- Josef Masin jr
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Die Mašín-Brüder (sprich Maschin) Ctirad Mašín (* 1930) und Josef Mašín jr (* 1932) sind Söhne des Tschechischen Offiziers Josef Mašín (1896-1942) der im Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv war und hingerichtet wurde. Josef Mašín senior wurde posthum zum General befördert, seine halbwüchsigen Söhne erhielten Tapferkeitsmedaillen.
Anfang 1951 gründeten die Brüder mit einigen Gleichgesinnten eine bewaffnete antikommunistische Widerstandsgruppe, die einige Anschläge und Sabotageakte durchführte. Internationales Aufsehen erregte ihre spektakuläre „Wild-West-Flucht“ im Herbst 1953: unter den Augen tausender Volkspolizisten und Rotarmisten schossen sie sich den Weg durch den Eisernen Vorhang frei.
In Tschechien wird bis heute kontrovers diskutiert, ob die Taten der Mašín-Brüder als Partisanenkampf oder als Verbrechen zu bewerten sind.
Inhaltsverzeichnis
Gründung der Mašín-Gruppe
Die Machtübernahme der Kommunisten machte aus Söhnen eines Nationalhelden „Klassenfeinde“. In dieser narzisstischen Kränkung sahen jene noch vom Sozialismus beeinflussten Autoren den Grund des „privaten Krieges“ der Mašín-Brüder gegen den Staat. Die Wahrheit ist natürlich komplizierter: als Angehörige der ehemals „herrschenden Klasse“ erlebten die Brüder den stalinistischen Terror der 50er Jahre aus nächster Nähe: viele von denen, die über Nacht auf Nimmerwiedersehen verschwanden oder in Schauprozessen zum Tode verurteilt wurden, waren Bekannte oder Freunde der Mašín-Familie. So war zum Beispiel Milada Horáková (1901-1950), eine tschechoslowakische Politikerin und Frauenrechtlerin und eines der ersten Justizmordopfer des Regimes, eine enge Freundin ihrer Mutter gewesen. Vater Mašín hatte in seinem letzten Brief, den man nach seinem Tod in seiner Zelle fand, die Söhne aufgerufen, stets für die Freiheit ihres Vaterlandes zu kämpfen. Die „Russen“ - einst Verbündete im Kampf gegen die Nazis - waren in ihren Augen jetzt die Besatzer, die es zu vertreiben galt. Viele Menschen in Osteuropa dachten ähnlich: sie hofften auf die amerikanische Invasion, die Radiosender wie Voice of America (VOA) und Radio Free Europe (RFE) beständig ankündigten. Junge Männer aus diesen Ländern flohen in den Westen, um sich dort einer eigens gegründeten Spezialeinheit der United States Army anzuschließen. Deren Mitglieder sollten im Fall des Krieges als Untergrundkämpfer in ihren Heimatländern eingesetzt werden. Auch die Mašíns wollten diesen Weg gehen. Vorher aber wollten sie die Kommunisten zu Hause „das Fürchten lehren“.
Mit einigen Freunden gründeten sie eine lose Aktionsgruppe. Das einzige ältere Mitglied dieser Gruppe war Ctibor Novak, Onkel der Mašín-Brüder und ehemaliger Geheimdienstoffizier. Er fungierte als eine Art „Berater“. Außer Novak und den Mašíns kannte kein Mitglied der Gruppe die Identität aller anderen Mitglieder. Vor Gericht behauptete Novak später, er habe sich der Gruppe nur angeschlossen, um mäßigend auf seine heißspornigen Neffen einwirken und sie von gefährlichen Aktionen abhalten zu können. Dies war aber nur seiner Verteidigungsstrategie: in Wirklichkeit war er ein leidenschaftlicher Förderer des Untergrundkampfes.
Aktionen der Gruppe
1951 überfiel die Gruppe zwei Polizeistationen, um Waffen und Munition zu erbeuten. Jedes Mal wurde ein Polizist getötet. Andere Zeugen der Überfälle wurden zwar mit Chloroform betäubt, aber am Leben gelassen. Kurz darauf wurden Novak und die Mašíns vom tschechoslowakischen Geheimdienst Státní bezpečnost (StB) verhaftet und wochenlang „verschärften Verhörmethoden“ unterzogen. Allerdings nicht wegen der Überfälle. Ctirad Mašín kannte den Fluchtplan des Freundes eines Freundes und hatte diesem Unterstützung zugesichert. Jene Person wurde als angeblicher CIC-Agent verhaftet und erzählte im Verhör alles, was er wusste. Ctirad Mašin wurde daraufhin zur Zwangsarbeit in einer Uranmine bei Jachymov (Joachimsthal) verurteilt. Erstaunlicherweise hatten die StB-Leute bei der Verhaftung darauf verzichtet, den Dachboden zu durchsuchen. Dort hatten sich drei weitere Mitglieder der Gruppe mit den Waffen verschanzt, entschlossen, sofort das Feuer zu eröffnen.
