Jorinde Voigt

Jorinde Voigt

Jorinde Voigt (* 19. Januar 1977 in Frankfurt am Main) ist eine deutsche Künstlerin, die mit den Medien Zeichnung, Schrift und Installation arbeitet.

Die in Berlin lebende Künstlerin beschäftigt sich in ihren filigranen, großformatigen Notationen und Partituren aus Zahlen, Ziffern, Linien und Codes mit der Erfassung unsichtbarer Phänomene des Alltags.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Vor ihrem Studium der Bildenden Kunst studierte Jorinde Voigt von 1996 bis 1998 Philosophie und Neue deutsche Literatur an der Georg-August-Universität Göttingen sowie Soziologie, Philosophie und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Von 1986 bis 1996 absolvierte sie zudem eine Celloausbildung an der Akademie für Tonkunst in Darmstadt.

1999 begann Jorinde Voigt an der Universität der Künste Berlin Bildende Kunst zu studieren. Nach einem Jahr der Visual Art Studies am Royal College of Art in London 2001 setzte sie ihr Studium in der Klasse der Bildenden Kunst und Fotografie bei Katharina Sieverding fort, bei der sie 2004 als Meisterschülerin das Studium abschloss.

Auf der Art Cologne (New Talent) 2006 gelang Jorinde Voigt mit der Galerie Fahnemann Berlin der nationale und internationale Durchbruch in der Kunstszene. Heute ist sie in zahlreichen Galerien, Museen sowie privaten und öffentlichen Sammlungen wie der Bundeskunstsammlung Bonn, der Collection Hoffmann und dem Kupferstichkabinett in Berlin vertreten. 2008 wurde Jorinde Voigt mit dem Otto-Dix-Preis der Stadt Gera ausgezeichnet. 2010 war sie für den Future Generation Art Prize in Kiew nominiert.

Jorinde Voigt fand erst am Ende ihrer künstlerischen Ausbildung zu den Medien Zeichnung und Schrift, mit denen sie heute hauptsächlich arbeitet. Nach anfänglichen Fotografiearbeiten über kulturtypische Motive nordamerikanischer Städte wandte sie sich von der Fotografie ab, um nicht bereits bestehende Bilder zu reproduzieren, sondern um mit Charakteristika von Situationen wie Zeit, Raum, Geschwindigkeit und Form[1] auf dem Papier experimentieren zu können.

Während eines Aufenthaltes in Florida notiert Jorinde Voigt 2003 erstmals Momentaufnahmen ihrer unmittelbaren Umgebung. Im selben Jahr entstehen während einer Indonesienreise die Arbeiten Indonesia I-III, welche die optischen Bestandsaufnahmen der Welt um ihre Akustik erweitern. Jorinde Voigt beginnt Geräusche in Tabellen, Zahlen, Pfeile und Klammern zu übersetzen und nach einer bestimmten Systematik auf dem Papier anzuordnen. Der Ansatz war damals, die Frequenz von Ereignissen, die eine spezifische kulturelle Situation ausmachen, zu untersuchen. Das war mehr oder weniger ein Abschreiben von der Realität[2].

Seit 2006 folgen zahlreiche Skizzen, Einzelblätter und Serien wie 2 küssen sich I- VI, O.T. 1-14 (2006), Konstellation Algorithmus Adlerflug […], Colorado Partitur, PERM I-III, Konglomerat I-III (2007), Akustisches Feld 1- IV, ReWrite I-VI, STAAT/Random I-XI (2008), 8-er Deklination I-VIII und Symphonic Area Var. 1-27 (2009). Jorinde Voigt entwickelt eine völlig individuelle und konzeptuelle Schreibweise für kulturelle und naturwissenschaftliche Phänomene wie Temperaturverläufe, Popsongs, Pulsschläge, Adlerflüge, sich küssende Paare, Himmelsrichtungen, Windrichtungen, Lichtbögen, Elektrizität, Detonationen, Schussfelder, Matrizen, Rotationen etc. Ziel von Voigts Notationen ist nicht das bloße Abbilden, sondern das Konstruieren einer neuen Sichtweise auf die Welt in all ihrer Komplexität, Vielschichtigkeit und Gleichzeitigkeit. Eine Struktur oder Schreibweise finden, die sich möglichst lebendig verhält, da etwas Lebendiges beobachtet wird[3].

Mittels selbst auferlegten Regeln (Algorithmen) sowie spontanen Regelabweichungen erzeugt Jorinde Voigt Variationen, Ordnung und Chaos auf dem Papier. Auf diese Weise entsteht eine Dynamik und Lebendigkeit, die ihre Arbeiten von den strengen Zeichnungen der Konzeptkunst, wie etwa von Hanne Darboven, unterscheiden[4]. Da Voigt das Format ihrer Notationen ins überdimensionale steigert, spielt der performative Anteil eine bedeutende Rolle in ihrem Werk. Voigt notiert von allen Seiten des Papiers ausgehend und füllt die Formate in monatelanger, präziser Fleißarbeit mit akribischen Bleistift- und Tuschelinien, Zahlen und Buchstaben aus.

