- Vee-Jay Records
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Vee-Jay Records war eine US-amerikanische Plattenfirma, die ab 1953 als Independent Label erfolgreich im Rhythm-and-Blues-, Blues-, Jazz-, Gospel- und Popsektor Schallplatten veröffentlicht hat.
Inhaltsverzeichnis
Gründer und Entstehung
Als die Radioansagerin Vivian Carter die Doo-Wop-Gruppe The Spaniels bei einem Auftritt sah, kam ihr die Idee für die Gründung eines Schallplattenlabels. Mit einem Kredit von 500 US-Dollar und ihrem Partner Jimmy Bracken gründete sie schließlich im April 1953 in Gary (Indiana) Vee-Jay Records, benannt nach den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen Vivian und Jimmy. Als Produzent und Promoter fungierte Bruder Calvin Carter, während ab 1955 Ewart Abner von der im Dezember 1954 liquidierten Firma Chance Records die geschäftliche Seite der neuen Plattenfirma leitete. Gary war nicht das Zentrum für Talente,[1] sodass man sich entschloss, auch wegen der Tonstudios nach Chicago umzuziehen.
In Chicago wurde eine Studioband zusammengestellt, in der hauptsächlich William „Lefty“ Bates (Gitarre) und Al Smith/Quinn B. Wilson (Bass), Horace Palm oder Norman Simmons als Pianisten fungierten. James „Red“ Holloway war anfangs der Tenorsaxophonist, später kamen Lucius Washington („Little Wash“) und Cliff Davis hinzu. Baritonsaxophon spielte gewöhnlich McKinley „Mac“ Easton. Den Stuhl am Schlagzeug nahmen abwechselnd Paul Gusman, Vernel Fournier und Alrock „Al“ Duncan ein.
Erste Aufnahmen für Vee-Jay entstanden mit den Spaniels in den Universal Studios von Chicago bereits am 4. Mai 1953 mit der Single Baby It’s You / Bounce (Vee-Jay #101), das nach seiner Veröffentlichung im Juni 1953 als höchste Platzierung einen beachtlichen zehnten Rang der Rhythm-and-Blues-Hitparade einnahm. Im Katalog als erste Platte erschienen, aber erst am 29. Dezember 1953 aufgenommen, war jedoch Jimmy Reeds High and Lonesome / Roll and Rhumba (Vee-Jay #100), das nach seiner Veröffentlichung im Juli 1953 keine Chartnotiz erlangen konnte. Reeds sauberer Vortrag – meist spielte er Gitarre und Mundharmonika – inspirierte spätere Interpreten zum Cover seiner Kompositionen.[2]
Am 16. Dezember 1953 heirateten die Label-Gründer. Zuvor waren die Spaniels am 23. September 1953 erneut im Tonstudio, wo mit Goodnite Sweetheart Goodnite / You Don’t Move Me entstand, das im Mai 1954 bis zum fünften Rang der Rhythm-and-Blues-Hitparade vordrang. Erster Tophit für das junge Label war das am 24. April 1954 mit den El Dorados eingespielte At My Front Door / What’s Buggin’ You Baby, das im September 1954 veröffentlicht wurde und mit einem 17. Rang in der Pophitparade einen beachtlichen Crossover-Erfolg erzielen konnte. Am 19. Oktober 1955 betrat Blues-Legende John Lee Hooker erstmals die Vee-Jay-Tonstudios in Chicago, um dort Mambo Chillun / Time Is Marching On (#164) aufzunehmen, veröffentlicht im Dezember 1955. Hooker konnte bereits zwei Tophits bei Modern Records (Boogie Chillen’ und I’m In The Mood) vorweisen, bevor er im Oktober 1955 zu Vee Jay wechselte. Hooker war im Studio ungewöhnlich: er fand bei Texten keine guten Reime, spielte nur solo gut, alles