Viktor von Weizsäcker

Viktor von Weizsäcker

Viktor Freiherr von Weizsäcker (* 21. April 1886 in Stuttgart; † 9. Januar 1957 in Heidelberg) war ein deutscher Mediziner. Er gilt als ein Begründer der psychosomatischen Medizin und der Medizinischen Anthropologie. Er ist der Sohn Karl von Weizsäckers und der Bruder Ernst von Weizsäckers.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach seinem Abitur am humanistischen Gymnasium im Jahre 1904 studierte Viktor von Weizsäcker Medizin in Tübingen. Dort war er Mitglied der den süddeutschen Liberalismus prägenden Tübinger Studentenverbindung Akademische Gesellschaft Stuttgardia. Später studierte er noch in Freiburg, Berlin und Heidelberg. Hier lernte er 1908 seinen Kommilitonen Arthur Kronfeld kennen, der ihn zusammen mit seinem Freund Otto Meyerhof für die Philosophie von Leonard Nelson und Jakob Friedrich Fries zu interessieren suchte und wahrscheinlich auch mit den Schriften Freuds bekannt machte. Gemeinsame Vorlesungsbesuche bei Wilhelm Windelband bis hin zu persönlichen Kontakte mit Hans Driesch und anderen Philosophen in Heidelberg wie Hans Ehrenberg sind der reale Hintergrund für die „Versuchung, die Medizin zu verlassen und – Philosoph zu werden“, von der er später berichtet hat. Doch blieb er seinem Interesse für die Physiologie treu und promovierte am 28. Juni 1910 bei dem Internisten Paul Morawitz mit einer Arbeit über die Blutgeschwindigkeit. In dieser Zeit ließ er sich wie Meyerhof in der Klinik Ludolf von Krehls von Otto Warburg für die Physiologie des Herzens interessieren. Wie sie habilitierte er sich über den Energiestoffwechsel.

Im Ersten Weltkrieg war er zunächst bei Verdun im Einsatz und später mit Krehl für die Inspektion von Feldlazaretten zuständig.

Ab 1920 leitete er die neurologische Abteilung an der Krehl'schen Klinik in Heidelberg. 1926 besuchte er Sigmund Freud; dieser Besuch hatte eine zentrale Bedeutung für sein weiteres Schaffen. Im selben Jahr erschien seine Schrift Stücke einer medizinischen Anthropologie in der von Martin Buber und Joseph Wittig herausgegebenen Zeitschrift Die Kreatur, bei der er von 1926 bis 1930 Mitherausgeber war. 1932 formulierte er seine Ideen zum Gestaltkreis, mit dem er die Einheit von Wahrnehmung und Bewegung theoretisch darzustellen suchte. Eine Buchpublikation zum Gestaltkreis erschien 1940. Weizsäckers Ziel war die Einführung des Subjekts in die Medizin, der vielzitierte erste Satz des Gestaltkreises lautete: „Um Lebendes zu erforschen, muss man sich am Leben beteiligen.“

Er arbeitete mit Marianne Fuchs, förderte ihre Arbeit und lieferte für die von Marianne Fuchs entwickelte tiefenpsychologische Körperpsychotherapie Funktionelle Entspannung mit seinem Werk: „Der Gestaltkreis“ die theoretische Basis.

1941 wurde Weizsäcker in Nachfolge von Otfrid Foerster Professor für Neurologie in Breslau und Institutsleiter. Dort wurden unter anderem auch Hirne von getöteten Patienten untersucht. Im Januar 1945 floh er von dort und konnte im August in Heidelberg kommissarisch die Leitung des physiologischen Instituts übernehmen, bevor er dann das Ordinariat für Allgemeine Klinische Medizin erhielt, aus der die Psychosomatische Abteilung der heutigen Krehlklinik in Heidelberg entstanden ist; eine Station ist dort zu seiner Erinnerung nach ihm benannt.

Helm Stierlin erinnert sich an seine Zeit mit von Weizsäcker in einem Vortrag bei der Weizsäcker Gesellschaft. Er habe Weizsäckers Vorträge eher „kryptisch“ erlebt. Was ihm sehr zugesagt habe, war die offene Diskussion der nationalsozialistischen Vergangenheit im Kreis um von Weizsäcker, zu denen u. a. auch der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich sowie der Pathologe und Internist Wolfgang Jacob zählten. 1950 eröffnete Weizsäcker mit Hilfe der Rockefeller-Foundation eine Klinik für Psychosomatik, deren Leitung später Mitscherlich übernahm.

Seine Emeritierung 1952 hat er krankheitsbedingt nicht lange überlebt. Seinen Werdegang, der ihn von der Physiologie zur Inneren Medizin und weiter zur Neurologie und Psychotherapie führte, hat er 1944 in Breslau niedergeschrieben. Es wurde unter dem Titel Natur und Geist veröffentlicht.

„Das Problem des Menschen […] in dieser Art Medizin ist, daß er, der Mensch, seine Krankheit, die als Teil seiner ganzen Biografie zu verstehen ist, nicht nur hat, sondern auch macht. Daß er die Krankheit, die Ausdrucksgebärde, die Sprache seines Körpers produziert, wie er jedes andere Ausdrucksgebiet und jedes andere Sprechen formt.“

Viktor von Weizsäcker: Versuch einer neuen Medizin (Radiovortrag)[1]

Familie

1920 heiratete er die Schwester des Romanisten Ernst Robert Curtius Olympia (1887–1979). Viktor und Olympia von Weizsäcker hatten vier Kinder: Robert Karl Ernst (* 1921; vermisst 1942), Ulrike Gerda (1923–1948), Eckhard (1925–1945) und Cora (1929–2009), die mit dem Physiker Siegfried Penselin (* 1929) verheiratet war.

Siehe auch

Literatur

  • Karl Heinz Roth: Psychosomatische Medizin und »Euthanasie«: Der Fall Viktor von Weizsäcker. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, I/1986, S. 65–99. Vgl. hierzu auch Jürgen Peter: Die Reaktion Viktor von Weizsäckers auf den Nürnberger Ärzteprozess. 1996.
  • Stephan Dressler: Viktor von Weizsäcker. Medizinische Anthropologie und Philosophie. Ueberreuter Wissenschaft, Wien/Berlin 1989. (Wiener Studien zur Medizin, Geschichte und Philosophie 1)
  • Thomas Hauschild: Zum Titelfoto: Viktor von Weizsäcker (1886-1957). In: Curare, Zeitschrift für Ethnomedizin und Transkulturelle Psychiatrie. Titelfoto und dazu Text auf Umschlagseite 2, Vol. 9, 1986, Heft 3+4.
  • Sven Olaf Hoffmann: Viktor von Weizsäcker: Arzt und Denker gegen den Strom. In: Deutsches Ärzteblatt. PP 5, Ausgabe April 2006, S. 161.
  • Udo Benzenhöfer: Der Arztphilosoph Viktor von Weizsäcker. Leben und Werk im Überblick. Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-49172-0.
  • Stefan Emondts: Menschwerden in Beziehung: Eine religionsphilosophische Untersuchung der medizinischen Anthropologie Viktor von Weizsäckers. Geleitwort von Carl Friedrich von Weizsäcker. Stuttgart 1993, ISBN 3-7728-1571-5.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Irene Meichsner: Der tiefere Sinn von Krankheiten. In: Kalenderblatt (Rundfunksendung auf DLF). 21. April 2011, abgerufen am 21. April 2011.

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