Wundballistik

Wundballistik

Wundballistik ist die Lehre vom Verhalten der Geschosse beim Eindringen in den Körper eines Menschen oder Tieres. Insbesondere wird das Verhalten des Geschosses beschrieben sowie die von ihm bewirkten Verletzungen an Geweben und Organen. Die Wundballistik ist ein interdisziplinärer Bereich mit Verbindungen zur Medizin, Forensik, Physik und Militärforschung. Grundsätzlich können das Verhalten des Geschosses im Körper (Actio, physikalisch-ballistischer Aspekt) und die Auswirkungen auf das Gewebe und andere Körperbestandteile (Reactio, medizinisch-biologischer Aspekt) betrachtet werden. Man unterscheidet in der Ballistik zwischen, Innen-, Außen- sowie Endballistik (auch Zielballistik genannt). Die Wundballistik ist ein Teilgebiet der Endballistik. Die Innenballistik hat bei der Untersuchung von aufgesetzten und nahen Schüssen eine große Mitbestimmungskraft auf den Wundbildungsmechanismus, genauso wie Nutations- und Präzessionsbewegungen eher beim kurzen Schuss eine Rolle spielen. Mit zunehmender Schussdistanz wird die Länge des geraden Schusskanals größer. Für die Wundballistik spielt die Untersuchung des temporären Wundkanals eine besonders große Rolle. Dieser tritt hauptsächlich bei Langwaffen, weniger bei Kurzwaffen, auf. Entscheidend ist nicht die Gesamtenergie des Geschosses, sondern wie viel davon im beschossenen Körper abgegeben wird. Durch Überschlag des Geschosses oder „Aufpilzen“ (bei Teilmantel- und Hohlspitzgeschossen wird die Energieabgabe erhöht bzw. maximiert. Die Durchschlagskraft sinkt, die sogenannte Mannstoppwirkung erhöht sich.

Inhaltsverzeichnis

Todesursachen

Es kommen drei Todesursachen bei Schussverletzungen in Betracht. Erstens der Kreislaufstillstand durch Zerstörung des Herzens oder von Hauptblutgefäßen. Nach etwa 15 Sekunden tritt Bewusstlosigkeit aufgrund von mangelhafter Sauerstoffversorgung des Gehirns ein. Es folgt der Hirntod nach etwa sieben Minuten. Das unmittelbare Zusammenbrechen von durch Herzschuss getroffenen Personen lässt sich aufgrund eines nervösen Reflexes erklären, wohingegen beispielsweise Rehe oder anderes Jagdwild erst nach erwähnten 15 Sekunden zusammenbrechen. Zweite mögliche Ursache ist eine Zerstörung wichtiger Hirnzentren selbst. Dabei führt insbesondere die Zerstörung des Stammhirns unmittelbar zum Tod, aber Verletzungen am und Verlust von Teilen des Stirnhirns, wo keine animalischen Funktionen ausgeführt werden, können durchaus, teils unter Persönlichkeitsveränderungen überlebt werden. Drittens kann ein sogenannter Schocktod eintreten. Bei Hasen wurde beobachtet, dass deren Tod eintritt, obwohl eine große Zahl von Schrotkugeln zwar unter die Haut, aber nicht in Körperhöhlen eindringt und somit an sich keine tödlichen Verletzungen hervorruft.

Forschungsbereiche

Im Bereich der Forensik werden alle Umstände, die mit der Schussabgabe in Zusammenhang stehen, untersucht. Insbesondere die Untersuchung von Schussspuren und Schmauchspuren können wichtige Hinweise zu einem Verbrechen liefern.

