Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes

Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes

Die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes war eine von 1942 bis 1955 dauernde Hilfsaktion des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) zugunsten von kriegsgeschädigten Kindern.

Schweizerisches Rotes Kreuz
Schweizer Spende

Von 1944 bis 1948 war die Kinderhilfe Aktionsträger der Schweizer Spende, einem vom Schweizer Bundesrat am 25. Februar 1944 eingeleiteten Zusammenschluss konfessionell und politisch unterschiedlich ausgerichteter Hilfswerke, deren Ziel es war mit einer öffentlichen Sammlung des Schweizer Volkes in achtzehn kriegsgeschädigten Ländern in Europa Humanitäre Hilfe und Wiederaufbauhilfe zu leisten.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Kinderhilfe der Schweiz hat eine lange Tradition. Schon nach dem Ersten Weltkrieg nahmen Schweizer Familien Kinder aus kriegsversehrten Nachbarländern zur Erholung auf. Während des Zweiten Weltkriegs erhielt die Kinderhilfe eine neue Orientierung: verfolgte Kinder und an einigen Orten auch ihre Mütter fanden in Frankreich in Heimen des SRK Zuflucht und Schutz.

Die Kinderhilfe des SRK ging aus der 1940 ins Leben gerufenen „Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für kriegsgeschädigte Kinder“ hervor, die sich der Aufnahme von Kindern aus Frankreich und Belgien und ihrer Unterbringung in Schweizer Familien widmete. Im Jahr 1942 wurde die Arbeitsgemeinschaft unter der Bezeichnung „Schweizerisches Rotes Kreuz, Kinderhilfe“ in das SRK aufgenommen. Während des Krieges wurden vorwiegend Kinder aus Frankreich, Belgien, Luxemburg und Holland aufgenommen, Italien und Deutschland verzichteten auf diese Möglichkeit.

Nach Kriegsende wurde sie auf zahlreiche andere europäische Länder ausgedehnt, nun kamen auch aus Deutschland, Italien und Österreich Kinder in die Schweiz.

Zweck

Die Kinderhilfe diente während des Zweiten Weltkrieges und in den Jahren danach der physischen und psychischen Erholung von Kindern, die durch die Auswirkungen des Krieges erkrankt, unterernährt oder verletzt worden waren oder traumatische Kriegserlebnisse, die Folgen einer Flucht, die Trennung von ihrer Familie oder den Verlust von Familienangehörigen erlitten hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Schweiz das erste Land, das der hungernden deutschen Bevölkerung und insbesondere den Kindern half [1].

Umfang der Hilfsaktion in Deutschland

Die Deutschlandhilfe startete am 21. November 1945 mit zehn Kinderhilfsaktionen in deutschen Grosstädten und wurde sukzessive auf folgende Städte, Gebiete und Länder ausgeweitet: Freiburg im Breisgau, Koblenz, Mainz, Saarbrücken, Trier, Aachen, Bochum, Kleve/Goch, Dortmund, Düren/Jülich, Gelsenkirchen, Köln, Kiel, Berlin, Baden, Württemberg-Hohenzollern, bayerische Pfalz, Rheinhessen, Saargebiet, Nordhessen, Rheinprovinz, Ruhrgebiet, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen.

Seit Anfang 1946 erhielten mehr als zwei Millionen Kinder der britischen, französischen und sowjetischen Zone tägliche Mahlzeiten sowie zehntausende von Tonnen Medikamente, Kleidung und Paketsendungen nach Deutschland. Daneben gab es Patenschaften zugunsten von Flüchtlings- und Vertriebenenkindern. Für unternährte und kranke Jungen und Mädchen wurde ein Erholungsaufenthalt in die Schweiz organisiert, die sogenannten Kinderzüge in die Schweiz.

Schweizer Dörfer

In mehreren Grosstädten wurden sogenannte Schweizer Dörfer errichtet. Hier wurden Kinder, die nicht für eine Genesungsreise in Frage kamen, ernährt. Dasjenige von Köln bestand aus elf ehemaligen Schweizer Militärbaracken. Von dort aus wurde die Verpflegung zehntausender unterernährter Kölner Kinder organisiert und Werkstätten (Schreinerei, Schneiderei, Schusterwerkstatt), ein Beratungszentrum und eine Kindertagesstätte unterhalten. Als Ersatz für die zerstörte Kölner Kinderklinik wurden im Mai 1946 achtzehn Militärbaracken aus der Schweiz als provisorische Kinderklinik aufgebaut. Die Existenz des Schweizer Dorfes in Köln hatte bewirkt, dass aus dem schwer kriegsbeschädigten Köln vergleichsweise wenige Kinder zu Erfolgsaufenthalten in die Schweiz reisen mussten.

