- Homo primigenius
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Als archaischer Homo sapiens werden Fossilien der Gattung Homo bezeichnet, die ihrer Datierung und ihrem Erscheinungsbild nach als frühe, ursprüngliche („altertümliche“) Exemplare der Art Homo sapiens gedeutet werden. Allerdings ist – aufgrund der bislang wenigen Fundstücke – die Zeitspanne nicht klar definiert, die als Epoche des „archaischen“ Homo sapiens bezeichnet werden könnte. Daher beschreiben einzelne Forscher bestimmte Funde – trotz anderslautendem Artnamen für diese Fossilien – als „archaische Formen“ des Homo sapiens (eine Vorgehensweise, die bei rezenten Arten zu Morphospezies führen würde), während andere Forscher die gleichen Funde im Sinne einer Chronospezies bewerten, also die älteren Fundstücke einer Vorläuferart der jüngeren zuordnen.
1903 hatte zudem Ludwig Wilser erneut die Bezeichnung Homo primigenius für einen hypothetischen Urmenschen in die Paläoanthropologie eingeführt, die 1868 bereits Ernst Haeckel vorgeschlagen hatte.[1] Diese Bezeichnung wurde in den folgenden Jahren – im Zusammenhang mit Fossilfunden, die heute dem Neandertaler zugeordnet werden – wiederholt zur zeitlichen Einordnung der Fossilien benutzt.[2]
Inhaltsverzeichnis
Neandertaler: eine Unterart von Homo sapiens?
Diese komplizierten Abgrenzungsprobleme resultieren aus dem Umstand, dass bis in die 1990er-Jahre hinein die Neandertaler als Homo sapiens neanderthalensis und die modernen Menschen als Homo sapiens sapiens bezeichnet wurden, also als eng verwandte Unterarten von Homo sapiens. Demzufolge musste es einen gemeinsamen Vorfahren der Art Homo sapiens gegeben haben, dessen Fossilien „nicht modern“ aussahen. In der Folge wurden alle Funde, die hinreichend alt waren und „nicht modern“ aussahen, als „archaischer“ Homo sapiens tituliert.[3] Nachdem erkannt worden war, dass Neandertaler und Mensch zwar verwandt, aber unabhängig von einander aus einer afrikanischen Population von Homo erectus entstanden waren, wurde beiden ein je eigener Artstatus zuerkannt: Homo neanderthalensis und Homo sapiens.
Homo erectus oder Homo heidelbergensis?
Parallel zur Korrektur des Status der Neandertaler wurde – insbesondere von US-Paläoanthropologen – die zunächst nur auf den Unterkiefer von Mauer, später gelegentlich auf alle europäischen Vorfahren der Neandertaler bezogene Art Homo heidelbergensis [4] als Bindeglied zwischen afrikanischen Funden (die bis dahin einhellig als Homo erectus bezeichnet worden waren) und dem späteren Homo sapiens definiert. Die ältesten afrikanischen, zuvor Homo erectus zugeschriebenen Fossilien werden von diesen Forschern seitdem zu Homo ergaster gestellt, die jüngeren zu Homo heidelbergensis. Dieser Teil der Paläoanthropologen ordnete Homo erectus somit als rein asiatische Chronospezies ein, sodass aus dieser Sicht Homo heidelbergensis aus den Homo ergaster benannten Funden hervorging und der letzte gemeinsame afrikanische Vorfahre von Neandertalern und modernen Menschen war. Konsequenterweise wird von diesen Paläoanthropologen nunmehr Homo heidelbergensis als „archaischer“ Homo sapiens bezeichnet.[5] [6] [7] Andere US-amerikanische und vor allem europäische Forscher verwenden hingegen bis heute die Bezeichnung Homo erectus für die letzten gemeinsamen Vorfahren von Neandertaler und Homo sapiens, mit der Folge dass sie selbst den Unterkiefer von Mauer – der immerhin das Typusexemplar von Homo heidelbergensis ist – als Homo erectus heidelbergensis bezeichnen. Dies wiederum hat zur Folge, dass die 400.000 Jahre alten oder jüngeren afrikanischen Funde je nach Blickwinkel als später Homo erectus oder als archaischer Homo sapiens bezeichnet werden können.
Wo entstand Homo sapiens?
