- Von Weizäcker
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Weizsäcker oder Weitzsäcker ist der Name eines seit dem 17. Jahrhundert nachgewiesenen, ursprünglich „unterständischen“ württembergischen Geschlechts, das im 19. Jahrhundert in das Bildungsbürgertum aufstieg. Ein Zweig wurde 1916 in den Freiherrnstand erhoben.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Weizsäcker waren ursprünglich „unterständisch“, gehörten also zu den ständegesellschaftlichen Randgruppen, weil sie über Generationen das Müllergewerbe ausübten. Dieses galt noch im Mittelalter als anrüchig, weil den Müllern das „Abzwacken“ von Getreide unterstellt wurde.[1] Müller zählten vielenorts zu den „unehrlichen“ Berufen. Teilweise gehen Familienmitglieder diesem Erwerb, zwischenzeitlich ein ehrbarer Handwerksberuf, in der angestammten Heimat noch bis in die jüngste Zeit (Stand 1987) nach.
Das Geschlecht, dessen Stammfolge mit Nicolaus Weizsäcker (1612–1673) beginnt, teilt sich heute in zahlreiche Linien, von denen vor allem einem Zweig der Öhringer Linie ein bemerkenswerter gesellschaftlicher Aufstieg gelang. Die Öhringer Linie geht auf Gottlieb Jacob Weizsäcker (1736–1798) zurück. Dieser erlernte zunächst ebenfalls das Müllerhandwerk im Flecken Eckartsweiler, wechselte dann aber in die Dienste der Grafen von Hohenlohe-Öhringen und wurde 1768 Hofmundkoch des zwischenzeitlich zum Fürsten erhobenen Dienstherrn in der rund 3.000 Einwohner umfassenden Residenz Öhringen. Der ältere Sohn Carl Friedrich Gottlob Weizsäcker (1774–1835) wurde Stadtschultheiß von Öhringen. Seine Nachkommen blieben den handwerklichen Wurzeln treu und wurden über Generationen vornehmlich Optiker. Die Ausbildung des begabten jüngeren Sohnes Christian Ludwig Friedrich Weizsäcker (1785–1831) wurde, wie in jener Zeit nicht unüblich, vom Dienstherrn gefördert. Obgleich die Familie nach dem Tode Gottlieb Jacob Weizsäckers in Armut fiel, sicherte die weitere Förderung des Sohnes den gesellschaftlichen Aufstieg. 1806 wurde das Fürstentum mediatisiert, Öhringen war nunmehr zum Königreich Württemberg gehörende Oberamtsstadt. Christian Ludwig Friedrich Weizsäcker brachte es 1829 zum Stiftsprediger zu Öhringen, nachdem der Stadtpfarrer auf die schlechter besoldete Stelle verzichtet hatte. Zwar war der Stiftsprediger geistlicher Beistand des Fürsten, aber dieser war seit 1806 nur formell noch Fürst, real indes bedeutungslos. Christian Weizsäcker, von schwächlicher Gesundheit, übte sein Amt von Beginn an ohnehin kaum aus und verstarb zwei Jahre später, seine 34jährige Witwe unversorgt zurücklassend. Durch seinen erfolgreichen Anschluss an das Bildungsbürgertum scheint jedoch die Wurzel gelegt gewesen zu sein - seine Frau setzte als „bedrängte Witwe“ 1839 die kostenlose Aufnahme des Sohnes Karl Heinrich Weizsäcker (1822–1899) in das Seminar Schöntal durch. 1859 wurde er Oberkonsistorialrat - „der arme Junge aus Öhringen besaß nun Rang und Namen.“[2] Später wurde er Theologieprofessor. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Familie damit fest im Bildungsbürgertum verwurzelt und hat mehrere Generationen namhafte Mitglieder hervorgebracht. Im 20. Jahrhundert, kurz vor dem Ende des Kaiserreichs, gelang den Weizsäckern noch der Aufstieg in den Adel: Karl Hugo Weizsäcker (1853–1926) aus der Öhringer Linie wurde 1916 in den erblichen Freiherrnstand des Königreichs Württemberg erhoben.
