Kreuzworträtselmord

Kreuzworträtselmord

Der Kreuzworträtselmord, auch Kreuzworträtselfall genannt, war einer der bekanntesten Fälle in der Kriminalgeschichte der DDR.

Inhaltsverzeichnis

Das Verbrechen

Am 15. Januar 1981 verschwand in Halle-Neustadt der siebenjährige Lars Bense nach einem Kinobesuch spurlos. Eine sofort eingeleitete Suchaktion blieb ohne Erfolg. Zwei Wochen später fand ein Streckenwärter an der Bahnstrecke Halle–Leipzig einen älteren Reisekoffer, der wahrscheinlich aus einem fahrenden Zug geworfen worden war. Beim Öffnen des Koffers entdeckte er die Leiche des Jungen, außerdem befanden sich im Inneren noch einige alte Zeitungen mit ausgefüllten Kreuzworträtseln. Die Obduktion ergab, dass der Junge sexuell missbraucht und mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen wurde; die Leiche wies außerdem mehrere Einstichwunden im Oberkörper auf.

Die Aufklärung

Da laut Experten weitere Morde des Täters zu erwarten waren, wurde den ermittelnden Behörden von übergeordneter Instanz eine rasche Aufklärung des Verbrechens abverlangt. Da es nicht gelang, den Besitzer des Koffers durch eine öffentliche Ausstellung zu ermitteln, blieben die ausgefüllten Kreuzworträtsel als einzige Spur. Die Schriftmerkmale wiesen auf eine Frau mittleren Alters als Urheberin hin, eine solche kam als Täterin aber nicht in Frage. In der Folge kam es zu einer in der Geschichte der DDR einzigartigen Aktion. Alle zur Verfügung stehenden Schriftstücke wurden mit der Schrift aus dem Koffer abgeglichen. Als dies aber nicht zum Erfolg führte, wurden unter diversen Vorwänden von jedem Bewohner Halle-Neustadts Schriftproben eingeholt, im Jargon der Volkspolizei als individuelle Schreibleistungen bezeichnet. Außerdem wurden wiederholt Altpapiersammlungen durchgeführt, um bei positivem Ergebnis das vermeintliche Wohngebiet des Täters geografisch besser eingrenzen zu können.

Neun Monate lang konnte trotz intensiver Untersuchung der zur Verfügung stehenden Schriftproben kein Erfolg erzielt werden. Da bis Oktober zudem nur von rund einem Viertel der Einwohner Halle-Neustadts eine Schriftprobe erfasst wurde, versuchte man die Ermittlungen mit einem auszufüllenden Kreuzworträtsel-Schema zu beschleunigen. Die Einsendungen wurden für jeden Wohnblock einzeln eingesammelt und ausgewertet. Von abwesenden Personen wurden anderweitig Schriftproben eingefordert, so auch bei einer Bewohnerin des Blockes 398, die zu dieser Zeit als Saisonkraft an der Ostsee arbeitete. Ihre Schriftprobe war identisch mit den Kreuzworträtseln im Koffer – die entscheidende Spur nach zehnmonatiger Ermittlungsarbeit. In einem Gespräch mit der Frau und ihrer Tochter ergaben sich weitere Hinweise auf den möglichen Täter. Matthias S., der Freund der Tochter, entsprach dem Profil des mutmaßlichen Täters. Am 17. November 1981 wurde er an seiner Arbeitsstätte in Friedrichroda verhaftet und nach Halle gebracht.

Bei der umgehend eingeleiteten Vernehmung gestand Matthias S. die Tat. Er gab an, dass er den Jungen am Nachmittag des besagten Tages vor dem Kino angesprochen, unter einem Vorwand in die Wohnung der Mutter seiner Freundin gelockt hatte und sich dort an ihm verging. Aus Angst, von dem 7-Jährigen verraten zu werden, erschlug er den Jungen zunächst mit einem Hammer und stach anschließend mehrfach auf ihn ein. Die Leiche verpackte er in den Koffer der Mutter und bestieg einen Zug nach Leipzig; während der Fahrt warf er den Koffer aus einem Zugfenster.

Insgesamt wurden 551.198 Schriftproben ausgewertet. Dieser immense Aufwand der Ermittler war es, der den Fall beispiellos in der Kriminalgeschichte der DDR machte. Der Fahndungserfolg selbst wurde nur in einer knappen Meldung in der halleschen Tageszeitung Freiheit öffentlich gemacht.