Während Ctirad Mašíns Haft überfielen die anderen einen Lohngeldtransport und erbeuteten 846.000 Kronen. Einer der Transportbegleiter erhob seine Waffe gegen Josef Mašín und wurde erschossen.
Nach seiner Freilassung trug Mašín sich mit der Idee, einen Güterzug mit Uran für die Sowjetunion oder den Zug von Präsident Gottwald in die Luft zu sprengen. Zu diesem Zweck stahl die Gruppe 4 Kisten a 25 Kilogramm Donarit aus einem Steinbruch. Dieser Sprengstoff kam aber nicht mehr zum Einsatz. Die letzte spektakuläre Aktion war „Die Nacht der Großen Feuer“. Václav Švéda und Ctirad Mašín fuhren mit dem Rad durch Mährische Dörfer und versteckten überall Brandsätze mit improvisierten Zeitzündern in Strohschobern. Das Ganze war ein Protest gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft. Selbst Stroh war damals ein knappes Gut. Die Aktion sollte nicht nur Angst und Schrecken verbreiten, sondern war ein Angriff auf die ökonomische Basis der Kollektiven. Als die Schober brannten, entdeckten einige der aufgeschreckten Bewohner die beiden Fremden. Zwei Männer verfolgten sie mit dem Rad. Als von Mašíns Rad die Kette absprang, eröffnete er das Feuer auf seine Verfolger. Einer blieb unverletzt, der andere überlebte mit je einem Treffer in Lunge und Auge.
Mašín-Anhänger legen Wert auf die Feststellung, dass die beiden letzten Opfer Angehöriger ihrer BetriebsMilizen waren. Damit waren sie keine „unschuldigen Opfer“, sondern Angehörige der bewaffneten Kräfte, ergo legitime Ziele im Partisanenkampf.
Flucht
In der Nacht vom 3. zum 4. Oktober 1953 überschritten Zbyněk Janata, Václav Švéda, Milan Paumer und die Brüder Mašín bei Deutschkatharinenberg die Grenze zur damaligen DDR und versuchten, sich nach Westberlin durchzuschlagen.
Der Versuch, ein Auto zu entführen, brachte die Polizei auf die Spur der „fünf verdächtigen Ausländer“. Bei einer nächtlichen Personenkontrolle auf dem Bahnhof von Uckro eskalierte dann die Situation: ein Polizist wurde erschossen, zwei weitere schwer verletzt. Dieser Zwischenfall löste die größte Fahndungsaktion in der Geschichte der Deutschen Volkspolizei aus. Bis zu 5000 Polizisten, unterstützt von ebenso starken Einheiten der Roten Armee verfolgten die Flüchtigen.
Im weiteren Verlauf der Flucht wurden noch zwei Polizisten von den Verfolgten erschossen, mindestens drei weitere starben durch friendly fire. Außerdem wurden insgesamt mindestens 11 Menschen verletzt.
Nur Zbyněk Janata und Václav Švéda wurden gestellt. Sie und Ctibor Novak wurden später in der Tschechoslowakei zum Tode verurteilt.
Die Mašín-Brüder und Milan Paumer erreichten am 2. November, nach 31 Tagen Flucht, den amerikanischen Sektor Berlins und wurden dort als Helden gefeiert.
Die sogenannte Großfahndung Uckro war den DDR-Behörden peinlich. Sie wurde nicht propagandistisch ausgeschlachtet, sondern totgeschwiegen. An der Moskauer Polizeihochschule diente sie später als Paradebeispiel für verfehlte Polizeitaktik.