An vielen Orten wurden mit aus der Schweiz gespendeten Nähmaschinen, Stoffen, Wolle, Nadeln und Faden Nähstuben eingerichtet, in denen dann Textilien geflickt und neue Kleidungsstücke erstellt wurden, um insbesondere die Knappheit an Kinderkleidern beheben zu können.

Kinderausspeiseaktion: Eingang zur Kantine des "Bayrischen Hofes" in Wien

Kinderspeisungen

Zu den weiteren Hilfeleistungen der Kinderhilfe des SRK gehörten sogenannte Ausspeisungen in Wien, Niederösterreich und Deutschland, also die Versorgung von Kindern mit Nahrung vor Ort. Die Kinderspeisungen wurden von der Schweizer Spende überall so organisiert, dass die Kinder mit Ausweis, Esskarte, Essnapf und Löffel zur Ausgabestelle kamen, meist ein Kindergarten, wo sie das Essen zu sich nahmen. In Köln begannen die Kinderspeisungen am 1. März 1946 mit sämtlichen Kindergartenkindern und wurde drei Wochen später auf externe Kinder ausgedehnt.

Kinder am Zugsfenster bei der Abfahrt in Wien

Kinderzüge in die Schweiz

Die Kinderzüge in die Schweiz war die grösste Kinderhilfsaktion nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Mehr als 181.000 vom Krieg betroffene, unterernährte und kranke Kinder reisten auf Einladung des Schweizerischen Roten Kreuzes von 1940 bis 1956 aus ganz Europa zu einem dreimonatigen Erholungsaufenthalt in die Schweiz, am meisten aus Frankreich, mehr als 44.000 ab April 1946 aus Deutschland. Bis zum Ende der Aktion wurden 181.000 Kinder durch rund 100.000 Pflegefamilien betreut. Nachdem das Schweizerische Rote Kreuz die Kindertransporte eingestellt hatte, wurden sie vom Landesverband freier Schweizer Arbeiter weiter geführt, der regelmässig vor allem Kinder aus Berlin bei schweizerischen Familien unterbrachte.

Organisation der Kinderzüge am Beispiel Deutschlands [2]

Der Schweizer Generalkonsul Franz-Rudolf von Weiss brachte mit seinem nach 1945 erfolgten Bericht über die chaotische politische und wirtschaftliche Lage im Rheinland und dem Elend der Zivilbevölkerung sowie den hilflosen Versuchen der britischen Besatzungsmacht Ordnung ins Chaos zu bringen die Aktion ins Rollen. Der Jurist Hans Rolf Gautschi, Zentralsekretär der Kinderhilfe des SRK von 1944 bis 1947 konnte die Alliierten vom humanitären Charakter der Aktion überzeugen und machte den Weg für die Kinderzüge aus Deutschland frei. René Steiner, lebenslanger Mitarbeiter des SRK, war als organisatorischer Leiter der Kinderhilfe für die Organisation der Kinderzüge zuständig und half bei den Patenschaftsaktionen.

Im Frühjahr 1946 reiste die erste Delegation der Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes nach Deutschland. Es waren Käthe Näf Leiterin der Sektion Zürich des Schweizerischen Roten Kreuzes und Verantwortliche für die Vermittlung deutscher Kinder, Marianne Jöhr, Zentralsekretärin der Kinderhilfe des SRK von 1947 bis 1949, und die Ärztin Martha Zehr. Im März und April 1946 wurde der erste deutsche Zug vorbereitet.

