Julius Friedrich Lehmann

Julius Friedrich Lehmann

Julius Friedrich Lehmann (* 28. November 1864 in Zürich; † 24. März 1935 in München) war ein deutscher Verleger und Gründer des J. F. Lehmanns Verlags, der medizinische, völkische und rassistische Literatur veröffentlichte. Um die Jahrhundertwende hat Lehmann erheblich dazu beigetragen, dass München zu einem frühen Zentrum des Antisemitismus in Deutschland wurde.[1] In der Weimarer Republik war Lehmann ein früher Förderer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), deren Mitglied er später wurde.

Inhaltsverzeichnis

Deutsches Kaiserreich

Familie und Ausbildung

Als viertes Kind und Sohn des Arztes Friedrich Lehmann aus Frankenthal (Pfalz) und seiner Ehefrau Friederike, geborene Spatz aus Speyer, besuchte Lehmann die Beust'sche Privatschule sowie das Gymnasium in Zürich.

Nach der Schule begann er eine Lehre als Buchhändler bei Orell Füssli in Zürich. Anschließend ging er nach Brüssel, um als Gehilfe bei Kießling & Co. zu arbeiten. In Frauenfeld war er bei Dr. J. Huber beschäftigt, ab 1889 im Verlag E. A. Seemann in Leipzig.

Sein Bruder war der Arzt und Hygieniker Karl Bernhard Lehmann (1858–1940). Sein Großvater war Bürgermeister in Frankenthal.

Errichtung des Verlages

Im Jahre 1900 verließ Lehmann die Schweiz und ergriff die Gelegenheit, den Verlag der Zeitschrift Münchener Medizinischen Wochenschrift (MMW) in der Schillerstraße 51 zu kaufen, wozu ihn sein Vetter Bernhard Spatz ermutigt hatte.[1] Spatz hatte dort bereits als Schriftleiter gearbeitet. Die zum Verlag gehörende medizinische Buchhandlung wurde 1896 bereits an seinen Cousin Max Staedtke übergeben. Durch geeignete Veränderungen des Geschäftsprojektes des Verlages wurden bald medizinische Fachbücher und Atlanten herausgebracht, die auf große Resonanz stießen.

Nach dem Aufkauf des Verlages entwickelte sich das Blatt innerhalb kürzester Zeit zur auflagenstärksten medizinischen Wochenzeitung in Deutschland.[1] Ein erheblicher Teil der Publikationen, die in diesem Verlag in den folgenden Jahren verlegt wurden, trugen mit zur Herausbildung der NS-Ideologien bei, so beispielsweise auch die Idee der Zwangssterilisation von Menschen, die als „minderwertig“ klassifiziert wurden.[1]

Völkische Bewegung

Lehmann gehörte dem rechtsnationalen Spektrum der bürgerlichen Gruppe in München an und organisierte sich in der völkischen Bewegung. Im Alldeutschen Verband war er im geschäftsführenden Ausschuss seit 1893 tätig. Er gehörte der Thule-Gesellschaft an.[2][3] Auch war er Mitglied im Deutschen Schulverein von Wilhelm Rohmeder. Und ebenso unterstützte er den Deutschen Flottenverein.

Rassenideologische Schriften

Ab etwa 1905 wandte sich Lehmann dem Thema der Rassenlehre und ihren Vertretern zu. In den nächsten Jahren veröffentlichte sein Verlag dementsprechende Schriften. Als Max von Gruber 1911 in Dresden eine Ausstellung zur Rassenhygiene veranstaltete, gab Lehmann den Katalog Fortpflanzung, Vererbung, Rassenhygiene heraus. Schon 1910 gehörte Lehmann der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene an.

Im Ersten Weltkrieg gehörte er der rechtsnationalen Opposition gegen die Politik des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg an. In seinem Verlag erschienen die Schriften, die sich gegen diese Politik richteten. Im Jahre 1917 wurde er Mitglied der Deutschen Vaterlandspartei. Sprachrohr dieser politischen Richtung wurde die monatliche Zeitschrift Deutschlands Erneuerung, die er ab 1. April 1917 herausgab. Mitherausgeber dieser Zeitschrift waren Houston Stewart Chamberlain und Max von Gruber.[4] Veröffentlicht hatten in dieser Zeitschrift beispielsweise die Historiker Georg Wilhelm Schiele, Dietrich Schäfer und Georg von Below, sowie Heinrich Claß als Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes.

