Edvard Hagerup Grieg

Edvard Hagerup Grieg
Portrait, gemalt von Eilif Peterssen (1891)

Edvard Hagerup Grieg (* 15. Juni 1843 in Bergen, Norwegen; † 4. September 1907 ebd.) war ein norwegischer Komponist der Romantik.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Kindheit und Jugend

Edvard wurde im Jahre 1843 als viertes von fünf Kindern im westnorwegischen Bergen geboren. Sein Vater Alexander war ein wohlhabender Kaufmann und britischer Konsul in Bergen. Er führte den von seinem aus Schottland eingewanderten Großvater 1779 gegründeten Fischhandel fort. Seine Mutter Gesine (geb. Hagerup) wurde als junges Mädchen von ihren Eltern zur Ausbildung zu Albert Methfessel nach dem damals dänischen Altona geschickt. Sie trat in Bergen mit Erfolg als Pianistin und Dichterin auf und zählte zu den angesehensten Klavierlehrern der Stadt. Sie veranstaltete in ihrem Haus allwöchentliche Musizierkreise, bei denen neben Instrumentalwerken auch Teile aus Opern aufgeführt wurden. In seiner 1903 erschienenen, in ihrer Aussagekraft allerdings umstrittenen, autobiographischen Skizze Mein erster Erfolg, misst Grieg den Eindrücken, die er in dem lebhaften Handels- und Kulturzentrum sammelte, eine entscheidende Bedeutung für seine musikalische Inspiration zu:

„So z. B. vermochte ich, wenn mir als kleinem Jungen erlaubt war, zu einem Begräbnis zu gehen oder einer Auktion beizuwohnen, ganz genau zu berichten, welchen Eindruck der Vorgang auf mich gemacht hatte. Wenn man mir untersagt hätte, diesen kindlichen Instinkten nachzugehen, wer weiß, ob meine Phantasie nicht unterdrückt und in eine andere Richtung getrieben worden wäre, die meiner wahren Natur fremd war.“ [1]

Ab dem sechsten Lebensjahr erhielt er von der Mutter regelmäßigen Klavierunterricht. Mit neun Jahren begann er erste eigene Kompositionen zu entwerfen. Aus seiner Jugendzeit sind viele Klavierstücke erhalten, die später teilweise in der Gesamtausgabe veröffentlicht worden sind.

Seine Schulzeit verlief eher ungünstig. Nach der Grundschule absolvierte er die Tanksche Schule, eine an Neuen Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaften ausgerichtete Realschule, welche dem künstlerisch-musikalisch veranlagten Edvard weniger entgegen kam.[2] Seinem Interesse an Musik und Komposition begegneten die Lehrer teilweise mit Spott und Zynismus. Grieg im Jahre 1903 zu seiner Schulzeit:

„Seine Rauheit, seine Kälte, sein Materialismus – alles das war für meine Natur so abschreckend.“[3]

Aufgrund dessen musste er die dritte Klasse wiederholen. Es ist behauptet worden, dass die negativen Erlebnisse Griegs während seiner Schulzeit auf seinen Umgang mit den Lehrern am Konservatorium weiterwirkte. Dieser Meinung stehen Untersuchungen entgegen, die den Lehrern wohlwollende Anerkennung ihres begabten Schülers bescheinigen.[4]

Der Besuch und die positive Beurteilung der musikalischen Anlagen des Jungen durch Ole Bull, den bekannten Geiger und Vorkämpfer einer eigenen norwegischen Musik und Kultur, im Jahr 1858 führten schließlich zu Griegs Besuch des Leipziger Konservatoriums.

Ausbildung in Leipzig

Von 1858 bis 1862 studierte er Musik am Konservatorium Leipzig bei Carl Reinecke, Louis Plaidy, Ernst Ferdinand Wenzel und Ignaz Moscheles. 1862 kehrte er nach Bergen zurück.

Nach der Ausbildung

Griegs Wohnhaus in Troldhaugen bei Bergen

Ein Jahr später siedelte er nach Kopenhagen über. Entscheidende musikalische Impulse vermittelte ihm dort die Begegnung mit dem früh verstorbenen Rikard Nordraak. 1864 gründete er zusammen mit Hans Christian Andersen und anderen Musikern in Kopenhagen die Konzertgesellschaft zur Pflege neuer skandinavischer Musik. 1866 zog er nach Christiania (Oslo), wo er 1867 seine Cousine Nina Hagerup heiratete. 1869/70 hielt er sich als Stipendiat in Rom auf, wo er Franz Liszt begegnete. Ab 1874 lebte er mit Staatssold als freischaffender Komponist teils in Bergen, teils in Oslo, teils in Lofthus am Sørfjord, einem Ausläufer des Hardangerfjordes. Im Herbst 1875 starben kurz hintereinander seine beiden Eltern – ein Schicksalsschlag, den Grieg kompositorisch in der Ballade g-Moll op. 24 für Klavier verarbeitete.