Die Vorauswahl der unterernährten und kranken Kinder wurde durch deutsche Ärzte vorgenommen. Eine Schweizer Ärztekommission führte zur Vorbereitung der Kinderzüge eine medizinische Untersuchung durch. Kurz vor der Abreise wurde noch eine Reihenuntersuchung wegen ansteckender Krankheiten durchgeführt. Die Kinderzüge der Schweizerischen Bundesbahnen führten einen Packwagen (Fourgon) mit, in dem eine Küchenmannschaft aus Freiwilligen in einem grossen Kochkessel mit Holzfeuerung einfache Mahlzeiten zubereitete. Die Zugbegleiterinnen, Convoyeusen genannt, waren Freiwillige wie Martha Wachter-Schneider. Die Chefconvoyeuse Claire Hungerbühler aus Bern, begleitete fast alle 74 Kinderzüge.

Im Grenzbahnhof Basel erhielten alle Kinder im Bahnhofrestaurant zwei Teller Wurstsuppe, für viele die erste normale Mahlzeit seit Wochen und Monaten. Die Abreise aus Deutschland war so terminiert, dass die Züge am anderen Morgen in Basel ankamen. Nach dem Essen nahm der Schweizer Grenzsanitätsdienst eine Reinigung und Desinfizierung der Kinder in der Badeanstalt vor. Die Kinder der ersten Transporte wurden für eine Woche in das Quarantänelager Schaffhausen gebracht, um zu verhindern, dass die ganze Aktion durch eingeschleppte Seuchen gefährdet wurde. Prätuberkolöse Kinder kamen in Heime, wie das Miralago in Brissago im Tessin, wo sie mit Liegekuren und gutem Essen gepflegt wurden.

Frau Lüdi, Leiterin SRK der Wiener Kindertransporte mit dem 10 000. Wiener Kind

Übersicht der Kinderzüge von 1946 bis 1949

Am 17. April 1946 kam der erste Zug aus Deutschland und aus der französischen Zone mit Kindern aus Saarbrücken/Trier/Ludwigshafen im Grenzbahnhof Basel an und am 3. Dezember 1948 der letzte. Insgesamt 18 Züge mit 5.331 Kindern fuhren aus der britischen Zone bis am 25. Februar 1949 in die Schweiz

Am 5. Juli 1946 war der erste Zug aus der britischen Zone mit vier- bis zehnjährigen Kindern aus Hamburg nach zweitägiger Fahrt in Basel eingetroffen. Insgesamt 27 Züge mit 10.699 Kindern fuhren aus der britischen Zone bis am 25. Februar 1949 in die Schweiz.

Am 16. Januar 1947 erreichte der erste Kinderzug aus der amerikanischen Zone mit Kindern aus Mannheim die Schweiz. Insgesamt waren es 18 Züge mit 6.342 Kindern, der letzte am 29. März 1949.

Am 8. Mai 1947 machte sich der erste Kinderzug aus Berlin auf den Weg in die Schweiz und am 26. März 1949 kam der letzte von 9 Zügen mit insgesamt 4.412 Kindern.

Aus der sowjetischen Zone kamen im Januar 1948 445 Kinder aus Potsdam und im Mai 1948 433 aus Dresden.

Familienaufenthalt

Wichtigster Teil der Kinderhilfe waren Schweizer Familien, welche die Kinder für drei Monate aufnahmen, in dieser Zeit für die Verpflegung, Bekleidung sowie sonstige Versorgung aufkamen und die Kinder soweit wie möglich in das Familienleben integrierten. Dies trotz der Tatsache, dass auch in der Schweiz die Lebensmittel bis Juni 1948 rationiert waren. Bei der Zuteilung der Kinder zu den Familien wurde vor allem auf Übereinstimmung hinsichtlich der Sprache und der Konfession Wert gelegt. Die Familien wurden gegebenenfalls materiell durch das SRK unterstützt. Hinzu kam die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen wie dem Schweizerischen Pfadfinderbund, der vorwiegend ältere Jungen in sechswöchigen Sommerlagern betreute. Die meisten ehemaligen „Schweizer Kinder“ haben bis heute enge Kontakte zu ihrer Pflegefamilie und die Zeit in der Schweiz blieb ihnen ein unvergessliches Erlebnis. Hinzu kam, dass sich der physische und psychische Gesundheitszustand der Kinder während ihres Aufenthaltes in der Regel deutlich verbesserte und sie fast immer mit einer reichhaltigen Ausstattung an Kleidern, Spielzeug und anderen Geschenken nach Hause zurückkehrten.

