Unternehmen Haudegen

Unternehmen Haudegen

Haudegen war eine Expedition der Kriegsmarine der Wehrmacht im Jahr 1944. Der Wettertrupp „Haudegen“ kapitulierte am 4. September 1945 als letzte Wehrmachtseinheit im Zweiten Weltkrieg. Der Deckname „Haudegen“ für den Marinewettertrupp leitet sich aus dem Namen seines Leiters Wilhelm Dege ab. Haudegen war eine von mehreren Operationen, die von Marine und Luftwaffe zur Gewinnung von Wetterdaten in der Polarregion in Spitzbergen, Grönland und Kanada durchgeführt wurden. Die jeweiligen Wettertrupps wurden getrennt voneinander als Marinewettertrupp oder Luftwaffenwettertrupp in Landstationen oder auf Schiffen eingesetzt und waren jeweils für ihre Teilstreitkraft tätig.

Inhaltsverzeichnis

Vorbereitung

Unter Führung des Geographen Leutnant (MA)S [1] Wilhelm Dege (in Anlehnung an seinen Namen wurde, wie bei den meisten anderen Wettertrupps auch, das Unternehmen benannt) wurde dem Wettertrupp der Marine (Gesamtstärke 11 Soldaten)[2] befohlen, die für die Kriegsmarine in Norwegen operativ wichtigen Wetterdaten zu sammeln. Im September 1944 wurde der Marinewettertrupp und seine Ausrüstung (80 t oder 20 kg Mann/Tag) in Narvik an Bord des Fischdampfers Karl J. Busch zur Anlandung auf Spitzbergen Nordostland eingeschifft. Zur Ausrüstung gehörte auch die gesamte Wetterstation aus vorgefertigten Knoespelwürfeln, sowie 7 t Kohle zur Befeuerung der Wärmeöfen. Die Verpflegungsration einschließlich Alkohol wurde pro Mann und Tag mit 1,4 kg oder 6000 kcal für ein Jahr angesetzt.

Waffen und Gerät

Maschinenwaffen

  • 4 MP 40
  • 2 MG 42 – davon eines bei Landung verloren und durch MG 34 von Karl J. Busch ersetzt

Infanteriewaffen

Jagdwaffen als persönliche Zusatzausstattung

  • 1 Drilling mit Zielfernrohr Fa. Sauer & Sohn Kaliber 9,3 × 74R 16/70
  • 1 Doppelflinte Fa. Sauer & Sohn
  • 1 Büchse Mauser Kaliber 8 × 57 IS
  • 1 Kleinkalibergewehr

Kurzwaffen

  • 11 Pistolen Radom-M-35 9 mm Para
  • 1 P08 Kaliber 9 mm Para
  • 4 Walther PPK Kaliber 7,65 mm
  • 1 Walther-Pistole Kaliber 6,35 mm
  • 1 russischer Nagant-Revolver Kaliber 7,63 mm
  • 1 Reichsrevolver M 83 Kaliber 10,6 mm
  • 2 Leuchtpistolen (einläufig)

Munition und Sprengmittel

  • 19.500 Schuss 7,92 × 57 mm für MG und Gewehr
  • 12.480 Schuss 9 × 19 mm für MP und Pistole
  • 300 Handgranaten
  • 258 Spreng-Gewehrgranaten
  • 90 Panzer-Gewehrgranaten
  • 45 Nebel-Handgranaten
  • 48 Nebel-Töpfe

Für die Jagd wurde Munition mit Teilmantelhohlspitz- und Teilmantelbleispitzgeschossen mitgeführt. Um bei einer eventuellen Gefangennahme nicht in den Verdacht zu geraten, mit dieser „Dum-Dum“-Munition gegen das internationale Kriegsvölkerrecht zu verstoßen, wurde sie von den Teilnehmern des Wettertrupps mit der Aufschrift „Nur für Bären“ versehen. Für Sprengungen und zum Bau von Behelfsminen wurden größere Mengen Dynamit mitgeführt.

