Deutsche Verbundgesellschaft

Deutsche Verbundgesellschaft

Die DVG Deutsche Verbundgesellschaft e. V. (Kurzform DVG) mit Sitz in Heidelberg war der Zusammenschluss von neun großen Elektrizitätsversorgungsunternehmen in Deutschland. Die DVG bestand von 1948 bis 2001; sie ging im Verband der Netzbetreiber (VDN) auf.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die DVG Deutsche Verbundgesellschaft wurde 1948 auf Initiative der Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG (RWE) von den sieben größten westdeutschen Energie- bzw. Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten folgende Stromversorger: Badenwerk AG (Badenwerk), Bayernwerk AG (Bayernwerk), Energie-Versorgung Schwaben AG (EVS), Hamburgische Electricitäts-Werke AG (HEW), Preußische Elektrizitäts AG (Preußenelektra), RWE und Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW). Im Jahr 1949 wurden zudem noch die Berliner Kraft- und Licht-AG (BEWAG) und die Elektrowerke AG (EWAG) aufgenommen; fortan bestand die DVG aus den neun größten (west)deutschen Energieversorgungsunternehmen.[1]

Die DVG wurde in der Rechtsform eines Eingetragenen Vereins geführt.[2] Sie sollte Planung und Betrieb der jeweiligen Hochspannungsnetze für Elektrizität koordinieren, ein bereits in den 1930er-Jahren vom RWE vorgeschlagenes 400/380-kV-Netz (bislang 220 kV) errichten und damit für ganz Westdeutschland ein leistungsfähiges Verbundnetz aufbauen.[3]

Die wesentliche Tätigkeit der DVG lag dann auch in der Beratung über den Betrieb eines Höchstspannungsnetzes sowie über den nationalen und schließlich auch internationalen Verbundbetrieb der Stromversorgung, also die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Übertragungsnetzbetreibern.[2] Zu den weiteren Tätigkeiten der DVG gehörten unter anderem Festlegungen zur Regelung des Stromnetzes und zu darauf abgestimmten Betriebsweisen der Elektrizitätswerke. Außerdem betrieb die DVG Forschung auf diesen Gebieten und legte Normen für Bau und Betrieb von Hochspannungsleitungen fest. So stellte die DVG zum Beispiel im November 2000 den Gridcode 2000 vor, mit dem die technischen Netzzugangsbedingungen für das Stromverbundnetz aktualisiert und an die neue Strom-Verbändevereinbarung (VV II) angepasst wurden.[4][5]

Bis zum Jahresende 2001 wurde die Verbundebene der deutschen Elektrizitätswirtschaft durch die DVG vertreten, während die der Regionalversorger durch die Arbeitsgemeinschaft Regionaler Energierversorger (ARE) und die der kommunalen Unternehmen durch den Verband kommunaler Unternehmen (VKU) vertreten wurden. Als zentraler Dachverband aller drei Organisationsstufen fungierte ab 1950 die Vereinigung deutscher Elektrizitätswerke (VDEW).[6]

Die DVG war im nationalen und später auch im internationalen Rahmen tätig und arbeitete unter anderem zusammen mit der Union for the Co-ordination of Transmission of Electricity (UCPTE), der Union Internationale des Producteurs et Distributeurs d’Energie Electrique (UNIPEDE) und dem Elektrizitätskomitee bei der Economic Commission for Europe der Vereinten Nationen (UN/ECE).

Die DVG stellte zum Ende des Jahres 2001 ihre Aktivitäten ein und ging im Verband der Netzbetreiber (VDN) auf. Als Erster Vorsitzender der Deutschen Verbundgesellschaft amtierte zuletzt, von 1995 bis zur Auflösung, der deutsche Elektroingenieur und Energiemanager Ernst Hagenmeyer.

Das Aktengut der DVG, das den Zeitraum von 1948 bis 2002 umfasst und einen Umfang von rund 2.900 Einzelakten hat, wird im Historischen Konzernarchiv der RWE AG archiviert.[2]

Positionen und Kritik

Innerhalb der VDEW verfügte die DVG über eine „besondere Machtposition“, da ihre Mitgliedsunternehmen für den Großteil der nationalen Elektrizitätsversorgung verantwortlich waren. So wurde die DVG bereits in den 1970er-Jahren als „Kartell der großen EVU“ beschrieben, „das beim Angebot von elektrischer Energie marktbeherrschend ist“.[6][7]

