Karl Philipp Moritz

Karl Philipp Moritz
Karl Philipp Moritz auf einem Gemälde von K. F. J. H. Schumann, 1791

Karl Philipp Moritz (* 15. September 1756 in Hameln; † 26. Juni 1793 in Berlin) war ein vielseitiger Schriftsteller des Sturm und Drang, der Berliner Aufklärung und der Weimarer Klassik, der auch der Frühromantik Impulse gab.

Er hatte ein bewegtes Leben und war Hutmacherlehrling, Schauspieler, Hofmeister, Lehrer, Redakteur, Schriftsteller, Spätaufklärer, Philosoph und Kunsttheoretiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Moritz auf einem Stich von H. Sintzenich, 1793

Moritz wuchs in ärmlichen, von Quietismus und Pietismus geprägten Verhältnissen auf. Sein Vater war Militärmusiker. Eine Hutmacherlehre in Braunschweig brach er wegen unerträglicher Behandlung ab. Sein Konfirmationspfarrer entdeckte seine Begabung und ermöglichte ihm, mit Hilfe eines Wohltäters ab 1771 das Gymnasium in Hannover zu besuchen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, Schauspieler zu werden - 1776 hatte er sich noch als Theologiestudent in Erfurt eingeschrieben - wurde Moritz über die Stelle eines Informators am Potsdamer Militär-Waisenhaus 1778 Lehrer am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster, wo er 1784 Gymnasialprofessor wurde. Seit 1779 Freimaurer, hatte Moritz Kontakt zu den führenden Berliner Aufklärern.

Freundschaften pflegte er zu Goethe, der ihn wie einen jüngeren Bruder sah, Moses Mendelssohn und Asmus Jakob Carstens. Goethe und Moritz hatten sich im November 1786 in Rom kennen und schätzen gelernt. Auf seiner Rückreise nach Berlin Ende 1788 machte Moritz deshalb auch Station in Weimar und hatte dort die Gelegenheit, den Herzog Carl August im Englischen zu unterrichten. Woraufhin dieser sich dafür einsetzte, dass der Dichter 1789 eine Professur der Theorie der schönen Künste an der Königlichen Akademie der Künste in Berlin bekam. Zu seinen Schülern zählen unter anderen Ludwig Tieck, Wilhelm Heinrich Wackenroder und Alexander von Humboldt. Er war ein großer Bewunderer von Jean Paul. 1791 wurde Moritz in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen und zum preußischen Hofrat ernannt. Am 5. August 1792 heiratete er die damals 15-jährige Christiane Friederike Matzdorff. Im Dezember erfolgte bereits die Scheidung wegen Untreue der Ehefrau, im Mai 1793 die Wiederverheiratung. Moritz starb kurz danach an einem Lungenödem, der Folge einer Krankheit, an der er seit seiner Jugend litt.

Neben den Romanen Anton Reiser und Andreas Hartknopf verfasste der Aufklärer auch eine Reihe von theoretischen Schriften zur Ästhetik, wie beispielsweise Über die bildende Nachahmung des Schönen. Das 1783 von ihm gegründete Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte kann als eine frühe psychologische Zeitschrift gesehen werden.

Einzelne Werke

Anton Reiser (in 4 Teilen)

Berliner Gedenktafel in der Münzstraße 7-11 in Berlin-Mitte

Der Roman schildert das Leben des Anton Reiser und sein Streben, ein Schauspieler zu werden.

Zudem stellt das Werk eine Beschreibung und Kommentierung des Werdens und Scheiterns der Hauptfigur Anton Reiser dar. Der Roman ist einer der ersten psychologischen Romane in deutscher Sprache.

Ästhetische Schriften

Zu den ästhetischen Schriften gehören der Aufsatz Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten, der in der Berlinischen Monatsschrift von März 1785 als offener Brief an Moses Mendelssohn erschien, das in Rom entstandene Manifest Über die bildende Nachahmung des Schönen, sowie die Abhandlungen Inwiefern Kunstwerke beschrieben werden können und Vorbegriffe zu einer Theorie der Ornamente. Mit seinen ästhetischen Schriften wird Moritz zum Begründer der Weimarer Autonomie-Ästhetik.