wurde nur in einem Take aufgenommen, weil er nicht identisch wiederholen konnte. Das Label konnte seine früheren Erfolge – auch mangels überzeugendem Songmaterials – mit 14 erschienen Singles nicht mehr wiederholen. Einzig erwähnenswert ist seine klassische, oft gecoverte Komposition Dimples (mit dem Gitarristen Eddie Taylor), aufgenommen am 17. März 1956 und erschienen im August 1956 (Vee-Jay #205). Vee-Jay gewann weitere, bereits bekannte Bluesgrößen. Billy Boy Arnold nahm am 5. Mai 1955 seine Komposition I Wish You Would auf, Elmore James veröffentlichte im Mai 1957 Coming Home, Jerry Butler & The Impressions nahmen ihr klassisches For Your Precious Love im April 1958 auf. Die ungewöhnliche soul-ähnliche Ballade wiederholte nicht den Songtitel und besaß einen leichten Gospel-Unterton. Komplettiert mit Jerry Butlers Tenor konnte der Song den dritten Rang der R-and-B-Charts und Platz 11 der Pop-Charts erreichen. Und das trotz der organisatorischen Verwirrungen, denn die Platte erschien bei drei Plattenfirmen gleichzeitig: außer bei Vee-Jay auch bei Falcon (ein Tochterlabel von Vee-Jay) und Abner (das dem kaufmännischen Leiter von Vee-Jay gehörte).
Erster Millionseller
Fast zehn Jahre seit Gründung waren vergangen, bis mit Gene Chandlers Duke of Earl / Kissin’ In The Kitchen (#416) der erste Millionenseller des Labels zu verzeichnen war.[3] Der Song mit dem ungewöhnlichen Baßstimmen-Intro („Dook dook dook of Earl…“) kam am 13. Januar 1962 auf den Markt, erst zehn Tage nachdem Chandler einen Plattenvertrag unterschrieben hatte. Der im November 1961 in New York aufgenommene Song verharrte für drei Wochen auf dem ersten Platz der Pop-Charts. Innerhalb von nur vier Wochen seit Veröffentlichung überschritt der Song die Millionen-Umsatzmarke und ist Gene Chandler zufolge vier Millionen Mal verkauft worden.[4] Im selben Jahr stieg Abner zum Präsidenten des Labels auf.
Weitere Hits
Die erste weiße Gruppe für Vee-Jay waren die Four Seasons mit ihren berühmten Falsett-Stimmen. Gruppenmitglied Bob Gaudio hatte innerhalb von 15 Minuten einen Song geschrieben, den er zunächst „Jackie“ (nach Jackie Kennedy) benannte. Four-Seasons-Produzent Bob Crewe benannte den Song in Sherry um und stellte ihn Vee-Jay vor. Produziert im August 1962, wurde das Stück noch im selben Monat veröffentlicht. Am Tag nach dem Auftritt in der Fernsehsendung „The Ed Sullivan Show“ wurde der Song 180.000 Mal verkauft, blieb für fünf Wochen an Nummer eins der Pop-Charts und wurde zwei Millionen Mal umgesetzt.[5] Am 22. September 1962 wurde ihnen in der Fernsehsendung „American Bandstand“ hierfür eine Goldene Schallplatte verliehen. Aus derselben Aufnahmesession stammte auch der nächste Four Seasons-Hit Big Girls Don’t Cry / Connie-O (Vee-Jay# 465), am 20. Oktober 1962 veröffentlicht. Auch er schaffte die Nr. 1 und wurde zum weiteren Millionseller. Dritter Millionseller war Walk Like a Man, das nach seiner Veröffentlichung im Januar 1963 wieder auf den ersten Rang der Charts gelangte. Die Four Seasons haben insgesamt 175 Millionen Platten verkauft, einen Teil davon jedoch auch beim Plattenlabel Philips, zu dem sie im November 1963 gewechselt waren.
