Manfred Riedel

Manfred Riedel

Manfred Riedel (* 10. Mai 1936 in Etzoldshain, Provinz Sachsen; † 11. Mai 2009 in Erlangen) war ein deutscher Philosoph.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Riedel studierte von 1954 bis 1957 Philosophie, Geschichte, Germanistik, Psychologie und Soziologie an der Universität Leipzig, unter anderem bei Ernst Bloch, Hans Mayer und Hermann August Korff. 1957 floh er von Leipzig nach Heidelberg. Dort führte er sein Studium an der Ruprecht-Karls-Universität bei Karl Löwith, Hans-Georg Gadamer, Arthur Henkel und Werner Conze fort. 1960 promovierte er bei Löwith mit einer Arbeit über Theorie und Praxis im Denken Hegels. Entgegen dem allgemeinen Trend der 1960er-Jahre verstand Riedel Hegel nicht von Marx her, sondern aus den auf Aristoteles zurückgehenden alteuropäischen Traditionen praktischer Philosophie. 1968 habilitierte er an der Universität Heidelberg mit einer Arbeit zum Thema Bürgerliche Gesellschaft. Eine Kategorie der klassischen Politik und des modernen Naturrechts.

Nach Lehrtätigkeiten an den Universitäten Heidelberg, Marburg und Saarbrücken wurde Riedel 1970 ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Erlangen-Nürnberg. 1980/81 hatte er die Theodor-Heuss-Professur an der New School for Social Research in New York City inne. Es folgten Gastprofessuren in Turin, Rom, Venedig und Atlanta/Georgia. 1992/93 war er Friedrich-Schiller-Professor an der Universität Jena und 1992 erhielt er den Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Riedel wurde 2004 emeritiert.

Von 1991 bis 2003 war Riedel Präsident der Martin-Heidegger-Gesellschaft, ab 2005 Mitglied des L’Istituto Italiano di Scienze Umane (SUM) in Florenz.

Forschung und Lehre

Riedel war ein Philosoph, der vor allem in seiner Interpretationskunst klassischer Texte ein eigenes philosophisches Denken entwickelte und damit als später Exponent Humboldtscher Universitätstradition gilt. Nicht der Schul-, sondern der Weltbegriff der Philosophie stand für ihn im Mittelpunkt. Mit Kant, Nietzsche, Dilthey, Heidegger und Hegel kannte er sich ebenso aus wie mit Goethe.

Seine Forschungen hatten drei Schwerpunkte:

  1. Geschichte und Formation des Grundtyps europäischer Bürgergesellschaft in Antike, Mittelalter und Neuzeit.
  2. Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte der modernen Geisteswissenschaften und ihrer Methoden, in denen er nach einem Ausweg aus der Zwangsalternative zwischen hermeneutischen und analytischen Denkweisen der Gegenwart sucht.
  3. Als Alternative zur aufkommenden "Denkanarchie" der Postmoderne seit den späten 1980er Jahren Rückgang zu den originär-anarchischen Quellen einer „zweiten“, an Mythos, Mysterienreligion und Kunst orientierten Philosophie Alteuropas im Gegenüber zur „ersten“ (archontischen), die von Aristoteles bis hin zu Husserl mit dem Begründungsanspruch apodiktisch strenger Wissenschaft auftritt.

Ehrungen

  • Dr. h. c. mult.
  • Italienischer Nietzsche-Preis 1990 gemeinsam mit Richard Rorty
  • Festschrift zum 60. Geburtstag: Inmitten der Zeit. Würzburg 1996
  • Festschrift zum 65, Geburtstag: Verstehen in Wort und Schrift. Hrsg, von Harald Seubert Weimar 2004

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Theorie und Praxis im Denken Hegels. Kohlhammer, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1965, 2. Auflage Ullstein, Berlin 1976 (koreanisch 1982, japanisch 1987)
  • Zwischen Tradition und Revolution. Studien zu Hegels Rechtsphilosophie. 1969, 3. erweiterte Auflage 1982 (italienisch 1975, japanisch 1976, spanisch 1979, koreanisch 1983, englisch 1984)
  • Metaphysik und Metapolitik. Studien zu Aristoteles und zur politischen Sprache der neuzeitlichen Philosophie. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1975 (spanisch 1976, englisch 1986, italienisch 1987)
  • Verstehen oder Erklären? Zur Theorie und Geschichte der hermeneutischen Wissenschaften. Klett-Cotta, Stuttgart 1978 (italienisch 1987, rumänisch 1989)
  • Norm und Werturteil. Grundprobleme der Ethik. Reclam, Stuttgart 1979 (japanisch 1982)
  • Lineamenti di etica comunicativa. Elementi e principi di una teoria del discorso morale. Padova 1981
  • L’Universalità della Scienza Europea e il Primato della Filosofìa. Napoli 1982
  • Fra Mito e Scienza. L’inizio della filosofia greca. Napoli 1986
  • Für eine zweite Philosophie. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1988 (italienisch 1989, ungarisch 1990)
  • Urteilskraft und Vernunft. Kants ursprüngliche Fragestellung. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1989
  • Hören auf die Sprache. Die akroamatische Dimension der Hermeneutik. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1990
  • Zeitkehre in Deutschland. Wege in das vergessene Land. Siedler, Berlin 1991 (russisch 1996)
  • Tradition und Utopie. Ernst Blochs Philosophie im Licht unserer geschichtlichen Denkerfahrung. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1994
  • Nietzsche in Weimar. Ein deutsches Drama. Reclam, Leipzig 1997
  • Freilichtgedanken. Nietzsches dichterische Welterfahrung. Klett-Cotta, Stuttgart 1998 (italienisch von St. Wagner und N. Russo, Napoli 2005)
  • Geheimes Deutschland. Stefan George und die Brüder Stauffenberg. Böhlau, Köln 2006, ISBN 3-412-07706-2
  • Im Zwiegespräch mit Nietzsche und Goethe. Weimarische Klassik und klassische Moderne. Mohr Siebeck Tübingen 2009
  • Bürgerliche Gesellschaft. Eine Kategorie der klassischen Politik und des modernen Naturrechts. Hrsg. von Harald Seubert unter Mitarbeit von Friedemann Sprang. Franz Steiner Verlag Stuttgart 2011.
  • Zahlreiche Aufsätze, Artikel, Rezensionen und Beiträge zu Sammelbänden

Herausgeber

  • Natur und Geschichte. Karl Löwith zum 70. Geburtstag (mit H. Braun). Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1967
  • W. Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Frankfurt a. M. 1970, 2. Auflage (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) 1973
  • Rehabilitierung der Praktischen Philosophie. 2 Bände, Freiburg i. Br. 1972/74 (englisch 1987)
  • Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. 2 Bände, Frankfurt a. M. 1975
  • Geschichte der Philosophie im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1981
  • W. Dilthey: Das Wesen der Philosophie. Stuttgart 1984
  • Heidegger Studies Vol. II ff. 1987 ff. (mit F.-W. von Herrmann, H. Boeder, O. Pöggeler u. a.)
  • Hegel und die antike Dialektik. 1990

Literatur

  • Hans-Helmuth Gander: Europa und die Philosophie. Verlag V. Klostermann, 1993, ISBN 3-465-02571-7, S. 248

Weblinks


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