Über die bildende Nachahmung des Schönen

Moritz stellt im dritten Teil der „bildenden Nachahmung des Schönen" seine Vorstellung der natürlichen Entwicklung vor. Sie kann beschrieben werden als teleologischer Prozess der Vervollkommnung der Materie. In einer „Stufenleiter von Organisationsformen“ steigt zuerst der „unorganisierte Stoff“ zu den Pflanzen empor, diese selbst zu den Tieren und schließlich zu den Menschen. Dieser Prozess verläuft nun nicht „freiwillig“, jede niedere Form der Lebensorganisation wird in die nächsthöhere überführt, indem sie in ihrer individuellen Form aufgelöst, dem Wesen nach aber transformiert werden in die übergeordnete Organisation.[1]

Diesem Prozess der natürlichen Entwicklung liegt die „Tatkraft“ zugrunde, die sich durch Zerstörung bildet. Sie ist auch im Menschen vorhanden und äußert sich in ihm auf zwei Arten: Zum einen als Bildungskraft, zum anderen als Empfindungskraft. Die Tatkraft strebt immer auf das Ganze hin und ist daher bestrebt, untergeordnete Organisationsformen in sich aufzunehmen oder gleichrangige Organisationsformen zu zerstören.[2]

Beim Menschen hört der „Prozess der Veredelung“ nur in physischer Hinsicht auf. Durch seinen Geist muss er die Wirklichkeit verschönern außer sich wieder darstellen und so das reelle Schöne, das Ziel der Natur- und Menschheitsgeschichte erreichen.

Der künstlerische Produktionsprozess wird der natürlichen Entwicklung analog gesehen.[3] Im produktiven Künstler vereinigen sich Bildungs- und Empfindungskraft zu höchster Harmonie. Ihm, dem schaffenden Genie, gegenüber steht der Dilettant. Die Unterscheidung zwischen Genie und Dilettant eine zentrale in den Kunstüberlegungen der Weimarer Klassik: Im Dilettanten ist die Bildungskraft zu wenig ausgeprägt. Er kann – durch die Empfindungskraft befördert – maximal Kunst genießen und Moritz warnt eindringlich davor, sich als Dilettant daran zu versuchen, Kunst zu schaffen. Denn der Dilettantismus sähe im Kunstwerk primär ein Objekt des Genusses und nur, wer dieses Eigeninteresse (Kunst zu schaffen, um es dann genießen zu können) abstelle, könne das Schöne wirklich genießen. Andernfalls „bleibt ihm nur das Leiden am Schönen als einem Vollendeten, das ihm unerreichbar ist.“[4]

Das Genie hingegen ist fähig, das Schöne der Natur zu erahnen und es dann nachzuahmen und so das Kunstschöne zu schaffen. Auch der künstlerische Prozess ist geprägt von und basiert auf Zerstörung. Der Künstler erreicht das Kunstschöne nur durch Zerstörung, die sich konkret als Auflösung der Wirklichkeit äußert. Er zerstört die Erfahrungswirklichkeit und transferiert sie verwandelt in die Erscheinung seines Werkes. So kommt das Wesen der Wirklichkeit zur Erscheinung im Schein, in der Täuschung der Kunst, die Widerschein des reellen Schönen ist.[5]

Auch der Künstler muss die Zerstörung in seinem Bildungswerk büßen, in der Form, dass er auf jeglichen Genuss bei seiner Schaffenstätigkeit verzichten muss, gleichzeitig aber immer weiter zur Bildungstätigkeit angetrieben wird. Moritz begründet die Autonomie der Kunst durch die stets auf das Ganze gerichtete Tatkraft, die das Kunstschöne als „Nachbild des großen Ganzen der Natur“ schafft. Als solches Nachbild, das durch die Zerstörung und Neubildung der Erfahrungswirklichkeit entstanden ist, weist die Kunst nicht zurück auf den Künstler und die Wirklichkeit, in der sie entstanden ist und hat daher zwar eine innere Zweckmäßigkeit, braucht darüber hinaus aber weiter „keine Beziehungen auf irgend etwas ausser sich zu haben“.[6]

