- Stellvertreterkrieg
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Als Stellvertreterkrieg wird ein Krieg bezeichnet, in dem sich zwei oder mehr in Konflikt befindliche Staaten nicht direkt militärisch auseinandersetzen, sondern diese militärische Auseinandersetzung in einem Drittstaat, und somit auf externem Territorium, austragen.
Zum Begriff
Der Begriff „Stellvertreterkrieg“ hat durch den Kalten Krieg den Einzug in die Sprache gefunden. Er wurde während des Vietnamkrieges erstmals verwendet und in der Literatur und der Politik aufgegriffen. Ursprünglich bezog er sich nur auf diejenigen Kriege, in denen die USA und Verbündete auf der einen Seite, sowie die Sowjetunion und Verbündete auf der anderen Seite, ihre ideologischen Differenzen in Drittstaaten militärisch austrugen.
Inzwischen wird der Begriff weiter gefasst und auch auf Kriege vor und nach dem „Kalten Krieg“ ausgedehnt.
Nach dem Ende des „Kalten Krieges“ ist der „Stellvertreterkrieg“ auch als Metapher in die Sprache eingezogen. Im Wirtschaftsleben und in den Medien werden damit nichtmilitärische Konflikte beschrieben.
Zum Wesen
Der Stellvertreterkrieg zeichnet sich dadurch aus, dass ein in der Regel bereits in den Drittstaaten bestehender Konflikt, Krieg oder Bürgerkrieg zu den jeweils eigenen Zwecken der eigentlichen Gegner instrumentalisiert und, sofern dieses noch nicht der Fall ist, zu einem militärischen Konflikt ausgeweitet wird. Die Kriegsakteure im Drittstaat erhalten dabei direkte oder indirekte Unterstützung mit dem Ziel, dem jeweils geförderten Akteur zum Sieg zu verhelfen. Die Unterstützung kann sowohl militärischer als auch logistischer, finanzieller oder anderweitiger Natur sein.
Damit es überhaupt zu einem Stellvertreterkrieg kommen kann, muss eine erhebliche Machtdifferenz zwischen den eigentlichen Gegnern und den Drittstaaten bestehen. Nur zwischen zwei oder mehr Machtstaaten und einem schwachen, innerlich instabilen Drittstaat kann sich das Rahmenszenario entwickeln, welches das Hineintragen des Konflikts in fremdes Hoheitsgebiet erst ermöglicht.
Der Stellvertreterkrieg wird allgemein als mittelbarer Krieg verstanden, also als solcher, in dem in keinem Fall die Soldaten der Machtstaaten direkt aufeinander treffen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies inoffiziell durchaus vorkommt. So zeigt sich der Stellvertreterkrieg in verschiedenen Formen, die man grob in zwei Kategorien einteilen kann:
- Die indirekte Form:
Lediglich die Kriegsakteure im Drittstaat werden finanziell, militärisch oder anderweitig unterstützt; es kommt zu keinem offiziellen, direkten militärischen Eingreifen. - Die direkte Form:
Es erfolgt aktiv und offiziell ein militärischer Eingriff ins Kriegsgeschehen durch Soldaten mindestens eines Machtstaates.
Hintergründe
Der Auslöser für einen Stellvertreterkrieg ist der Umstand, dass die eigentlichen Kriegsparteien einen direkten militärischen Konflikt nicht austragen können oder wollen. Die Gründe hierfür können vielseitig sein, zum Beispiel, wie es im Kalten Krieg unter anderem der Fall war, die Angst vor der Eskalation zu einem Atomkrieg. Wie jeder Krieg, so muss auch der Stellvertreterkrieg eine Nutzenerwartung für die Kriegsparteien haben. Die Nutzenerwartung kann zum einen in der eigenen Machterweiterung, zum anderen in der Beschneidung der Macht des Gegners liegen. Eines dieser Potentiale muss vorhanden sein. So stritt man zum Beispiel während des Kalten Krieges verbissen um Korea, Vietnam und Afghanistan, um hier der eigenen Ideologie zum Sieg zu verhelfen, interessierte sich aber beispielsweise in keiner Weise für Tibet. Tibet wurde im Kalten Krieg einfach übersehen, da die ideologische Ausrichtung dieses Territoriums und wer darüber verfügt als bedeutungslos angesehen wurde.
Stellvertreterkriege während des Kalten Krieges
Chinesischer Bürgerkrieg nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 - 1949)
Die Endphase des chinesischen Bürgerkrieges gehörte zu den indirekten Formen des Stellvertreterkrieges. Bereits seit 1927 kämpften in China Nationalisten unter Chiang Kai-shek und Kommunisten unter Mao Zedong gegeneinander. Im Zweiten Weltkrieg schlossen beide Seiten ein Zweckbündnis gegen die Japaner, doch nach Weltkriegsende brach der Bürgerkrieg wieder aus. Die USA unterstützten dabei die Nationalisten, die Sowjetunion die Kommunisten. Der Krieg endete 1949 mit der Niederlage und Flucht Chiang Kai-sheks nach Taiwan.
Der Begriff "Stellvertreterkrieg" wurde für diesen Krieg damals allerdings noch nicht verwendet, deshalb wird meistens der folgende Koreakrieg als erster Stellvertreterkrieg des Kalten Krieges bezeichnet.
Koreakrieg (1950 - 1953)
Der Koreakrieg stellte eigentlich eine direkte Form des Stellvertreterkrieges dar, obwohl alle Parteien diese Tatsache offiziell verneinten. Die UdSSR lieferte der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) zwar Waffen, bildete Truppen aus, entsandte Berater und stellte sogar einige russische Piloten, trat jedoch offiziell nicht in den Krieg ein. Die Volksrepublik China nahm offiziell ebenfalls nicht teil, sondern deklarierte die chinesischen Truppen als „Freiwilligenarmeen“. Auf der Gegenseite kämpften Verbände der US-Truppen, allerdings nur unter dem Kommando der Vereinten Nationen.
