Schweizer Spende

Schweizer Spende
Schweizer Spende
Schweizer Spende der Markenfreunde 1945

Die Schweizer Spende an die Kriegsgeschädigten in Europa von 1944 bis 1948 war eine öffentliche Sammlung des Schweizer Volkes als Ausdruck der Solidarität mit den Opfern des Zweiten Weltkrieges.

Inhaltsverzeichnis

Sammelaktion

Die Botschaft des Bundesrates vom 1. Dezember 1944 gab zusammen mit der Broschüre «Unser Volk will danken» (Auflage 1,5 Mio. Exemplare) den Anstoss für die grösste Schweizer Sammelaktion während des Zweiten Weltkrieges: «Die Schweizer Spende an die Kriegsgeschädigten soll unserer Bevölkerung Gelegenheit bieten, die Gefühle der Nächstenliebe, die sie empfindet, zu bezeugen. Jeder Schweizer, ob jung oder alt, arm oder reich, soll die Möglichkeit erhalten, an einem Werk teilzunehmen, durch das er gegenüber den schwergeprüften Nächsten einer moralischen Verpflichtung nachkommt. […] Diese karitative Mission entspricht einer der achtbarsten Überlieferungen der Schweiz. Wir betreten damit keine neuen Wege. Weil aber das zu lindernde Elend verbreitet ist und tiefer geht als je zuvor, muss auch unsere Hilfsbereitschaft nach einer entsprechenden Kraftanstrengung rufen.»

Vom Bund wurden im Dezember 1944 über 150 Millionen Franken bereitgestellt, während die öffentliche Sammlung von Februar 1945 bis März 1946 weitere 50 Millionen erbrachte, was nach heutigem (2005) Wert etwa 1 Milliarde Schweizer Franken entspricht.

Fahrzeug des Schweizerspende Teams in Wien (Foto Wiener Berufsrettung)

Hilfsorganisationen

Mit der Schweizer Spende wurden die Hilfstätigkeiten in achtzehn europäischen Ländern inklusive Deutschlands finanziert. Der Bundesrat setzte ein Nationales Komitee unter dem Präsidium von Alt-Bundesrat Ernst Wetter mit Vertretern aller Volksschichten ein, das die wichtigsten Richtlinien des Hilfswerkes bestimmte. Rodolfo Olgiati (1905–1986), ein Mathematiklehrer aus Bern, der bereits die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Spanienkinder (SAS) gegründet hatte und seit 1940 Zentralsekretär der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für kriegsgeschädigte Kinder (SAK) war, wurde zum Leiter der Zentralstelle der Schweizer Spende ernannt.

Kinderhilfe des SRK: Wiener Kinder vor der Abreise in die Schweiz

Die eigentliche Durchführung der Aktionen im Ausland wurden vor allem dem Schweizerischen Roten Kreuz und seiner Kinderhilfe, dem Schweizerischen Arbeiter-Hilfswerk, dem Schweizerischen Caritas-Verband und dem Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz übertragen. Die «Länderbüros» der Schweizer Spende koordinierten die Hilfeleistung in den einzelnen Ländern. Daneben gab es die «Abteilung für Hospitalisierung», «Büros für Schulung», «landwirtschaftliche Büros», «Büro für Hilfskräfte», «Patenschaftsdienst» und als wichtigstes Fachbüro der «sanitätstechnische Dienst». Ein speziell eingerichtetes «Reisebüro» organisierte die Reisen der Hilfskräfte in das kriegsversehrte Europa und besorgte rund 5200 Visa für Mitarbeiter der Schweizer Spende und 1200 für Mitarbeiter anderer Hilfsorganisationen.

Helfer

Bekannte Künstler, Fotografen und Freiwillige aus vielen Berufsgruppen setzten sich selbstlos für die Hilfsprojekte ein, wie folgende Beispiele zeigen:

  • Regina Kägi-Fuchsmann (1889–1972), Geschäftsführerin des Schweizer Arbeiterhilfswerks (SAH), beteiligte sich massgeblich an der Organisation der Schweizer Spende. 1948 wurde sie Präsidentin der Nachfolgeorganisation der Schweizer Spende, der Schweizer Europahilfe (Schweizer Auslandhilfe).
  • Gertrud Lutz-Fankhauser – die Frau von Carl Lutz und nachmalige UNICEF-Vizepräsidentin – reiste im Januar 1946 für die Schweizer Spende mit einer Ärztemission nach Bosnien. Im Nachkriegswinter 1946/1947 leitete sie eine Mission der «Schweizer Spende» in Finnland und anschliessend in Polen (1947–1948).
  • Elisabeth Rotten (1882–1964), Reformpädagogin, organisierte als Leiterin des Schweizer Spende Büros für kulturellen Austausch im Herbst 1948 für deutsche Pädagogen eine Reise in die Schweiz mit dem Ziel, sie aus ihrer Isolation heraus zuholen und wieder international zu integrieren.

