Hermann Samuel Reimarus

Hermann Samuel Reimarus
Hermann Samuel Reimarus; Ölgemälde von Gerloff Hiddinga, 1749.

Hermann Samuel Reimarus (* 22. Dezember 1694 in Hamburg; † 1. März 1768 ebd.) war Gymnasialprofessor in Hamburg für orientalische Sprachen, Vertreter des Deismus und Wegbereiter der Bibelkritik.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Studium der Philosophie, Theologie und Philologie ab 1714 in Jena und ab 1716 in Wittenberg. Dort 1719 Habilitation und 1722 Privatdozent an der philosophischen Fakultät. 1723 Rektor der Großen Stadtschule in Wismar, ab 1727 Professor für orientalische Sprachen am Akademischen Gymnasium in Hamburg. 1728 heiratete er Johanna Friederike (1707-1783), eine Tochter seines Lehrers am Akademischen Gymnasium, Johann Albert Fabricius.

Wirken

Hermann Samuel Reimarus

Hermann Samuel Reimarus betrieb philologische, philosophische und naturwissenschaftliche Studien. Reimarus war ein Verfechter der „natürlichen Religion“ („Wer ein lebendiges Erkenntnis von Gott hat, dem eignet man billig eine Religion zu; und sofern dieses Erkenntnis durch die natürliche Kraft der Vernunft zu erhalten ist, nennt man es eine natürliche Religion.“ (Reimarus, in: „Die vornehmsten Wahrheiten...“) und versuchte demzufolge, die Existenz Gottes, seine Absichten in der Welt, die Unsterblichkeit der Seele etc. mit Mitteln der Vernunft herzuleiten und zu begründen. Er wurde posthum bekannt für seine von Gotthold Ephraim Lessing veröffentlichte „Apologie“, mit der er die „natürliche Religion“ gegen die „Zumutungen eines biblischen Glaubens“ mit seinem Festhalten an einer übernatürlichen Offenbarung und Wundern verteidigen wollte. Diese Schrift war nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen. Reimarus wollte sie lediglich einem Kreis von verständigen Freunden, der sich regelmäßig für Diskussionen bei ihm traf, an die Hand geben. Nach seinem Tod übergaben sein Sohn Johann Albert Heinrich Reimarus und seine älteste Tochter Elise Reimarus Teile einer früheren Fassung an Lessing, der mit der Tochter gut befreundet war. Die Veröffentlichung dieser Texte durch Lessing führte zum sogenannten Fragmentenstreit. Während dieses Streits wurde der zu Lebzeiten hoch angesehene Gelehrte Reimarus posthum äußerst kontrovers diskutiert.[1]

Reimarus' exegetische Arbeiten waren beeinflusst vom englischen Deismus, seine Erkenntnistheorie war von der Philosophie Gottfried Wilhelm Leibniz' geprägt. Reimarus prägte die Methoden der historischen und anderer Wissenschaften, um die Bibel und die Religion einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Unter anderem auf sein Wirken geht in späterer Zeit die Initiierung der Leben-Jesu-Forschung zurück.

Die durch Lessing und den Fragmentenstreit geprägte Rezeptionsgeschichte Reimarus' legt den Schwerpunkt auf die philologischen Arbeiten zum Neuen Testament in der „Apologie“, die frühen erkenntnistheoretischen Veröffentlichungen wie z.B. die „Vernunftlehre“ wurden nur wenig aufgenommen.[2]

Dabei war Reimarus zu Lebzeiten v.a. aufgrund seiner in drei Auflagen herausgebrachten Logik-Abhandlungen vielleicht einer der bekanntesten Gelehrten seiner Zeit. Immanuel Kant soll darüber gesagt haben, er werte diese Schrift am höchsten von allen philosophischen Schriften.[3]

Weitere Schriften von Reimarus waren ähnlich erfolgreich: eine Schrift zur Instinktlehre, die im Rückblick als Grundlegung der modernen Ethologie verstanden werden muss, sowie vor allem eine Darstellung der „natürlichen Religion“, die den Zeitgenossen als exemplarische Verteidigung der Religion gegen alle rationalistischen und atheistischen Angriffe galt.

