- Thomaskirche (Leipzig)
-
Die Thomaskirche in Leipzig ist eine der zwei Hauptkirchen der Stadt und als Wirkungsstätte Johann Sebastian Bachs und des Thomanerchores weltweit bekannt.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Zwischen 1212 und 1222 wurde die ältere Marktkirche zur Stiftskirche des neuen Thomasklosters der Augustiner-Chorherren umgebaut. Der Minnesänger Heinrich von Morungen soll dem Thomaskloster anlässlich seines Eintritts eine Reliquie des Hl. Thomas geschenkt haben, die er aus Indien mitbrachte. Reste des romanischen Baus kamen bei archäologischen Grabungen zu Tage.
Der Thomanerchor wurde bereits 1212 gegründet und ist somit einer der ältesten Knabenchöre Deutschlands. Im Laufe der Geschichte bekleideten immer wieder bedeutende Komponisten und ausübende Musiker das angesehene Amt des Thomaskantors.
Nach einem fast vollständigen Neubau wurde die Kirche durch den Merseburger Bischof Thilo von Trotha am 10. April 1496 erneut geweiht. Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr die Kirche einige Zusätze und Umbauten; am bedeutendsten ist dabei der achteckige Turm aus der Zeit der Renaissance.
Zu Pfingsten 1539 predigte hier der Reformator Martin Luther.
Die äußere Gestalt der Kirche ist vor allem von Renovierungen und Umbauten des 19. Jahrhunderts geprägt. Nachdem die Kirche 1869 vom Besitz des Rates in die Selbstverwaltung der Kirchengemeinde überlassen wurde, fanden rund 30 Jahre lang historisierende Umbauten an der Außenfassade statt. Die neogotische Schaufassade wurden nach Entwürfen von Constantin Lipsius ausgeführt, während gleichzeitig alle gotischen und renaissancezeitlichen Fassadenelemente entfernt wurden.
Beim Luftangriff am 4. Dezember 1943 entstanden Schäden am gesamten Bauwerk. Der Luftangriff hat auch große Teile der die Kirche einst umgebenden Bebauung zerstört, so dass bei den Wiederherstellungen nach Kriegsende weitere Fassadenumgestaltungen notwendig wurden. Hierbei ist vor allem der einheitliche Putz zu nennen, nachdem weite Teile der durch fehlende Anbauten freigewordenen Fassade nur aus unverputztem Backsteinmauerwerk bestanden haben.
Anlässlich des Bachjahres 1950 wurden die Gebeine Bachs, der hier von 1723 bis zu seinem Tode 1750 Thomaskantor war, aus der zerstörten Johanniskirche überführt.
Architektur
Die Gesamtlänge der Kirche beträgt 76 m, die Länge des Hauptschiffes 50 m, dessen Breite 25 m und dessen Höhe 18 m. Das Dach hat einen ungewöhnlich steilen Neigungswinkel von 63° und ist damit eines der steilsten Giebeldächer Deutschlands. Im Inneren verfügt es über sieben Ebenen (Firsthöhe 45 m). Der Turm hat eine Höhe von 68 m. Die Decke des Langhauses besteht aus einem farblich abgesetzten Kreuzrippengewölbe.
Innenraum und Ausstattung
Pauliner-Altar
Der gotische Hochaltar befand sich ursprünglich in der Universitätskirche St. Pauli. Diese wurde 1968 gesprengt. Der Altar konnte gerettet werden und wurde hier 1993 aufgestellt.
Epitaphe
In der Kirche befinden sich zahlreiche Epitaphe, darunter das spätgotische Epitaph des Ritters Hermann von Harras aus Lichtenwalde.