Hilfeleistungen

Die dringlichsten Hilfeleistungen galten dem Kampf gegen den Hunger, die Kälte und Obdachlosigkeit und dem Kampf gegen die Krankheit. Die von Schweizer Fachleuten betreuten Hilfsprojekte reichten vom Haushalt über die Schule bis zu Spitaleinrichtungen. In Zusammenarbeit mit der UNESCO half die Schweizer Spende im Wiederaufbau von Schulen und Bibliotheken und beim Organisieren von Kursen und mit Stipendien.

Für die Hilfsarbeit galt der Grundsatz der Überparteilichkeit im Sinne Henry Dunants. Weder konfessionelle noch politische Einstellung sondern allein das Ausmass der Not sollte eine Rolle spielen. Das Prinzip der überparteilichen Hilfe war Teil des gesamtschweizerischen Charakters der Schweizer Spende. Sie stützte sich auf das ganze Schweizervolk und war nicht das alleinige Werk einer konfessionellen oder weltanschaulichen Gruppe.

Information der Bevölkerung

Der Schweizer Maler und Zeichner Charles Hug (1899–1979) gestaltete als Armeereporter Plakate für die «Schweizer Spende». Unmittelbar nach Kriegsende fotografierte Paul Senn im Auftrag der Schweizer Spende in Deutschland und Frankreich. Der Fotoreporter Theo Frey reiste 1945 im Auftrag des Schweizerischen Roten Kreuzes für die Schweizer Spende in die kriegsversehrten Gebiete in Lothringen und der Normandie. 1947 reiste Paul Senn mit weiteren Schweizer Reportern auf Einladung der Schweizer Spende nach Finnland. In Deutschland dokumentierte er den Wiederaufbau.

Die Schweizerische Monatsschrift «Du» vom Mai 1946 enthält eindrückliche Texte und Fotos von Werner Bischof über die Schweizer Spende. Arnold Kübler schrieb über das Elend von Hunderttausenden von Kindern, die in Europa im Zweiten Weltkrieg ihren Vater, Mutter und Geschwister verloren hatten und zeigte, dass die Tätigkeit der Hilfswerke und der Schweizer Spende lebenswichtig für unzählige Menschen war. 1949 wurde ein umfassender Abschlussbericht mit einer vorbildlichen Fotodokumentation durch die Schweizer Fotografen Werner Bischof (1916- 1954), Paul Senn, Ernst Scheidegger und dem Grafiker Adolf Flückiger erstellt. Der Bericht dokumentiert und beschreibt alle Hilfeleistungen und die Verwendung der Gelder.

Beispiele der Hilfe

Schülerspeisung für die Stadt Wien und Umgebung

Kinderausspeiseaktion: Eingang zur Kantine des "Bayrischen Hofes" in Wien

Im September 1945 trafen die ersten Lieferungen von Lebensmitteln für die Schülerspeisung von 127'000 Kindern sowie Medikamente und Sanitätsmaterial ein. Um der Säuglingssterblichkeit entgegenzuwirken wurde an die Kleinkinder Milch verteilt. 1946 erhielten alle Schulkinder der Stadt Wien zum Schulbeginn sowie an Weihnachten 319'000 Kinder Wiens, Niederösterreichs und dem Burgenland eine Tafel Schokolade. Daneben gab es Wolldecken, Windeln, Wolle und Stopfgarn zum Flicken, Herren-, Damen- und Kinderschuhe, Nähmaschinen, Haushaltsartikel, Einrichtungsgegenstände und Ausrüstungen für Schuster- und Schneiderwerkstätten, Geräte für den Betrieb von Großküchen. Für tuberkulosekranke Wiener organisierte die «Schweizer Spende» 135 Aufenthalte in Davos und Arosa. Bis Ende 1946 fanden folgende Lieferungen der «Schweizer Spende» nach Wien, Niederösterreich und dem Burgenland statt:

  • 8'687 Tonnen Lebensmittel, Medikamente, Sanitätsmaterial, Arztbehelfe im Werte von 1,2 Millionen Schweizer Franken
  • 33'315 kg und 24'559 Stück Textilien
  • 24'812 Paar Schuhe
Wiener Mädchen reist im Kinderzug in die Schweiz

Kinderzüge von Hamburg in die Schweiz

In zwei Tagen und zwei Nächten fuhren Hamburger vier- bis zehnjährige Kinder, organisiert durch das Schweizerische Rote Kreuz, mit dem Zug in die Schweiz. Sie wurden zum „Aufpäppeln“ für drei Monate von freundlichen Schweizer Gastfamilien im Sinne der christlichen Nächstenliebe eingeladen und in die Familie aufgenommen. Daraus entwickelten sich bei den Kriegskindern lebenslange Gefühle der Dankbarkeit und Verbundenheit. Insgesamt hat die Schweizer Bevölkerung 44.000 Kriegskindern aus Deutschland persönlich geholfen.[1]

Schweizer Kinder

Schweizer Kinder wurden die Tausende von Kinder genannt, die von „großherzigen“ Schweizern eingeladen wurden und beispielsweise über Friedrichshafen in die Schweiz einreisten.