Einzelnachweise

  1. vgl. insbes. das Fragment Ein Mehreres aus den Papieren des Ungenannten, die Offenbarung betreffend, in G.E. Lessing, Hg., Zur Geschichte und Literatur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Vierter Beytrag, Braunschweig 1977 (= G.E. Lessing, Werke. Siebenter Band, hg. v. H. Göbel, München 1976, 331-576)
  2. vgl. dazu das Kapitel zu Reimarus in H.G. Lang: Christologie und Ostern, 1999, 59-102, insbes. 67ff; ausführliche Sekundärliteratur
  3. Der Einfluss von Reimarus auf Kant wird aufgezeigt in: Walter, W. / Borinski, L., Hrsg., Logik im Zeitalter der Aufklärung. Studien zur 'Vernunftlehre' von Hermann Samuel Reimarus, Göttingen 1980

Werke

  • Abhandlungen von den vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion (1754)
  • Die Vernunftlehre, als eine Anweisung zum richtigen Gebrauch der Vernunft in der Erkenntnis der Wahrheit (1756)
  • Allgemeine Betrachtungen über die Triebe der Thiere, hauptsächlich über ihre Kunsttriebe. Zum Erkenntniss des Zusammenhanges der Welt, des Schöpfers und unser selbst. (1760)
  • Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes (geschrieben 1735-1767/68, als Gesamtwerk bekannt seit 1814, erstmals vollständig gedruckt 1972 und von Gerhard Alexander ediert. Im Insel-Verlag (Frankfurt).)
  • Kleine gelehrte Schriften. Vorstufen zur Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes. Hrsg. von Wilhelm Schmidt-Biggemann. Veröffentlichung der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg 79. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1994. (656 S.) ISBN 3-525-86270-9
  • Abhandlungen von den vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion Fünfte Auflage, durchgesehen, und mit einigen Anmerkungen begleitet von Johann Albert Heinrich Reimarus [1729-1814]. Hamburg, Bohn, 1781, 704 Seiten (wirkten beide als Gymnasialprofessoren in Hamburg)

Gegenschrift

Einer der schärfsten Kritiker von Lessing und Reimarus war der Radikalpietist Johann Daniel Müller (1716 bis nach 1785) aus Wissenbach (Nassau), dem heutigen Ortsteil von Eschenburg. Er veröffentlichte anonym die Schrift

  • Der Sieg der Wahrheit des Worts Gottes über die Lügen des Wolfenbüttelschen Bibliothecarii, [Gotthold] Ephraim Lessing, und seines Fragmenten-Schreibers [d. i. Hermann Samuel Reimarus] in ihren Lästerungen gegen Jesum Christum, seine Jünger, Apostel, und die ganze Bibel (1780).

Literatur

  • Dietrich Klein: Hermann Samuel Reimarus (1694-1768). Das theologische Werk, Mohr Siebeck, Tübingen 2009. ISBN 978-3-16-149912-8
  • Raimund LachnerHermann Samuel Reimarus. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 7, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-048-4, Sp. 1514–1520.
  • Carl von Prantl: Reimarus, Samuel. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 27, Duncker & Humblot, Leipzig 1888, S. 702–704.
  • Harald Schultze: Reimarus, Hermann Samuel. In: Theologische Realenzyklopädie 28, 1997, S. 470-473.
  • Johann Anselm Steiger: Bibliotheca Reimariana. Die Bibliothek des Hamburger Aufklärers und Gelehrten Hermann Samuel Reimarus (1694-1768). In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte (ISSN 0341-2253), 30/2, 2005, S. 145-154
  • Johann Anselm Steiger: Ist es denn ein Wunder? Die aufgeklärte Wunderkritik. Oder: Von Spinoza zu Reimarus. In: Ders. (Hrsg.): 500 Jahre Theologie in Hamburg. Hamburg als Zentrum christlicher Theologie und Kultur zwischen Tradition und Zukunft. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Promotionen der Theologischen Fakultät Hamburg. (= Arbeiten zur Kirchengeschichte; 95). De Gruyter, Berlin und New York 2005, ISBN 3-11-018529-6, S. 112-130
  • Wolfgang Walter (Hrsg.): Hermann Samuel Reimarus. 1694-1768. Beiträge zur Reimarus-Renaissance in der Gegenwart. Kolloquium des Instituts für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik. Hamburg, 25. Nov. 1994. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-86276-8 (=Veröffentlichung der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften 85).

Weblinks

 Commons: Hermann Samuel Reimarus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Werke (Digitalisate, Transkripte)

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