Christian Lehmann (Linguist)

Christian Lehmann (Linguist)

Christian Lehmann (* 8. November 1948 in Rittmarshausen) ist ein deutscher Sprachwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft.

Eine der beiden Festschriften schrieb zu seinem 60. Geburtstag: “Christian Lehmann is one of the leading linguists of our times and was enormously influential in many areas of linguistic research, in particular in linguistic typology and language theory. His ideas on syntactic categories and relations, agreement, relative clauses, clause linkage, lexical typology, predicate classes, adpositions, possession, semantic roles, and many other issues more all left their traces in the nineteen articles of this volume.” (Helmbrecht u.a. [Hgg]: S.V).

Für die Mehrzahl der Einzelheiten der folgenden Ausführungen sei auf die Website von Christian Lehmann hingewiesen (s.u.).

Inhaltsverzeichnis

Lebenslauf

Christian Lehmann wurde Rittmarshausen im Landkreis Göttingen geboren. Nach dem Schulbesuch studierte er von 1967 bis 1972 an den Universitäten Göttingen und Köln Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft sowie Klassische Philologie. Nach dem Magisterabschluss 1972 und einer schon kurz darauf folgenden Promotion mit einer Arbeit über lateinische Konditionalsätze bei Hansjakob Seiler in Köln war er Mitarbeiter an einem DFG-Projekt von 1973 bis 1981. Zwischenzeitlich war er Professor für Sprachwissenschaft in Porto Alegre in Brasilien. 1980 habilitierte sich Lehmann an der Universität Köln mit einer viel beachteten typologischen Studie zum Relativsatz, die bereits – nach Vorarbeiten seit 1975 – 1979 in der Forschungsreihe akup (= Arbeiten des Kölner Universalienprojektes) erschienen war und 1984 in der Reihe “Language Universals Series” als Band 3 veröffentlicht wurde. Nachdem Lehmann von 1981 bis 1984 Heisenbergstipendiat gewesen war, wurde er 1984 als Professor für Linguistik an die Universität Bielefeld berufen. Trotz eines weiteren Rufes nach Kiel, den er ablehnte, blieb Lehmann dort bis zum Jahr 1999, als er einem Ruf an die Universität Erfurt als Professor für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft folgte. Dort organisierte Lehmann u.a. im Juli 2007 das 14. Internationale Colloquium zur lateinischen Linguistik. Zu seinem 60. Geburtstag am 8. November 2008 erhielt er eine Festschrift mit dem Titel “Studies on grammaticalization” (Verhoeven u.a. [Hgg.]). 2009 folgte, mit leichter Verzögerung, eine weitere Festschrift mit allgemeineren Beiträgen zu “Form and Function in Language Research” (Helmbrecht u.a. [Hgg.]), die von international bekannten Typologen und Typologinnen stammten wie R.M.W. Dixon, Ekkehard König, Paolo Ramat, Masayoshi Shibatani, Hansjakob Seiler und Anna Siewierska.

Kongresse und Schriften

An zahlreichen internationalen Universitäten, z.B. in Prag, Amsterdam, Paris, Stanford, Korea und Tokio trat und tritt Lehmann seit 1973 mit Kongressbeiträgen in Erscheinung, die alle in Sammelbänden erschienen sind. Sein Schriftenverzeichnis umfasste bis 2009 insgesamt fast 200 Titel. Einige dieser Titel sind viel zitierte Standardwerke geworden: z.B. das Relativsatz-Buch (Lehmann 1984), das Buch über Grammatikalisierung (s.u.) und ein Aufsatz über Satzverknüpfung (Lehmann 1988).

Prämierung und Akademien

Lehmann erhielt 1983 den Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er ist Mitglied mehrerer nationaler und internationaler Akademien (s. Homepage). Z.B. ist er seit 1989 Ordentliches und später Korrespondierendes Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, seit 1997 Mitglied des Exekutivausschusses des „Comité Internationale Permanent des Linguistes“, ferner seit 2001 Ordentliches Mitglied der Geisteswissenschaftlichen Klasse der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften Erfurt.