Weimarer Republik

Rechtsintellektueller Zirkel

Nach dem Kriege setzte er seine Aktivitäten auf dem Gebiet der Rassenlehre fort. Im September 1921 förderte er die Gründung der Münchner Gesellschaft für Rassenkunde. In seinem Verlag erschienen nun Bücher von Houston Stewart Chamberlain, Paul de Lagarde, Ludwig Schemann, Johanna Haarer, Ernst Rüdin, Alfred Ploetz, Fritz Lenz, Ludwig Ferdinand Clauß, Eugen Fischer, Dieter Gerhard, Joseph Arthur de Gobineau, Arthur Julius Gütt, Falk Rüttle, Philalethes Kuhn und Bruno Kurt Schultz. Zu einem der wichtigsten Autoren für den Verlag wurde der Rassenideologe Hans F. K. Günther, von dem allein 15 Bücher bei Lehmann erschienen sind.[5]

Dolchstoßlegende

Mit Beginn der Weimarer Republik unterstützte Lehmann insbesondere Veröffentlichungen zur Dolchstoßlegende. Die Reihe der Bücherserie Unbesiegt erlangte republikweite Bekanntheit. In dieser Serie schrieben zahlreiche Generäle ihre Erinnerungen auf. So veröffentlichte Gustav von Dickhut-Hararch 1921 die Bände Im Felde unbesiegt mit Hugo Kerchnawe (1923).

Antisemitismus und Republikfeindlichkeit

Am 1. April 1919 gründete Lehmann den Deutschen Volksverlag mit dem Ziel der Veröffentlichung von betont antisemitischen Schriften – und übergab den Verlag an Ernst Boepple.[6] Neben Anton Drexler, dem Mitbegründer der Deutsche Arbeiterpartei (DAP), veröffentlichte in diesem Verlag auch der spätere NS-Chefideologe Alfred Rosenberg seine ersten Schriften.[7]

Weiterhin gab er Zeitschriften zu diesem Thema heraus, wie das seit 1922 erschienene Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Vier Jahre später erschien die Zeitschrift Volk und Rasse. Herausgeber waren Heinrich Himmler und Richard Walther Darré. Der Erfolg dieser Richtung ermutigte ihn, im Jahre 1928 eine eigene Zeitschrift mit dem Titel Zeitschrift für Rassenhygiene herauszugeben. Die großen Auflagen dieser Vertreter der Rassenlehre machten in diesen Jahren Lehmann zum erfolgreichsten Verleger auf diesem Gebiet.

Bei Lehmann erschien auch die Zeitschrift Deutschlands Erneuerung, die vom Alldeutschen Verband herausgegeben wurde. Beiträge dieser Zeitschrift wurde in den radikalen Gruppierungen Organisation Consul und Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund (DVSTB ) sehr beachtet. Lehmann selbst gehörte ab 1920 zu den Mitgliedern des Beirates dieser Organisation. Der Lehmann Verlag war eine Schaltstelle zwischen dem Alldeutschen Verband, dem Hugenbergkonzern , der Deutschnationalen Volkspartei und der Organisations Consul, der Nachfolgeorganisation der Brigade Ehrhardt. [8]

Ein großer Teil der in Lehmanns Verlag erschienen Schriften wurde durch die Münchener Reichswehrführung für den „Truppenaufklärungsdienst“ gekauft.[9]

Seine Villa in München wurde zu einem Zentrum des rechtsnationalen, revolutionären Kampfes gegen die neue Republik. Als er als Gesellschafter der München-Augsburger Abendzeitung (MAA) größeren Einfluss gewinnen wollte, scheiterte er mit diesem Vorhaben.

Förderung der NSDAP

In den folgenden Jahren unterstützte Lehmann die Nationalsozialisten regelmäßig durch finanzielle Überweisungen, unter anderen auch an Adolf Hitler. So erhielt die NSDAP von Lehmann beispielsweise allein von Januar bis April 1922 10.000 Reichsmark.[9]

1922 übernahm er das Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie.[4]

1923 beteiligte er sich zunächst passiv am Hitlerputsch, während sich sein Schwiegersohn, der damals bekannte Tierarzt Friedrich Weber, aktiv an der Revolte beteiligte. Die Geiseln der Putschisten wurden in seine Villa in Großhesselohe, in der Holzkirchnerstraße 2, gebracht.