Die Branchen- und Marktstrukturen der westdeutschen Elektrizitätswirtschaft entwickelten sich bis in die 1990er-Jahre dahingehend, dass die in der DVG zusammengeschlossenen Verbundunternehmen weiter als Oligopol den Elektrizitätsmarkt in Westdeutschland beherrschten. Auf der obersten Marktstufe agierten die neun Verbundgesellschaften, die Großkraftwerke und das integrierte Hochspannungsnetz (220/380 kV) betrieben (DVG 1991[8]). Die Markttransaktionen der DVG-Mitglieder wurden vom „Ausschluss des direkten Wettbewerbs“ bestimmt.[9]

Nach Inkrafttreten der 4. Kartellrechtsnovelle 1980 stellte sich für viele Gemeinden in Deutschland die Frage, ob die Energieversorgung in eigene Regie übernommen oder an ein „fremdes“ Unternehmen übertragen werden sollte. Ausgehend von einer juristischen Diskussion um die Auslegung des Art. 28 Abs. 2 GG in Bezug auf die Energieversorgung kam es in den 1980er-Jahren zu einer heftig geführten Kommunalisierungsdebatte, bei der die DVG gegen die Position der Kommunen Front machte und Stellung bezog gegen eine „strategische Kommunalisierung“. Gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft regionaler Energieversorgungs-Unternehmen (ARE) kritisierte die DVG vor allem die gemeindlichen Wegerechte, die den „wesentlichen Hebel zur Schaffung kommunaler Versorgungsstrukturen darstellen“, als „grob wettbewerbsverzerrenden Faktor“.[10]

Bei der 1998 erfolgten Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, das in Umsetzung der EG-Richtlinie zum Energiebinnenmarkt vor allem der Liberalisierung des Elektrizitätsmarkts dienen sollte, entschied Deutschland sich im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union für das „Modell des verhandelten Netzzugangs“. Frei von einer staatlichen Aufsicht, sollten sich die Netzbetreiber- und Erzeugerverbände auf Regelungen zur neu geschaffenen „Durchleitungsmöglichkeit“ und vor allem die Höhe der Nutzungsgebühr einigen. Nach der ersten Strom-Verbändevereinbarung (VV I) von 1998 wurde die „Durchleitung“ als Problem erkannt und ein erweiterter Kreis von Akteuren, zu dem auch die DVG gehörte, einigte sich Ende 1999 in der zweiten Verbändevereinbarung (VV II) auf eine wesentliche Vereinfachung des „Durchleitungsverfahrens“. Trotz der erheblichen Verbesserung durch die VV II gab es in der Folge „zahlreiche Fälle von Wechselbe- und -verhinderungen seitens der etablierten Versorger“ und es kam zu erheblicher Kritik von Öffentlichkeit, Politik und Verbraucher- und Umweltschutzverbänden an den Akteuren und deren „wettbewerbsfeindlichen Praktiken“.[11]

Die DVG galt als „besonders relevant[er]“ Absatzmittler zur „Förderung des Handelsvolumens“ im Strombereich, da sie häufig Fachbeiträge zu Veränderungen hinsichtlich der Netznutzungsverfahren publizierte und als einzige Institution in Deutschland zentral über Daten zum physischen Stromhandelsvolumen verfügte.[12]

Publikationen (Auswahl)

  • DVG (Hrsg.): Der Verbundbetrieb in der deutschen Stromversorgung. Deutsche Verbundgesellschaft, Heidelberg 1953.
  • DVG (Hrsg.): Die Planung des 380 kV-Netzes in der deutschen Verbundgesellschaft. Deutsche Verbundgesellschaft, Heidelberg 1957.
  • DVG (Hrsg.): Entwicklung des Verbundbetriebes in der deutschen Stromversorgung. 10 Jahre 1948–1958. Deutsche Verbundgesellschaft, Heidelberg 1958.
  • DVG (Hrsg.): Daten aus der Verbundwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Deutsche Verbundgesellschaft, Heidelberg 1991.
  • Artur Schnug, Lutz Fleischer (Verf.); DVG (Hrsg.): Bausteine für Stromeuropa. Eine Chronik des elektrischen Verbunds in Deutschland. 50 Jahre Deutsche Verbundgesellschaft. Deutsche Verbundgesellschaft, Heidelberg 1998.

