Mašín-Brüder

Mašín-Brüder

Die Mašín-Brüder Ctirad Mašín (* 11. August 1930 in Prag; † 13. August 2011 in Cleveland, Ohio; in den USA Ray Masin) und Josef Mašín jun. (* 8. März 1932 in Prag; in den USA Joe Masin) sind Söhne des tschechoslowakischen Offiziers Josef Mašín (* 26. August 1896 in Lošany bei Kolín; † 30. Juni 1942 in Prag), der während der Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg in den Widerstandsgruppen ON und ÚVOD aktiv war und hingerichtet wurde. Josef Mašín senior wurde posthum zum General befördert, seine halbwüchsigen Söhne erhielten Tapferkeitsmedaillen.

Anfang der 1950er Jahre verübten die Brüder mit einigen Gleichgesinnten mehrere antikommunistische Anschläge und Sabotageakte gegen das stalinistische Regime der Kommunisten unter Klement Gottwald. Internationales Aufsehen erregte im Kalten Krieg schließlich ihre spektakuläre „Wild-West-Flucht“ im Herbst 1953: trotz eines Aufgebots von tausenden Volkspolizisten und sowjetischen Soldaten schoss sich die Mašín-Gruppe den Weg durch den Eisernen Vorhang bis nach West-Berlin frei. Diese Flucht löste mit der Großfahndung Uckro die größte Fahndungsaktion in der Geschichte der Deutschen Volkspolizei aus und wurde zu deren größter Demütigung.

In Tschechien wird bis heute kontrovers diskutiert, ob die Taten der Mašín-Brüder als Partisanenkampf oder als Verbrechen zu bewerten sind.

Inhaltsverzeichnis

Vorbereitungen zum Untergrundkampf

General Josef Mašín
Ctirad Mašín
Josef Mašín jr.

Die Machtübernahme der Kommunisten im Februar 1948 machte aus Söhnen eines Nationalhelden wegen ihrer bürgerlichen Herkunft „Klassenfeinde“. Die bis heute nachwirkende offizielle Propaganda erklärte später diese „narzisstische Kränkung“ zum Auftakt des „privaten Krieges“ der Mašín-Brüder gegen den tschechoslowakischen Staat. Als Angehörige der ehemals „herrschenden Klasse“ erlebten die Brüder den stalinistischen Terror der 1950er Jahre aus nächster Nähe: viele von denen, die über Nacht auf Nimmerwiedersehen verschwanden oder in Schauprozessen zum Tode verurteilt wurden, waren Bekannte oder Freunde der Mašín-Familie. So war zum Beispiel Milada Horáková (1901-1950), eine tschechoslowakische Politikerin und Frauenrechtlerin und eines der ersten Justizmordopfer des Regimes, eine enge Freundin ihrer Mutter gewesen.

Vater Mašín hatte in seinem letzten Brief, den man nach seinem Tod in seiner Zelle fand, die Söhne aufgerufen, stets für die Freiheit ihres Vaterlandes zu kämpfen. Die „Russen“ – einst Verbündete im Kampf gegen die Nazis – waren in ihren Augen jetzt die Besatzer, die es zu vertreiben galt. Viele Menschen in Osteuropa dachten ähnlich: sie hofften auf die amerikanische Invasion, die Radiosender wie Voice of America (VOA) und Radio Free Europe (RFE) beständig ankündigten. Junge Männer aus diesen Ländern flohen in den Westen, um sich dort einer eigens gegründeten Spezialeinheit der United States Army anzuschließen. Deren Mitglieder sollten im Fall des Krieges als Untergrundkämpfer in ihren Heimatländern eingesetzt werden. Auch die Mašíns wollten diesen Weg gehen. Vorher aber wollten sie die Kommunisten zu Hause „das Fürchten lehren“.

Mit einigen Freunden gründeten sie eine lose Aktionsgruppe. Mentor der Gruppe war Ctibor Novák, Onkel mütterlicherseits der Mašín-Brüder und ehemaliger Geheimdienstoffizier. Nur er und die Mašíns kannten die Identität sämtlicher Mitglieder. Vor Gericht behauptete Novak später, er habe sich der Gruppe nur angeschlossen, um mäßigend auf seine heißspornigen Neffen einwirken und sie von gefährlichen Aktionen abhalten zu können. In Wirklichkeit war er aber ein leidenschaftlicher Förderer des Untergrundkampfes.