Abgabe von Patenschaftspaketen in Österreich

Patenschaftsaktionen

Ab 1946 wurde ein Patenschaftsprogramm für Kinder in vielen Ländern Europas eingerichtet. In der Schweizer Bevölkerung konnten während der Aktion 70.000 Paten gewonnen werden. Die Liebesgabenpakete für Kinder, die aus verschiedenen Gründen nicht an einem Aufenthalt in der Schweiz teilnehmen konnten, enthielten Lebensmittel, Kleider, Stoffe und Bettwäsche. Im Rahmen dieser Patenschaften wurden rund 11.000 deutsche Kinder durch schweizerische Familien mit einem monatlichen Paket versorgt. Allein im Jahre 1949 erhielten deutsche Kinder 46.000 Pakete. Auch Kinder- und Waisenheime in Österreich wurden durch die Lieferung von Hilfsgütern unterstützt.

Flüchtlingslager in Schleswig-Holstein

Hilfe für Vertriebenen- und Flüchtlingskinder

Der Gesundheitszustand von Kindern in den Massenunterkünften der ab 1946 aus den Gebieten jenseits der Oder-Neisse-Linie vertriebene Deutschen veranlasste das Schweizerische Rote Kreuz weitere Hilfe zu gewähren. Anfangs der 1950er Jahre organisierten die Kinderhilfe und andere Organisationen den Aufenthalt solcher Kinder in der Schweiz. Bis Ende Winter 1951/52 nahmen Schweizer Familien 8.299 Flüchtlingskinder auf, bis 1956 waren es insgesamt 14.814.

Schweizer Europahilfe

Am 1. Juli 1948 übernahm die Schweizer Europahilfe das Erbe der Schweizer Spende und führte viele schon begonnene Aktionen, darunter die Arbeit in den Schweizer Dörfern weiter.

Finanzierung

Finanziert wurde die Kinderhilfe vorwiegend durch Geld- und Sachspenden aus der Bevölkerung, durch Basare und Abzeichenverkäufe sowie durch Einnahmen aus dem Verkauf von Sondermarken. Um die Handlungsfreiheit und Unparteilichkeit der Hilfe zu gewährleisten, erfolgte die Finanzierung ausschließlich aus schweizerischen Mitteln. Da ein großer Teil der Spenden aus Naturalleistungen bestand, ist der gesamte Umfang nicht bekannt. Vorsichtige Schätzungen gehen von etwa 120 Millionen Schweizer Franken aus. Die Schweizer Spende sowie private Komitees und Vereinigungen beauftragten das Rote Kreuz mit der Ausführung von Hilfsaktionen und übergaben ihm die dafür selbst beschafften Gelder.

Die Betreuung von rund 180.000 Kindern bis zum Ende der Aktion im Jahr 1955 durch Pflegefamilien kostete rund fünf Schweizer Franken pro Kind und Tag. Damit entsprach diese Hilfeleistung einem finanziellen Wert von rund 80 Millionen Schweizer Franken.

Ausstellung

Literatur

  • Arbeitsgruppe des Vereins „Schweizer Kinder“: Das Wunder einer Reise. Die „Schweizer Kinder“ und ihre Fahrt ins Märchenland. Robert Gessler, Friedrichshafen 2003, ISBN 3-86136080-2
  • Anton Partl, Walter Pohl (Hrsg.): Verschickt in die Schweiz. Kriegskinder entdecken eine bessere Welt. Böhlau, Wien 2005, ISBN 3-205-77426-4
  • Bernd Haunfelder: Kinderzüge in die Schweiz. Die Deutschlandhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes 1946–1956. Aschendorff, Münster 2007, ISBN 3-402-12730-X
  • Bernd Haunfelder: Not und Hoffnung. Deutsche Kinder und die Schweiz 1946–1956. Aschendorff, Münster 2008, ISBN 978-3-402-12776-6

Weblinks

 Commons: Swiss Red Cross – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweis

  1. *Bernd Haunfelder, Not und Hoffnung. Deutsche Kinder und die Schweiz 1946–1956. Verlag Aschendorff, Münster 2008, ISBN 978-3-402-12776-6
  2. Bernd Haunfelder, Kinderzüge in die Schweiz. Die Deutschlandhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes 1946–1956. Verlag Aschendorff, Münster 2007, ISBN 340212730X

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