendet werden. Auf der anderen Seite stehen Gedichte, in denen persönliche religiöse Erfahrungen verarbeitet werden, vor allem „Selichot“ (Bitten um Vergebung), die in jüdischen Gemeinden in das Gebetbuch von Jom Kippur aufgenommen wurden.
Am berühmtesten unter seinen Gedichten sind jedoch die Zionslieder, Schire Zion. Die Originalität dieser etwa 35 Gedichte ergibt sich schon aus dem Thema, das zu jener Zeit ungewöhnlich war, mehr noch aber aus der Tiefe des Ausdrucks. Das oben erwähnte Zion ha-lo tischali ist von aschkenasischen Gemeinden in die Liturgie des 9. Av aufgenommen worden, zur Erinnerung an die Zerstörung des Tempels zu Jerusalem.
Von großer Bedeutung für die Hispanistik und Romanistik sind seine Muwassah-Gedichte, deren Schlussverse, die Hargas, in altspanischem (mozarabischem) Dialekt gedichtet sind. Diese frühesten Zeugnisse romanischer Lyrik sind im hebräischen Alphabet geschrieben (Aljamiado-Schreibweise). [1] Insofern gilt Jehuda ha-Levi als der erste namentlich bekannte Dichter in spanischer Sprache [2] :
„Yehuda ha-Lewis dichterisches Werk ist außerordentlich vielgestaltig. Seine weltliche Dichtung umfasst nicht nur Hunderte von Kompositionen in hebräischer Sprache, sondern auch zahlreiche Schlussverse in einer frühen Form des Altspanischen; mit vollem Recht kann man sagen, dass er der erste namentlich bekannte Dichter in spanischer Sprache war. Seine Gedichte auf die Liebe, die Freundschaft, den Wein und die Natur haben die Frische unvergänglicher Jugend bis heute bewahrt. Sein geistliches Oeuvre umfasst alle Gattungen der Liturgie.“
– Georg Bossong: Die Sepharden: Geschichte und Kultur der spanischen Juden. [3]
Philosophie
Ha-Levis Philosophie ist in einem einzigen Buch enthalten, das den arabischen Titel Kitab al-Ḥujjah wal-Dalil fi Nuṣr al-Din al-Dhalil trägt („Das Buch von Argument und Beweis zur Verteidigung des verachteten Glaubens“), in der Mitte des 12. Jahrhunderts von Jehuda ibn Tibbon ins Hebräische übersetzt wurde und unter dem Titel Sefer ha-Kusari („Buch des Kusari“) bekannt geworden ist. Das Buch wurde erstmals in Fano im Jahre 1506 gedruckt und mehrmals neu herausgegeben. Eine kritische Ausgabe des arabischen und hebräischen Textes wurde 1887 von Hartwig Hirschfeld veröffentlicht. Der „Kusari“ ist in zahlreiche Sprachen übersetzt worden; ha-Levi arbeitete an ihm während 20 Jahren und beendete ihn kurz vor seiner Abreise ins Heilige Land.
Das Werk ist polemisch und richtet sich gegen Christentum und Islam, vor allem aber gegen die aristotelische Philosophie, die Jehuda ha-Levi zwar respektierte, jedoch als Bedrohung des jüdischen Glaubens ansah. Der Titel „Kusari“ bezieht sich auf den gleichnamigen König der Chasaren, dessen Übertritt zum Judentum den literarischen Rahmen des Werks bildet. Nachdem Kusari in einem Traum von einem Engel erfahren hat, dass Gott seine Absichten, jedoch nicht seine Taten akzeptiert, lädt er zunächst einen aristotelischen Philosophen und anschließend Vertreter des Islams, des Christentums und des Judentums ein, um sich darüber klar zu werden, wie er sein Leben gestalten solle. Diese Rahmenerzählung wird von ha-Levi benutzt, um die entsprechenden Glaubensgrundsätze und Überzeugungen zu vergleichen und die Überlegenheit des Judentums herauszustellen. Das Werk ist in fünf Teile gegliedert, wobei die vier letzten Teile hauptsächlich den Dialog zwischen dem König und dem jüdischen Gelehrten enthalten. Der vierte Teil enthält eine Erklärung der Gottesnamen Elohim und Adonai, wobei Elohim als allgemeiner Ausdruck den aus philosophischer Begründung bekannten Gott bezeichnet, während Adonai, ein Eigenname, den Gott Israels beschreibt, der nur durch Offenbarung und Prophezeiung erfahren wird. Dieses Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung und einem Kommentar zum Sefer Jezirah, das nach Auffassung von Jehuda ha-Levi auf den Patriarchen Abraham zurückgeht.