Aktionen

1951 überfiel die Gruppe zwei Polizeistationen, um Waffen und Munition zu erbeuten. Beide Male wurde ein Polizist getötet. Andere Zeugen der Überfälle wurden zwar mit Chloroform betäubt, aber am Leben gelassen. Im Kersko-Wald bei Hradištko u Sadské fand eine dieser Aktionen statt. Am 12. September 1951 fesselten Ctirad Mašín und Milan Paumer im Wald den Taxibesitzer, der sie nach ihrem Überfall auf die Polizeistation in Chlumec nad Cidlinou gefahren hatte. Am 28. September bemächtigten sich die Mašín-Brüder und Paumer am Abzweig der Straße nach Kersko von der 611 bei Velenka eines Krankenwagens und fesselten die Sanitäter im Wald. Anschließend überfielen sie mit dem gestohlenen Krankenwagen die Polizeistation in Čelákovice.

Eher zufällig wurden Novák und die Mašíns kurz darauf von der Geheimpolizei Státní bezpečnost (StB) verhaftet und wochenlang „verschärften Verhörmethoden“ unterzogen. Ctirad Mašín hatte sich mit einem entfernten Bekannten über Fluchtmöglichkeiten ausgetauscht. Dieser wurde dann als angeblicher CIC-Agent verhaftet und erzählte im Verhör alles, was er wusste. Mašin wurde daraufhin zur Zwangsarbeit in einer Uranmine bei Jáchymov verurteilt.

Während Ctirad Mašíns Haft überfielen die anderen im August 1952 einen Lohngeldtransport und erbeuteten 846.000 Kronen. Einer der Transportbegleiter wurde von Josef Mašín erschossen.

Nach seiner Freilassung trug Ctirad Mašín sich mit der Idee, einen Güterzug mit Uran für die Sowjetunion oder den Zug von Präsident Gottwald in die Luft zu sprengen. Zu diesem Zweck stahl die Gruppe aus einem Steinbruch vier Kisten mit je 25 Kilogramm Sprengstoff, der aber nicht mehr zum Einsatz kam. Die letzte spektakuläre Aktion war „Die Nacht der Großen Feuer“ Anfang September 1953. Václav Švéda und Ctirad Mašín fuhren mit dem Rad durch einige Dörfer in Mähren und versteckten überall Brandsätze mit improvisierten Zeitzündern in Strohschobern. Das Ganze war ein Protest gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft. Selbst Stroh war damals ein knappes Gut. Die Aktion sollte nicht nur Angst und Schrecken verbreiten, sondern war ein Angriff auf die ökonomische Basis der Kollektivwirtschaften. Als die Schober brannten, entdeckten einige der aufgeschreckten Bewohner die beiden Fremden. Zwei Männer verfolgten sie mit dem Fahrrad. Als von Mašíns Rad die Kette absprang, eröffnete er das Feuer auf seine Verfolger. Einer blieb unverletzt, der andere wurde durch Treffer in Lunge und Auge schwer verletzt.

Mašín-Anhänger legen Wert auf die Feststellung, dass die beiden letzten Opfer Angehöriger der kommunistischen Volksmiliz Lidové milice - dem Pendant zu den ostdeutschen Kampfgruppen der Arbeiterklasse - waren. Sie gelten damit nicht als Zivilisten, sondern als legitime Ziele im Partisanenkampf.

Flucht und Fahndung

Bahnhof Uckro

In der Nacht vom 3. zum 4. Oktober 1953 überschritten Zbyněk Janata, Václav Švéda, Milan Paumer und die Brüder Mašín bei Deutschkatharinenberg die Grenze zur DDR und versuchten, sich nach West-Berlin durchzuschlagen.

Der Versuch, ein Auto zu entführen, brachte die Volkspolizei auf die Spur der „fünf verdächtigen Ausländer“. Bei einer nächtlichen Personenkontrolle auf dem Bahnhof von Uckro bei Luckau eskalierte dann die Situation: ein Polizist wurde erschossen, zwei weitere schwer verletzt. Dieser Zwischenfall löste die Großfahndung Uckro aus, die sich nach einigen weiteren Mißerfolgen zur größten Fahndungsaktion in der Geschichte der Deutschen Volkspolizei entwickelte. Tausende Polizisten waren im Einsatz, außerdem wurden Einheiten der Kasernierten Volkspolizei - dem Vorläufer der NVA - und Einheiten der Sowjetarmee zur Verstärkung beordert.

Die genaue Anzahl der Verfolger ist nicht geklärt. Die später von den Mašins und der westlichen Presse angegebene Zahl von 20.000 beruht auf Angaben von Volkspolizisten, die die Fahndung ihrerseits zur Flucht genutzt hatten. Wegen der rigiden Geheimhaltung innerhalb der ostdeutschen Polizei kann es sich aber nur um eine Schätzung handeln. Der interne Abschlußbericht der Großfahndung sprach lediglich von 5000 Polizisten, machte aber keine Angaben zur Zahl der eingesetzten Sowjetsoldaten.