Vietnamkrieg (1964 - 1975)
Der Vietnamkrieg gehörte zu den direkten Formen des Stellvertreterkrieges. Die Sowjetunion und China unterstützten Nordvietnam mit Waffen und Ausrüstung. Die USA nahmen von 1965 bis 1973 selbst an den Kampfhandlungen an der Seite der ARVN (Südvietnam) teil.
Sechstagekrieg (1967)
Der Sechstagekrieg gehörte zu den indirekten Formen des Stellvertreterkrieges. Die Sowjetunion hatte die beteiligten arabischen Länder vor diesem Krieg aufgerüstet und sowjetische Offiziere entwarfen 1966 den Schild-und-Schwert-Plan für einen Krieg Ägyptens gegen Israel. Israel hingegen war mit amerikanischem Kriegsgerät ausgerüstet. Sowohl die Sowjetunion als auch die USA ergriffen offen Partei für die eine bzw. andere Seite. Jedoch griff keine der beiden Supermächte aktiv in das Kampfgeschehen ein.
Jom-Kippur-Krieg (1973)
Der Jom-Kippur-Krieg gehörte ebenfalls zu den indirekten Formen des Stellvertreterkrieges. Die Sowjetunion führte ab Frühjahr 1971 von Ägypten aus Aufklärungsflüge über Israel durch, wobei die Israelis vergeblich versuchten, diese Flugzeuge abzufangen. Von der Sowjetunion aufgerüstete Armeen der Staaten Ägypten und Syrien griffen schließlich Israel an. Während des Kriegs kam es zu einem Luftkampf zwischen israelischen F-4 Phantom II bzw. Mirage und von sowjetischen Piloten geflogenen MiG-21 der ägyptischen Luftwaffe. Insgesamt waren zu der Zeit 150 sowjetische Piloten in Ägypten stationiert. Israel erhielt Waffenlieferungen und Unterstützung aus der USA. Offiziell traten beide Supermächte nicht in den Krieg ein.
Afghanistankrieg (1979–1989)
Der Afghanistankrieg gehört zu den direkten Formen des Stellvertreterkrieges. Im Dezember 1979 erfolgte in Afghanistan der Einmarsch sowjetischer Truppen. Die islamischen Kräfte (Mujaheddin), die gegen die sowjetischen Truppen kämpften, wurden aus den USA, Pakistan, Saudi-Arabien und teilweise auch aus Großbritannien unterstützt, die offiziell aber nicht in den Krieg eingriffen.
Bürgerkrieg in Angola (1975–2002)
Der Bürgerkrieg in Angola gehört zu den indirekten Formen des Stellvertreterkrieges. Nach der Unabhängigkeit von Portugal im Jahr 1975 bekämpften sich die von den USA und Südafrika unterstützte UNITA und die von der UdSSR und Kuba unterstützte MPLA. In diesem Krieg traten die beiden Supermächte offiziell nicht ein, sehr wohl aber Kuba und Südafrika, die beide Panzer, Kriegsgerät und eigene Soldaten in diesen Krieg sandten.
Bürgerkrieg in Nicaragua (1977–1982)
Der Bürgerkrieg in Nicaragua wird teilweise auch als Stellvertreterkrieg angesehen. Diese Sichtweise ist unter dem Strich aber zu verneinen. Es fanden keine maßgeblichen Bemühungen der Sowjetunion oder mit ihr verbündeter Staaten statt, die darauf abzielten in Nicaragua ideologienahe Bürgerkriegsakteure zu unterstützen. Auf der anderen Seite stellten die USA den Bürgerkrieg zwar offiziell als Kampf gegen den Kommunismus dar. Letztlich traf das aber nicht zu, sondern die USA griffen vorwiegend aus regionalpolitischen und wirtschaftlichen Aspekten in den Bürgerkrieg ein.
Ogadenkrieg in Äthiopien (1977-1978)
Das von den USA unterstützte Somalia fiel 1977 in Äthiopien ein und besetzte weite Teile der Ogadenwüste. Nach gescheiterten diplomatischen Bemühungen der UdSSR um einen Waffenstillstand, entschloss man sich zu Waffenlieferungen an die kommunistische Regierung Äthiopiens. Mit Unterstützung der Sowjetunion und Kubas wurde die Invasion abgewehrt.
Stellvertreterkriege außerhalb des Kalten Krieges
Spanischer Bürgerkrieg (1936–1939)
Im spanischen Bürgerkrieg unterstützten das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien offen die Putschisten unter Francisco Franco. Auf der anderen Seite belieferte die kommunistische Sowjetunion die Republik mit Waffen und versuchte, mit Beratern der Regierung dem Land ihren ideologischen Stempel aufzudrücken.
Zweiter Libanonkrieg (2006)
Der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah im Juli/August 2006 wird von vielen Beobachtern ebenfalls als Stellvertreterkrieg eingeordnet. Als Unterstützer der Konfliktparteien gelten auf israelischer Seite die USA und bei der Hisbollah Syrien und vor allem der Iran. Im Zuge der gespannten Beziehungen zwischen den USA und dem Iran wird der Krieg als indirekte Kraftprobe sowie auch als Testlauf für eine mögliche direkte Auseinandersetzung der beiden Staaten USA und Iran angesehen.
Siehe auch
Literatur
- Bernd Greiner, Christian Th. Müller, Dierk Walter (Hrsg.): Heiße Kriege im Kalten Krieg. Hamburg 2006, ISBN 3-936096-61-9.
- Die indirekte Form:
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