Beatles-US-Vertriebsrechte
Nachdem Capitol Records zunächst das Angebot ausschlug, die EMI-Vertriebsrechte für die USA für die Beatles zu übernehmen, sicherte sich Vee-Jay den fünfjährigen Vertrag im August 1962.[6] Die erste US-Veröffentlichung einer Beatles-Single erfolgte am 25. Februar 1963 mit Please Please Me (Vee-Jay #498), dann erschien am 27. Mai 1963 From Me To You (#522), am 22. Juli 1963 wurde die LP Introducing… The Beatles nachgelegt, die zunächst erfolglos blieb, nach dem Durchbruch der Beatles am 27. Januar 1964 erneut – mit leicht verändertem Inhalt – veröffentlicht wurde und sich dann über eine Million Mal verkaufte. Am 26. Februar 1964 brachte Vee-Jay das Album Jolly What! The Beatles & Frank Ifield on Stage auf den Markt. Es enthielt vier bereits zuvor veröffentlichte Studioaufnahmen der Beatles. Die restlichen Titel waren Liveaufnahmen von Frank Ifield. Am 1. Oktober 1964 kam die Doppel-LP The Beatles vs. The Four Seasons heraus, die kein neues Material enthielt, sondern nur eine weitere Veröffentlichung von Introducing… The Beatles und einer Kompilation der Four Seasons war. Die zunächst in den USA skeptisch betrachteten Beatles wurden auch hier zu einem enormen Erfolg. Innerhalb eines Monats wurden im März 1964 von Vee-Jay insgesamt 2,6 Millionen Beatles-Platten verkauft. Die sonst ausschließlich für den US-Vertrieb von EMI-Platten zuständigen Capitol Records waren über den unerwarteten Erfolg und ihre Fehlentscheidung nicht begeistert und verklagten am 15. Januar 1964 Vee-Jay auf Unterlassung, was Capitol jedoch Mitte Februar 1964 verlor.[7] Die Streitigkeiten eskalierten, sodass wegen dieser Rechtsunsicherheit außer bei Vee-Jay auch Beatles-Platten bei vier weiteren Labels veröffentlicht wurden. Daran beteiligte sich auch das gerade gegründete Vee Jay-Tochterlabel Tollie, auf dem am 2. März 1964 Twist and Shout (Tollie 9001) erschien. Vee-Jay wurde das Recht zugesprochen, lediglich noch bis zum 15. Oktober 1964 Beatles-Platten zu veröffentlichen. Verstrickt in viele Gerichtsverfahren und konfrontiert mit einem mächtigen Label wie Capitol Records, verzichtete Vee-Jay auf die Wahrnehmung des 5-Jahres-Vertrages.
Während eines Zeitraumes von dreieinhalb Monaten im Jahr 1964 hatten die Beatles zehn größere Hits auf sieben Singles von vier Plattenfirmen in den USA, ein Umstand, der noch nie vorgekommen war und bisher auch nicht wieder vorgekommen ist. Aus der Retrospektive kann festgestellt werden, dass der wenig planvolle und unkoordinierte Label-Wettbewerb, viel und schnell Gewinne durch Beatles-Platten abzuschöpfen, sowohl weiteren Umsatz verhinderte als auch den Beatles selbst schadete.[8]
Kooperation mit Ace Records
Im Juli 1962 trat das kleinere Label Ace Records an Vee-Jay zwecks einer Kooperation heran. Es kam zum Abschluss eines Werbe- und Vertriebsvertrags, der Ace Records eine Summe von 500.000 Dollar pro Jahr bei fünf Jahren Laufzeit garantierte. Damit konnte sich Ace vollständig auf Talentsuche und Produktion von Schallplatten konzentrieren, während Vee-Jay sein Vertriebsnetz zur Verfügung stellte. Der erste Testfall Venus in Blue Jeans mit Jimmy Clanton im August 1962 verkaufte 1,5 Millionen Exemplare, doch Vee-Jay bestritt diese Zahl und leitete geringere Verkaufserlöse weiter. Vee-Jay überwies auch nicht die Erlöse von neuen lokalen Vertriebsfirmen, während die alten Vertriebsfirmen nicht mehr zahlten, weil sie Ace schon in der Krise vermuteten. Obwohl Vee-Jay einen eigenen erfolgreichen Katalog vermarktete, konnte es wegen eigener finanzieller Schwierigkeiten den Vertrag mit Ace nicht mehr erfüllen.