Durchführung

Das ursprünglich als Begleit-U-Boot vorgesehene U 354 wurde mit einem Teil der Ausrüstung bei einem Angriff auf den kanadischen Flugzeugträger HMS Nabob (D77), einem Begleitschiff des alliierten Konvois JW 59, versenkt. Diese Ausrüstung konnte behelfsmäßig ersetzt werden, der Verlust hätte aber zu einem Aussetzen der Operation führen können. Von Hammerfest aus – diesmal im Geleit des U-Boots U 307 – geriet die Unternehmung in der Nähe der Bäreninsel ebenfalls in einen alliierten Geleitzug. Dennoch gelang die Landung auf Spitzbergen. Auf der Insel Nordostland wurde eine Wetterstation errichtet und bis zum September 1945 betrieben – nach der Kapitulation offen als Wetterstation. Erst im September 1945 konnte durch die norwegische Marine die Abholung erfolgen.

Nach einem im Jahr 2004 veröffentlichten Zeitzeugenbericht des ehemaligen deutschen Funk-Obergefreiten Heinz Schneider aus Dresden habe die Wehrmacht die elf deutschen Soldaten auf der Insel vor Spitzbergen schlicht „vergessen“.[3] Dennoch blieb der Trupp monatelang auf seinem Posten. Besonders die Wetterbedingungen zehrten an den Kräften. So mussten die Soldaten Temperaturen bis weit unter –40 °C ertragen. Zudem herrschte von Ende Oktober bis Anfang Februar Polarnacht. Auch Eisbären, die bis in das Lager vordrangen, stellten eine Gefahr dar. Da es sich um eine Kriegswetterstation handelte, musste der Wettertrupp auch immer mit feindlichen Kommandos rechnen.

Die dienstlichen Aufgaben des Wettertrupps

(1) Messung bzw. Beobachtung des Bodenwetters (sg. „Obs“):

  • Luftdruck
  • Temperatur (aktuell, Tagesmittel, Minimum- und Maximumtemperatur)
  • relative Luftfeuchte
  • Sicht
  • Wettertyp nach Kopenhagener Schlüssel
  • Windrichtung und -stärke
  • Bewölkung (Typ, Höhe, Zugrichtung und Bedeckungsgrad)
  • Niederschlag (Regen- bzw. Schneemenge)
  • Verdunstung
  • Bodentemperatur (über freier Erde, Schnee, Meerwasser bzw. über Eis)
Diese Beobachtungen wurden vom 15. September 1944 bis zum 5. September 1945 ohne Unterbrechung acht Mal täglich (alle drei Stunden) vorgenommen. Die (verschlüsselte) Funkübermittlung an die Marinefunkstelle Tromsö erfolgte zu vorher festgelegten Zeiten (sogenannte „Programmzeiten“) drei Mal täglich. Von dort wurden die Daten per Fernschreiber an das OKM in Berlin weitergeleitet. Nach der deutschen Kapitulation (8. Mai 1945) übermittelte „Haudegen“ die Daten offen (nach dem Kopenhagener Schlüssel). Die Zusammensetzung einer solchen Wettermeldung ist unter SYNOP dargestellt.

(2) Radiosonden-Aufstiege zur Messung von Luftdruck und Temperatur in höheren Luftschichten (sg. „Temp“)

Insgesamt wurden von „Haudegen“ 140 erfolgreiche Radiosonden-Aufstiege durchgeführt (sechs zu den „Internationalen Aerologischen Tagen“ im November 1944, tägliche Aufstiege vom 1. Dezember 1944 bis zum 2. Februar 1945, 22 Aufstiege bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945 und zwölf Aufstiege nach der Kapitulation. Die Messergebnisse wurden jeden Abend um 18:00 Uhr DGZ (verschlüsselt) an die Marinefunkstelle Tromsö übermittelt. Im Durchschnitt aller Aufstiege wurde eine auswertbare Höhe von 11.500 Metern erreicht.

(3) Pilotballon-Aufstiege zur Messung des Höhenwindes (sg. „Pilot“)

Kombiniert mit den Radiosonden-Aufstiegen („Temps“) wurde der Radiosonden-Ballon mit einem Registrier-Theodoliten verfolgt. Zwischen dem 5. Juli und dem 3. September 1945 erfolgten 16 reine Pilotballon-Aufstiege (ohne Radiosonde, da die Akkus wegen Überlagerung nicht mehr brauchbar waren).

