Alfred Fissmer

Alfred Fissmer

Alfred Fissmer, auch Alfred Fißmer, (* 17. April 1878 in Hohenlimburg; † 15. Dezember 1966 in Siegen) war ein deutscher Kommunalpolitiker. Er war vom 18. August 1919 Bürgermeister, vom 1. März 1923 bis zum 24. April 1945 Oberbürgermeister der Stadt Siegen.

Inhaltsverzeichnis

Kaiserreich, Weimarer Republik

Fissmer[1], Sohn eines großbürgerlichen Hohenlimburger Unternehmerehepaars, besuchte in Attendorn das Gymnasium und studierte nach dem Abitur ab 1897 Rechtswissenschaft in Bonn, München und Berlin. Er war mit seiner Referendarzeit anschließend an den Amtsgerichten Hohenlimburg und Iserlohn sowie am Landesgericht Hagen tätig. Im Jahr 1907 trat Fissmer in die Dienste der Stadt Bochum. Dort wurde er 1909 zum Stadtrat und Beigeordneten gewählt.

Fissmer wurde am 19. Mai 1919 von der übergroßen Mehrheit der Stadtverordneten zum Bürgermeister gewählt. Damit stimmte ein breites Bündnis von den antisemitischen Christlich-Sozialen der Siegerländer DNVP, mit Abstand stärkste regionale Partei, über die rechtskonservative DVP bis zur Partei der Siegerländer katholischen Minderheit, des Zentrums, für ihn, während die in der Region unbedeutende Linke von der linksliberalen DDP über die SPD bis zur USPD ihn ablehnte.[2] Amtsperiode waren zwölf Jahre. Mit der Ernennung Siegens zur kreisfreien Stadt zum 1. März 1923 wurde Fissmer zum Oberbürgermeister ernannt.

Fissmer wird zwar als parteilos, aber als "deutschnational eingestellt" beschrieben und damit den Gegnern der Weimarer Demokratie zugeordnet.[3] In der von der christlich-sozialen Strömung der DNVP dominierten politischen Kultur der Stadt war er ein weitherziger Unterstützer aller politischen Kräfte rechts der Mitte („Vaterländisches Lager“). Das schloss die Nationalsozialisten mit ein, die er selbst während der Verbotsphase nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch im November 1923 nicht nur ungestört agieren ließ, vielmehr beteiligte sich die Stadt unter seiner Führung nachdrücklich an öffentlichen Massenveranstaltungen der rechten Verfassungsgegner wie dem Deutschen Tag im Juni 1924 oder der sogenannten Reichsgründungsfeier im Januar 1925, die führend von Nationalsozialisten organisiert und gestaltet wurden.[4] Es ist kein kritisches Wort von Fissmer zum Weimarer Rechtsextremismus überliefert, der in seiner Stadt früher als im Durchschnitt der Städte erfolgreich war.

Nationalsozialismus

Zu Fissmers Aufnahmeantrag in die NSDAP (vor dem 1. Mai 1933)[5]

Bereits kurz nach dem regionalen Machtübergang an die Nationalsozialisten stellte Fissmer 1933 einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP. Er wurde zwar umgehend aufgenommen, aber aus in den Einzelheiten unbekannten Gründen wieder abgemeldet. Fissmer stellte einen neuen Antrag und wurde nach Ablauf der allgemeinen Mitgliedersperre 1937 ein zweites Mal aufgenommen. Seit 1933 war er zugleich Angehöriger der Fördernden Mitglieder der SS. Dafür zahlte er einen nicht unerheblichen Monatsbeitrag an den „Förderkreis“ der SS.[6] In der Frühphase der nationalsozialistischen Herrschaft hatte es einen Konflikt mit einigen lokalen Nationalsozialisten gegeben, die - ihrerseits damit im Konflikt mit den höheren Ebenen von Partei und Verwaltung - versucht hatten, Fissmer aus dem Amt zu drängen.[7] Im Jahr 1942 wurde Fissmer wegen Verantwortung für Schwarzwarengeschäfte angeklagt. Er war kurzzeitig beurlaubt und unternahm einen Suizidversuch. Nach seiner Genesung wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt und er übernahm seine Amtsgeschäfte erneut.[8] Auf Vorschlag Hermann Görings wurde er 1944 mit dem Kriegsverdienstkreuz zunächst erster, dann zweiter Klasse mit Schwertern ausgezeichnet.[9]

Nachkriegszeit

Nach dem Einmarsch der US-Truppen wurde Fissmer zugunsten eines geordneten Übergangs von den Militärbehörden zunächst noch eine kurze Zeit im Amt belassen, bevor er am 24. April 1945 auf Anweisung des britischen Kreiskommandanten entlassen wurde, was für ihn „schmerzlich“ gewesen sei. Formal geschah dies auf eigenen Antrag, so daß ihm ein Übergangsgeld und die anschließende Pension blieben, die er im anderen Fall verloren hätte.[10] Im Entnazifizierungsverfahren unterschlug der Jurist Fissmer sein Beitrittsgesuch zur NSDAP von 1933 und seine Mitgliedschaft im Förderkreis der SS.[11] Die Bewertungen gingen weit auseinander. Einseits wurde behauptet, „sein langer Widerstand gegen den Parteieintritt“ sei „allgemein bekannt“ gewesen. Andererseits wurde er als „untragbar“ bezeichnet.

