- Allergieschock
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Klassifikation nach ICD-10 T78.0 Anaphylaktischer Schock durch Nahrungsmittelunverträglichkeit T78.2 Anaphylaktischer Schock, nicht näher bezeichnet T80.5 Anaphylaktischer Schock durch Serum T88.6 Anaphylaktischer Schock als unerwünschte Nebenwirkung eines indikationsgerechten Arzneimittels oder einer indikationsgerechten Droge bei ordnungsgemäßer Verabreichung ICD-10 online (WHO-Version 2006) Die Anaphylaxie (aus griechisch ἀνά aná-, auf, und griechisch φυλαξία phylaxìa, Schutz) ist eine akute, pathologische (krankhafte) Reaktion des Immunsystems von Mensch und Tier auf chemische Reize und betrifft den gesamten Organismus. Das Bild anaphylaktischer Reaktionen reicht von leichten Hautreaktionen, über Störungen von Organfunktionen, Kreislaufschock mit Organversagen bis zum tödlichen Kreislaufversagen, dem anaphylaktischen Schock.
Inhaltsverzeichnis
Pathogenese und -physiologie
Anaphylaxien sind Überreaktionen des erworbenen Immunsystems. Dabei kommt es zu überschießender Freisetzung von Mediatorsubstanzen (Histamin, Leukotriene usw.) durch Mastzellen und basophile Granulozyten, die durch die vermittelnde Wirkung spezieller Antikörper (Immunglobulin E) verursacht werden kann.
Sie setzen Sensibilisierung voraus. Dabei wird nach erstmaligem Antigenkontakt von Plasmazellen ein Antikörper vom IgE-Typ sezerniert (freigesetzt), der sich an basophile Granulozyten und Mastzellen mit dem Fc-Anteil anlagert. Der freie Fab-Anteil des IgE-Moleküls weist damit in den Extrazellularraum.
Grundlegend ist die Reaktion von Antigenen mit diesen zellständigen IgE-Antikörpern, entsprechend einer Typ-1-Reaktion nach Gell und Coombs. Das Antigen (Molare Masse 10.000 bis 70.000 u) ist meistens bivalent, so dass es zur Brückenbildung zwischen IgE-Antikörper-Molekülen kommt.
Nach der Stimulation durch das Antigen setzen die basophilen Granulozyten und die Mastzellen Mediatoren (Histamin, Prostaglandine, Leukotriene, den Plättchen-aktivierenden Faktor (PAF) und andere) sowie Zytokine frei.
Die Mediatoren führen zum klinischen Bild der Anaphylaxie (s. u.).
Die Sezernierung der Zytokine führt wiederum zum Anlocken von neutrophilen Granulozyten und Thrombozyten, die ihrerseits weitere Mediatoren freisetzen, die Bedeutung im Entzündungsgeschehen haben. Diese Vorgänge sind Grundlage für klinische Erscheinungen, die sich 6 bis 12 Stunden nach Antigenpräsentation einstellen können.
Es wird die klassische anaphylaktische Reaktion, die ein IgE-vermitteltes allergisches Ereignis ist, von der IgE-unabhängigen anaphylaktoiden Reaktion unterschieden. Beide Ereignisse verlaufen unter dem gleichen klinischen Bild. Bei den anaphylaktoiden Reaktionen führen aber nicht der Kontakt zu IgE-Antikörpern, sondern chemische, physikalische und osmotische Stimuli zur Freisetzung der Mediator-Substanzen aus Mastzellen und basophilen Granulozyten.
Die Effekte der freigesetzten Mediatoren sind
- erhöhte Gefäßpermeabilität (Durchlässigkeit der Gefäßwände)
- Vasodilatation (Weitstellung von Gefäßen) und
- Bronchospasmus (Engstellung von Bronchien).
Klinik
Das Ausmaß der allergischen Reaktion kann stark interindividuell variieren. Eine anaphylaktische Reaktion verläuft in zwei Phasen ab:
- Initialphase und
- systemische Reaktion.
Initialphase
Innerhalb von Minuten bis Stunden:
- Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, Darmkoliken
- Hauterscheinungen (lokal)
- Bronchospasmen (allergisches Asthma)
Systemische Reaktion
Folgend entwickeln sich
- generalisierte Hauterscheinungen (Juckreiz [Pruritus], Gesichtsrötung [Flush], generelle entzündliche Hautrötung [Erythem], Nesselsucht [Urtikaria])
- Atemwegsverengung (Obstruktion) durch Ödeme im Rachen- (Pharynx-) und Schlundbereich (Larynx) sowie Bronchospasmus und Lungenödem
- Magen-Darm-Symptome mit Koliken, Erbrechen, Durchfall (Diarrhoe)
- Hämodynamische Veränderungen aufgrund von Flüssigkeitsverschiebungen und Gefäßerweiterung (Vasodilatation), die zum Schock führen können.
Anaphylaktischer Schock
Ein anaphylaktischer Schock ist eine lebensbedrohliche Anaphylaxie. Sie kann z. B. durch Insektengifte, Nahrungsmittel, Infusionen oder Medikamente ausgelöst werden. Durch die Weitstellung der Blutgefäße kommt es zu einem starken Blutdruckabfall, außerdem tritt Flüssigkeit aus den Gefäßen in das umliegende Gewebe aus. Aufgrund des Blutdruckabfalls kommt es zu einer verminderten Durchblutung lebenswichtiger Organe.