Methoden

Erforscht wird die Wundballistik mit Hilfe von ballistischer Gelatine oder Glyzerinseife, wobei ersteres weitverbreiteter ist. Durch die plastische Verformung des letzteren, der den temporären Wundkanal quasi „einfriert“, kann dieser für die Wundballistik entscheidende Aspekt entsprechend gut analysiert werden. Durch Vergleich wurde hinreichend nachgewiesen, dass sich diese Materialen unter Beschuss annähernd gleich verhalten wie menschliches Gewebe. Knochen können durch eingebettete Kunststoffe simuliert werden. Im Übrigen spielt das unterschiedliche elastoplastische Verhalten der beiden Stoffe für die Herausbildung der Verletzungen eine minder wichtige Rolle. Entscheidender sind Dichte, Viskosität und Fließfähigkeit, in der sich beide Materialen untereinander wie auch im Vergleich zur Muskulatur sehr ähneln. Gelegentlich finden auch noch Tierversuche statt (meist anästhesierte Schweine, worauf die Projektile abgeschossen werden). [1] Allerdings gibt es genug reale Schussverletzungen (Rechtsmedizin, Kriegs-Chirurgie), sodass auf Tier- und Leichenversuche weitgehend verzichtet werden kann.

Verletzungen durch Pfeile

Die Wundballistik bei Pfeilverletzungen wurde 2004 von Hubert Suedhues untersucht. In diesem Rahmen wurde festgestellt, dass die Ballistik von Pfeilen und deren wundballistisches Potential erheblich von Schusswaffenprojektilen abweicht.[2]

Verletzungen durch Splitter

Auch Verletzungen durch Splitter werden in der Wundballistik untersucht. Dabei bestehen keine grundsätzlichen großen Unterschiede zu denen der Projektile. Splitter werden durch Sprengstoff beschleunigt, wohingegen Projektile ihre Bewegungsenergie durch Pulververbrennung erfahren. Splitter können aber auch durch Geschossfragmentation entstehen. Die für die Wundballistik relevanten Splittermassen reichen von einigen hundertstel Gramm bis zu einigen 10 Gramm, wobei Geschwindigkeiten bis zu 2.000 m/s auftreten können. Daraus ergeben sich Energien von 1 J bis 60 kJ.

Erwünschte Wirkungen

Im Bereich des Militärs gilt: Die Schussverletzungen sollen so schwer sein, dass die getroffene Person nicht mehr in der Lage ist, weiterzukämpfen beziehungsweise ihren Auftrag zu erfüllen. Hierbei spricht man im Allgemeinen von Kampfunfähigkeit. Dabei kann es von Vorteil sein, dass der Gegner "nur" schwer verletzt statt getötet wird, weil dann weitere Soldaten mit dessen sanitätsdienstlicher Versorgung gebunden sind und nicht mehr unmittelbar am Kampfgeschehen teilnehmen können. Im Bereich der Jagd gilt: Die entstehenden Schussverletzungen sollen das Tier möglichst auf der Stelle töten und bewegungsunfähig machen (Blattschuss), um einerseits dem Tier unnötige Qualen zu ersparen und andererseits zu verhindern, dass das getroffene Tier noch flüchten kann. Des Weiteren sollte ein sicherer Ausschuss gewährleistet sein, um ein geflüchtetes Tier anhand seiner Schweißfährte schnell wiederzufinden. Dennoch sollte das Geschoss so wenig wie möglich Schaden am Gewebe verursachen, um den Wert des Felles und des Fleisches nicht zu mindern.

Siehe auch

Literatur

  • Bernd Brinkmann, Burkhard Madea (Hrsg.): Handbuch gerichtliche Medizin. Band 1. Springer, Berlin 2004, ISBN 3-540-00259-6.
  • Silke M. C. Brodbeck: Postmortale Computertomographie von Schussverletzungen im Vergleich zu Obduktionsbefunden. Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-86676-039-4 (zugleich: Frankfurt am Main, Univ., Diss., 2005).
  • Vincent J. M. DiMaio: Gunshot Wounds. Practical Aspects of Firearms, Ballistics, and Forensic Techniques. 2. Auflage. CRC, Boca Raton 1999, ISBN 0-8493-8163-0.
  • Beat Kneubuehl (Hrsg.), Robin Coupland, Markus Rothschild, Michael Thali: Wundballistik. Grundlagen und Anwendungen. 3. Auflage. Springer, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-79008-2.
  • Beat Kneubuehl, K. Sellier: Wundballistik und ihre ballistischen Grundlagen. 2. völlig überarbeitete und ergänzte Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg/New York, 2001, ISBN 3-540-66604-4