Er unternahm Reisen durch ganz Europa als Pianist und Dirigent. Von 1880 bis 1882 war er Dirigent des Orchesters der Musikgesellschaft „Harmonie“ in Bergen. 1884 bezog Grieg das Haus mit Namen Troldhaugen im Weiler Hop südlich von Bergen, in dem sich heute das Grieg-Museum befindet. Edvard Grieg starb am 4. September 1907 in Bergen an einer Lungenkrankheit.

Berühmte Weggenossen

Edvard Grieg und seine Frau Nina waren mit Peter Tschaikowsky bekannt, dem in der westlichen Welt berühmtesten russischen Komponisten seiner Zeit. Obwohl sich dessen Stil nicht ohne weiteres mit dem von Grieg vergleichen ließ, empfanden Rezensenten eine Art „musikalischer Seelenverwandtschaft“ zwischen beiden. In Frankreich sprach man gar von einer russischen und einer norwegischen Dominanz in der klassischen Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Auf seinen vielen Reisen in Europa traf Grieg unter anderem Johannes Brahms, Max Bruch, Clara Schumann und Franz Liszt. Obwohl Johannes Brahms und Peter Tschaikowsky die Musik des jeweils anderen nicht sonderlich schätzten, konnte Grieg zu beiden ein aufrichtiges Verhältnis aufbauen und pflegen.

Gegen Ende seines Lebens setzte sich Grieg vermehrt mit zeitgenössischer Musik auseinander. Er pries die Lieder Hugo Wolfs, studierte die 5. Symphonie von Gustav Mahler und kommentierte die Werke von Max Reger, Richard Strauss und Carl Nielsen.[5]

Geradezu verehrt wurde Grieg von dem deutschstämmigen englischen Komponisten Frederick Delius, der besonders zu Beginn seiner Komponistenkarriere immer wieder den Rat seines norwegischen Seniorkollegen suchte.[6]

Werk und Rezeption

Ein nicht zweifelsfrei belegtes, aber immer wieder herangezogenes Zitat von Edvard Grieg lautet:

„Meine Musik wird zweifellos in hundert Jahren in Vergessenheit geraten sein; und doch meine ich, ich habe meine Zeit nicht für eine Musik verschwendet, die Millionen von Menschen in allen aufgeklärten Ländern erfreut hat. ...“

Ähnlich wie das Mächtige Häuflein in Russland mit Mussorgski an der Spitze verschmolz Grieg Elemente der Volksmusik seiner Heimat – wie leere Quinten, scharf betonte Tanzrhythmen, das Schwanken zwischen modalen und Dur-Molltonarten – mit satztechnischen Errungenschaften der Spätromantik. Seine Harmonik weist teilweise auf den Impressionismus voraus und ist in einigen Kompositionen wie etwa Klokkeklang (Glockenklang, aus dem Zyklus der Lyrischen Stücke op. 54) von einzigartiger Radikalität. Er gilt vor allem im Ausland als der norwegische Komponist schlechthin (was gegenüber seinem Kollegen Johan Svendsen ein wenig ungerecht ist).

Griegs größte Bedeutung liegt in der Klavier- und Kammermusik; seine Lyrischen Stücke waren und sind in der Hausmusik weit verbreitet. Von seinen Orchesterwerken erfreuen sich die beiden Peer-Gynt-Suiten, die Holberg-Suite und das Klavierkonzert bis heute außerordentlicher Beliebtheit.

Herausragend ist sein Streichquartett op. 27, welches in der Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart als eine der bemerkenswertesten Kompositionen der Kammermusik im 19. Jahrhundert gewertet wird.[7]

Daneben schrieb Grieg auch wertvolle, jedoch unbekanntere Chor- und Liedliteratur. Als Höhepunkt der Letzteren gilt gemeinhin sein Zyklus „Haugtussa“ nach Arne Garborg, der die Jugendzeit und erste Liebe eines Mädchens thematisiert, das über das „zweite Gesicht“ verfügt und mit der Geisterwelt der Berge in Verbindung steht.