Bedeutung

Der Fall gilt als der Kriminalfall mit der weltweit umfassendsten Auswertung von Schriftproben. Aufgrund der besonderen Dringlichkeit wurden die Ermittlungen maßgeblich von den Mitarbeitern der Bezirksverwaltung und Kreisdienststelle Halle des Ministeriums für Staatssicherheit unterstützt.

Ein derart umfassendes polizeiliches Vorgehen wäre unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten in der Bundesrepublik Deutschland nicht direkt möglich gewesen. In der vergleichbaren Operation Mikado wurden 2006 jedoch sämtliche 22 Millionen deutsche Kreditkarten verdeckt nach einem bestimmten Betrag hin untersucht.

Sonstiges

Hauptmann Siegfried Schwarz, von 1976 bis 1983 Chef der Morduntersuchungskommission bei der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei (BdVP) Halle, leitete regulär die Untersuchung. Sein Stellvertreter, Hauptmann Löser, führte die unmittelbaren Ermittlungen. Aufgrund der Bedeutung des Falles wurde eine erweiterte Morduntersuchungskommission gebildet, zu welcher Oberleutnant Adolf Döling vom Volkspolizeikreisamt Halle abgeordnet wurde. Dessen Aufgabe bestand darin, die gesammelten Schreibleistungen zu erfassen und an die Schriftsachverständigen weiterzuleiten. Im Zuge der umfangreichen Ermittlungen wurden auch andere Delikte (Unterschlagungen usw.) bekannt. Gemäß der Weisung des Chefs der BdVP, General Schröder, konzentrierte sich Hauptmann Schwarz ausschließlich auf den Mord.

Der Fall und die Aufklärung wurden im Buch Der Kreuzworträtselmord und andere Kriminalfälle aus der DDR von Hans Girod geschildert. Der Fall diente 1988 auch als Vorlage einer Folge der Krimi-Serie Polizeiruf 110 mit dem Titel Der Kreuzworträtselfall. Außerdem verfasste Kai Meyer 1993 das Buch Der Kreuzworträtselmörder, in dem er den Fall genau rekonstruierte.

Der Täter

Im Sommer 1982 wurde der Prozess gegen Matthias S. eröffnet. Die Anklage lautete auf Mord in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch. Im Prozess sagte S. aus, dass er seit einem traumatischen Kindheitserlebnis immer wieder Tötungsfantasien hatte, zudem wurde eine gestörte Sexualität offenbar. Das Bezirksgericht Halle folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verurteilte S. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit gleichzeitiger Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Da der Mörder zur Tatzeit erst 18 Jahre alt war und damit in der Bundesrepublik die Anwendung des Jugendstrafrechts möglich gewesen wäre, beantragte der bundesdeutsche Staatsanwalt 1991 die Wiederaufnahme des Verfahrens. Das neue Urteil vom 20. Mai 1992 lautete wegen Mordes zwar erneut auf Höchststrafe, die jetzt allerdings nur noch zehn Jahre Jugendstrafe mit anschließender Einweisung in die Psychiatrie nach sich zog. Die Einweisung erfolgte laut dem zuständigen Oberstaatsanwalt, um mit einiger Gewissheit weitere Morde auszuschließen.

Der Täter war bis 1996 im Maßregelvollzug Uchtspringe untergebracht und lebte anschließend drei Jahre in einem Projekt für betreutes Wohnen. Im Jahre 1999 wurde er endgültig entlassen und lebt seitdem anonym in Thüringen.

Schicksale der Angehörigen

Obwohl die Ermittler bemüht waren, sich zum Täter bedeckt zu halten und seinen Namen unerwähnt zu lassen, sprach sich die Identität des Mörders schnell herum. Um seine Eltern aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit zu nehmen, wurde ihnen eine neue Wohnung in einer anderen Stadt zugewiesen, zusätzlich bekamen sie neue Arbeitsplätze. Der Vater von Matthias S. konnte die Tat seines Sohnes nicht verarbeiten, er beging Jahre später Selbstmord. Der Vater des Opfers wurde alkoholsüchtig. Er starb am 15. Januar 1994.

Literatur

Weblinks


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