Stellungnahme zum Grundstück der niedergebrannten Synagoge

Von der Mehrheit der regionalen Bevölkerung und durchweg auch von den Wortführern in Politik und Kultur wurde er als unbelastet betrachtet. Es gab das Verlangen, ihn wieder neu in sein Amt einzusetzen.[12]

Im Jahr 1947 beabsichtigte der Stadtrat, die vormalige Horst-Wessel-Straße nach ihm zu benennen, was einer Exkulpierung gleichgekommen wäre und auf Anweisung der Militärbehörden unterblieb.[13] Fissmer wurde 1953 Ehrenbürger der Stadt Siegen. Im selben Jahr wurde ihm das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik verliehen. Ein zentraler Platz der Stadt und eine "Fißmer-Eiche" in einem stadtnahen Waldgebiet sind nach ihm benannt. Die Siegener Zeitung würdigte ihn als „volkstümlichsten Bürger Siegens“[14] In der Rezeption des Nationalsozialismus durch die lokale Gesellschaft und Politik gilt er bis heute weitgehend als nicht in den Nationalsozialismus involviert. Zu den in seiner Stadt im Nationalsozialismus begangenen Verbrechen, an die die Verwaltung der Stadt auf sämtlichen hierarchischen Ebenen vielfältig beteiligt war, hat er sich nie geäußert.

Literatur

  • Manfred Zabel, Die Heimatsprache der Begeisterung. Ausgewählte Reden und Schriften von Fritz Fries (1887-1967), Siegen 1990
  • Hans Klappert: „Protokoll der Erinnerungen von Oberbürgermeister Fissmer“, Zeitschrift „Siegerland“, Band 68, Heft 3-4 / 1991
  • Dieter Pfau (Hrsg.), Kriegsende 1945 in Siegen. Dokumentation der Ausstellung 2005 (= Siegener Beiträge. Studien zur regionalen Geschichte, Bd. 2), Bielefeld 2005

Einzelnachweise

  1. Diese Schreibweise ist ausweislich Fissmers Unterschriften unter amtlichen Schriftstücken seine eigene. Daneben existiert in der Literatur die Schreibweise „Fißmer“. Sie ist dort dominierend.
  2. Detailliert, wenngleich F. heroisierend: Bodo-Christian Kott, Die Wahl Alfred Fißmers zum Bürgermeister der Stadt Siegen, in: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, 13/14 (2008/09), S. 247-258.
  3. Dieter Pfau (Hrsg.), Kriegsende 1945 in Siegen. Dokumentation der Ausstellung 2005 (= Siegener Beiträge. Studien zur regionalen Geschichte, Bd. 2), Bielefeld 2005, S. 138.
  4. Ulrich Friedrich Opfermann, „Mit Scheibenklirren und Johlen“. Juden und Volksgemeinschaft im Siegerland und in Wittgenstein im 19. und 20. Jahrhundert, Siegen 2009, S. 51ff.
  5. Bundesarchiv Berlin, Bestände des ehem. BDC, NSDAP, Personalakten Alfred Fissmer.
  6. http://www.dhm.de/lemo/forum/kollektives_gedaechtnis/329/index.html.
  7. Ulrich Friedrich Opfermann, „Mit Scheibenklirren und Johlen“. Juden und Volksgemeinschaft im Siegerland und in Wittgenstein im 19. und 20. Jahrhundert, Siegen 2009, S. 203; Dieter Pfau (Hrsg.), Kriegsende 1945 in Siegen. Dokumentation der Ausstellung 2005 (= Siegener Beiträge. Studien zur regionalen Geschichte, Bd. 2), Bielefeld 2005, S. 138.
  8. Dieter Pfau (Hrsg.), Kriegsende 1945 in Siegen. Dokumentation der Ausstellung 2005 (= Siegener Beiträge. Studien zur regionalen Geschichte, Bd. 2), Bielefeld 2005, S. 139.
  9. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, NW 1.110-1.055 (Alfred Fissmer) (=Entnazifizierungsakte).
  10. Manfred Zabel, Die Heimatsprache der Begeisterung. Ausgewählte Reden und Schriften von Fritz Fries (1887-1967), Siegen 1990, S. 137; Dieter Pfau (Hrsg.), Kriegsende 1945 in Siegen. Dokumentation der Ausstellung 2005 (= Siegener Beiträge. Studien zur regionalen Geschichte, Bd. 2), Bielefeld 2005, S. 139.
  11. Bodo-Christian Kott, Die Wahl Alfred Fißmers zum Bürgermeister der Stadt Siegen, in: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, 13/14 (2008/09), S. 247-258, hier: S. 258
  12. Ulrich Friedrich Opfermann, „Vergangenheitsbewältigung“ im Siegerland. Zum öffentlichen Umgang mit dem regionalen Nationalsozialismus nach 1945, in: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, 3 (1998), S. 143-176, hier: S. 75. Ein in den 1950er Jahren entstandener Verwaltungsbericht der Stadt Siegen unterschlägt den aus Fissmers NS-Rolle erwachsenen Konflikt mit den Militärbehörden. Er habe sich "auf eigenen Wunsch" in den Ruhestand versetzen lassen: Stadtarchiv Siegen, D 524-7, Personalakte Alfred Fissmer, Verwaltungsbericht der Stadt Siegen für die Zeit vom 1. April 1945 bis 31. März 1950, undat.
  13. Umbenennung der Straßen, in: Freiheit, 18. Februar 1947.
  14. Lothar Irle, Siegerländer Persönlichkeiten- und Geschlechter-Lexikon, Siegen 1974, S. 89.


Vorgänger Amt Nachfolger
Anton Delius Bürgermeister von Siegen
1919 - 1945
Fritz Fries

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