Werke

  • Blunt oder der Gast. In den beiden Fassungen von 1780 & 1781, sowie eine Kompilation beider Fassungen. Volltext
  • Beiträge zur Philosophie des Lebens aus dem Tagebuch eines Freimäurers, 1780
  • Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte. 1783-1793
  • Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782. Volltext, 1783
  • Ideal einer vollkommnen Zeitung. Volltext, (1784)
  • Anton Reiser, (Teil 1) 1785
    • Teil 2 & 3, 1786
    • Teil 4, 1790
  • Andreas Hartknopf. Eine Allegorie, 1785
  • Über den Begriff des in sich selbst Vollendeten. Aufsatz, 1785
  • Denkwürdigkeiten, aufgezeichnet zur Beförderung des Edlen und Schönen, 1786
  • Versuch einer deutschen Prosodie, Abhandlung, 1786
  • Versuch einer kleinen praktischen Kinderlogik, 1786
  • Das Edelste in der Natur Aufsatz, 1786
  • Fragmente aus dem Tagebuche eines Geistersehers, 1787
  • Über die bildende Nachahmung des Schönen. Volltext, 1788
  • Italien und Deutschland, 1789
  • Monats-Schrift der Akademie der Künste und Mechanischen Wissenschaften zu Berlin, 1789
  • Über eine Schrift des Herrn Schulrath Campe, und über die Rechte des Schriftstellers und Buchhändlers, 1789
  • Andreas Hartknopfs Predigerjahre, 1790
  • Neues ABC-Buch. Volltext, 1790
  • Annalen der Akademie der Künste und Mechanischen Wissenschaften, 1791
  • Anthusa oder Roms Alterthümer, 1791
  • Götterlehre oder Mythologische Dichtungen der Alten. Volltext, 1791
  • Grundlinien zu meinen Vorlesungen über den Styl, 1791
  • Italienische Sprachlehre für die Deutschen, 1791
  • Über die Vereinfachung der menschlichen Kenntnisse, 1791
  • Lesebuch für Kinder, 1792
  • Mythologischer Almanach für Damen, 1792
  • Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788, Bände 1 & 2: 1792, Band 3: 1793
  • Vom richtigen deutschen Ausdruck, 1792
  • Allgemeiner deutscher Briefsteller, 1793
  • Die große Loge oder der Freimaurer mit Waage und Senkblei, 1793
  • Grammatisches Wörterbuch 4 Bde. 1793 - 1800
  • Mythologisches Wörterbuch zum Gebrauch für Schulen, 1793
  • Vorbegriffe zu einer Theorie der Ornamente, 1793
  • Vorlesungen über den Styl (Teil 1), 1793
  • Die neue Cecilia, (1793, Fragment)

