- Wiskiauten
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Wiskiauten ist ein berühmtes wikingerzeitliches Gräberfeld mit über 500 Grabhügeln im gleichnamigen Dorf (nach 1945 Mochowoje, russ. Моховое) nahe Selenogradsk (Cranz) in der russischen Oblast Kaliningrad (im früheren Ostpreußen).
Wiskiauten wird 1291 als de Autekaym (prussisch für „hoch liegendes Dorf“) erwähnt. 1383 erscheint erstmals der Name veld der von Wissecawten (prussisch „Allestöter“, Synonym für Held).
Seit der Entdeckung des Grabhügels im Jahr 1865 in einem kleinen Wäldchen mit dem Namen „Kaup“ (prussisch für „erhöhte Lage“, wörtlich „Haufen“) hat das wikingerzeitliche Gräberfeld von Wiskiauten mit seinen vielen Hügelgräbern und einer noch unbekannten Anzahl an Flachgräbern verschiedene Forschergenerationen beschäftigt.
Inhaltsverzeichnis
Deutsche Forschung
Zunächst wurden durch deutsche Archäologen bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges etwa 300 Gräber freigelegt und zahlreiche Waffen, Tracht- und Schmuckgegenstände zutage gefördert. Die Funde haben überwiegend skandinavischen Charakter. Dazu zählen zahlreiche Schwerter, Lanzen und Steigbügel sowie ovale Schalenfibeln, Dosenfibeln, Armringe, aber auch arabische Silbermünzen und diverse Schmuckanhänger, die jeweils ihre besten Entsprechungen in Schweden, auf Gotland, und weniger ausgeprägt in Dänemark finden.
Der Großteil dieser Funde und auch die originale Ausgrabungsdokumentation wurde im damals weltberühmten Prussia-Museum im Königsberger Schloss untergebracht, wo seit 1941 auch das heute verschollene Bernsteinzimmer ausgestellt war. Kurz vor Ende des Krieges wurde diese Sammlung aufgrund der Zerstörungsgefahr evakuiert und an verschiedenen Orten in Königsberg und anderen Orten Deutschlands versteckt und galt in der Folge als verschollen. Zwar wurden schon vor dem Krieg einige Ausgrabungsergebnisse in archäologischen Fachzeitschriften publiziert, den Verlust der Originale konnten diese Veröffentlichungen aber nie ausgleichen. Erst 60 Jahre später wurden große Teile der Sammlung wiederentdeckt, darunter auch Materialien zu Wiskiauten.
Russische Forschung
Nach Kriegsende 1945 hat die russische Forschung Ausgrabungen im Grabhügelfeld durchgeführt. In dieser Epoche sind etwa 30 Gräber untersucht worden. Wieder kamen hauptsächlich skandinavische Funde zutage.
Die skandinavischen Funde und der in der ansonsten von den Prussen besiedelten Region fremde Hügelgrabbau führten zu der Interpretation, dass das Gräberfeld zu einer skandinavischen Handelsniederlassung gehörte, die in der Nähe zu suchen sei. Diese Siedlung muss an das wikingerzeitliche Handelsnetz rund um die Ostsee angebunden gewesen sein und pflegte vermutlich Kontakte nach Birka, Grobiņa (Seeburg), Haithabu, Paviken (Gotland), Truso, Wollin und weiteren Handelsorten. Als Handelsgut kommt vor allem der in der Region massenhaft vorkommende Bernstein in Frage.
Die durch das Gräberfeld zu vermutende Siedlung konnte allerdings – abgesehen von wenigen singulären Funden – nie eindeutig lokalisiert werden, wurde aber als der naheliegende preußische Ort Cranz angenommen.
Deutsch-Russische Forschung
Seit dem Jahr 2005 wird in einem gemeinsamen russisch-deutschen Forschungsprojekt versucht, die Siedlung zu finden. Die Untersuchungen werden von der Römisch-Germanischen Kommission Frankfurt a. M. des Deutschen Archäologischen Instituts, dem Archäologischen Landesmuseum Schleswig in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen auf Schloss Gottorf und der sog. Baltischen Expedition des Instituts für Archäologie der Russischen Akademie der Wissenschaften Moskau durchgeführt.
Seit dem 1. Januar 2007 wird das gesamte Forschungsprojekt mit wesentlichen Personal- und Sachmitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt.
