- Vorsorgender Sozialstaat
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Der vorsorgende Sozialstaat ist ein von der SPD eingeführtes und vorrangig von ihr verwendetes politisches Schlagwort.
Ihm liegt der Gedanke zugrunde, Sozialpolitik dürfe sich nicht darauf beschränken, die Auswirkungen sozialer Notlagen abzufedern („Nachsorge“), sondern müsse in erster Linie darauf abzielen, die Entstehung solcher Notlagen vorsorgend zu vermeiden. In diesem Sinne verstanden umfasst „vorsorgende Sozialpolitik“ ein sehr weites Feld, das auch Bildung, Erziehung, Gesundheitsvorsorge, Wirtschaft und andere Lebensbereiche mit einschließt.
Das erste sozialdemokratische Grundsatzprogramm, in dem der Begriff des vorsorgenden Sozialstaats genannt wird, ist das Hamburger Programm von 2007. Darin heißt es:
„Um [das] Versprechen von Sicherheit und Aufstieg in unserer Zeit zu erneuern, entwickeln wir den Sozialstaat weiter zum vorsorgenden Sozialstaat. Er bekämpft Armut und befähigt die Menschen, ihr Leben selbstbestimmt zu meistern. [...]
Übergeordnete Aufgabe des vorsorgenden Sozialstaates ist die Integration aller Menschen in die Gesellschaft. Deshalb vernetzt vorsorgende Sozialpolitik unterschiedliche Aufgaben wie Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik, Bildungs- und Gesundheitspolitik, Familien- und Gleichstellungspolitik oder die Integration von Einwanderern. [...]
Die zentralen Ziele des vorsorgenden Sozialstaates sind Sicherheit, Teilhabe und Emanzipation.“– SPD: Hamburger Programm[1], S. 56 f.
„Das neue Leitbild vorsorgender Sozialstaat“ kam in dieser Formulierung erstmals im Vorfeld der Diskussion über das Hamburger Programm durch das SPD-Präsidium im April 2006 auf.[2] In einer Rede beim Herbert-Wehner-Bildungswerk in Dresden am 7. Juli 2007 bestritt der SPD-Parteivorsitzende Kurt Beck allerdings, dass es sich dabei um eine neue Idee handle:
„Die Idee des Vorsorgenden Sozialstaates haben wir nicht neu erfunden. Herbert Wehner hat in einer Rede von 1978 gesagt, ‚dass die präventive Funktion der Sozialpolitik ausgebaut werden muss‘. Der Sozialstaat solle nicht bloß als ‚Sanitätskolonne‘ ‚mit dem Pflasterkasten der Entwicklung hinterherlaufen‘. Und im Berliner Programm steht, Sozialpolitik müsse ‚vorausschauend gestalten‘.“
– Kurt Beck, SPD-Parteivorsitzender[3]
Kritik
Vor allem linke Kritiker behaupten, der Begriff des vorsorgenden Sozialstaats diene der Verschleierung einer seit Ende der 1990er Jahre in der SPD erkennbaren und in der Agenda 2010 manifestierten Tendenz, die soziale Sicherung kontinuierlich zurückzufahren. Er sei also letztlich nichts anderes als ein Euphemismus für Sozialabbau:
„Welch eine unglaubliche Vokabel! ‚Vorsorgender Sozialstaat‘ sagen diejenigen, die die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung zerstört und die Krankenversicherung schwer beschädigt haben. Wie kann man mit einer einzigen Vokabel die Bevölkerung so in die Irre führen! ‚Vorsorgender Sozialstaat‘ verlangt armutsfeste Renten im Alter und nichts anderes!“
Auch innerhalb der SPD wird der Begriff mitunter als inhaltsleer kritisiert:
„Der Begriff ‚vorsorgender Sozialstaat‘ ist eine Floskel. Es ist eine Binsenweisheit, dass jeder Sozialstaat vorsorgen muss. Es handelt sich um ein Schlagwort, das den Streit in die SPD hineinträgt, weil der Eindruck erweckt wird, dass es in der SPD einen Flügel gäbe, der für den reparierenden, den nachsorgenden Sozialstaat wäre. Das ist natürlich eine idiotische Idee.“
– Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitspolitiker[5]
Fußnoten
- ↑ Hamburger Programm. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (PDF), 28. Oktober 2007
- ↑ SPD will einen „besseren Sozialstaat“. Der Tagesspiegel, 9. April 2006
- ↑ Kurt Beck: „Soziale Demokratie - Demokratischer Sozialismus“. Rede beim Herbert-Wehner-Bildungswerk, 7. Juli 2007
- ↑ Oskar Lafontaine: Wir dürfen die Hoffnung von Millionen Wählerinnen und Wählern nicht enttäuschen. Rede auf den Gründungsparteitag der Linken, 16. Juni 2007
- ↑ Karl Lauterbach: „Die SPD ist federführend ...“ Interview in der taz vom 5. September 2007
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