Ernst Schertel

Ernst Schertel

Ernst Schertel (* 20. Juni 1884 in München; † 30. Januar 1958 in Hof (Saale)) war ein deutscher Schriftsteller und Publizist, Altertums- und Religionswissenschaftler, Pionier der Nacktkultur und Spezialist für Okkultismus und entlegene Bereiche der Sexualität unter besonderer Berücksichtigung des Sadomasochismus.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Studium und erster Roman

Während seines Studiums der Geschichte und Philosophie in Jena begegnet er im Haus seines Doktorvaters Rudolf Eucken dem Dichter Stefan George. In den Jahren zwischen 1909 und 1917 besuchte den Dichter einige Male. Obwohl Schertel nicht dem George-Kreis zugerechnet werden kann, hat diese Begegnung lebenslang Bedeutung für ihn. 1911 promovierte er "magna cum laude".

Ein weiterer Wendepunkt war Schertels erster Roman, „Die Sünde des Ewigen oder Dies ist mein Leib“, den er in den Jahren 1912 und 1913 schrieb: … da sprang ich eines Sommermorgens aus dem Bett und begann wie unter fremdem Diktat zu schreiben, Seiten um Seiten, ohne zu wissen, was es werden würde. … Und als ich den Punkt hinter die letzte Zeile gesetzt hatte, fiel es wie schwere Eisenketten von mir - ich war frei.[1]

Durch den Roman kann der zuvor von Kontaktarmut, Depressionen und Suizidgedanken geplagte Schertel sich aus seiner „fürchterlichen Verkrampfung“ befreien: Ich stürzte mich in das Leben wie ein entfesseltes Raubtier, hemmungslos, in einem Rausch des Genießens und wirklichen Tuns.[2]

Tanzpädagogik

1914 wurde Schertel Lehrer für Deutsch, Alte Geschichte und Religionsgeschichte an der von Paul Geheeb und Gustav Wyneken begründeten Reformschule Freie Schulgemeinde Wickersdorf. Schertel entwickelt dort von asiatischen Tanzfesten inspirierte sogenannte „Mysterienspiele“, deren Begleitung eine suggestive, von Schertel komponierte tonartlose Musik war. Mit diesen Veranstaltungen erreichte er jedoch die Grenzen dessen, was in dieser Zeit selbst an einer von Gedanken der Jugendbewegung beeinflussten Reformschule möglich war. Insbesondere dass er seinen Schüler die „Überzeugung von der menschenbildenden und kulturfördernden Kraft der mannmännlichen Liebe“[3] nahebrachte, führte zum Ende seines Wirkens in Wickersdorf. Er setzte seine tanzpädagogische Arbeit jedoch fort: ab 1918 an der Schule Herion für Tanz und Körperkultur in Stuttgart und von 1924 bis 1927 an der Traumbühne Schertel für somnambulen Tanz.

Um die von ihm beabsichtigten Wirkungen und in den Partizipanten der Tänze die entsprechenden Zustände zu erzielen, bediente Schertel sich einer Kombination verschiedener Techniken (u.a. entwickelte er ein gymnastisches System, die „Methode Schertel“) und Hilfsmittel (Beleuchtung, Musik, Räucherungen, Hypnose und Alkaloide).

Parthenon-Verlag

Mitte der 20er Jahre beginnt eine intensive schriftstellerisch-publizistisch-wissenschaftliche Produktion. 1926 gründete Schertel zusammen mit Joseph Krömer die Zeitschrift "Soma", von 1927 bis 1931 erscheint "Asa", mit den Schertels Interessen angepassten Schwerpunkten Erotik und Okkultismus.

Im Parthenon-Verlag erschien eine Folge von "Akt-Kunst-Büchern", deren Einleitungen meist von Schertel verfasst wurden. Auch die Aufnahmen aus diesen und anderen von Schertel herausgegebenen Werken stammen zum erheblichen Teil von Schertel. Parallel dazu erscheinen Lieferungswerke, darunter sein Hauptwerk Der Flagellantismus als literarisches Motiv und Der erotische Komplex.

Zusammen mit seinem Verleger trat er gegen das Schmutz- und Schundgesetz auf. Sie wurden bei ihrem Kampf gegen juristische Beschränkung ihrer Publikationstätigkeit von dem Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld und dem Bibliophilen Fedor von Zobeltitz unterstützt. In dieser Zeit korrespondierte Schertel mit führenden Psychoanalytikern wie Sigmund Freud und Wilhelm Stekel, sprach auf Kongressen und kämpfte für die Streichung des § 175 und § 218 RStGB. All diese wissenschaftlichen und publizistischen Aktivitäten endeten mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933.

Exil und späte Jahre

Schertel flüchtete nach Paris, kehrte aber schon 1934 nach Deutschland zurück. Dort wurde er wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften vor Gericht gestellt und zu einer siebenmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. 1937 folgte als weitere Repressalie die Aberkennung der Doktorwürde durch die Universität Jena. Bis zum Ende der Naziherrschaft arbeitete Schertel dann im Verlag von Joseph Krömer als Lektor und Korrektor eher harmloser Belletristik.

Nach Kriegsende gelang es Schertel wie vielen anderen in der Nazizeit exilierten oder marginalisierten Schriftstellern nicht, an die publizistischen Erfolge der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Seine Veröffentlichungen aus dieser Zeit beschäftigen sich hauptsächlich mit religionsgeschichtlichen und esoterischen Themen. Immerhin konnte er jedoch die erweiterte Neuauflage seines Hauptwerks („Der Flagellantismus in Literatur und Bildnerei“) erreichen.

Seine Bemühungen, Arbeiten explizit sadomasochistischen Inhalts zu veröffentlichen, scheiterten an den im Geist der 50er Jahre befangenen Verlegern. In den 30er Jahren erschien ein Werk dieser Richtung („Das Mädchenschloß“) als Privatdruck.

Am 30. Januar 1958 starb Ernst Schertel an den Folgen eines Herzinfarkts.

Werke

  • Die Nachtwandlerin. (Drama) 1909
  • Schellings Metaphysik der Persönlichkeit. (Dissertation) Quelle & Meyer, Leipzig 1911
  • Die Sünde des Ewigen oder Dies ist mein Leib. (Roman) Die Wende, Berlin 1918
  • Das Blut der Schwester - Okkulter Sensationsfilm in 5 Akten. Wende Film, München 1922
  • Magie - Geschichte, Theorie, Praxis. Anthropos-Verlag, Prien 1923
  • François Grillard [Pseudonym]: Das Mädchenschloß. Privatdruck, ca. 1930
  • Der Flagellantismus als literarisches Motiv. 4 Bde. 1929-1932
  • Der Flagellantismus in Literatur und Bildnerei. 12 Bde. Decker Vlg., Schmiden b. Stuttgart 1957. (erweiterte Neuausgabe von Der Flagellantismus als literarisches Motiv)

Literatur

Gerd Meyer: Verfemter Nächte blasser Sohn – Ein erster Blick auf Ernst Schertel. In: Michael Farin (Hg.): Phantom Schmerz. Quellentexte zur Begriffsgeschichte des Masochismus. belleville Verlag, München 2003, ISBN 3-936298-26-2, S. 488-505

Weblinks

Fußnoten

  1. Zitiert nach: Gerd Meyer: Verfemter Nächte blasser Sohn. S. 496
  2. a.a.O. S. 496
  3. a.a.O. S. 498

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