Die restriktive interne Informationspolitik führte zur Entstehung von Legenden über die unglaubliche Treffsicherheit und Nahkampffähigkeit der Tschechen. Die meist unerfahrenen und verängstigten Polizisten schossen buchstäblich auf "alles, was sich bewegte" und nahmen dabei mehrfach Kollegen oder unbeteiligte Zivilisten unter Feuer. Drei durch friendly fire getötete Polizisten sind bekannt. Drei weitere wurden von den Tschechen erschossen. Nur Zbyněk Janata und Václav Švéda wurden gestellt. Sie und Ctibor Novak wurden später in der Tschechoslowakei zum Tode verurteilt.

Heimliche Unterstützer aus der Bevölkerung und mehrere unglaubliche Zufälle verhalfen den Mašín-Brüdern und Milan Paumer am 2. November, nach 31 Tagen Flucht, den US-amerikanischen Sektor Berlins zu erreichen. Paumer hatte zwei Schußverletzungen erlitten.

Die Großfahndung Uckro war den DDR-Behörden peinlich. Sie wurde nicht propagandistisch ausgeschlachtet, sondern totgeschwiegen. Nur an der Moskauer Polizeihochschule diente sie später als Paradebeispiel für verfehlte Polizeitaktik.

Nach der Flucht

Die drei Flüchtlinge wanderten in die USA aus und verpflichteten sich dort für fünf Jahre in der US-Armee in der Hoffnung, bald in der Tschechoslowakei eingesetzt zu werden. Als der Westen im Ungarischen Volksaufstand 1956 nicht eingriff, verloren sie die Illusion vom „großen Krieg gegen den Kommunismus“.

Nach dem Ende ihrer Militärzeit wurden die beiden Brüder Unternehmer. Milan Paumer arbeitete als Taxifahrer in Florida. Josef Mašín zog in den 1960er Jahren in die Bundesrepublik nach Köln. Als der tschechoslowakische Geheimdienst davon erfuhr, versuchte er mehrmals, Mašín zu entführen oder zu ermorden. Später ging Josef Mašín wieder nach Kalifornien.

1995 erklärte ein tschechisches Berufungsgericht die Taten der Mašín-Gruppe für verjährt. Die Betroffenen waren mit diesem Urteil unzufrieden: sie fordern einen Freispruch und die Anerkennung als Widerstandskämpfer. Sie haben nie Bedauern für die uniformierten und zivilen Opfer, drei Tote in der Tschechoslowakei, vier Tote und zwei Verletzte in der DDR, geäußert und halten eine Missbilligung ihrer Taten für eine „Nachwirkung kommunistischer Propaganda“.

Milan Paumer lebte seit 2001 wieder in seiner alten Heimat. Am 22. Juli 2010 erlag er im Alter von 79 Jahren in Prag einer schweren Krankheit. Die Mašín-Brüder haben nie wieder tschechischen Boden betreten und sind auch nicht zum Begräbnis Paumers gekommen - mit der Begründung, dass sich in Tschechien seit dem Ende des Kommunismus eigentlich nicht viel geändert hat.[1]

Bücher, Filme und Dokumentationen

In vielen tschechischen Agitprop-Werken mussten die Mašíns fortan dem Klassenfeind ihr Gesicht leihen. So z.B. in einer Episode der Serie „Die 30 Fälle des Major Zeman“. In den siebziger Jahren veröffentlichte eine Zeitschrift sogar Josef Mašíns deutsche Adresse. Das sollte einem alten, jetzt im Auftrag des Staatssicherheitsdienstes reisenden, Freund eine Begründung liefern, woher er diese kannte.

1985 erschien unter dem Titel „Mrtví nemluví“ („Tote reden nicht“) eine Sammlung authentischer Kriminalfälle, die auch den Mašín-Brüdern ein Kapitel widmete. Dieses erschien im Frühjahr 1989 als Heftroman „Die Masins geben nicht auf“ in der DDR und war die einzige Ausnahme vom flächendeckenden Totschweigen der "Großfahndung Uckro" und ihrer Vorgeschichte.

