- Bibeltreue
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Unter dem Begriff Bibeltreue wird eine exegetische bzw. ekklesiologische Haltung verstanden, die die Bibel als höchste und anderen Leitbildern übergeordnete Autorität bei der Auslegung des christlichen Glaubens versteht. Begründet wird diese Haltung damit, dass die gesamte Bibel als Heilige Schrift vom Heiligen Geist inspiriert und somit, obwohl von Menschen verfasst, zugleich Gottes Wort sei, wie die Bibel selbst in 2 Tim 3,16 ELB beschreibt.
Der Begriff wird von evangelikalen Christen häufig als Terminus in der theologischen Auseinandersetzung verwendet, um die eigene Haltung oder Bibelauslegung zu bezeichnen und um sich von anderen Zugängen zur Bibel abzugrenzen. Ihre Gegner verwenden dagegen oft den abwertenden Ausdruck Biblizismus. Nicht-evangelikale Theologen stehen dem Begriff in der Regel kritisch gegenüber, da er unterstelle, abweichende, nicht-evangelikale Interpretationen der Bibel seien ihr nicht „treu“, sondern verräterisch bzw. untreu.
Inhaltsverzeichnis
Bibeltreue in der Theologie
Der Begriff ist weder in seiner Bedeutung klar umrissen noch wissenschaftlich eindeutig definierbar und wird in verschiedenem Kontext verwendet:
- Historische kirchliche Beispiele sind etwa die Reformation (Sola scriptura-Prinzip als Abgrenzung zur römisch-katholischen Papsttreue und Kirchentradition).
- Alle evangelischen Freikirchen in Deutschland und die meisten Evangelikalen und Pietisten in evangelischen Landeskirchen bezeichnen sich als bibeltreu, aber auch viele fundamentalistische christliche Gruppierungen.
- Christen, die sich als bibeltreu bezeichnen, legen meist großen Wert auf regelmäßiges persönliches Bibelstudium und stellen dabei die Frage nach der Aussage eines Bibeltexts für ihr eigenes Leben. Sie vertrauen bei der Auslegung auf geistliche Impulse im Gebet und bei der Textbetrachtung.
- Unter evangelikalen Theologen gibt es widerstreitende Auffassungen darüber, ob das Bekenntnis zur Bibeltreue auch die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift in historischen und naturwissenschaftlichen Fragen beinhalte. Der evangelikale Theologe Dr. Heinzpeter Hempelmann beispielsweise ist der Auffassung, dass ein solches Verständnis von Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift dem eigentlichen Anliegen der Bibel fremd sei und daher einen Kategorienfehler darstelle. Diesem, auch als Hermeneutik der Demut bekannten, Ansatz wird von anderen evangelikalen Theologen entgegnet, dass er dem Selbstanspruch der Bibel nicht gerecht werde.
- Eher selten werden Bibelübersetzungen als bibeltreu bezeichnet, hier wird eher nach Sinn- oder Worttreue unterschieden. Für beide Übersetzungsgrundsätze gibt es anerkannte typische Verwendungszwecke. Umstritten ist die Bezeichnung bestimmter Übersetzungen als „nicht-bibeltreu“, denen ihre Kritiker bewusste Sinnentstellungen nachsagen.
- 1998 wurde von Journalisten und Verlegern, die sich selbst als christliche Fundamentalisten verstehen, der Arbeitskreis bibeltreuer Publizisten gegründet, der vor allem im Jahr der Bibel 2003 in Erscheinung trat. Am Treffen unter dem Motto „Bibeltreue Publizistik — die Herausforderung in einer veränderten Welt“ nahmen im Februar 2003 über 500 Personen teil.
Bibeltreue als politisches Anliegen
Gesellschaftliche und politische Strömungen, die sich in ihren Anliegen unmittelbar auf die Bibel berufen, bezeichnen sich im deutschsprachigen Raum meist ebenfalls als bibeltreu. Christen engagieren sich in allen Parteien, bevorzugte Parteien sind in Deutschland jedoch die CDU/CSU oder evangelikale Kleinparteien wie die Partei Bibeltreuer Christen, in der Schweiz die Evangelische Volkspartei (Mitte) und die Eidgenössisch-Demokratische Union (rechts).