Ende der Unternehmung

Am 4. September 1945 wurden die Soldaten durch das norwegische Robbenfangschiff Blaasel evakuiert. Retter und Gerettete begegneten sich nach späteren Aussagen der Beteiligten respektvoll. Nachdem einige Ausrüstungsgegenstände getauscht wurden, unterschrieb Expeditionsleiter W. Dege dem Kapitän des Schiffes eine gesonderte Kapitulationserklärung. Dege legte als symbolischen Akt seine Dienstpistole auf den Tisch der Wetterstation. Zuvor wurden die ausgelegten Schützenminen gesprengt und Teile des Munitionsvorrats, besonders für die MGs, verschossen. Der Wettertrupp „Haudegen“ war damit die letzte Wehrmachtseinheit im Zweiten Weltkrieg, die kapitulierte.

Nachspiel

1985 konnte während einer Expedition des Museums des norwegischen Verteidigungsministeriums, an der der Sohn von Dege teilnahm, noch eine nahe der Station vergrabene Metallkiste mit den Tagebüchern seines Vaters sowie ein Fluchthilfedepot des Marinewettertrupps „Haudegen“ mit Waffen und Munition geborgen werden.

Literatur

  • Wilhelm Dege: Wissenschaftliche Beobachtungen auf dem Nordostland von Spitzbergen 1944–1945. Mit Beiträgen von Arthur Baumann. Berichte des Deutschen Wetterdienstes Nr. 72. Offenbach a. M. 1960
  • Wilhelm Dege: War North of 80. The Last German Arctic Weather Station of World War II. Translated from the German and edited by William Barr. Arctic Institute of North America (Northern lights series 4). Calgary, Alberta (University of Calgary Press) und Boulder, CO (University Press of Colorado) 2004, ISBN 1-55238-110-2
  • Wilhelm Dege: Gefangen im arktischen Eis. Wettertrupp „Haudegen“ – die letzte deutsche Arktisstation des Zweiten Weltkrieges. Eingeleitet und mit Anhängen versehen von William Barr und Eckart Dege. Für das Deutsche Schiffahrtsmuseum herausgegeben von Lars U. Scholl. Hamburg (Convent Verlag) 2006, ISBN 393461394-2
  • Franz Selinger: Von „Nanok“ bis „Eismitte“. Meteorologische Unternehmungen in der Arktis 1940–1945. Schriften des Deutschen Schiffahrtsmuseums, Band 53, herausgegeben, Convent Verlag, Hamburg (2001) ISBN 3934613128
  • Hartmut Dege: Aufgabe, Ausbildung und Bewaffnung der deutschen Wettertrupps in der Arktis im 2. Weltkrieg. In: Deutsches Waffen-Journal 3.1980, S.340–343.
  • Wilhelm Dege: Wettertrupp Haudegen. F.A. Brockhaus, Wiesbaden 1954

Anmerkungen

  1. Dege war Sonderführer (= S) der Marineartillerie (= MA) und erhielt diesen Rang als Leiter des Unternehmens Haudegen. Er war vorher als Dolmetscher und mit den Geschäften beauftragter Ordonnanzoffizier im Stab einer Infanteriedivision im Dienstrang Feldwebel eingesetzt - zum Lebensweg siehe Anmerkungen unter Diskussion
  2. Dege (Leitung), Naut. Inspektoren Maaß und Baumann, Ob.Maat Ehrich (Leiter Funkstelle), die Funk-Obergefreite Semkat, Schneider, Schlösser, Czapka und Grams sowie die Gefreiten Scheidweiler und Reyer, OG Zumbusch wurde vorher auf Befehl ausgeschifft, Rieche kehrte befehlsgemäß nach dem Stationsaufbau nach Norwegen zurück
  3. Durch Führungswechsel im MOK Nordmeer und infolge der durch die Kapitulation neu definierten Schwerpunkte der Marineführung verzögerte sich die Abholung

Wetterstationen der Wehrmacht in der Arktis

Weblinks


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