Wintringen

Wintringen
Wintringer Kapelle (Ostansicht)
Wintringer Kapelle (Westansicht)

Wintringen war ein ehemaliges Dorf im südöstlichen Saarland.

Inhaltsverzeichnis

Entstehungsgeschichte

Grundriss der Wintringer Kapelle mit diversen Ausbaustufen

Das ehemalige Dorf liegt etwa 10 km südöstlich von Saarbrücken entfernt zwischen den Ortschaften Bliesransbach und Kleinblittersdorf unmittelbar an der Grenze zu Frankreich. Wintringen gilt als Pforte zum UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau. Erstmals erwähnt wurde der Ort um 1320 in Urkunden der Prämonstratenserabtei Wadgassen, zu deren Besitztümern er wohl gehörte. Der Ort war nachweislich bereits vor dem Jahr 1400 eine Wüstung. Kernpunkt des untergegangenen Ortes war eine gotische Prioratskirche, deren Chor in Fragmenten erhalten blieb. Ebenerdig sind noch die Grundmauern der ehemaligen Kirche erkennbar, so dass deren Grundriss auch heute noch sichtbar ist. Der ehemalige Sakralbau ist heute als "Wintringer Kapelle" bekannt. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde der Chor zu einer Wallfahrtskapelle umgebaut, die dem Heiligen Wolfgang gewidmet war, im 10. Jahrhundert Bischof von Regensburg ("Wolfgangskapelle"). Die Kapelle wurde im Dreißigjähriger Krieg zerstört, erhalten blieben lediglich die Grundmauern des dreiseitig geschlossenen Chors und ein Teil des gewölbelosen Querhauses. Danach wurde der ehemalige Sakralbau der Profanierung unterworfen. In der Folgezeit verfielen die Reste der Kapelle immer mehr.

Innenausstattung der Kapelle

Das heutige Baugefüge weist noch viele Spuren der qualitätsvollen Architektur und reichen Ausstattung des 15. Jahrhunderts auf. Dazu zählen beispielsweise die in der Apsis vorhandenen Sakramentnischen, Figurenkonsolen oder ein an der Wand angebrachtes Kalksteinrelief, das vermutlich in das 16. Jahrhundert datiert. Zur ursprünglichen Ausstattung gehörte auch eine spätgotische Holzskulptur, die "Wintringer Madonna". Bei der Figur handelt es sich um eine aus Lindenholz geschnitzte Madonna mit Kind, die zu den wenigen erhaltenen spätgotischen Holzskulpturen in der Saargegend gehört. Sie entstand um das Jahr 1480. Das Original wird im Museum in der Schlosskirche in Saarbrücken ausgestellt, in der Kapelle selbst befindet sich ein künstlerisch gestalteter Gispsabdruck des Modellierers Frank Schneider[1]. Von besonderer Bedeutung ist der wohl einzigartige Zyklus von acht spätgotischen Wasserschlagfiguren an den Strebepfeilern.

Wallfahrtsstätte und Jakobsweg

Die Wintringer Kapelle war über Jahrhunderte hin eine Wallfahrtsstätte, in der der Heilige Wolfgang verehrt wurde. Archäologische Ausgrabungen förderten entsprechende Belege zu Tage (u.a. Pilgerabzeichen aus Kornelimünster). Weiterhin wurden in einem abgetrennten Raum des nördlichen Kirchenschiffs ein Kachelofen aus dem 15. Jahrhundert sowie spätgotische Gebrauchskeramik gefunden. Beides deutet auf das Vorhandensein einer Pilgerstube mit Küche zur Versorgung der Teilnehmer von Wallfahrten hin.
Die Wintringer Kapelle war eine "offizielle" Station auf dem traditionellen Jakobsweg, dessen klassische Südroute vom ehemaligen Kloster Hornbach über Saarbrücken und die französische Nachbarstadt Sarreguemines hin zur lothringischen Metropole Metz führte. Dies belegt die Darstellung der klassischen Jakobsmuschel in einem Kalksteinrelief im Innenraum der Kpelle. In jüngster Zeit wurde die traditionelle Jakobspilgerschaft von Touristikern und kirchlichen Institutionen wieder belebt; eine deutsch-französische Arbeitsgruppe hat im Jahr 2009 eine neue Wanderkarte erarbeitet, die die einzelnen Wegeachsen detailliert beschreibt und die Nachtherbergen auflistet[2]. Auch der Wintringer Hof ist als Nachtherberge für Pilger auf dem Jakobsweg ausgewiesen.