Die Mašíns selbst kamen in den 1980er Jahren in einer Interviewserie des tschechischen Programms von Radio Free Europe sowie im Buch „Jenom ne strach“ („Nur keine Furcht“) zu Wort. Interviewer und Autor des Buches war der ebenfalls im amerikanischen Exil lebende Schriftsteller Ota Rambousek (1923–2010). Rambousek war ein Agent des amerikanischen Counter Intelligence Corps (CIC) gewesen. Nach seiner Enttarnung wurde er zum Tode verurteilt, später aber zu lebenslänglicher Haft begnadigt. Im Gefängnis hatte er von der Geschichte der Mašín-Brüder gehört: sie ging seinerzeit als eine Art Heldenlegende unter den Gefangenen um. 1968 kam er frei und ging nach Amerika. Später lernte er die Mašíns persönlich kennen und beschloss, ihre Geschichte aufzuschreiben. Er fand aber keinen Verleger. Mašín-Anhänger versichern, Václav Havel – ehemaliger Mitschüler der Mašíns am Gymnasium von Poděbrady und ihnen seit diesen Tagen in herzlicher Feindschaft verbunden – habe persönlich die Publikation des Buches im tschechischen Exilverlag 68 Publishers verhindert.[2]. Das Buch erschien schließlich 1990 in Prag.

Die Geschichte der Fahndung und die Gründe für ihr Scheitern wurden erst nach der Wende von Wolfgang Mittmann aufgearbeitet. Mittmann, 34 Jahre im Dienst der Volkspolizei, widmete sich nach Ende seiner Karriere der Aufarbeitung spektakulärer und mysteriöser Kriminalfälle der DDR. Zur demütigenden "Großfahndung Uckro" hatte es nicht mal polizeiintern offizielle Informationen gegeben, umso mehr hatte die Gerüchteküche zum "Tschechenkrieg" gebrodelt. [3] Mittmann interviewte deutsche Zeugen von Flucht und Fahndung, darunter die verwundeten Polizisten und nahm als erster Einsicht in die Akten von Volkspolizei und Staatssicherheit. Einige Angaben aus Rambouseks Buch korrigierte er. Mittmann betrachtete die Mašíns als Gewaltverbrecher und zeigte sich erstaunt, dass Rambousek ihre Aktionen als "legitimen Kampf gegen den Kommunismus" pries.

Im Jahre 2004 veröffentlichte der tschechisch-amerikanische Schriftsteller Jan Novák den Roman „Zatím dobrý“ (So weit, so gut), der die Geschichte der Familie Mašín als Grundlage hat. Obwohl Novak das Buch in Englisch verfasste, gibt es bisher nur eine tschechische Ausgabe.

Barbara Mašín – Josef Mašíns Tochter – recherchierte ebenfalls die Geschichte ihrer Familie in deutschen, amerikanischen und tschechischen Archiven und veröffentlichte im Ergebnis das Buch „Odkaz“ (Testament). Die englischsprachige Ausgabe „Gauntlet“ erschien 2006.

Diskussion

Es scheint, als spielten die Mašín-Brüder heute eine größere Rolle für die tschechische Öffentlichkeit als in ihrer aktiven Zeit: Sie zwingen ihr die Diskussion über die Legitimität des bewaffneten antikommunistischen Widerstandes auf. Für die einen sind sie Verbrecher und Mörder, für die anderen sind sie Helden und die einzigen Opfer des Stalinismus, die nie rehabilitiert wurden. Anträge, ihnen den Tomáš-Garrigue-Masaryk-Orden zu verleihen, werden jedes Jahr gestellt, wurden bisher aber immer abgelehnt. Tschechische Politiker vermeiden es zumeist, in der Öffentlichkeit klar Stellung zu den Mašíns zu beziehen.

Die kanadische Vereinigung der Exiltschechen und -slowaken hat die Brüder und Milan Paumer 2005 mit dem Tomáš-Garrigue-Masaryk-Preis ausgezeichnet. Im gleichen Jahr unternahmen fünf tschechische Mašín-Anhänger eine Gedenkmarsch entlang der Fluchtstrecke. Sie forderten eine staatliche Auszeichnung für die Brüder als stellvertretende Anerkennung des „bewaffneten Widerstandes“.

Am 28. Februar 2008 verlieh der konservative tschechische Regierungschef Mirek Topolánek während eines USA-Besuchs den Mašín-Brüdern in der tschechischen Botschaft in Washington die neu geschaffene Medaille des Premierministers der Tschechischen Republik. Milan Paumer erhielt die Medaille am 4. März. Topolánek forderte das Parlament auf, den Brüdern ebenfalls eine Auszeichnung zu verleihen.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Silja Schultheis: „Es fehlt eine klare Einstellung zur kommunistischen Zeit“ – Publizist Hvížďala zur Diskussion um die Mašín-Brüder. auf Radio Prag vom 12. August 2010, abgerufen am 16. August 2010.
  2. Vgl. Ross Hedvicek: "Havel zakázal Škvoreckému vydat knihu o Mašínech"
  3. s. Hans Girod "Der Polizistenmord von Gera - und andere spektakuläre Gewaltverbrechen aus der DDR", Berlin 2008, ISBN 978-3360019455, S. 22f

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