Literatur

  • Alo Allkemper: Ästhetische Lösungen. Studien zu Karl Philipp Moritz. München 1990.
  • Steve J. Ayan: Die Leiden des jungen M. In: Gehirn & Geist. Spektrum, Heidelberg 2006,4, S. 34, ISSN 1618-8519.
  • Alessandro Costazza: Schönheit und Nützlichkeit. Karl Philipp Moritz und die Ästhetik des 18. Jahrhunderts. Bern/Berlin 1996.
  • Alessandro Costazza: Genie und tragische Kunst. Karl Philipp Moritz und die Ästhetik des 18. Jahrhunderts. Bern/Berlin 1999.
  • Martin Fontius, Anneliese Klingenberg (Hrsg.): Karl Philipp Moritz und das 18. Jahrhundert. Niemeyer, Tübingen 1995. ISBN 3-484-10724-3.
  • Cristina Fossaluzza: Subjektiver Antisubjektivismus. Karl Philipp Moritz als Diagnostiker seiner Zeit. Wehrhahn, Laatzen, ISBN 3-86525-036-X.
  • Hans-Edwin Friedrich: „Die innerste Tiefe der Zerstörung“. Die Dialektik von Zerstörung und Bildung im Werk von Karl Philipp Moritz. In: Karl Eibl (Hrsg.): Die Kehrseite des Schönen. Meiner, Hamburg 1994, S. 69-90. ISBN 3-7873-1186-6.
  • Alexander Košenina: Literarische Experimente auf dem Weg zum psychologischen Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2006; wieder: Wehrhahn Verlag, Hannover 2009, ISBN 978-3-86525-135-0.
  • Leonardo Lotito: La bellezza tautosemica. Riflessioni sul simbolo e sull'allegoria a partire dall'opera di K. Ph. Moritz. Milano 2009.
  • Albert Meier: Karl Philipp Moritz. Stuttgart 2000.
  • Petra Nettelbeck, Uwe Nettelbeck: Der Kommentar. In: Die Republik. Maransin 2006, H 120-122. ISSN 0724-1461
  • Ute Tintemann, Christof Wingertszahn: Karl Philipp Moritz in Berlin 1789 - 1793. Wehrhahn, Laatzen 2005. ISBN 3-932324-30-7
  • Ute Tintemann: Grammatikvermittlung und Sprachreflexion. Karl Philipp Moritz' „Italiänische Sprachlehre für die Deutschen“. Wehrhahn: Laatzen. ISBN 978-3-86525-041-4
  • Christoph Wingertszahn: Anton Reisers Welt. Eine Jugend in Niedersachsen 1756-1776 Ausstellungskatalog zum 250. Geburtstag von Karl Philipp Moritz. Wehrhahn: Laatzen, 2006. ISBN 978-3-86525-054-4
  • Christoph Wingertszahn: Anton Reiser und die Michelein. Neue Funde zum Quietismus im 18. Jahrhundert. Wehrhahn: Laatzen. ISBN 3-932324-59-5
  • Willi Winkler: Karl Philipp Moritz. Rowohlt, Reinbek 2006. ISBN 3-499-50584-3
  • Norbert W. Schlinkert: "Der Quietismus im Pietismus und die Prägung des Anton Reiser"; "Adam Bernd und Karl Philipp Moritz: Brüder in Leid und Schmerz"; "Die Erfahrungsseelenkunde des Karl Philipp Moritz und die wohlvorbereitete Erscheinung des Ich als Anton Reiser"; "Allwissend und distanziert? Die Erzählposition im Anton Reiser und die grundsätzliche Möglichkeit des poetischen Ich"; "Die fortgesetzten Leiden des jungen Anton Reiser als die innere Geschichte des Menschen schlechthin"; "Anton Reiser, Werther und das Ende aller Dinge"; "Die Erfindung seiner selbst als anderes Ich oder: Der Doppelgänger als Außenwelt". In: ders.: "Das sich selbst erhellende Bewußtsein als poetisches Ich. Von Adam Bernd zu Karl Philipp Moritz, von Jean Paul zu Sören Kierkegaard. Eine hermeneutisch-phänomenologische Untersuchung." Wehrhahn Verlag, Hannover 2011. ISBN 978-3-86525-152-7. S.105-162.
  • Ludwig Geiger: Moritz, Carl Philipp. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 22, Duncker & Humblot, Leipzig 1885, S. 308–320.
  • Albert Meier: Moritz, Carl Philipp. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18, Duncker & Humblot, Berlin 1997, S. 149–152.

Einzelbelege

  1. Osinski, Jutta: Psychologie und Ästhetik bei Karl Philipp Moritz. In: Martin Fontius u. Anneliese Klingenberg (Hgg.): Karl Philipp Moritz und das 18. Jahrhundert. Tübingen 1995. S. 201-214, hier 203.
  2. Saine, Thomas: Die Ästhetische Theodizee. Karl Philipp Moritz und die Philosophie des 18. Jahrhun-derts. München 1971. S. 164.
  3. Costazza, Alessandro: Genie und tragische Kunst. Karl Philipp Moritz und die Ästhetik des 18. Jahrhunderts. Bern, Berlin u.a. 1999. S. 332.
  4. Meier, Albert: Karl Philipp Moritz. Stuttgart 2000. S. 185ff.
  5. Karl Philipp Moritz’ Bildende Nachahmung des Schönen. Eine Analyse ausgehend von den Zerstörungsphantasien im letzten Teil.
  6. Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen.

Weblinks

 Wikisource: Karl Philipp Moritz – Quellen und Volltexte
 Commons: Karl Philipp Moritz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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