Literatur

  • E. Wetter und Rodolfo Olgiati: Tätigkeitsbericht Die Schweizer Spende 1944–1948, Dr. E. Wetter und Rodolfo Olgiati, 1949
  • Markus Schmitz und Bernd Haunfelder: Humanität und Diplomatie. Die Schweiz in Köln 1940–1949. Verlag Aschendorff, Münster 2001, ISBN 3402053853.
  • Arbeitsgruppe des Vereins "Schweizer Kinder": Das Wunder einer Reise. Die "Schweizer Kinder" und ihre Fahrt ins Märchenland. Verlag Robert Gessler, Friedrichshafen 2003, ISBN 3861360802
  • Markus Schmitz, Westdeutschland und die Schweiz nach dem Krieg. Die Neuformierung der bilateralen Beziehungen 1945–1952. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2003, ISBN 3038230375.
  • Bernd Haunfelder, Kinderzüge in die Schweiz. Die Deutschlandhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes 1946–1956. Verlag Aschendorff, Münster 2007, ISBN 340212730X
  • Bernd Haunfelder, Not und Hoffnung. Deutsche Kinder und die Schweiz 1946-1956. Verlag Aschendorff, Münster 2008. ISBN 978-3-402-12776-6
  • Madeleine Lerf: "Buchenwaldkinder" - eine Schweizer Hilfsaktion. Veröffentlichungen des Archivs für Zeitgeschichte der ETH Zürich, Band 5. Zürich 2009. ISBN 978-3-0340-0987-4

Siehe auch

Weblink

Einzelnachweis

  1. Vanessa Seifert: „Aus der Hölle ins Paradies“ - ein Hamburger im Kinderzug von 1946. In: Hamburger Abendblatt vom 17. Dezember 2009, S. 20

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Schweizer Reisekasse — (Reka) Rechtsform Genossenschaft Gründung 1939 Sitz …   Deutsch Wikipedia

  • Schweizer Patenschaft für Berggemeinden — Wasserleitung Suone Baltschiedertal Die Schweizer Patenschaft für Berggemeinden bietet projektbezogene Hilfe für Berggebiete und fördert damit im Sinne des eidgenössischen Föderalismus den Zusammenhalt zwischen Berg und Tal. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Stiftung nach Schweizer Recht — Dieser Artikel behandelt die Stiftung als juristische Person. Stiftung nennt man aber auch die Schaffung eines Wappens, einer Flagge oder eines Ehrenzeichens. Darüber hinaus gibt es eine größere Zahl von Vereinen, die die Bezeichnung Stiftung im… …   Deutsch Wikipedia

  • Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes — Die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes war eine von 1942 bis 1955 dauernde Hilfsaktion des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) zugunsten von kriegsgeschädigten Kindern. Schweizerisches Rotes Kreuz …   Deutsch Wikipedia

  • Rodolfo Olgiati — Komitee des Internationalen Zivildienstes 1936: Olgiati dritter von links, rechts neben ihm Pierre Ceresole Rodolfo Olgiati (* 30. Juni 1905 in Lugano; † 31. Mai 1986 in Bern) war ein Schweizer Pädagoge und humanitärer Akti …   Deutsch Wikipedia

  • Aussenpolitik der Schweiz — Die Aussenpolitik der Schweiz richtet sich in erster Line nach der Neutralität des Landes und ist darum traditionell zurückhaltend ausgestaltet. Nach Artikel 2 der Bundesverfassung schützt der Bund die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt …   Deutsch Wikipedia

  • Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg — In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen folgende wichtige Informationen: Geistige Landesverteidigung Politische Einigung Teils Vor Revisionistische Geschichtsdarstellung Du kannst Wikipedia helfen, indem du sie recherchierst und …   Deutsch Wikipedia

  • Franz Rudolf von Weiss — Franz Rudolf von Weiss, französisch François Rodolphe de Weiss, (* 18. Juli 1885 in Lausanne; † 22. Dezember 1960 La Tour de Peilz) war ein Schweizer Diplomat. Leben Von Weiss arbeitete ab 1920 im Kölner Konsulat als Schweizer Kanzleisekretär und …   Deutsch Wikipedia

  • François-Rodolphe de Weiss — Franz Rudolf von Weiss, französisch François Rodolphe de Weiss, (* 18. Juli 1885 in Lausanne; † 22. Dezember 1960 La Tour de Peilz) war ein Schweizer Diplomat. Leben Von Weiss arbeitete ab 1920 im Kölner Konsulat als Schweizer Kanzleisekretär und …   Deutsch Wikipedia

  • Paul Senn — (* 14. August 1901 in Rothrist, Kanton Aargau; † 25. April 1953 in Bern) war ein Schweizer Fotograf. Nach dem Besuch der Primar und Sekundarschule in der Stadt Bern erlernte Senn um 1917 den Beruf des Reklamezeichners und Retuscheurs. Nach… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”