Jekawisch

Jekawisch

Jat (kyrillisch ять, wiss. Transliteration jat’) ist der Name des kyrillischen Buchstabens Ѣ (Großbuchstabe) bzw. ѣ (Kleinbuchstabe), welcher im Altkirchenslawischen einen Laut repräsentierte, der dem urslawischen *ě entsprach. Daher bezeichnet man auch diesen Laut in der Slawistik als Jat.

Inhaltsverzeichnis

Der Laut

Der urslawische Laut war zunächst aus urindogermanischem langem entstanden, später wurden auch die Diphthonge *ai und *oi zu (vgl. z. B. idg. *sēmen > urslaw. *sěmę, lat. sēmen, ahd. sâmô, nhd. Samen). Die Aussprache dieses Lauts war vermutlich ein langer, sehr offener Vorderzungenvokal [æː], vielleicht aber auch schon seit ältester Zeit dialektal verschieden und in einigen Gegenden ein recht enger Vorderzungenvokal [eː].

In der weiteren Entwicklung ist in den verschiedenen slawischen Sprachen mit unterschiedlichen Lauten auf der gesamten Skala von [a] bis [i] vertreten.

Die Vertretung von im Ostslawischen

Im Russischen und Weißrussischen ist mit *e zu [ɛ] zusammengefallen, während es im Ukrainischen als [i] erscheint. Dabei ist zu beachten, dass dieses [i] ein anderes ist als das Reflex des urslawischen *i, das im Ukrainischen als [ɪ] vertreten ist. Man kann das Ukrainische also nicht als "ikavisch" bezeichnen. (Beispiele)

Die Vertretung von im Westslawischen

Im Polnischen ist – ähnlich wie im Bulgarischen – vor "hartem" Dental zu [a] geworden, in allen anderen Fällen zu [ɛ] (siehe auch Polnische Vokalumlautung).

Im Tschechischen ist langes zu [iː] geworden (und dadurch mit *i zusammengefallen), kurzes zu [ʲɛ] (ebenso wie ).

Im Slowakischen wurde langes zu [iɛ], kurzes zu [ɛ].

Im Obersorbischen ist das hinter s und z zu [ɨ] geworden, während es im Niedersorbischen sich zu [ɛ] verändert hat.

(Beispiele)

Die Vertretung von im Südslawischen

Slowenisch

Im Slowenischen entwickelte sich zu einem geschlossenen [e] – im Unterschied zu *e, das als offenes [ɛ] vertreten ist. (Beispiele)

Serbokroatische Dialekte: Ekavisch, Ijekavisch, Ikavisch

Während in den kajkavischen Dialekten des Kroatischen überwiegend als geschlossenes [e] vertreten ist wie im Slowenischen, werden sowohl die štokavischen als auch die čakavischen Dialekte jeweils nach der verschiedenen Vertretung von *e in ekavische, ijekavische und ikavische weiter unterteilt. Dabei ist in den ekavischen Dialekten mit *e zu [ɛ] und in den ikavischen mit *i zu [i] zusammengefallen. In den ijekavischen Dialekten ergab sich ein Diphthong [iɛ], der lang als ije und kurz als je geschrieben wird und hauptsächlich in der bosnischen Sprache verwendet wird. (Daher nennt man die ijekavischen Dialekte bisweilen auch jekavisch; vgl. die Dialektkarte bei Brabec/Kraste/Živković.) Im Ijekavischen steht vor o < l der ikavische, nach r bisweilen der ekavische Reflex, z. B. htio < *chъtě ‘wollte’, vremena < *vrěmene ‘Zeit (Gen. Sg.)’ (aber: vrijeme < *vrěmę ‘Zeit (Nom. Sg.)’).

Die modernen Standardvarietäten entwickelten sich im 19. Jahrhundert allesamt auf der Grundlage eines štokavisch-ijekavischen Dialekts (aus der Region Ostherzegowina), so dass Standardbosnisch, -kroatisch und -montenegrinisch sowie die serbische Varietät in Bosnien und Herzegowina ijekavisch sind. Lediglich im Serbischen Serbiens hat sich letztlich das Ekavische der Vojvodina durchgesetzt. (Beispiele)

Siehe auch: Štokavisch (Verbreitung und Dialekte), Čakavisch (Dialekte), Unterschiede zwischen den serbokroatischen Standardvarietäten (Phonologie)

Bulgarisch und Mazedonisch

Jat-Grenze, westlich derer nur als [ɛ] vertreten ist

Die östlichen südslawischen Dialekte sind durch verschiedene Mischungen der -Reflexe [a] und [ɛ] gekennzeichnet, wobei im Osten [a] überwiegt und im Westen [ɛ].

In der bulgarischen Standardsprache ist als [ʲa] vertreten, wenn es in betonter Stellung vor einem nicht palatalisierten („harten“) Konsonanten stand. Die Konsonanten ч, ш und ж werden hierbei als palatalisierte Konsonanten gezählt, obwohl sie im Bulgarischen nicht palatal sind.[1] In allen anderen Fällen steht [ɛ]. Diese /a/-/e/-Alternation wird in vielen Bulgarisch-Lehrbüchern und Grammatiken я-кане oder променливо я genannt.

Im Mazedonischen ist in allen Positionen mit *e zu [ɛ] zusammengefallen (ebenso wie im ekavischen Serbisch).