Literatur

  • Georg Boll: Geschichte des Verbundbetriebes. Entstehung und Entwicklung des Verbundbetriebes in der deutschen Elektrizitätswirtschaft bis zum europäischen Verbund. Ein Rückblick zum 20-jährigen Bestehen der Deutschen Verbundgesellschaft e. V. – DVG – Heidelberg. VWEW Energieverlag, Frankfurt am Main 1969.
  • Edgar Lehrmann: Informationsmanagement im Handel Strom. Eine ökonomische Analyse des Informationseinsatzes aus Sicht deutscher Verbundunternehmen. Mensch-und-Buch Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-89820-459-6 (zugleich Dissertation, Universität Essen 2001; online, PDF-Datei).
  • Theo Horstmann, Klaus Kleinekorte (Hrsg.): Strom für Europa. 75 Jahre RWE-Hauptschaltleitung Brauweiler 1928–2003. Power for Europe. Klartext, Essen 2003, ISBN 3-89861-255-4 (deutsch, englisch).
  • André Suck: Erneuerbare Energien und Wettbewerb in der Elektrizitätswirtschaft. Staatliche Regulierung im Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15826-6. (zugleich Dissertation, FernUniversität in Hagen 2006; online bei Google Bücher).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Daniel Wolter, Egon Reuter: Preis- und Handelskonzepte in der Stromwirtschaft. Von den Anfängen der Elektrizitätswirtschaft zur Einrichtung einer Strombörse. Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden 2005, ISBN 3-8244-0765-5, S. 189 (online bei Google Bücher).
  2. a b c Beständeübersicht. DVG Deutsche Verbundgesellschaft e. V.. Auf: Archive in NRW; abgerufen am 2. Mai 2011.
  3. Chronik 1946–1958. Zwischen Wiederaufbau und internationaler Verbundwirtschaft → 1948. In: RWE Geschichte auf der Website des RWE-Konzerns; abgerufen am 4. Mai 2011.
  4. Mirka Senke: Deutsche Verbundgesellschaft e. V. (DVG). Grid-Code 2000 vorgestellt. In: Zeitschrift EWeRK, 14. November 2000; abgerufen am 2. Mai 2011.
  5. Gridcode 2000. Netz- und Systemregeln der deutschen Übertragungsnetzbetreiber. Hrsg.: DVG Deutsche Verbundgesellschaft e. V., Heidelberg, 20. April 2000; PDF-Datei, abgerufen am 2. Mai 2011.
  6. a b André Suck: Erneuerbare Energien und Wettbewerb in der Elektrizitätswirtschaft. Staatliche Regulierung im Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15826-6, S. 87 (zugleich Dissertation, FernUniversität in Hagen 2006; online bei Google Bücher).
  7. Helmut Gröner: Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1975, ISBN 3-7890-0126-0, S. 229–230 (Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik, Bd. 41; zugleich Habilitation, Universität Bonn 1975)
  8. DVG (Hrsg.): Daten aus der Verbundwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Deutsche Verbundgesellschaft, Heidelberg 1991.
  9. Martin Richter: Zwischen Konzernen und Kommunen: Die Strom- und Gaswirtschaft. In: Roland Czada, Gerhard Lehmbruch (Hrsg.): Transformationspfade in Ostdeutschland. Beiträge zur sektoralen Vereinigungspolitik. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-593-35868-9, S. 113–141 (Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln, Bd. 32; online bei Google Bücher).
  10. Felix Christian Matthes: Stromwirtschaft und deutsche Einheit. Eine Fallstudie zur Transformation der Elektrizitätswirtschaft in Ost-Deutschland. BoD, Norderstedt 2000, ISBN 3-89811-806-1, S. 159–176 (Edition Energie + Umwelt, Bd. 1; zugleich Dissertation, Freie Universität Berlin 1999; online bei Google Bücher).
  11. Eike Arnold: Der deutsche Elektrizitätssektor im Liberalisierungsprozess. Analyse und Handlungsempfehlungen für einen liberalisierten Markt vor dem Hintergrund des Vorwurfes des eingeschränkten Wettbewerbs. GRIN Verlag, München 2011, ISBN 978-3-640-87094-3, S. 17–28 (zugleich Magisterarbeit, Universität Potsdam 2007; online bei Google Bücher).
  12. Edgar Lehrmann: Informationsmanagement im Handel Strom. Eine ökonomische Analyse des Informationseinsatzes aus Sicht deutscher Verbundunternehmen. Mensch-und-Buch Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-89820-459-6 (zugleich Dissertation, Universität Essen 2001; online, PDF-Datei, S. 277, 315 ff).

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