Voigts Zeichnungen sind von musikalischen Themen wie Rhythmen, Frequenzen, akustischen Impulsen, Transformationen, Beats, Loops, Zäsuren und Melodien gekennzeichnet. So lag es nahe, dass ihre Konzepte 2008 von den Komponisten Patric Catani und Chris Imler vertont und als Klanginstallation Matrix & Lemniscate in der Galerie Christian Lethert in Köln ausgestellt wurden.

Zwischen 2009 und 2010 beschäftigt sich Jorinde Voigt verstärkt mit persönlichen wahrnehmungspsychologischen Studien. In den Arbeiten Botanic Code (2009–2010) und Superdestination (2010) untersucht sie Farbspektren und Formen.

Seit 2009 übersetzt Jorinde Voigt ihre schriftlichen Gedankenexperimente in dreidimensionale Objekte. Die Installationen MI & MII (Action and Communication Study) (2009), Deklination „Grammatik“ (2010) und Collective Time (2010) werfen wie ihre Zeichnungen Fragen über Information, Kommunikation und Visualisierung auf.

Das Werk der Künstlerin basiert auf einer eigenständigen Logik, die auf den Betrachter/die Betrachterin faszinierend, aber undurchschaubar wirkt[5]. Wie jede fremde Sprache erfordert auch Jorinde Voigts Zeichenkodex einen Lernprozess, um mit den Arbeiten kommunizieren zu können[6], heißt es in dem ersten Gesamtkatalog über Jorinde Voigts Werk, der 2011 anlässlich der Ausstellung Jorinde Voigt im Von der Heydt-Museum Wuppertal erschienen ist.

Ausstellungen (Auswahl)

  • 2011 „Iluminations“, 54th International Art Exhibition – La Biennale di Venezia“, Palazzo Papadopoli, Venice, I(Gruppenausstellung)
  • 2011 „Jorinde Voigt – Interhorizontal“, Teckningsmuseet i Laholm, SE
  • 2011 „Jorinde Voigt – Territorium“ Pécsi Galeria, Pècs, HU
  • 2011 „Jorinde Voigt“, Von der Heydt-Museum, Wuppertal, D
  • 2010 „Future Generation Art Prize 2010“, Pinchuk Art Center, Kiev, UA (Gruppenausstellung)
  • 2010 „Rosenkranz Kubus IX: Jorinde Voigt“, Museum der Bildenden Künste Leipzig, D
  • 2010 „Zeichnung als Weltentwurf“, Museum für Gegenwartskunst, Siegen, D (Gruppenausstellung)
  • 2010 „Jorinde Voigt – Superdestination“, Galerie Christian Lethert, Köln / Cologne, D
  • 2010 „Jorinde Voigt – Territorium“, Galerie Parisa Kind, Frankfurt, D
  • 2010 „Jorinde Voigt – STAAT/ Random I-XI“, Gemeentemuseum, Den Haag, NL
  • 2010 „Jorinde Voigt – Collective Time“, Galerie Martin Klosterfelde, Berlin, D
  • 2010 „Jorinde Voigt – Axioma“, Galleria Marie-Laure Fleisch, Rom, IT
  • 2010 „LINIE, LIGNE, LINEA. Zeichnung der Gegenwart“, Kunstmuseum Bonn, D (Gruppenausstellung)
  • 2010 „Dopplereffekt. Bilder in Kunst und Wissenschaft“, Kunsthalle zu Kiel, Kiel, D (Gruppenausstellung)
  • 2009 „Jorinde Voigt – Symphonic Area“, HDKV Heidelberger Kunstverein, D
  • 2009 „Jorinde Voigt – STAAT/ Random I-XI“, Byrd Hoffman Watermill Found., New York, US
  • 2009 „Jorinde Voigt – Stochastic Storms“, Galerie Bernd Klüser, München / Munich, D
  • 2008 „Jorinde Voigt – Matrix/Lemniscate“, Galerie Christian Lethert, Köln / Cologne, D
  • 2008 „Jorinde Voigt – STAAT“ und „Lemniscate“, Watermill Center, New York, US
  • 2008 „Zeichnung als Prozess“, Museum Folkwang, Essen, D (Gruppenausstellung)
  • 2008 „Jorinde Voigt – DUAL“, NKV Nassauischer Kunstverein Wiesbaden, D
  • 2008 „Jorinde Voigt – ReWrite – Constellation of One“, Galerie Fahnemann, Berlin, D
  • 2008 „Medium Zeichnung“, Haus der Kunst München, Munich D (Gruppenausstellung)
  • 2008 „I bought the Brooklyn Bridge”, Kulturforum Potsdamer Platz, Kupferstichkabinett; Berlin, D (Gruppenausstellung)
  • 2007 „Jorinde Voigt – Konglomerat“, Galerie Christian Lethert, Köln / Cologne, D
  • 2007 „Jorinde Voigt – Perm Millennial“, Fahnemann Projects Berlin, D