Übersicht mit Beispielwörtern

Urslawisch *bělъjь
‘weiß’ (Nom. Sg. m.)
(langes )
*běliji
‘weiß’ (Nom. Pl. m.)
(langes )
*měriti
‘messen’
(kurzes )
*čitati
‘lesen’
(*i)
*devętь
‘neun’
(*e)
*sěmję
‘Same’
Russisch belyj (белый) belye (белые) merit’ (мерить) čitat’ (читать) devjat’ (девять) semja (семя)
Weißrussisch bely (белы) belyja (белыя) merac’ (мераць) čytac’ (чытаць) dzevjac’ (дзевяць) semja (семя)
Ukrainisch bilyj (білий) bili (білі) mirjaty (міряти) čytaty (читати) dev”jat’ (дев’ять) sim”ja (сім’я)
Polnisch biały bieli mierzyć czytać dziewięć siemię
Niedersorbisch běły - měriś cytaś źewjeś semje
Obersorbisch běły běli měrić čitać dźewjeć symjo
Tschechisch bílý bílí měřit číst devět semeno (literarisch sémě)
Slowakisch biely bieli merať čítať deväť semeno
Slowenisch bel beli meriti čitati devet seme
Ekavisch beli (бели) beli (бели) meriti (мерити) čitati (читати) devet (девет) seme (семе)
Ijekavisch bijeli (бијели) bijeli (бијели) mjeriti (мјерити) čitati (читати) devet (девет) sjeme (сјеме)
Ikavisch bili bili miriti čitati devet sime
Mazedonisch bel (бел) beli (бели) meri (мери) čita (чита) devet (девет) seme (семе)
Bulgarisch bjal (бял) beli (бели) merja (меря) četa (чета) devet (девет) seme (семе)

Der Buchstabe ѣ

Glagolitisch

Im glagolitischen Alphabet gab es nur einen Buchstaben Bild:GlagolitsaJat.gif (in der kroatischen, eckigen Schrift , Auszeichnungsform ), der gleichzeitig und *ja bezeichnete. Dies deutet darauf hin, dass das glagolitische Alphabet in einer Region erfunden wurde, in der und *ja zusammengefallen waren.

Kyrillisch

Der kyrillische Buchstabe Jat in der heute üblichen Zivilschrift, kursiv und in alter Kyrilliza

Das kyrillische Alphabet, das offensichtlich in einem anderen Gebiet entstanden ist als das glagolitische, unterscheidet zwischen ѣ für und я für *ja.

Nach der Klassifizierung von August Leskien gehören nur solche kyrillisch geschriebenen Texte zum Kanon des Altkirchenslawischen, bei denen die Grapheme für und für *ja verwechselt werden, da dies darauf hindeutet, dass sie aus einer glagolitischen Vorlage abgeschrieben sind. Diejenigen Handschriften, die dieses Kriterium nicht erfüllen, werden nicht zum Kanon gezählt, weswegen ihre Sprache als eine Redaktion des Kirchenslawischen zu bezeichnen ist. Hierdurch wurde für die Definition des Altkirchenslawischen eine areale Festlegung getroffen, wodurch verschiedene Handschriften trotz ihres beachtlichen Alters nicht als Kanontexte gelten.

In den heutigen slawischen Schriftsprachen kommt der Buchstabe nicht mehr vor. Zuletzt wurde er bei der Rechtschreibreform 1918 im Russischen und gar erst 1945 im Bulgarischen abgeschafft.

Von der Buchstabenform sehr ähnlich ist das sogenannte Halbweichheitszeichen (Ҍ), welches aber eine andere Funktion erfüllt.

Zahlenwert

Das Jat gehört zu denjenigen glagolitischen bzw. kyrillischen Buchstaben, die einen Laut bezeichnen, der im Griechischen nicht vorhanden war, so dass es keinen griechischen Buchstaben dafür gab, den man hätte übernehmen können. Dementsprechend hat Jat weder im Glagolitischen noch im Kyrillischen einen Zahlwert. Die Herkunft der Buchstabenformen ist unklar.

Kodierung

Der Buchstabe Jat fehlt zwar in vielen Fonts, ist jedoch in Unicode enthalten. Groß- und Kleinbuchstabe haben dort die Nummern 1122 (hexadezimal 462) bzw. 1123 (hex. 463). In HTML sind sie somit als &#1122; (oder &#x462;) bzw. &#1123; (oder &#x463;) darstellbar.

Weblinks

Quellen

  1. Vassilka Radeva (Hrsg.): Bulgarische Grammatik, Seite 19. Helmut Buske Verlag, Hamburg 2003, ISBN 3-87548-321-9.
  • Herbert Bräuer. Slavische Sprachwissenschaft, Bd. I: Einleitung, Lautlehre. Berlin 1961 (=  Sammlung Göschen, Bd. 1191), §§ 31, 32, 40, 72.
  • Michael Samilov. The phoneme jat’ in Slavic. The Hague u. a. 1964.
  • Charles E. Townsend, Laura A. Janda. Gemeinslavisch und Slavisch im Vergleich. Einführung in die Entwicklung von Phonologie und Flexion. Übers. Peter Rehder. München 2003. ISBN 3-87690-831-0. Kap. 5.1, 10.
  • Nikolaos Trunte. Словѣньскъи ѩзыкъ. Ein praktisches Lehrbuch des Kirchenslavischen in 30 Lektionen. Zugleich eine Einführung in die slavische Philologie. Bd. I: Altkirchenslavisch. 5. Aufl., München 2003, Kap. 1.4, 15.1.

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