Nach der Flucht
Die drei Flüchtlinge wanderten in die USA aus und verpflichteten sich dort für 5 Jahre in der erwähnten Spezialeinheit der US-Armee. Als der Westen im Ungarischen Volksaufstand 1956 nicht eingriff, verloren sie die Illusion vom „großen Krieg gegen den Kommunismus“. Nach dem Ende ihrer Militärzeit zogen sie sich ins Privatleben zurück. Josef Mašín zog in den 60er Jahren in die Bundesrepublik nach Köln. Als der Státní bezpečnost davon erfuhr, versuchte er mehrmals, Mašín zu entführen oder zu ermorden. Später zog Josef Mašín zurück nach Kalifornien, wo beide Brüder bis heute leben. 1995 erklärte ein tschechisches Berufungsgericht die Taten der Mašín-Gruppe auf für verjährt. Die Betroffenen waren mit diesem Urteil unzufrieden: sie fordern einen Freispruch und die Anerkennung als Widerstandskämpfer. Bedauern für ihre uniformierten oder zivilen Opfer ist ihnen fremd und dass Menschen ihre Taten missbilligen betrachten sie als Nachwirkung kommunistischer Propaganda.
Milan Paumer lebt seit 2001 wieder in seiner alten Heimat. Die Brüder Mašín haben aus Protest nie wieder tschechischen Boden betreten.
Bücher
In vielen tschechischen Agitprop-Werken mussten die Mašíns fortan dem Klassenfeind ihr Gesicht leihen. So z.B. in einer Episode der Serie „Die 30 Fälle des Major Zeman“.
1985 erschien ein Buch, das authentische Kriminal- und Spionagefälle anhand von Gerichsakten nacherzählte. Sein Titel: „Mrtví nemluví“ („Tote reden nicht“). Das gleichnamige Kapitel erzählt die Geschichte der Mašín-Brüder und erschien unter dem Titel „Die Mašíns geben nicht auf“ 1989 als Heftroman in der DDR. Natürlich zeugt das Buch von einer „parteilichen“ Einstellung - womit sich die Frage nach möglichen politischen Beweggründen der Mašíns erübrigt. Sie und ihre Freunde erscheinen lediglich als Angehörige einer historisch überlebten Klasse, die sich am Staat für die Enteignung ihres Familienbesitzes und den Verlust ihrer gesellschaftlichen Stellung rächen wollen. Die Strafen gegen Familienangehörige und Freunde der Mašíns werden nicht erwähnt. Bei aller Kritik ist „Die Mašíns geben nicht auf“ bis heute das einzige deutschsprachige Buch, das vom Werdegang der Brüder in der Tschechoslowakei erzählt.
Die Mašíns selbst kamen in den achtziger Jahren in einer Interviewserie des tschechischen Programms von Radio Free Europe sowie im Buch „Jenom ne strach“ („Nur keine Furcht“) zu Wort. Interviewer und Autor des Buches war der ebenfalls im amerikanischen Exil lebende Schriftsteller Ota Rambousek (*1923, Prag). Rambousek war ein Agent des amerikanischen Counter Intelligence Corps (CIC) gewesen. Nach seiner Enttarnung wurde er zum Tode verurteilt, später aber zu lebenslänglicher Haft begnadigt. Im Gefängnis hatte er von der Geschichte der Mašín-Brüder gehört: sie ging seinerzeit als eine Art Heldenlegende unter den Gefangenen um. 1968 kam er frei und ging nach Amerika. Später lernte er die Mašíns persönlich kennen und beschloss, ihre Geschichte aufzuschreiben. Er fand aber keinen Verleger. Mašín-Anhänger versichern, Václav Havel- ehemaliger Mitschüler der Mašíns am Gymnasium von Poděbrady und ihnen seit diesen Tagen in herzlicher Feindschaft verbunden - habe persönlich die Publikation des Buches im tschechischen Exilverlag 68 Publishers verhindert. Deshalb erschien „Jenom ne strach“ erst 1990 in Prag.
Die Geschichte der Fahndung und die Gründe für ihr Scheitern wurden erst nach der Wende von Wolfgang Mittmann aufgearbeitet. Mittmann, vierunddreißig Jahre im Dienst der VP, widmete sich nach Ende seiner Karriere der Aufarbeitung mysteriöser, spektakulärer oder gänzlich verschwiegener Kriminalfälle der DDR. Die Großfahndung Uckro gehörte zu den letzteren. Mitmann nannte sie einen „weißen Fleck in der DDR-Polizeigeschichte“. Auf diesen wurde er aufmerksam, als er - noch vor der Wende - in einem Buch die Namen von vier angeblich im Jahre 1949 (!) getöteten Polizisten fand, die in der offiziellen Chronik der Volkspolizei nicht auftauchten. Der Grabstein eines der Polizisten wies jedoch 1953 als Todesjahr aus, auch der Nachruf in der lokalen Zeitung war 1953 erschienen. Mittmann interviewte deutsche Zeugen von Flucht und Fahndung (darunter auch die seinerzeit verwundeten Polizisten) und nahm als erster Einsicht in die Akten von Volkspolizei und Staatssicherheit. Er verglich die Ergebnisse seiner Recherche mit Mašíns Aussagen in Buch und Interview und korrigierte dessen Angaben hinsichtlich der Anzahl der Verfolger und der getöteten Polizisten. Mašíns Darstellung der Aktionen in Tschechien ist laut Mittmann „bewußt geschönt“.