Einzelnachweise

  1. Bettina Jakob, Der Schuss auf den Seifen-Block. In: UniPress. 133, 2007, S. 21–23 (Bericht über ballistische Versuche von Beat Kneubuehl, PDF eingesehen am 3. Oktober 2009).
  2. Hubert Suedhues: Wundballistik bei Pfeilverletzungen. Universität Münster, Münster 2004 (eingesehen am 22. November 2009).

Weblinks

 Commons: forensische Ballistik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Terminalballistik — Die Zielballistik (auch: Terminalballistik) beschreibt als ein Teilgebiet der Ballistik das Verhalten von Projektilen beim Auftreffen auf ein Ziel, Eindringen in ein Ziel oder beim Durchdringen eines Zieles. Ziele können verschiedene Arten von… …   Deutsch Wikipedia

  • Wundhöhle — ist ein Begriff der Fachbereiche Chirurgie und Wundballistik. Chirurgie In der Chirurgie bezeichnet Wundhöhle u. a. die Kaverne (Medizin), die nach der Entfernung eines Zahnes verbleibt. Wundballistik Beim Eindringen von Projektilen in den… …   Deutsch Wikipedia

  • Ballistik — Unterschied zwischen einem schiefen Wurf ohne jegliche Reibung (Schwarz), mit Stokes Reibung (Blau) und mit Newton Reibung (Grün) Die Ballistik (griechisch βάλλειν ‚werfen‘) ist „Die Lehre von den geworfenen Körpern“, ist ein Teilbereich der …   Deutsch Wikipedia

  • Ballistikgel — Dieser Artikel oder Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (Literatur, Webseiten oder Einzelnachweisen) versehen. Die fraglichen Angaben werden daher möglicherweise demnächst gelöscht. Hilf Wikipedia, indem du die Angaben recherchierst und… …   Deutsch Wikipedia

  • Ballistisch — Die Ballistik (griech. βάλλειν = werfen) ist „Die Lehre von den geworfenen Körpern“. Es ist ein Teilbereich der Physik und beschreibt die Vorgänge, die einen sich durch den Raum bewegenden Körper betreffen. Schussvorrichtung für eine ballistische …   Deutsch Wikipedia

  • Ballistisches Gel — Dieser Artikel oder Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (Literatur, Webseiten oder Einzelnachweisen) versehen. Die fraglichen Angaben werden daher möglicherweise demnächst gelöscht. Hilf Wikipedia, indem du die Angaben recherchierst und… …   Deutsch Wikipedia

  • Hohlspitzgeschoss — und Patrone im Kaliber .40 S W Deformationsbeispiele Bleiho …   Deutsch Wikipedia

  • Krönleinschuss — Der Krönleinschuss ist eine von Rudolf Ulrich Krönlein beschriebene tödliche Schussverletzung des Schädels, die vorwiegend bei Treffern mit hochenergetischen Geschossen aus Militär und Jagdwaffen auftritt. Hierbei kommt es zum vollständigen… …   Deutsch Wikipedia

  • Permanente Wundhöhle — Beim Eindringen von Projektilen in den Körper eines Tieres oder eines Menschen bewirken diese aufgrund der raschen Energieabgabe bei der Verzögerung eine Temporäre Wundhöhle. Diese fällt innerhalb von Sekundenbruchteilen zur Permanenten Wundhöhle …   Deutsch Wikipedia

  • Pfeil (Geschoss) — Ein Pfeil ist das Geschoss eines Bogens. Er besteht meist aus Pfeilspitze, einem zylindrischen Pfeilschaft und Befiederung. Bogenpfeile sind seit der ausgehenden Altsteinzeit (Ahrensburger Kultur) als archäologische Funde bekannt. Vorläufer des… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”