Orgeln
Die Thomaskirche hat zwei große Orgeln: Die ältere ist ein romantisches Instrument von Wilhelm Sauer aus den Jahren 1885 bis 1889. Ursprünglich verfügte diese Orgel über 63 Register, deren Zahl 1908 auf 88 Register erhöht wurde, die sich auf drei Manuale und Pedal verteilen. Sie gilt als ideal zur Darstellung der Orgelmusik Max Regers. Da sich auf der Sauer-Orgel die Bach'schen Werke nur sehr eingeschränkt spielen lassen, wurde von Gerald Woehl im Bachjahr 2000 an der Nordwand eine weitere Orgel fertiggestellt, deren Klang barocke Orgelmusik authentischer wiedergibt. Einzigartig ist die Möglichkeit, mittels eines Hebels von Chorton auf Kammerton umzustellen. Seit 2006 wird die Kirche durch eine Truhenorgel für das Continuo-Spiel bereichert, die ebenfalls aus der Werkstatt Gerald Woehl stammt.
Vorgängerinstrumente
Bereits für das 14. Jahrhundert ist eine Orgel bezeugt. 1489 wird eine „Kleine Orgel“ schriftlich erwähnt. Auf der Westempore wurde 1511 eine große Orgel gebaut, die 1601 durch ein dreimanualiges Instrument von Johann Lange (Kamenz) ersetzt wurde. Auf einer neuen Orgel aus dem Jahr 1773 spielte Mozart am 12. Mai 1789. Diese Orgel wurde 1889 durch ein Instrument von Sauer ersetzt. 1639 wurde eine Schwalbennestorgel auf einer neuen Empore über dem Triumphbogen gebaut, 1740 aber abgetragen. Auf der Nordempore wurde 1967 eine Schuke-Orgel errichtet, die dem Neubau von Woehl weichen musste.
Sauer-Orgel
Disposition seit 1908
I Manual C-a3 Principal 16′ Bordun 16′ Principal 8′ Geigenprincipal 8′ Doppelflöte 8′ Flûte harmonique 8′ Flauto dolce 8′ Gemshorn 8′ Gedackt 8′ Quintatön 8′ Viola di Gamba 8′ Dulciana 8′ Quinte 51/3′ Octave 4′ Rohrflöte 4′ Gemshorn 4′ Violini 4′ Octave 2′ Rausquinte II Mixtur III Cornett II–IV Scharf V Groß-Cymbel IV Bombarde 16′ Trompete 8′ II Manual C-a3 Salicional 16′ Gedackt 16′ Principal 8′ Flûte harmonique 8′ Konzertflöte 8′ Rohrflöte 8′ Gedackt 8′ Schalmei 8′ Salicional 8′ Harmonica 8′ Dolce 8′ Octave 4′ Flaute dolce 4′ Salicional 4′ Quinte 22/3′ Piccolo 2′ Cornett III Mixtur IV Cymbel III Tuba 8′ Clarinette 8′ III Manual
(schwellbar) C-a3Lieblich Gedackt 16′ Gamba 16′ Principal 8′ Spitzflöte 8′ Flûte d’amour 8′ Gemshorn 8′ Gedackt 8′ Quintatön 8′ Viola 8′ Aeoline 8′ Voix céleste 8′ Praestant 4′ Traversflöte 4′ Fugara 4′ Quinte 22/3′ Flautino 2′ Harmonia aetheria III Trompette harmonique 8′ Oboe 8′ Pedal C–f1 Majorbass 32′ Untersatz 32′ Principal 16′ Contrabass 16′ Subbass 16′ Lieblich Gedackt 16′ Gemshorn 16′ Violon 16′ Salicetbass 16′ Quintbass 102/3′ Octave 8′ Offenbass 8′ Bassflöte 8′ Gemshorn 8′ Cello 8′ Dulciana 8′ Octave 4′ Flauto dolce 4′ Contraposaune 32′ Posaune 16′ Fagott 16′ Trompete 8′ Clarine 4′ - Koppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P.
- Spielhilfen: Mezzoforte, Forte, Tutti, Rohrwerke, Piano-, Mezzoforte-, Forte- und Tuttipedal mit Absteller, Handregister ab drei frei einstellbare Kombinationen, Rollschweller mit Absteller.
Technische Daten
- 88 Register
- Traktur:
- Ton- und Registertrakur: Röhrenpneumatik
- Stimmung:
- Höhe a1= 440 Hz.