Dabei kommt vor allem die Untersuchungsmethode der Geomagnetik großflächig zum Einsatz. Seither wurden insgesamt knapp 100 ha Fläche rund um den Bestattungsplatz „gescannt“. Dabei sind mehrere tausend Strukturen dokumentiert worden, die auf archäologische Objekte hindeuten könnten. Durch Bohrungen sind mittlerweile 150 der so genannten Anomalien untersucht worden, wobei in 70% der Fälle tatsächlich archäologische Befunde unterschiedlicher Zeiten zu vermuten sind. Mittlerweile sind sieben kleinere Grabungen unternommen worden, die neben einer flächigen Kulturschicht aus dem 8. bis 10. Jahrhundert mit zahlreichen Keramik- und Knochenfunden auch einen Brunnen und Spuren eines Hauses in Pfostenbauweise erbrachten. Letztere gehören in die Zeit zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert. Zahlreiche Funde wie arabische, deutsche und byzantinische Silbermünzen, Bronzegewichte, Perlen und Keramikscherben deuten auf einen ausgedehnten Handelsplatz hin, der vom 8. bis 12. Jahrhundert existiert haben muss. Allerdings hat sich der Siedlungskern offenbar mehrfach verlagert.
Obwohl das Gräberfeld eindeutig skandinavische Funde enthält, wurde bei den Ausgrabungen auf den Siedlungsflächen bisher nur einheimisches Material geborgen, typisch skandinavische Funde fehlen noch. Trotzdem muss der Platz als eine Siedlung angesehen werden, in der sowohl einheimische Prussen als auch Skandinavier in einem bisher unbestimmbaren Verhältnis zusammen gelebt haben, wie dies (anders zusammengesetzt) auch für andere Handelsplätze aus dieser Zeit belegt ist.
Die Ausgrabungen haben in den Jahren 2005 bis 2011 jeweils in den Sommermonaten stattgefunden. Ob sie in den kommenden Jahren fortgesetzt werden, ist noch nicht entschieden.
Literatur
- Otto Kleemann: Die vorgeschichtlichen Funde bei Cranz und die Siedlung von Wiskiauten. In: Prussia. 33, 1939, ISSN 0259-7845, S. 201–225.
- Otto Kleemann: Über die wikingische Siedlung von Wiskiauten. und über die Tiefs in der Kurischen Nehrung. In: Alt-Preußen. 4, 1, 1939, ZDB-ID 210649-8, S. 4–14.
- Birger Nerman: Sveriges första storhetstid. Skoglund, Stockholm 1942 (Ziemlich ausführlicher Grabungsbericht).
- Bernt von zur Mühlen: Die Kultur der Wikinger in Ostpreußen. Institut für Vor- und Frühgeschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn 1975 (Bonner Hefte zur Vorgeschichte 9, ZDB-ID 186203-0), (Abbildungen der Grabfunde).
- Vladimir I. Kulakov: Die wikingerzeitliche Siedlung und das Gräberfeld Kaup bei Wiskiauten. Bericht über die Ausgrabungen der Jahre 1956-2004. In: Offa. 59/60, 2002/2003 (2005), ISSN 0078-3714, S. 55–78.
- Timo Ibsen: Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen – Neue Siedlungsforschungen am wikingerzeitlichen Fundplatz Wiskiauten/Mohovoe im Kaliningrader Gebiet. In: Starigard. 6, 2005, ISSN 1862-4782, S. 124–126.
- Timo Ibsen: Die Suche geht weiter – das Rätsel der wikingerzeitlichen Siedlung von Wiskiauten. In: Starigard. 8, 2007, S. 81–87.
- Timo Ibsen: Wiskiauten – Bernstein aus dem Samland. In: Archäologie in Deutschland. 5, 2007, ISSN 0176-8522, S. 34–35.
- Woijtek Wróblewski: Wiskiauten. In: Johannes Hoops (Hrsg.): Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Band 34: Wielbark-Kultur – Zwölften. de Gruyter, Berlin u. a. 2007, ISBN 978-3-11-018389-4, S. 140–145.
- Timo Ibsen: Die Wikinger im Bernsteinland. In: Forschung. 1, 2008, ISSN 0172-1518, S. 16–20.
- Timo Ibsen: Siedlungsarchäologische Forschungen zum wikingerzeitlichen Fundplatz Wiskiauten/Mohovoe im Kaliningrader Gebiet. In: Archäologisches Nachrichtenblatt. 13, 1, 2008, ISSN 0948-8359, S. 12–21.
- Gisela Graichen, Matthias Gretzschel: Die Prussen. Der Untergang eines Volkes und sein preussisches Erbe. Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-502-15172-2.
Weblinks
- http://www.wiskiauten.eu (aktuelle Informationen)
54.92361120.477778Koordinaten: 54° 55′ N, 20° 29′ OKategorien:- Archäologischer Fundplatz in Russland
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