Schrank der Schande

Schrank der Schande

Der so genannte Schrank der Schande (italienisch: Armadio della vergogna) war ein versiegelter brauner Holzschrank, der von 1960 bis 1994 mit der Tür zu einer Wand und eigens mit einem Eisengitter abgesichert im Palazzo Cesi, dem Sitz der Allgemeinen Militäranwaltschaft in Rom in der Nähe der Piazza Navona, aufbewahrt wurde. In diesem Schrank wurden im Jahr 1960, auf Beschluss des damaligen allgemeinen Militärstaatsanwaltes, Enrico Santacroce, Aktenbündel über 2274 Fälle von NS-Kriegsverbrechen in Italien im Zweiten Weltkrieg „provisorisch archiviert“. 1966 wurden zwar etwa 1300 Fälle an die zuständigen italienischen Staatsanwaltschaften abgegeben und 20 weitere an deutsche Ermittlungsbehörden. Für 695 Fälle – angeblich die wichtigsten – dauerte die „Archivierung“ jedoch 34 Jahre. Diese Akten wurden erst im Jahr 1994 wiederentdeckt.

Im Jahr 1998 wurde die Archivierung nach Abschluss der Untersuchungen des Militärgerichtsrates als rechtswidrig erachtet.[1][2][3]

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Die Bundesrepublik Deutschland wurde am 6. Mai 1955 Mitglied der NATO. Am 19. Mai 1955 wurde wegen ihres NATO-Beitritts der Warschauer Pakt gegründet. Am 12. November 1955 wurde die Bundeswehr aufgebaut, um so in Westeuropa eine politische und militärische Einheit gegen die Sowjetunion und den Warschauer Pakt zu bilden.

Im Jahr 1956 wurde in einem Briefwechsel zwischen dem Italienischen Außenminister Gaetano Martino und dem Verteidigungsminister Paolo Emilio Taviani beschlossen, dass die Eröffnung von Prozessen gegen ehemalige deutsche Wehrmachtsangehörige zu Verstimmungen der Bundesrepublik hätte führen können, da diese sich gerade in die NATO integrieren wollte.

Entdeckung

Der römische Militärstaatsanwalt Antonino Intelisano, der für den Distrikt Rom zuständig war und nicht der Generalbehörde angehörte, entdeckte durch einen Zufall die Akten, während er 1994 im Fall des SS-Offiziers Erich Priebke ermittelte. Als er bei der Generalstaatsanwaltschaft Akten anforderte, öffnete ein Justizbeamter den vergessenen Schrank und entdeckte haufenweise vergilbte Unterlagen, die dann – ohne die Öffentlichkeit zu informieren – an die örtlichen Staatsanwaltschaften verschickt wurden. Der Militärstaatsanwalt in Rom, Intelisano, bekam 129 Verfahren zugeteilt, 214 Verfahren gingen nach La Spezia und 108 Verfahren nach Verona.

Prozesse nach 1994

Paul Albers (88), Josef Baumann (82), Hubert Bichler (87), Max Roithmeier (85), Max Schneider (81), Heinz Fritz Traeger (84), Georg Wache (86), Helmut Wulf (84), Adolf Schneider (87) Kurt Spieler (81)
Zwischen dem 29. September und dem 1. Oktober 1944 zerstörten Einheiten der 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ und der deutschen Wehrmacht die gesamte Region und töteten über 770 Zivilisten, laut einigen Quellen bis zu 1836 Personen, vor allem alte Männer, Frauen und Kinder.
  • Prozesse gegen zehn Mitglieder der Waffen-SS vor einem Militärgericht in La Spezia wegen des Massakers von Sant’Anna di Stazzema in dem toskanischem Bergdorf Sant’Anna di Stazzema in den apuanischen Alpen bei Lucca, wo im Sommer 1944 mehr als 500 Bewohner erschossen wurden.
Karl Gropler – verurteilt nach italienischem Recht
Georg Rauch – verurteilt nach italienischem Recht
Gerhard Sommer – verurteilt nach italienischem Recht
Alfred Schönenberg – verurteilt nach italienischem Recht (inzw. verstorben[4])
Ludwig Heinrich Sonntag – verurteilt nach italienischem Recht (inzw. verstorben[4])
Alfred Mathias Concina – verurteilt nach italienischem Recht
Horst Richter – verurteilt nach italienischem Recht
Werner Bruss – rechtskräftig[5] verurteilt nach italienischem Recht
Heinrich Schendel – rechtskräftig[5] verurteilt nach italienischem Recht
Ludwig Goering – rechtskräftig[5] verurteilt nach italienischem Recht
In Deutschland hat dieses Urteil allerdings keine praktische Bedeutung, so dass keiner der Angeklagten bisher eine Strafe verbüßen musste. Dazu wäre eine Verurteilung vor einem deutschen Gericht notwendig, die allerdings aufgrund der deutschen Rechtslage als unwahrscheinlich gilt.[6]
  • Prozess gegen den SS-Offizier Hermann Langer vom 8. Juli bis zum 10. Dezember 2004 in La Spezia wegen des Massakers in einem toskanischem Kloster, der Kartause von Farneta (Certosa di Farneta) in der Nähe der Stadt Lucca. Langer hatte bei einer Razzia entdeckt, dass Mönche einige Flüchtlinge – darunter auch Juden – versteckt gehalten hatten, und deshalb die Erschießung von 60 Menschen befohlen.

Siehe auch

  • Christiane Kohl, Journalistin und Schriftstellerin, Ehrenbürgerin des italienischen Dorfes Sant'Anna di Stazzema

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bericht aus der Bibliothek des Bozner Stadtarchivs von Carla Giacomozzi, Guido Salvini über den „Schrank der Schande“: 1960–1994 „Schrank der Schande” unter www.gemeinde.bozen.it.
  2. Georg Bönisch, Carsten Holm, Hans-Jürgen Schlamp: „Schrank der Schande“ (pdf), in: Der Spiegel 17/2001 (23. April 2001), S. 56–58. Den Autoren des Spiegelbeitrags lag eine interne Untersuchung der italienischen Militärjustizbehörden vor.
  3. Wolfgang Most: Der Schrank im Palazzo Cesi – Späte Prozesswelle gegen ehemalige deutsche Soldaten in Italien bei www.resistenza.de.
  4. a b Lars Reissmann: Verurteilung wegen des SS-Massakers von Sant’Anna di Stazzema bestätigt. Lokalberichte Hamburg, 17. Jahrgang, Nr. 24, 23. November 2006, S. 8, (Pdf 553 KB)
  5. a b c Frankfurter Rundschau: Haftbefehle gegen Ex-SS-Männer beantragt, 26. Juni 2007
  6. http://www.broschuere.resistenza.de/material/broschuere_santanna_web.pdf Das Massaker von Sant’Anna di Stazzema am 12. August 1944. Materialiensammlung 1 für eine bundesweite Kampagne zur Anklageerhebung in Deutschland S. 26

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