Forschungsprojekte

Lehmann hat mehrere Forschungsprojekte erfolgreich durchgeführt. Vor allem beschäftigt er sich mit der mittelamerikanischen Indiosprache Yukatekisch, der das von 1995 bis 2002 durchgeführte Projekt „Typologie des Yukatekischen“ und das 2007 begonnene Forschungsvorhaben „La lengua maya de Yucatán“ gilt. Im Zusammenhang damit steht das allgemeinere Programm „Lenguas indígenas de la Baja Centroamérica“, das Lehmann zusammen mit Juan Diego Quesada von der Universidad Nacional in Heredia in Costa Rica durchführt. Bezeichnend für Lehmanns Interessen war auch das Projekt „Allgemein-vergleichende Grammatik“, weil ihm bei der Forschung immer auch die Theorie sehr wichtig ist.

Der Typologe

Die größte Stoßkraft hat bei allen seinen Forschungen die moderne syntaktische Typologie. Den theoretischen Rahmen verdankt Lehmann seiner akademischen Herkunft aus Köln, wo er schon nach der Promotion und während der Habilitation im Kölner Universalienprojekt Kölner Universalienprojekt unter seinem großen akademischen Lehrer Hansjakob Seiler arbeiten konnte. Sprachtypologie beschreibt das Bemühen, das schier endlose Material der 6000 vorhandenen Sprachen weltweit auf überschaubare Stichproben zu reduzieren und gezielt zu vergleichen, um so in das scheinbare Chaos Ordnung zu bringen und damit auch grundlegende strukturelle Gemeinsamkeiten, sog. Universalien, zu finden.

Dabei verwendet Lehmann den Ansatz des UNITYP, der beim Beschreiben sprachlicher Strukturen (z.B. Genitivkonstruktionen) von kognitiven Strukturen oder Dimensionen (etwa Possession, Apprehension) ausgeht. Dieser kognitiv-kommunikative Ansatz hat gegenüber strukturellen Herangehensweisen den Vorteil, dass die Fülle morphosyntaktischer Konstruktionen berücksichtigt wird und nicht bei einem bestimmten Konstruktionstyp zu enge morphosyntaktische Definitionen manche Sprache, die ihn in ganz anderer Form hat, ausschließen. Gut ist dies am ersten Teil eines Kongressbeitrages über “Latin causativization in typological perspective” (der sich von der Homepage als pdf-Datei herunterladen lässt) zu erkennen. Dort entwickelt Lehmann den Begriff Causativization aus der kognitiven Struktur der Partizipation, ehe er die “Strategies of causativization”, d.h. die morphosyntaktischen Formen, in 2.2 erörtert. Traditionelle Sprachvergleiche würden umgekehrt vorgehen und bei der morphosyntaktischen Oberfläche beginnen, dann aber Gefahr laufen, viele ganz andere Realisierungen des kognitiven Typs nicht zu erfassen. Im Rahmen des Kölner Projektes hat Lehmann an Determination (akup, 17) und an Rektion und syntaktische(n) Relationen (akup, 45) gearbeitet und theoretisch u.a. “Thoughts on grammaticalization” (akup, 48) geäußert. Dabei versteht er es auch, auf andere Bereiche wie die lateinische Linguistik diesen typologischen Ansatz anzuwenden (s.u.). Gleichzeitig liegt in dem theoretischen Ansatz ein Motiv, warum Lehmann eine Indiosprache in Feldforschung zu beschreiben versucht hat. Ihre Beschreibung kann nämlich den Typologen in die Lage versetzen, auch das Yukatekisch in künftige Stichproben zu übernehmen. Im Ganzen betrachtet, ist der funktional-typologische Ansatz die heute wohl ergiebigste Methode, um Gemeinsamkeiten in möglichst vielen, im Idealfalle: in allen Sprachen aufzuspüren und so ein Stückweit das Geheimnis menschlicher Sprache zu lüften. Lehmanns Forschungsschwerpunkt der Typologie liegt daher im Zentrum der heutigen Sprachwissenschaft.

Die mit Abstand einflussreichsten Arbeiten Lehmanns sind diejenigen über Grammatikalisierung, sowohl das Buch (zuerst als graue Literatur 1982, jüngste Auflage online 2002) als auch dessen Kondensierung in dem Aufsatz von 1985. Besonders die sechs Parameter, mit denen sich der relative Grad der Grammatikalisierung von Konstruktionen bestimmen lässt, werden immer wieder in Analysen angewandt.