- Gleichstufig
Woehl-Orgel
Disposition seit 2000
I Brustwerk C–f3 Grob Gedackt 8′ Klein Gedackt 4′ Principal 2′ Super Gemßhörnlein 2′ Quint-Sexta II Sieflit 1′ II Hauptwerk C–f3 Bordun 16′ Principal 8′ Violdagamba 8′ Rohrflöth 8′ Quinta 6′ Octav 4′ Nassatquint 3′ Superoctav 2′ Queerflöth 2′ Sesquialtera III Mixtur VI Cimbel III Fagott 16′ Trombetta 8′ III Oberwerk C–f3 Quintaden 16′ Prinzipal 8′ Gedackt 8′ Gemßhorn 8′ Flauta doux 8′ Octav 4′ Hohlflöth 4′ Hohlquint 3′ Superoctav 2′ Plickflöth 2′ Sesquialtera III Scharff IV Vox Humana 8′ Hautbois 8′ Tremulant IV Echo C–f3 Barem 16′ Still Gedackt 8′ Quintaden 8′ Principal 8′ Nachthorn 4′ Spitzflöth 4′ Spitzquint 4′ Octav 2′ Schweitzerflöth 2′ Rauschquint 11/2′ Superoctävlein 1′ Cimbel III Regal 8′ Pedal C–f1 Großer Untersatz 32′ Prinzipal 16′ Violon 16′ Sub Bass 16′ Octav 8′ Gedackt 8′ Quintaden 8′ Superoctav 4′ Bauerflöth 1′ Mixtur VI Posaun Bass 32′ Posaun Bass 16′ Trombet 8′ Cornet 2′ Glockenspiel 2′ - Koppeln: III/II, IV/II, II/P, III/P.
- Tremulant für das ganze Werk
- Glockenspiel
- Zwei Zimbelsterne
- Vogell Geschrey
Technische Daten
- 61 Register
- Etwa 5.000 Pfeifen
- Windversorgung:
- Vier Keilbälge
- Stimmung:
- Höhe a1= 465 Hz (Chorton) oder a1= 415 Hz (Kammerton)
- ungleichstufig (nach Neidhardt)
- Kammerkoppel für das ganze Werk
- Tonumfang Chorton: Manuale C–f3, Pedal C–f1
- Tonumfang Kammerton: Manuale CD–f3, Pedal CD–f1
Glocken
Vier Glocken hängen im Turm der Thomaskirche. Die größte Glocke ist die Gloriosa und läutet nur an hohen Festtagen. Theodericus Reinhard goss sie im Jahre 1477 mit einem Gewicht von 5.200 kg bei einem Durchmesser von 204 cm. Ihr Schlagton ist a0. Die zweitgrößte Glocke ertönt im Schlagton c1 und wurde 1574 von Wolf Hilliger gegossen. Die Mönchs- oder Beichtglocke ist die drittgrößte Glocke im Schlagton d1. Jakob König hat sie im Jahre 1634 gegossen; sie dient auch als Stundenglocke. Die vierte Glocke läutet zum Gebet. Sie wurde 1585 von Christophorus Gros gegossen und erklingt auf d2. Die Singfreudigkeit des Geläuts wird durch die Aufhängung an verkröpften Stahljochen stark beeinträchtigt. Separat in der Turmlaterne hängt eine Schlagglocke für die Viertelstunden, die von der Glockengießerei Schilling in Apolda nach dem Vorbild der Vorgängerin von 1539 gegossen wurde.
Kirchenfenster
Die Thomaskirche hatte ursprünglich eine einfache Ornamentverglasung. Erst nach 1889 wurden im Chorraum und an der Südseite farbige Fenster eingesetzt. Das einzige im Zweiten Weltkrieg zerstörte Chorraumfenster wurde im Jahr 2000 durch das Thomas-Fenster nach einem Entwurf von Hans Gottfried von Stockhausen ersetzt. Das Friedensfenster von 2009 (Südseite) wurde von David Schnell entworfen und erinnert an 20 Jahre Friedliche Revolution.[1]
Außenbereich
Vor dem Seiteneingang der Thomaskirche steht ein Denkmal für Johann Sebastian Bach des Bildhauers Carl Seffner aus dem Jahre 1908. Ein weiteres Bach-Denkmal, das mit Unterstützung Felix Mendelssohn Bartholdys 1843 geschaffen wurde, befindet sich in den Grünanlagen vor dem Haupteingang, ebenso ein Denkmal für Mendelssohn.