Je schneller die Symptome während der Injektion eines Medikamentes auftreten, desto lebensgefährlicher ist der Zustand. Im schlimmsten Fall treten schon 10 Sekunden nach Beginn der Injektion die ersten Symptome auf. Diese sind sehr unspezifisch – z. B. Übelkeit, Kreislaufbeschwerden, Brechreiz oder Erbrechen, trockener Mund, Zungenbrennen, Sehstörungen, akute Atemnot, Konzentrationsstörungen.
Auch Hautreaktionen, Juckreiz, Quaddelbildung oder die Ausbildung eines Lidödems sind möglich, fehlen wegen der schnellen Entwicklung aber oft auch ganz.
Im weiteren Verlauf treten die typischen Symptome eines Schocks auf, d. h. der Puls wird flach und schnell und die Bewusstlosigkeit kann eintreten.
Systematik und Therapie
Anaphylaktische Reaktionen werden in vier Schweregrade eingeteilt [1]:
Schweregrade, Symptomatik und Therapie Schweregrad Symptome Therapie 0 lokal begrenzte Hautreaktion 1 leichte Allgemeinreaktion disseminierte Hautreaktion (Flush, Urtikaria), Schleimhautreaktionen, Allgemeinreaktion (Unruhe, Kopfschmerz) H1- und H2-Antagonisten, Prednisolon intravenös 2 ausgeprägte Allgemeinreaktion Kreislaufdysregulation, Luftnot, Stuhl- und Urindrang H1- und H2-Antagonisten, Prednisolon i.v., bei pulmonaler Reaktion O2 und β2-Mimetika inhalieren, bei Kreislaufreaktion kristalloide (evtl. kolloide) Volumenmittel 3 bedrohliche Allgemeinreaktion Schock, Bronchospasmus, Dyspnoe, Bewusstseinseintrübung pulmonal: β2-Mimetika/Adrenalin inhalieren, Prednisolon, Theophyllin (bei Schock wegen blutdrucksenkender Wirkung nicht empfohlen), Volumentherapie (kristalloide oder kolloide Volumenersatzmittel), Adrenalin 4 vitales Organversagen Atem-, Kreislaufstillstand Regeln der Reanimation Schocktherapie
Bei den ersten Anzeichen eines Schocks (Schweißausbruch, Übelkeit, Zyanose) wird die Injektion unterbrochen, bzw. die Allergenexposition beendet, falls möglich. Der Patient wird durch Anheben der Beine in Schocklage gebracht, falls verfügbar, wird Sauerstoff über eine Maske gegeben. Bewusstlose werden in die stabile Seitenlage gebracht, bei einem Kreislaufstillstand wird mit der Reanimation begonnen.
Wird der anaphylaktische Schock außerhalb einer medizinischen Überwachung (z. B. durch einen Wespenstich oder Lebensmittel-Allergie) ausgelöst, so können Adrenalin enthaltende Autoinjektoren genutzt werden, um die akuten Symptome zu mindern.
Vom Notarzt wird ein venöser Zugang geschaffen und mit der Volumentherapie mit Plasmaexpandern (HAES) und kristallinen Vollelektrolytlösungen (Ringer-Lösung, Kochsalzlösung) begonnen. Im Falle von Bewusstlosigkeit und/oder Atemstörungen muss die Intubation und künstliche Beatmung in Betracht gezogen werden. Die medikamentöse Therapie besteht aus der intravenösen (alternativ intramuskulären) Gabe von Adrenalin, Glucocorticoiden und Antihistaminika (kombinierte Gabe von H1- (Clemastin, Dimetinden) und H2-Antagonisten (Cimetidin oder Ranitidin)).
Geschichte
1902 beschrieben P. Portier und Charles Robert Richet ein seltsames Phänomen: Sie injizierten Hunden den Extrakt des giftigen Stachels vom Samtanemonenfisch. Die überlebenden Versuchstiere erhielten zwei Wochen später erneut das Gift. Die erhoffte Immunität (Phylaxis) blieb jedoch aus. Statt dessen zeigten die Hunde einen Schockzustand. Der Blutdruck fiel, das Blut war nicht mehr gerinnbar, und pathologisch waren Veränderungen in der Darmwand zu erkennen. Dieser Zustand wurde Anaphylaxis oder anaphylaktischer Schock genannt. 1909 stellten A. Biedl und R. Kraus die Theorie auf, dass körpereigene Substanzen für die Reaktion verantwortlich seien. Ein Jahr später isolierten und identifizierten Henry Dale und George Barger aus Mutterkorn diese Substanz: das Histamin.[2]
Quellen
- ↑ U. Müller-Werdan und K. Werdan: Anaphylaktischer Schock. In: Intensivmedizin ecomed-Verlag; Eckart, Forst, Burchardi (Herausgeber); 2004, ISBN 3-609-20177-0
- ↑ Bangen, Hans: Geschichte der medikamentösen Therapie der Schizophrenie. Berlin 1992. S. 75 ISBN 3-927408-82-4
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