Preise

  • 2010 Nominierung Future Generation Art Prize 2010, Kiev, Ukraine
  • 2010 ISCP International Studio & Curatorial Program, New York, US
  • 2008 Bosch-Rexroth Preis für Junge Kunst, D
  • 2008 Otto-Dix-Preis, Gera, D
  • 2008 Residency Program, Byrd Hoffmann Watermill Foundation, The Watermill Center – a laboratory for performance, New York, US
  • 2008 Arbeitsstipendium des Berliner Senats, Berlin, D
  • 2008 Arbeitsstipendium Stiftung Kunstfonds, Bonn, D
  • 2007 Gasag Förderpreis, Berlin, D
  • 2007 The Jerusalem Center for the Visual Arts Residency (JCVA) / Mishkenot Sha’ananim, Jerusalem, IL
  • 2007 EHF-Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung, D
  • 2006 Herbert-Zapp-Preis für junge Kunst, D
  • 2004 Projektförderung der Deutschen Botschaft Paris, FR
  • 2004 6 Monate Arbeitsaufenthalt am Cité Internationale des Arts, Paris, FR
  • 2004 2 Monate Paris-Stipendium des Senats für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Berlin, D
  • 2004 3 Monate Stipendium des OFAJ, Office franco – allemand pour la jeunesse, Berlin – Paris, D / FR
  • 2003 Projektförderung des Senats für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Berlin, D

Sammlungen

  • Bundeskunstsammlung / Federal Republic of Germany’s Contemporary Art Collection, Bonn, D
  • Collection Hubert Burda Media, München / Munich, D
  • Collection Dr. Axel Ciesielski
  • Kunstsammlung des Europäischen Patentamts, Berlin, D
  • Kunstsammlung Gera, D
  • Collection Albert Groot Herleen, NL
  • Collection Hoffmann Berlin, D
  • Collection Institute for Foreign Cultural Relations, IfA, Stuttgart, D
  • Staatliche Museen zu Berlin – Kupferstichkabinett / Museum of Prints and Drawings Berlin, D
  • Collection Rosenkranz Berlin, D
  • Landesmuseum Sachsen-Anhalt, Halle, D
  • Collection De Geer Stockholm, SE
  • Kunstmuseum Stuttgart / Museum of Arts Stuttgart, D
  • Collection Rick, D
  • Collection Schering Stiftung, D
  • Collection Kunsthaus Zuerich, CH
  • Sammlung Landesbank Hessen und Thüringen, Dependance Paris, F
  • Sammlung Deutsche Bundesbank

Literatur (Auswahl)

  • Jorinde Voigt Nexus, hrsg. von Julia Klüser, mit Texten von Andreas Schalhorn und Lisa Sintermann, Ausstellungskatalog Von der Heydt-Museum Wuppertal, Ostfildern 2011.
  • Lisa Sintermann: Die Vermessung des Unsichtbaren – Notationsverfahren in den konzeptuellen Zeichnungen von Jorinde Voigt. Diplomarbeit, Stiftung Universität Hildesheim 2010.
  • Jorinde Voigt – Botanic Code, Kienbaum Artist’s Books 2011 Edition, Köln 2010.
  • Niklas Maak: „Die Flugbahn des Adlers in unserem Gehirn“, FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. August 2010, S. 26.
  • Selected Artists. Stipendiatinnen und Stipendiaten des Arbeitsstipendiums für Bildende Kunst des Berliner Senats 2008, hrsg. von der Neuen Berliner Gesellschaft für Bildende Kunst e.V., Berlin 2009.
  • Jorinde Voigt. Otto-Dix-Preis 2008. Preisträgerin, hrsg. von Holger Peter Saupe und der Kunstsammlung Gera, Gera 2008.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Julia Klüser: „Vorwort“. In: Jorinde Voigt Nexus, hrsg. von Julia Klüser, mit Texten von Andreas Schalhorn und Lisa Sintermann, Ausstellungskatalog Von der Heydt-Museum Wuppertal, Ostfildern 2011, S.6
  2. Peter Lodermeyer: „Jorinde Voigt. E-Mail-Interview mit Peter Lodermeyer“, August/September 2009. (Zugriff: 5. Juni 2010 ) <http://jorindevoigt.com/blog/wp-content/wp-content/uploads/interview_voigt-lodermeyer_de.pdf>
  3. Jorinde Voigt: „Projektbeschreibung – Watermill Center“, o.J.
  4. Andreas Schalhorn: „Sachverhalte. Anmerkung zur Zeichnung bei Jorinde Voigt“. In: Jorinde Voigt Nexus, hrsg. von Julia Klüser, mit Texten von Andreas Schalhorn und Lisa Sintermann, Ausstellungskatalog Von der Heydt-Museum Wuppertal, Ostfildern 2011, S. 10-11.
  5. Zeitblick. Ankäufe der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland 1998 – 2008, hrsg. von Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Köln 2008, S.156.
  6. Julia Klüser: „Vorwort“. In: Jorinde Voigt Nexus, hrsg. von Julia Klüser, mit Texten von Andreas Schalhorn und Lisa Sintermann, Ausstellungskatalog Von der Heydt-Museum Wuppertal, Ostfildern 2011, S.6.

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