Für terminologische Verwirrung sorgt ferner, dass einige späte asiatische Funde von Homo erectus (um 280.000 vor heute) „anatomisch eine Zwischenform von Homo erectus und Homo sapiens darstellen und daher manchmal als ‚archaischer Homo sapiens‘ klassifiziert werden“,[8] obwohl die Erstbesiedlung Asiens durch Homo sapiens rund 240.000 Jahre später stattfand.[9] Auch wurde der bislang älteste, unbestritten zu Homo sapiens gestellte Fund, Homo sapiens idaltu, von seinen Entdeckern nicht als archaischer Homo sapiens ausgewiesen, sondern als „Bindeglied“ zwischen archaischen Vorläuferarten und den späteren modernen Menschen.[10]
Trotz aller unterschiedlicher Benennungen ist unter Paläoanthropologen unumstritten, dass der Jetztmensch aus einer in Afrika heimischen Homo-Population hervorging. Zudem ist es bloß eine Frage des Blickwinkels, ob bestimmte Fossilfunde beispielsweise als „später Homo erectus“ oder als „früher Homo sapiens“ ausgewiesen werden, da der Übergang von einer Chronospezies zu einer anderen sich in jedem Fall in kleinsten Stufen vollzog. Friedemann Schrenk unterschied daher 1997 zwei Entwicklungsstufen zum modernen Menschen, „die aufgrund der Schädelmerkmale voneinander zu trennen sind“ [11] und ordnete ihnen Fossilien von folgenden Fundorten zu:
- Früher archaischer Homo sapiens (ca. 500.000 – 200.000 Jahre): Kabwe (Sambia; = Homo rhodesiensis), Saldanha (Südafrika), Ndutu, Eyasi (Tansania), Bodo (Äthiopien), Salé (Marokko)
- Später archaischer Homo sapiens (ca. 200.000 – 100.000 Jahre): Florisbad (Südafrika), Eliye Springs (West Turkana, Kenia), Laetoli (Tansania), Jebel Irhoud (Marokko).
Andere Autoren bezeichnen die 200.000 bis 100.000 Jahre alten Funde, darunter den in Italien entdeckten „Altamura-Mann“, stattdessen als frühen anatomisch modernen Menschen.[12]
Einzelnachweise
- ↑ Ernst Haeckel: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Gemeinverständliche wissenschaftliche Vorträge über die Entwickelungslehre im Allgemeinen und diejenige von Darwin, Goethe und Lamarck im Besonderen, über die Anwendung derselben auf den Ursprung des Menschen und andere damit zusammenhängende Grundfragen der Naturwissenschaft. Berlin, Georg Reimer 1868, Kapitel 19 (Volltext)
- ↑ Ludwig Wilser: Die Rassen der Steinzeit. Correspondenz-Blatt der Anthropologischen Gesellschaft, Band 34 (12), 1903, S. 185–188. Dazu: Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald: Early Man: Facts and Fantasy. The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland, Band 94, Nr. 2, 1964, S. 67–79
- ↑ Smithsonian Institution „basically meaning any Homo sapiens that didn't look quite modern“
- ↑ Diese Position wird beispielsweise aus der Datenbank des Human Evolution Research Centers (Berkeley) ersichtlich, die neben einem sehr alten Fund aus Israel ausschließlich europäische Funde der Art Homo heidelbergensis zuordnet: hercdb.berkeley.edu
- ↑ Smithsonian Institution „Recently, it has been proposed to separate these individuals into a distinct species. For this purpose, the Mauer mandible, and the species name Homo heidelbergensis has seniority.“
- ↑ talkorigins.org „Heidelberg Man = Mauer Jaw = Homo sapiens (archaic) (also Homo heidelbergensis)“
- ↑ msu.edu „Homo sapiens (archaic), are also known as Homo heidelbergensis.“
- ↑ Friedemann Schrenk: Die Frühzeit des Menschen. Der Weg zum Homo sapiens. Verlag C.H. Beck, 11997 und 52008, S. 103
- ↑ Diese offenbar konvergente Entwicklung bestimmter Merkmale bei Homo erectus in Asien und bei den in Afrika lebenden Vorfahren von Homo sapiens führte u.a. zur inzwischen widerlegten Theorie einer multiregionalen Entwicklung des Homo sapiens; vergl. hierzu Out-of-Africa-Theorie.
- ↑ Tim White, Berhane Asfaw et. al: Pleistocene Homo sapiens from Middle Awash, Ethiopia. Nature Band 423, 2003, S. 742–747; doi:10.1038/nature01669
- ↑ Friedemann Schrenk: Die Frühzeit des Menschen,52008, S. 115–116
- ↑ Philipp Gunz et. al.: Early modern human diversity suggests subdivided population structure and a complex out-of-Africa scenario. PNAS, published online before print, 23. März 2009; doi:10.1073/pnas.0808160106
Siehe auch
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