Niedergang
Auch die Millionenseller konnten die sich ab 1963 abzeichnende Unternehmenskrise bei Vee-Jay nicht verhindern. Abner wurde mit anderen Vee-Jay-Angestellten im August 1963 entlassen, als die Four Seasons angeblich nicht die ihnen zustehenden Royalties erhielten und ihr Manager Bob Crewe deshalb die Plattenfirma verklagte.[9] Nicht weniger als 64 Gerichtsverfahren waren zu jener Zeit zu Lasten von Vee-Jay anhängig.
Im Oktober 1965 wird noch Little Richards I Don’t Know What You’ve Got (But It’s Got Me) (Parts I & II) (komponiert von Don Covay) veröffentlicht, bleibt jedoch ohne größere Resonanz in der Hitparade. Weitere Singles aus dem Vee-Jay-Katalog sind ebenfalls erfolglos, und mit Katalognummer 715 erscheint als letzte Platte erneut For Your Precious Love / Give It Up von Jerry Butler. Die Four Seasons hatten das Label bereits im November 1963 verlassen.
Im Dezember 1965 versuchte man, den eingetretenen Liquditätsengpass durch Verkauf der lukrativen Vee-Jay-Musikverlage Conrad Publishing, Tollie Music und Gladstone Music an Arc Music zu beseitigen. Es half nichts mehr, denn im Mai 1966 musste Vee-Jay Konkursantrag stellen. Die übrig gebliebenen Vermögensteile wurden im Jahre 1967 versteigert.
Statistik
Vee-Jay war die erste größere unabhängige, von Schwarzen geführte Plattenfirma und die erfolgreichste Firma dieser Art vor der Gründung von Motown Records. Mit über 700 Singles und über 160 Alben in fast allen Musikgenres vertreten, galt die Firma als unterkapitalisiert und besaß nicht die finanziellen Mittel, um Platten zügig zu pressen und zu vermarkten – die typische Schwäche unabhängiger Labels in den USA. Sicherlich hat die Krise bei Vee-Jay auch den Anschlusskonkurs von Ace Records mindestens verschärft, wenn nicht sogar verursacht.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Anmerkung: Die Jackson Five mit Michael Jackson und Geschwistern aus Gary wurden erst ab 1968 berühmt.
- ↑ Anmerkung: Ain’t That Lovin’ You Baby von Elvis Presley, Honest I Do von den Rolling Stones, Bright Lights, Big City von den Animals
- ↑ Anmerkung: Dee Clarks Raindrops vom Mai 1961 blieb knapp unter einer Million Umsatz
- ↑ Interview von Gary James mit Gene Chandler auf Classicbands.
- ↑ Pat Browne: The Guide to United States Popular Culture. 2001, S. 296.
- ↑ Anmerkung: Das EMI-Aufnahmedatum der Beatles für Love Me Do war erst für den 4. September 1962 geplant; erst am 5. Oktober 1962 erschien die Platte auf dem britischen Markt.
- ↑ Goldmine-Magazine: The Vee-Jay Story, Mai 1981.
- ↑ William Emmett Studwell und David F. Lonergan: The Classic Rock and Roll Reader. 1999, S. 68.
- ↑ Calvin Carter: „Vee Jay geriet nur wegen des Plattenvertrages mit den Four Seasons in finanzielle Schwierigkeiten. Sie erhielten 16 Cents pro verkaufter Platte, was einem Verlust von zwei Cents pro Platte entsprach (normalerweise lagen Royalties bei 14 Cents). Mit drei Millionensellern hintereinander haben wir durch die Four Seasons Verlust gemacht“; Interview mit Calvin Carter im Goldmine-Magazine, Mike Callahan: The Vee-Jay Story. Mai 1981, S. 171ff.
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