Im Jahre 2004 veröffentlichte der tschechisch-amerikanische Schriftsteller Jan Novak (Nicht verwandt mit Ctibor Novak und nicht zu verwechseln mit dem Komponisten Jan Novak) den Roman "Zatim dobry" (So weit, so gut), der die Geschichte der Familie Masin als Grundlage hat. Obwohl Novak das Buch in Englisch verfasste, gibt es bisher nur eine tschechische Ausgabe.
Barbara Mašín - Josef Mašíns Tochter - recherchierte ebenfalls die Geschichte ihrer Familie in deutschen, amerikanischen und tschechischen Archiven und veröffentlichte im Ergebnis das Buch „Odkaz“ (Testament). Die englischsprachige Ausgabe „Gauntlet“ erschien 2006.
Diskussion
Es scheint als spielten die Mašín-Brüder heute eine größere Rolle für die tschechische Öffentlichkeit als in ihrer aktiven Zeit: Sie zwingen ihr die Diskussion über die Legitimität des bewaffneten antikommunistischen Widerstandes auf. Für die einen sind sie Verbrecher und Mörder, für die anderen sind sie Helden und die einzigen Opfer des Stalinismus, die nie rehabilitiert wurden. Anträge, ihnen zum Nationalfeiertag den Thomas-Masaryk-Preis zu verleihen, werden jedes Jahr gestellt, wurden bisher aber immer abgelehnt. Tschechische Politiker vermeiden es zumeist, in der Öffentlichkeit klar Stellung zu den Mašíns zu beziehen.
Die im Exil lebenden Tschechen scheinen mehrheitlich Mašín-Anhänger zu sein: die kanadische Vereinigung der Exiltschechen und -slovaken hat die Brüder und Milan Paumer 2005 ausgezeichnet. Im gleichen Jahr unternahmen fünf tschechische Mašín-Anhänger eine Gedenkmarsch entlang der Fluchtstrecke. Sie forderten eine staatliche Auszeichnung für die Brüder als stellvertretende Anerkennung des „bewaffneten Widerstandes“.
Am 28. Februar 2008 verlieh der konservative tschechische Regierungschef Mirek Topolanek während eines USA-Besuchs den Mašín-Brüdern in der tschechischen Botschaft in Washington die neu geschaffene Medaille des Premierministers der Tschechischen Republik Milan Paumer erhielt die Medaille am 4. März. Topolanek setzt sich dafür ein, dass die Mašíns auch vom Parlament für eine hohe staatliche Auszeichnung vorgeschlagen werden.
Literatur
- Vrbecký, František: Die Mašíns geben nicht auf (Original Mrtví nemluví), Berlin 1989, ISBN 3327008183
- Mittmann, Wolfgang Tatzeit. Große Fälle der Deutschen Volkspolizei, Band 1+2, Berlin 1998, ISBN 3360008545
- Rambousek, Ota Jenom ne strach (nur Tschechisch), Prag 1990, ISBN 8085196026
- Novák, Jan Zatím dobrý, Brno 2004, ISBN 8072271946 (englischer Titel So far so good noch nicht erschienen)
- Mašín, Barbara Odkaz, Prag 2005, ISBN 8020412484 (englische Ausgabe Gauntlet, US Naval Institute Press 2006, ISBN 1591145155 Rezension(EN) Website (EN))
Weblinks
- „Vor 50 Jahren: Luckauer Krieg“ teilweise Niederschrift der SFB-Doku Der Luckauer Krieg - Flucht nach Westberlin
- „Kapitel aus der Tschechischen Geschichte: Die Brüder Mašín“ von Radio Prag (Deutsch)
- "Glorreiche Helden, gesinnungslose Lumpen" im Tagesspiegel vom 21. Mai 2007
- Radio Prag über Barbara Mašín und ihr Buch "Gauntlet" (Englisch)
- Warum eine tschechisch-slowakische Exilorganisation die Masin-Brüder ausgezeichnet hat - Radio Prag (Englisch)
- Tschechen streiten über Orden für Widerstandskämpfer Tagesschau.de
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