Der lateinische Linguist

Lehmann hatte neben der Sprachwissenschaft auch Klassische Philologie studiert und für seine beiden ersten größeren Arbeiten, die Magisterarbeit und die Dissertation (1973), Themen der lateinischen Grammatik gewählt. Daher nimmt es kaum Wunder, dass er in seinen späteren Arbeiten oft auch lateinische Belege heranzieht. Als 1981 das erste International Colloquium on Latin Linguistics unter der Organisation von Harm Pinkster in Amsterdam stattfand, war unter den ersten Teilnehmern auch Lehmann, der über “Latin preverbs and cases” sprach. Seitdem nahm er immer wieder an den Kolloquien teil. Diese Teilnahme erreichte 2001 in Amsterdam einen ersten Höhepunkt, als Lehmann über “Latin valency in typological perspective” in einem der vier größeren Vorträge sprach; einen zweiten Höhepunkt fand sein Engagement, als er zusammen mit seinen Mitarbeitern im Juli 2007 das „14. Internationale Colloquium zur lateinischen Linguistik“ in Erfurt organisierte und so etwa 90 Teilnehmern den wissenschaftlichen Austausch über Probleme der lateinischen Linguistik ermöglichte. Im Rahmen dieser Kolloquien spricht Lehmann in der Regel über zentrale Themen der lateinischen Grammatik “in typological perspective” und gehört zu den wenigen Teilnehmern, die Themen und Probleme der lateinischen Grammatik im Lichte der modernen Sprachtypologie betrachten und die lateinisch-linguistische Fachdiskussion von einem zentralen neueren sprachwissenschaftlichen Ansatz her bereichern.

Literatur

  • Helmbrecht, Johannes u.a. (Hgg.). Form and Function in Language Research. Papers in Honor of Christian Lehmann. Berlin & New York: Mouton de Gruyter 2009.
  • Kürschners deutscher Gelehrten-Kalender. Bio-bibliografisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler. Ausgabe 2009. München 2009: Bd.2, 2398.
  • Lehmann, Christian (1973). Latein mit abstrakten Strukturen. München: W. Fink (Structura; 7)
  • Lehmann, Christian (1983). “Latin preverbs and cases”. In: Latin linguistics and linguistic theory. Proceedings of the 1st International Colloquium on Latin Linguistics. Amsterdam & Philadelphia: J. Benjamins: 145-161.
  • Lehmann, Christian (1984). Der Relativsatz. Typologie seiner Strukturen – Theorie seiner Funktionen – Kompendium seiner Grammatik. Tübingen: G. Narr (Language Universals Series; 2).
  • Lehmann, Christian (1985). “Grammaticalization: Synchronic variation and diachronic change”: Lingua e Stile 20:303-318.
  • Lehmann, Christian (1988). “Towards a typology of clause linkage”. In: J. Haiman & S.A. Thompson (Hgg.). Clause combining in grammar and discourse. Amsterdam & Philadelphia: J. Benjamins: 181-225.
  • Lehmann, Christian (2002). “Latin valency in typological perspective”. In: A.M. Bolkestein u.a. (Hgg.). Theory and description in Latin linguistics. Selected papers from the XIth Colloquium on Latin linguistics. Amsterdam: 183-203.
  • Lehmann, Christian (2002). Thoughts on grammaticalization. Second, revised edition. Erfurt: Seminar für Sprachwissenschaft der Universität (Arbeitspapiere des Seminars für Sprachwissenschaft der Universität Erfurt; 9; auch als Online-Fassung verfügbar, s.u.).
  • Seiler, Hansjakob (1995). “Cognitive-Conceptual Structure and Linguistic Encoding: Language Universals and Typology in the UNITYP Framework”. In: M. Shibatani & T. Bynon (Hgg.). Approaches to language typology. Oxford: Oxford University Press: 273-325.
  • Verhoeven, Elisabeth u.a. (Hgg.). Studies on Grammaticalization. Berlin & New York: Mouton de Gruyter 2008.

Weblinks


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