Wenig bekannt ist, dass der dänische Komponist Niels Wilhelm Gade Anreger einiger früher Werke Griegs war. U. a. entstand Griegs erste Symphonie nach Aufforderung Gades, als die beiden in Kopenhagen zusammentrafen. Grieg war allerdings nie, wie oftmals kolportiert, Gades Schüler.

Das Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 16 wurde in einer Liveversion vom Kadetten Sven Erik Libaek mit Arthur Fiedler und dem Boston Pops Orchestra im Hafen von Portsmouth, New Hampshire, im Cinemiracle-Film „Windjammer“ (1958) aufgeführt.

Der Einfluss Griegs in den Werken der nachfolgenden Komponistengeneration zeigt sich auf vielfältige Weise. Schon zu seinen Lebzeiten verrieten einzelne Kompositionen des Schweden Emil Sjögren und des Ungarn Árpád Doppler Griegs Popularität, die auch seinem Verleger Max Abraham auffiel. Die frühe Klaviermusik Ernö Dohnányis (in eingedeutscher Schreibweise Ernst von Dohnanyi), den Grieg als Interpreten auch seiner eigenen Werke schätzte, weist neben vielen brahmsschen auch griegsche Züge auf. Ganz deutlich wird Griegs Nachwirkung in den Streichquartetten von Claude Debussy und Carl Nielsen, deren eines Grieg gewidmet ist. Selbst sein nachmaliger Kontrahent Niels Wilhelm Gade gab seinem letzten Streichquartett eine kleine Reminiszenz an den norwegischen Kollegen bei. Unter den vielen anderen, die sich in ihrer Kompositionstätigkeit ausdrücklich oder in der Musik verschlüsselt auf Grieg beriefen, findet man neben Frederick Delius auch Maurice Ravel, Dmitrij Schostakowitsch, Sigfrid Karg-Elert und Béla Bartók.

Werke (Auswahl)

Edvard Grieg - Morgenstimmung.ogg
Morgenstimmung
  • Dramatische Musik
    • Sigurd Jorsalfar, Schauspielmusik op. 22 nach dem gleichnamigen Drama von Bjørnstjerne Bjørnson
    • Peer Gynt, Schauspielmusik op. 23 nach dem gleichnamigen Drama von Henrik Ibsen, daraus:
      • Suite Nr. 1, op. 46 (Morgenstimmung, Åses Tod, Anitras Tanz, In der Halle des Bergkönigs)
      • Suite Nr. 2, op. 55 (Der Brautraub, Arabischer Tanz, Peer Gynts Heimkehr, Solvejgs Lied)
  • Opernfragment Olav Trygvason op. 50
  • Orchestermusik
  • Klaviermusik
    • Humoresken op. 6
    • Sonate für Klavier e-Moll op. 7
    • Ballade für Klavier g-Moll op. 24
    • Volksmusikbearbeitungen op. 29 (Improvisationen), op. 66 (Norwegische Volksweisen) und op. 72 (Bauerntänze Slåtter)
    • Lyrische Stücke für Klavier, mehrere Alben, entstanden in unterschiedlichen Schaffensperioden
    • Suite Aus Holbergs Zeit op. 40, später arrangiert für Streichorchester
  • Kammermusik
    • Sonate Nr. 1 für Violine und Klavier F-Dur op. 8 (1865)
    • Sonate Nr. 2 für Violine und Klavier G-Dur op. 13 (1867)
    • Streichquartett g-Moll op. 27 (1877–78)
    • Klaviertrio A-Dur (?), unvollendet (1878)
    • Sonate für Violoncello und Klavier a-Moll op. 36 (1882–83)
    • Sonate Nr. 3 für Violine und Klavier c-Moll op. 45 (1886)
    • Streichquartett F-Dur, unvollendet (1891)
    • Klavierquintett B-Dur, unvollendet (Jahr ?)
  • Lieder auf Texte von Heinrich Heine, Johann Wolfgang von Goethe, Henrik Ibsen u. a. op. 4 und op. 48
  • Liederzyklus Haugtussa nach Arne Garborg op. 67

Forschung

1995 wurde die Edvard-Grieg-Forschungsstelle an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gegründet. Sitz der Einrichtung ist seit 2007 die Universität der Künste Berlin. [8] 1995 wurde unter Mitwirkung von Joachim Dorfmüller die Deutsche Edvard Grieg-Gesellschaft e. V. mit Sitz in Wuppertal gegründet.