Im „Dritten Reich“
Die Tatsache, dass die Weizsäcker in drei aufeinanderfolgenden Generationen in vier unterschiedlichen Regierungssystemen (Kaiserzeit, Weimarer Republik, NS-Diktatur, Bundesrepublik) hohe Beamte hervorgebracht haben (Ministerpräsident, Staatssekretär, Bundespräsident), ist nicht ohne kritische Beurteilung geblieben. Sie verleitete den politischen Philosophen Gerard Radnitzky zu der Frage, ob hier möglicherweise von einer „angeborenen political correctness“ gesprochen werden kann. Hinweise auf eine dem eigenen Ehrgeiz förderliche geschmeidige Anpassung an das jeweilige System auch im „Dritten Reich“ geben die Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit des Staatssekretärs und SS-Brigadeführers im persönlichen Stab Heinrich Himmlers, Ernst Freiherr von Weizsäckers (1882–1952), sowie die kontrovers diskutierten Beiträge des Physikers Carl Friedrich Freiherr von Weizsäckers (1912–2007) zur Entwicklung von Kernwaffen. Der Neurologe Viktor Freiherr von Weizsäcker (1886–1957) rief 1933 zur Verbrennung von Büchern Sigmund Freuds auf und äußerte sich in seinen Vorlesungen zustimmend zur Beteiligung der Ärzte „an der Vernichtung unwerten Lebens“. In seinem Institut an der Universität Breslau wurde 1942 bis 1944 mit Nervensystemen geforscht, die getöteten schwachsinnigen Kindern entnommen worden waren.[3] Der nationalsozialistische Rechtshistoriker und Verwaltungsdirektor der „Reinhard-Heydrich-Stiftung“ Wilhelm Weizsäcker gehört dem bürgerlichen Zweig der Weizsäcker an.
Bekannte Namensträger
Öhringer Linie
- Gottlieb Jacob Weizsäcker (1736–1821), Hofmundkoch der Fürsten von Hohenlohe-Öhringen in Öhringen
- Christian Ludwig Friedrich Weizsäcker (1785–1831), Stiftsprediger von Öhringen
- Hugo Weizsäcker (1820–1834)
- Karl Heinrich Weizsäcker (1822–1899), protestantischer Theologe, Kanzler der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
- Sophie Auguste Weizsäcker (1850–1915)
- Karl Hugo Freiherr von Weizsäcker (1853–1926), württembergischer Ministerpräsident von 1906–1918
- Ernst Heinrich Freiherr von Weizsäcker (1882–1951), Diplomat und Staatssekretär im Auswärtigen Amt 1938–1943
- Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker (1912–2007), Physiker und Philosoph
- Carl Christian Freiherr von Weizsäcker (* 1938), Professor für Volkswirtschaftslehre
- Ernst Ulrich Freiherr von Weizsäcker (* 1939), Naturwissenschaftler und Politiker
- Jakob Freiherr von Weizsäcker (* 1970), deutscher Volkswirt
- Bertha Elisabeth Raiser geb. Freiin von Weizsäcker (* 1940), Historikerin
- Heinrich Wolfgang Freiherr von Weizsäcker (* 1947), Professor für Mathematik
- Dorothea Brenner geb. Freiin von Weizsäcker (* 19??)
- Adelheid Marianne Viktoria Freiin von Weizsäcker (1916–2004)
- Heinrich Viktor Freiherr von Weizsäcker (1917–1939), gefallen
- Richard Karl Freiherr von Weizsäcker (* 1920), Bundespräsident 1984–1994
- Robert Klaus Freiherr von Weizsäcker (* 1954), Professor für Volkswirtschaftslehre
- Andreas Freiherr von Weizsäcker (1956–2008), Künstler und Professor für Kunst
- Marianne Beatrice Freiin von Weizsäcker (* 1958), Juristin und freie Journalistin
- Fritz Eckart Freiherr von Weizsäcker (* 1960), Arzt und Professor für Medizin
- Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker (1912–2007), Physiker und Philosoph
- Viktor Freiherr von Weizsäcker (1886–1957), Neurologe
- Robert Karl Ernst Freiherr von Weizsäcker (1920–1942) vermisst
- Ulrike Gerda Freiin von Weizsäcker (1923–1948)
- Eckhardt Freiherr von Weizsäcker (1925–1945), gefallen
- Cora Penselin, geb. Freiin von Weizsäcker (1929–2009)
- Ernst Heinrich Freiherr von Weizsäcker (1882–1951), Diplomat und Staatssekretär im Auswärtigen Amt 1938–1943
- Marie Auguste Bruns, geb. Weizsäcker (1857–1939)
- Julie Weizsäcker (1861–?)
- Julius Ludwig Friedrich Weizsäcker (1828–1889), Historiker
- Julius Hugo Wilhelm Weizsäcker (1861–1939), Anwalt
- Heinrich Weizsäcker (1862–1945), Professor für Kunstgeschichte
- Karl Hermann Wilhelm Weizsäcker (1898–1918)
- Christian Ludwig Friedrich Weizsäcker (1785–1831), Stiftsprediger von Öhringen
Andere Linien
- Wilhelm Weizsäcker (1886–1961), nationalsozialistischer Rechtshistoriker und Verwaltungsdirektor der „Reinhard-Heydrich-Stiftung“ (Prager Zweig der Weizsäcker)[4]
Literatur
- Martin Wein, Die Weizsäckers - Geschichte einer deutschen Familie, 1988, ISBN 3-426-02417-9
Weblinks
Einzelnachweise
- Gottlieb Jacob Weizsäcker (1736–1821), Hofmundkoch der Fürsten von Hohenlohe-Öhringen in Öhringen
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