Im Mai 1928 unterstützte Lehmann des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg, als dieser den Kampfbund für deutsche Kultur (KfdK) gründete. Lehmann gehörte zum Vorstand des KfdK.[4]

Die Burg Hoheneck bei Ipsheim wurde von ihm für nationale Schulungswochen zur Verfügung gestellt. Diese hatte er schon 1921 erworben und stellte sie auch für die SA als Stützpunkt zur Verfügung.

Im Dezember 1931 trat Lehmann in die NSDAP ein.[5]

Zu seinem 70. Geburtstag wurden 1934 dem Parteimitglied der NSDAP (Nr. 1.011.952) hohe Ehren zuteil. Ihm wurde der höchste Wissenschaftspreis des NS-Regimes, das Adlerschild des Deutschen Reiches, verliehen. Am 28. November 1934 wurde ihm zudem das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP verliehen. Und die medizinische Fakultät der Universität München ernannte ihn zum Ehrendoktor.[5]

Er war mit der Tochter eines Reichsgerichtsrats aus Leipzig, Melanie Petersen, verheiratet und hatte in München seine Wohnung in der Paul-Heyse-Straße 26. Lehmann starb im März 1935 an einer Mittelohrentzündung.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Verlag weitergeführt und als „kriegswichtig“ eingestuft, was bedeutete, dass trotz des Papiermangels Sonderzuteilungen an den Verlag gingen.[4] Noch im Jahr 1952 konnte in Lehmanns Verlag Hermann Werner Siemens Werk „Grundzüge der Vererbungslehre, Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik“ in 13. Auflage erscheinen.[10]

Nach Kriegsende

Der J.F.Lehmanns Verlag wurde nach Kriegsende unter Treuhandverwaltung gestellt. Das medizinische Programm wurde 1946 vom Verlag Urban & Schwarzenberg gekauft.

Literatur

Historische Hintergründe
  • Richard Bauer et al. (Hrsg.): München – Hauptstadt der Bewegung. Bayerns Metropole und der Nationalsozialismus. München 1993. Neuauflage 2002, ISBN 3-932353-63-3.
  • Mathias Rösch: Die Münchner NSDAP 1925–1933. Eine Untersuchung zur inneren Struktur der NSDAP in der Weimarer Republik. München 2002, ISBN 3-486-56670-9.
  • Klaus D. Patzwall: Das goldene Parteiabzeichen und seine Verleihungen ehrenhalber 1934–1944. Patzwall, Norderstedt 2004, ISBN 3-931533-50-6. (Studien zur Geschichte der Auszeichnungen, Band 4).
Quellen
  • Hermann A. L. Degener: Wer ist's? Berlin 1928.
  • Georg Wenzel: Deutscher Wirtschaftsführer. Berlin 1929.
Monografien
  • Othmar Plöckinger: Geschichte eines Buches. Adolf Hitlers „Mein Kampf“ 1922–1945. München 2006, ISBN 3-486-57956-8.
  • Sigrid Stöckel (Hrsg.): Die „rechte Nation“ und ihr Verleger. Politik und Popularisierung im J. F. Lehmanns Verlag 1890–1979. Lehmanns 2002, ISBN 3-931253-98-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München 2005, ISBN 3-89667-148-0, S. 38.
  2. Hermann Wilhelm (1989), Dichter, Denker, Fememörder, S. 58. Transit Buchverlag, ISBN 3887470532
  3. http://www.br-online.de/wissen-bildung/collegeradio/medien/geschichte/bierkeller/quellentexte/
  4. a b c d Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 2. Auflage. Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039309-8, S. 362.
  5. a b c Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München 2005, S. 39.
  6. Hellmuth Auerbach: Hitlers politische Lehrjahre und die Münchener Gesellschaft 1919–1923. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Jg. 25, Heft 1, 1977, S. 7. (PDF, 6,41 MB)
  7. Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München 2005, S. 44.
  8. Niels H.M. Albrecht, Die Macht einer Verleumdungskampagne: Antidemokratische Agitationen der Presse und Justiz gegen die Weimarer Republik und ihren ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert vom "Badebild" bis zum Magdeburger Prozeß. Dissertation Universität Bremen 2000
  9. a b Kurt Gossweiler: Reichswehr, Kapital und NSDAP 1919–1924. Berlin 1982, S. 223.
  10. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek. Wiederauflage in einem rechtsradikalen Verlag 2003. Eine japanische Übersetzung erschien in Tōkyō bei Daisan Shobo, 1961 in 2. Aufl. Es wird also noch mit den wirtschaftlichen Rechten an diesem Machwerk gehandelt

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