Beispiele aus der deutschen Politik sind Hubert Hüppe, MdB (CDU und Christdemokraten für das Leben, CDL) oder Johannes Rau (ehem. NRW-Ministerpräsident und später Bundespräsident), in der Schweiz Ruedi Aeschbacher (EVP, Nationalrat), Heiner Studer (EVP, Nationalrat und Parteipräsident), Walter Donzé (EVP, Nationalrat), Christian Waber (EDU, Nationalrat), Walter Schmied (SVP, Nationalrat) und Werner Messmer (FDP, Nationalrat). Teilweise werden politische Themen mit religiösem Bezug in der Außenwahrnehmung als politisches Etikett empfunden.
Politische Anliegen bibeltreuer Politiker sind konservative Werte, insbesondere Lebensrecht und Familienförderung und daraus folgend Ablehnung von Abtreibung, Sterbehilfe und gleichgeschlechtlicher Ehe, sowie Förderung von Religionsunterricht und Konfessionsschulen. Auf gesellschaftlicher Ebene gibt es zahlreiche Lebensrechtsinitiativen wie beispielsweise Alfa (Aktion Lebensrecht für Alle) oder Ärzte für das Leben.
Literatur
- Stadelmann, Helge: Grundlinien eines bibeltreuen Schriftverständnisses, Wuppertal 1985; (2)1990
- Lerle, Ernst: Kontaktstark verkündigen: Grundzüge bibeltreuer Predigt, Neuhausen-Stuttgart 1989
- Evangelisches Missionswerk in Deutschland: Geistbewegt und bibeltreu: Pfingstkirchen und fundamentalistische Bewegungen. Herausforderung für die traditionellen Kirchen, Hamburg 1995
- Möckel, Rudolf/Nestvogel, Wolfgang (Hrsg.): Volkskirche am Abgrund? Eine Dokumentation über evangelikale Pfarrer und die bibeltreuen Christen in der Volkskirche, Neuhausen-Stuttgart 1996.
- Schirrmacher, Thomas: Irrtumslosigkeit der Schrift oder Hermeneutik der Demut? Ein Gespräch unter solchen, die mit Ernst Bibeltreue sein wollen, Nürnberg 2001
- Stadelmann, Helge (Hrsg.): Liebe zum Wort: das Bekenntnis zur Biblischen Irrtumslosigkeit als Ausdruck eines bibeltreuen Schriftverständnisses; zum Gespräch mit Heinzpeter Hempelmann, Nürnberg 2002
- Schirrmacher, Thomas (Hrsg./Übers.): Bibeltreue in der Offensive: Die drei Chicagoerklärungen zur biblischen Irrtumslosigkeit, Hermeneutik und Anwendung, Bonn 1993; (2., überarb.) 2005
- James G. McCarthy: Das Evangelium nach Rom, CLV: Bielefeld, 1996 — Gegenüberstellung der katholischen Lehre und der Lehre der Heiligen Schrift, ISBN 978-3-89397-366-8 (PDF)
- Christoph Börchers: Prophetenbiographie und Biblizismus im Ezechielbuch. Eine rezeptionsästhetische Offensive In: Zeitschrift für Theologie und Gemeinde (ZThG) 14/2009, 46-64
Siehe auch
Weblinks
- Umkämpfte Bibeltreue; in diesem Artikel beschreibt der Journalist Marcus Mockler verständlich den Streit innerhalb der evangelikalen Bewegung um das Thema Bibeltreue. (PDF-Datei; 2,16 MB)
- Die Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten ist ein freier Zusammenschluss von Bibelschulen, Theologischen Seminaren und Hochschulen auf der Basis und in Zusammenarbeit mit der Deutschen Evangelischen Allianz.
- Der Bibelbund beschäftigt sich mit der Frage, was bibeltreu ist und sieht sich selbst als bibeltreu an. Er veröffentlicht eine regelmäßige Zeitschrift und ist überkonfessionell.
- Konferenz für Gemeindegründung; Die Konferenz für Gemeindegründung (KfG) ist eine „offene Plattform“ mit rund 300 Gemeinden, die sich selber als „bibeltreu, bundfrei, nicht-charismatisch und nicht-ökumenisch“ verstehen.
- Bibel-Center.de eine bibeltreue Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum
- Die Staatsunabhängige Theologische Hochschule (STH) Basel, früher Freie Evangelisch-Theologische Akademie, FETA, „ist eine interdenominationelle, bibeltreue, wissenschaftliche Bekenntnis-Hochschule mit Promotionsmöglichkeit“.
- Diskussion — Kirche versus christlicher Fundamentalismus; Argumentationen beider Ausrichtungen
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