Neuere Nutzung

In den 1990er Jahren wurde auf Anregung des Saarbrücker Designers, Verlegers und Autors Charly Lehnert eine Restaurierung der Kapelle angegangen, die von einem von Lehnert gegründeten "Förderverein Wintringer Kapelle e.V." nachhaltig unterstützt wurde. Die Arbeiten kosteten insgesamt etwa 1 Mio DM; sie wurden von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, dem Saarland, dem Stadtverband Saarbrücken (heute "Regionalverband Saarbrücken") und dem Förderverein getragen. Nach den Restaurierungsarbeiten übernahm der Regionalverband Saarbrücken die Trägerschaft und die Bewirtschaftung der restaurierten Kapelle. Das neue Nutzungskonzept des Verbandes versteht die Wintringer Kapelle als einen Ort der Kultur, an dem Lesungen, Kunstausstellungen, Vorträge und andere kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Auch als Ort für Trauungen wird der ehemalige Sakralbau genutzt.
2002 erhielt der "Förderverein Wintringer Kapelle e.V." den 3. Preis im Wettbewerb "Deutscher Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege".

Auf dem Gelände der Wüstung befindet sich ein schmuckes, gutshofähnliches Anwesen aus der Zeit um die Jahrhundertwende (19./20. Jahrhundert), das zeitweise Sitz eines Kommunikationsunternehmens und Verlags war und heute nach einer umfassenden Renovierung als Privathaus genutzt wird.

Landwirtschaftlicher Hofbetrieb

Im 19. Jahrhundert erfuhr die Wüstung noch einmal eine wirtschaftliche Bedeutung, als dort ein landwirtschaftlicher Hof errichtet wurde. Ende der 1980er Jahre wurde der Hof von der Lebenshilfe Obere Saar e.V. übernommen und durch den Neubau von Wirtschaftsgebäuden ergänzt. Der Hof bewirtschaftet ca. 50 ha Acker- und 60 ha Grünland. Kern der Viehwirtschaft ist die Haltung einer Mutterkuhherde von Glanrindern, einer vom Aussterben bedrohten alten deutschen Nutztierrasse. Der "Wintringer Hof" gehört dem Anbauverband "Bioland" an und produziert ökologisch erzeugte Produkte. Im Angebot sind Naturkost- und Milchprodukte, ebenso Wurst- und Fleischwaren aus eigener Schlachtung. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Anbau von Apfelsorten. Inzwischen wurden auch Weinreben an einem Hang, der schon in früheren Jahrhunderten als Weinberg genutzt wurde, neu angepflanzt. Der Bliesgau wurde bereits zu Zeiten der Römer in etlichen Bereichen als Weinanbaugebiet genutzt.

Einzelnachweise

  1. Trepesch, Christof: Die Madonna vom Wintringer Hof. In: Saarheimat. Jg.1994, Heft 3/4, S. 13-18
  2. Wanderführer Jakobswege Hornbach - Metz

Literatur

  • Volkelt, Peter: Wasserschlagfiguren im Saarland. Saarbrücken: Univ. d. Saarlandes, 1955 (Annales Universitatis Saraviensis)
  • Spieß, Heinz: Geschichte des Hof und der gotischen Kapelle zu Wintringen. St. Ingbert, 1971.
  • Lehnert, Charly: Wintringen - Wiederbelebung einer Wüstung an der oberen Saar. Hrsg.: Förderverein Wintringer Kapelle e.V. Saarbrücken: Lehnert-Verl., 1992. 71 S., Ill. ISBN 3-926320-33-8
  • Lehnert, Charly: Die Sanierung der Wintringer Kapelle. In: EuroSAAR-Magazin, Jg. 2002/4
  • Lupp, Peter Michael u. Emanuel Roth: Die Wintringer Kapelle bei Kleinblittersdorf. Historischer Überblick in deutsch, französisch und englisch ; Kulturdenkmal-Führer im Anhang. Saarbrücken: Stadtverband, 2003. 43 S., Ill. ISBN 3-923405-23-5
  • Beckert, Ulrike: Flötentöne und Hühnergegacker. Die sanierte Wintringer Kapelle. In: Saarbrücker Zeitung (Kultur) vom 7. November 2003
  • Beckert, Ulrike: Die Kapelle in der Kirche. In: Saarbrücker Zeitung (Kultur) vom 5. Dezember 22003
  • Lehnert, Charly: Die Wintringer Kapelle". In: EuroSAAR-Magazin, Jg. 2004/1
  • Lehnert, Charly: Ein neuer Kultur-Ort - die Wintringer Kapelle. In: Magazin "Feine Adressen", Jg. 2004/4
  • Lupp, Peter Michael: Stationen des Lebens - Kulturort Wintringer Kapelle. Ill.: Andreas Kuhnlein. Saarbrücken: Regionalverband Saarbrücken, 2010. 63 S., zahlr. Ill. ISBN 978-3-923405-36-7

Visuelle Medien

  • Die Restaurierung der Wintringer Kapelle. TV-Bericht (Erstsendung: "Aktueller Bericht" des Saarländischen Rundfunks vom 5. November 2003)

Weblinks

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