Es ist nachgewiesen worden, dass ha-Levi zwar besser als seine Vorgänger mit Aristoteles' Werk vertraut war, seine Kenntnisse jedoch nicht aus direkter Lektüre, sondern aus Avicenna bezogen hat. Seine Kritik des Aristotelismus erinnert stark an die „Inkohärenz der Philosophen“ von al-Ghazali.
Nachwirkungen
Die erste Ausgabe der Gedichte von Jehuda ha-Levi erfolgte durch Samuel David Luzzatto, der eine Auswahl 1864 in Prag veröffentlichte. Ebenfalls im 19. Jahrhundert schrieb Ludwig Philippson den historischen Roman Jehuda Halevi, der jüdische Minister, der auch auf Jiddisch und Hebräisch übersetzt wurde. Am bekanntesten ist in diesem Zusammenhang das Gedicht Jehuda Ben Halevy von Heinrich Heine, der jedoch den mittelalterlichen Autor irrtümlicherweise für den Verfasser der Schabbathymne Lecha Dodi hält, die in Wirklichkeit von Schlomo Alkabez stammt. Franz Rosenzweig hat Gedichte von Jehuda ha-Levi ins Deutsche übersetzt.
In Wien gründete sich 1923 ein Zionistischer Sephardischer Verein „Jehuda Halevi“.[4]
Siehe auch
- Schlemihl, weiterer Kontext der Figur in der Kulturgeschichte
Ausgaben und Übersetzungen
- Emil Bernhard: Jehuda Halevi. Ein Diwan. Erich Reiss, Berlin 1921.
- Chaim Brody: Dīwān des Abû-l-Hasan Jehuda ha Levi. 4 Bände. Berlin 1894-1930.
- Franz Rosenzweig: Jehuda Halevi. Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte. Lambert Schneider, Berlin 1926.
- Jehuda Halevi, David Cassel (Übersetzer): Der Kusari. Goldschmidt, Basel 1990 (ohne ISBN, hebräisch / deutsch).
Literatur
- Encyclopedia Judaica, Bd. 10, S. 355-366.
- David Kaufmann: Jehuda Halewi: Versuch einer Charakteristik, Nabu Press, New York, NY 2010 ISBN 978-1-146-86302-5.
- Raymond P. Scheindlin: The song of the distant dove. Judah Halevi's pilgrimage. 2008. ISBN 978-0-19-531542-4.
- Nicolai Sinai: Menschliche oder göttliche Weisheit? Zum Gegensatz von philosophischem und religiösem Lebensideal bei al-Ghazali und Yehuda ha-Levi. Ergon, Würzburg 2003, ISBN 3-89913-312-9 (Zugleich Magisterarbeit an der Freien Universität Berlin 2002).
- Joseph Yahalom: Judah Halevi: שירת חייו של ר' יחודה הלוי [A Life of Poetry]. Jerusalem 2008. ISBN 978-965-493-321-6 (hebräisch).
- Joseph Yahalom: Yehuda Halevi: Poetry and Pilgrimage. Jerusalem 2009. ISBN 978-965-493-324-7.
Weblinks
- Literatur von und über Jehuda ha-Levi im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Barry Kogan: Judah Halevi, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)
- Jehuda ha-Levi. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL).
Wikisource: Jehuda ben Halevy, von Heinrich Heine, aus: Romanzero. 1851 – Quellen und Volltexte- Kurzbiographie
- Drei deutsche Übersetzungen eines Gedichts von Jehuda ha-Levi sowie ein neuerer Versuch (630 kB)
- Kuzari seitenkonkordanter Volltext der engl. Übersetzung Hirschfelds
- altspanische Hargas von Jehuda ha-Levi - auf orbilat.com
Einzelnachweise
- ↑ Alma Wood Rivera: Las jarchas mozárabes: Una compilación de lecturas, Diplomarbeit, Monterrey (México) 1969 - Jehuda ha-Levis altspanische Hargas (jarchas) auf jarchas.net
- ↑ Dámaso Alonso: Cancioncillas de amigo mozárabes. Primavera temprana de la lírica europea, in: Revista de Filología Española 33 (1949), pp. 298
- ↑ Georg Bossong: Die Sepharden: Geschichte und Kultur der spanischen Juden, Beck 2008, ISBN 978-3-406-56238-9, (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche)
- ↑ Amor Ayala & Stefanie von Schmädel: Identitätsdiskurse und Politisierung der Sepharden in Wien am Beispiel des Studentenvereins„ Esperanza“ 1896 - 1924. in Zs. Transversal, Schwerpunktheft Jüdischer Widerstand im NS, Centrum für Judische Studien der Karl-Franzens-Universität, 11. Jg. H. 2. Studienverlag, Graz 2010 ISSN 1607-629X S. 83 - 102, hier S. 94 mit Anm.- Dort weitere Lit, insbes. ein Buch von Schmädel. Der letzte Nachweis über diesen Verein stammt aus 1924
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