Ort der Musik
In der Thomaskirche treten regelmäßig der Thomanerchor und das Gewandhausorchester auf. Freitags um 18.00 Uhr, Samstags um 15.00 Uhr in der Motette und Sonntags im Gottesdienst um 9.30 Uhr. Zu besonderen Anlässen und Festtagen werden Thomaskonzerte vorwiegend mit Werken von Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy aufgeführt.
In der Kirche wurden viele Werke Johann Sebastian Bachs uraufgeführt. Nachdem Bachs Werke in Leipzig weitgehend in Vergessenheit geraten waren, begann Mendelssohn damit, sie wieder aufzuführen und begründete damit die Tradition der Leipziger Bachpflege.
Auch einige Werke anderer Komponisten wurden in der Thomaskirche uraufgeführt, beispielsweise die 2. Sinfonie Lobgesang von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Förderverein
Der Verein Thomaskirche-Bach 2000 e.V. wurde 1997 auf Initiative von Sup. Johannes Richter gegründet. Seitdem hat er die Ev.- Luth. Kirchgemeinde St. Thomas mit 5,5 Mio. € unterstützt. Der Förderverein zählt mittlerweile über 300 Mitglieder weltweit.
Die Ziele des Vereines sind die Förderung der Erhaltung der Thomaskirche, des Thomashauses (Nachfolgegebäude der alten Thomasschule) und die Pflege der Kirchenmusik, insbesondere des Werkes Johann Sebastian Bachs.
Als weiteres Standbein wurde der Thomasshop bzw. die Thomaskirche-Bach 2000 Marketing GmbH gegründet. Der Erlös aus dem Verkauf des Thomasshops kommt der Thomaskirche zugute.
Literatur
- Carl Niedner: Das Patrozinium der Augustiner-Chorherren-Stiftskirche St. Thomae zu Leipzig. Untersuchungen zur Frühgeschichte der Bach-Kirche und der Leipziger Altstadt. VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1952.
- Gunter Hempel: Episoden um die Thomaskirche und die Thomaner. Tauchaer Verlag, Taucha 1997, ISBN 3-910074-67-7.
- Stefan Altner: Thomanerchor und Thomaskirche. Historisches und Gegenwärtiges in Bildern. Tauchaer Verlag, Taucha 1998, ISBN 3-910074-84-7.
- Martin Petzoldt: St. Thomas zu Leipzig. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2000, ISBN 3-374-01842-4.
- Christian Wolff: Die Thomaskanzel. Orientierung zwischen Zweifel und Gewissheit. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2004, ISBN 3-374-02122-0.
- Christian Wolff (Hrsg.): St. Thomas Church in Leipzig. A Place of Faith, Spirit and Music. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2004, ISBN 3-374-02190-5.
- Christian Wolff (Hrsg.): Die Thomaskirche zu Leipzig. Ort des Glaubens, des Geistes, der Musik. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2004, ISBN 3-374-02169-7.
- Christian Wolff (Hrsg.): Die Orgeln der Thomaskirche zu Leipzig. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2005, ISBN 3-374-02300-2.
Weblinks
Commons: Thomaskirche (Leipzig) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Informationen zu Thomaskirche im BAM-Portal
- www.thomaskirche.org offizielle Webpräsenz
- Thomaskirche im Leipzig-Lexikon
51.33929166666712.372586111111Koordinaten: 51° 20′ 21″ N, 12° 22′ 21″ OEinzelnachweise
- ↑ Kirchenführer: Thomaskirche: Ort des Glaubens, des Geistes, der Musik
Kategorien:- Kirchengebäude in Leipzig
- Gotische Hallenkirche in Deutschland
- Gotisches Kirchengebäude in Sachsen
- Musik (Leipzig)
- Disposition einer Orgel
- Thomas-Apostel-Kirche
Wikimedia Foundation.