Literatur

Deutsch:

  • Finn Benestad und Dag Schjelderup-Ebbe: Edvard Grieg – Mensch und Künstler. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig, 1993, ISBN 3-370-00291-4
  • Finn Benestad und Hella Brock: Edvard Grieg – Briefwechsel mit dem Musikverlag C. F. Peters (1863–1907). Frankfurt/Main, 1997, ISBN 3-87626-010-8
  • Ulrich Tadday (Hrsg.): Reihe Musik-Konzepte – Edvard Grieg. Edition Text und Kritik, München, 2005, ISBN 3-88377-783-8
  • Hanspeter Krellmann: Edvard Grieg. Rowohlt, 1999, ISBN 3-499-50430-8
  • Hanspeter Krellmann: Griegs Lyrische Klavierstücke - Ein musikalischer Werkführer. Verlag C.H. Beck, München, 2008, ISBN 978-3-406-44815-7
  • Ekkehard Kreft: Griegs Harmonik. Peter Lang GmbH, 2000, ISBN 3-631-35995-0
  • Klaus Henning Oelmann: Edvard Grieg - Versuch einer Orientierung. Hänsel-Hohenhausen, Egelsbach, St. Peter Port (UK), 1993 ISBN 3-893-49485-5
  • Klaus Henning Oelmann (Hrsg.): Edvard Griegs Briefwechsel. Hänsel-Hohenhausen, Frankfurt/Main, 1994–, ISBN 3-8267-1123-8; ISBN 3-937909-55-9 (Serie)
  • Klaus Henning Oelmann: Edvard Griegs Streichquartett op. 27 - Überlegungen zu Tradition, Komposition und Rezeption. Schloss Engers Colloquia zur Kammermusik Bd. 4, Stiftung Villa Musica, Neuwied, 2007, S. 387-405, ISBN 978-3-9802665-7-4
  • Ute Schwab und Harald Herresthal: Edvard Grieg und sein Verhältnis zu Carl Reinecke. Studia musicologica norvegica 25, Scandinavian University Press, Oslo, 1999, S. 157 ff.
  • Jing-Mao Yang: Das „Grieg-Motiv“ – Zur Erkenntnis von Personalstil und musikalischem Denken Edvard Griegs. Bosse, Regensburg 1998

Englisch:

  • Kortsen, Bjarne (Hrsg.) (1972): Grieg The Writer. 2 Bd., editio norvegica, Bergen.

Norwegisch:

  • Benestad, Finn/Schjelderup-Ebbe, Dag (2007): Edvard Grieg – mennesket og kunstneren. H. Aschehoug & Co. (W. Nygaard), Oslo.
  • Bredal, Dag/Strøm-Olsen, Terje (1992): Edvard Grieg – Musikken er en kampplass. Aventura Forlag A/S, Oslo. ISBN 82-588-0890-7
  • Dahl Jr., Erling (2007): Edvard Grieg – En introduksjon til hans liv og musikk. Vigmostad og Bjørke, Bergen. ISBN 978-82-419-0418-9
  • Johansen, David Monrad (1956): Edvard Grieg. Gyldendal Norsk Forlag, Oslo.

Quellen

  1. Edvard Grieg: Verzeichnis seiner Werke mit Einleitung: Mein erster Erfolg. Leipzig, 1910, S. 3
  2. Joachim Reisaus: Grieg und das Leipziger Konservatorium Untersuchungen zur Persönlichkeit des norwegischen Komponisten Edvard Grieg unter besonderer Berücksichtigung seiner Leipziger Studienjahre. Dissertation, Leipzig, 1988, S. 57 ff.
  3. Edvard Grieg: Verzeichnis seiner Werke mit Einleitung: Mein erster Erfolg. Leipzig, 1910, S. 7
  4. Ute Schwab und Harald Herresthal: Edvard Grieg und sein Verhältnis zu Carl Reinecke. Studia musicologica norvegica 25, Scandinavian University Press, Oslo, 1999, S. 157 ff.
  5. Bjarne Kortsen (Hrsg.): Grieg The Writer. 2 Bd., editio norvegica, Bergen 1972
  6. Klaus Henning Oelmann: Edvard Griegs Briefwechsel Bd. 2, Hänsel-Hohenhausen, Egelsbach 1994
  7. Klaus Henning Oelmann: Edvard Griegs Streichquartett op. 27, Schloss Engers Colloquia zur Kammermusik Bd. 4, Neuwied 2007, S. 387f.
  8. Edvard-Grieg-Forschungsstelle

Weblinks

Aufnahmen


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