- Krimtataren
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Die Krimtataren (krimtatarisch Qırımtatar, Qırımtatarları) sind eine turksprachige Ethnie. Ihre Sprache, das Krimtatarische, ist eine der nordwesttürkischen Sprachen. Sie werden heute zu den Turkvölkern gerechnet. Eine andere Bezeichnung der Krimtataren ist auch Krimtürken.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die seit dem 13. Jahrhundert sunnitischen Krimtataren trugen wesentlich zur Verbreitung des Islam in der Ukraine bei.
Abstammung
Nach einer Theorie sind sie Nachkommen vieler Bevölkerungen, die auf der Krim lebten oder sie eroberten (Mongolen, Griechen, Iraner, Hunnen, Bulgaren, Kumanen, Krimgoten) und später Venezianer und Genueser. Hauptsächlich zählen Kiptschaken (Zentral-Krim), Nogaier-Tataren (nördliches Steppengebiet) und Türken (die sich mit den Venezianern und Genuesern vermischt haben und im südlichen Küstenstreifen lebten) zu ihren unmittelbaren Vorfahren.
Nach einer weiteren Theorie sind die Nachkommen der Kiptschaken, die im Zuge der mongolischen Eroberungen auf der Krim ansässig wurden und dann später nach dem Zerfall der Goldenen Horde ein eigenständiges Khanat gegründet haben.
Krim-Khanat
Nach dem Zerfall der Goldenen Horde gründeten Krimtataren um 1430 ein Khanat, das die Krim, die südlichen Gebiete der modernen Ukraine und die Gebiete der Nogaier im nordkaukasischen Kuban umfasste. Hauptstadt wurde das um 1450 gegründete Bachtschyssaraj auf der Krim, aber schon 1475 musste das Khanat die osmanische, 1774 die russische Oberhoheit anerkennen.
Sklavenhandel
In der frühen Neuzeit waren die Krimtataren für den intensiven Sklavenhandel bekannt, der den Hauptteil ihrer Wirtschaft ausmachte.[1] Die reiche Beute an Menschen machten sie während ihrer häufigen Raubzüge in die Ukraine, nach Südrussland und 1656 bis nach Masuren. An diesen im Tatarischen "Ernte der Steppe" genannten Raubzügen mussten sich die meisten männlichen Krimtataren beteiligen, die ein gewisses Alter erreichten. Die Sklaven wurden anschließend auf die Krim gebracht, wo sie vor allem von Kefe aus in das Osmanische Reich oder den Nahen Osten verkauft wurden. Zur bekanntesten von ihnen wurde die spätere Frau des osmanischen Sultans Roxelane. Der Historiker Andrew G. Bostom schätzt, dass vom 15. Jahrhundert bis zum frühen 18. Jahrhundert bis zu 3 Millionen Männer, Frauen und Kinder auf diese Weise aus den Grenzgebieten verschleppt und in die Sklaverei verkauft wurden.[2]
Alan Fisher schreibt in seinem Artikel Muscovy and the Black Sea Slave Trade:[3]
„Die erste Tortur der Gefangenen war der lange Marsch auf die Krim. Oft in Ketten und immer zu Fuß, starben viele der Gefangenen bereits unterwegs. Da die Tataren oftmals Versuche der Kosaken zur Befreiung der Gefangenen befürchteten, zwangen sie die Sklaven mit Gewalt zur größtmöglicher Beeilung. Kranke und verwundete Gefangene wurde gewöhnlich eher getötet, als dass man ihnen erlaubte, die Prozession zu verlangsamen. Der bekannte Russlandreisende Siegmund von Herberstein schrieb: "die alten und schwachen Männer, für die nicht viel Erlös beim Verkauf zu erzielen war, wurden den tatarischen Jugendlichen überlassen, die sie entweder steinigen, ins Meer werfen oder auf jede andere Weise töten konnten, die sie unterhaltsam fanden." Ein osmanischer Reisender aus dem 16. Jahrhundert, der Zeuge von einem solcher Märsche aus Galizien wurde, beklagte, dass die Sterberate aufgrund der schlechten Behandlung der Sklaven so hoch war, dass sie den Preis für potenzielle Käufer, wie ihn, unnötig in die Höhe trieb.“
Die Raubzüge der Krimtataren lasteten lange Zeit als ein schweres Problem auf den christlichen Nachbarn des Khanats, sowohl auf dem Russischen Zarenreich, als auch auf Polen-Litauen, zu dem damals die Ukraine und Weißrussland gehörten, auch das Fürstentum Moldau war von Razzien der Krimtataren betroffen. Ganze Landstriche wurden entvölkert und geplündert, was diese Staaten erheblich schwächte. Im 16. Jahrhundert musste Russland jedes Jahr bis zu 80.000 Mann rekrutieren, die an den südlichen Befestigungen (Verhaulinie des Moskauer Staates) gegen die blitzschnellen und kaum berechenbaren Einfälle der Steppenreiter Dienst trugen. Für den Abwehrkampf gegen die Krimtataren musste ein Drittel des Staatshaushalts aufgebracht werden.
Die Einfälle der Krimtataren waren häufiger Grund für Kriege und trugen außerdem zur Herausbildung der Kosaken als wehrhafter Bauern bei. Als Folge der Einfälle konnten die südlichen Steppengebiete erst im 18. Jahrhundert, als die Tatarengefahr beseitigt war, vollwertig besiedelt werden. Das unter Zar Peter dem Großen erstarkte Russland betrieb eine aktive Zurückdrängungspolitik der Krimtataren, die im erheblichen Maße als Vergeltung motiviert war. Das Krim-Khanat wurde schließlich 1783 annektiert. Im nächsten Jahrhundert (das die Krimtataren selbst das „Schwarze Jahrhundert“ nennen) wurden viele russische Einwohner auf die Krim umgesiedelt und Teile des Landes der Krimtataren enteignet. Als Folge gab es in den 1790er und 1850er Jahren zwei große Auswanderungswellen der Krimtataren (in Teile des heutigen Rumäniens und Bulgariens, die damals zum Osmanischen Imperium gehörten).
Kurzzeitige Autonomie und Terror
Nach der russischen Oktoberrevolution (1917) wurde im Dezember auf der Krim ein kurzlebiger Staat der Krimtataren mit Namen Republik Taurien ausgerufen, der aber weniger als einen Monat existierte, bevor ihn die Bolschewiki zerschlugen. Infolge der Hungersnot von 1921 bis 1922 starben etwa 15% der Krimtataren. 1921 entstand die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik Krim innerhalb der RSFSR. In dieser autonomen Sowjetrepublik war das Krimtatarische offizielle Sprache neben dem Russischen und krimtatarische Kultur und Sprache wurden gefördert. Ab 1927 mit dem Beginn des Stalinistischen Terrors wendete sich das Blatt, kulturelle Einrichtungen der Krimtataren wurden wieder verboten und die traditionelle arabische Schreibweise des Krimtatarischen wurde kurz nacheinander durch die lateinische und dann durch die kyrillische Schreibweise ersetzt.Das bedeutete den Verlust des Zugangs zur geschriebenen Tradition für die nachfolgenden Generationen. Nach Schätzungen kamen durch den Stalinschen Terror nahezu die Hälfte der Krimtataren ums Leben, etwa 150.000 Menschen.
Die Bevölkerung der Krim im Jahre 1936, den Angaben der ersten Ausgabe der Großen Sowjetischen Enzyklopädie zufolge: Russen 43,5%; Ukrainer 10%, Juden 7,4%, Deutsche 5,7%, Tataren 23,1% (202.000 aus der Gesamtbevölkerung von 875.100).[4]
Deutsche Besatzung und Sowjetische Deportation
Die deutschen Besatzungstruppen des Zweiten Weltkrieges wurden daher 1941 auf der Krim freundlicher empfangen als an anderen Orten der Sowjetunion. Die relative Sympathie der Krimtataren für die Deutschen Besatzer schlug später aber aufgrund des brutalen Besatzungsregiments um. Die angegebenen Quellen beziffern die krimtatarische Einheiten im Dienste der deutschen Besatzer auf etwa 15.000-20.000 Mann in den sogenannten Einheiten des Selbstschutzes.[5] Dennoch gab es Tausende, die sich an der sowjetischen Partisanenbewegung beteiligten, wie auch 20.000 Männer in der Roten Armee kämpften. Acht Krimtataren hatten den Titel Held der Sowjetunion verdient, einem krimtatarischen Piloten - Ahmed Khan Sultan - wurde dieser Preis zweimal verliehen.[6]
Doch lieferte die Kollaboration etlicher Tataren den Anlass für die Auflösung der Autonomen Sowjetrepublik Krim 1944 und die Deportation aller Krimtataren nach Zentralasien.[7] Innerhalb weniger Tage wurden über 180 000 Menschen unter fürchterlichen Bedingungen per Zug verfrachtet. Die Waggons der Deportierten wurden häufig tagelang nicht geöffnet, zwischen 22% und 46% bewegen sich die Schätzungen über die Prozentzahl der Todesopfer durch Verdursten, Verhungern und durch Krankheiten. (Als eine historische Parallele sei bemerkt, dass in den 1860er-Jahren die Gutsbesitzer und die Administration des Gouvernements Taurien die völlige Deportation von Tataren in die Türkei verlangten, Alexander II. lehnte es aber ab. Im Jahre 1943 verlangte dasselbe der deutsche Gauleiter der Krim, aber Hitler lehnte ab.[8])
Die Krim wurde während der folgenden Jahre von nichtslawischen Minderheiten (außer Armeniern) „gesäubert“, nur Russen und Ukrainer wurden ermutigt, dort zu siedeln.[9]
1967 wurden sie offiziell rehabilitiert, durften aber erst seit 1989 wieder zurückkehren - jedoch nicht in ihre alten Siedlungsgebiete. Stattdessen wurden sie auf der ganzen Halbinsel verteilt.
Postsowjetische Zeit
1990 gab es wieder etwa 20.000 Krimtataren auf der Krim. Sie durften zwar seit 1988 zurückkehren, erhielten aber trotz der Perestrojka-Politik Gorbatschows keine Unterstützung von den Behörden. Teilweise wurden sie erneut deportiert oder ihre provisorischen Häuser wurden zerstört. Viele ließen sich jedoch ohne die Erlaubnis der Behörden nieder. Inzwischen haben sie friedlich ihre politische Anerkennung erreicht, nicht jedoch die rechtliche. Da auf der Krim das Mehrheitswahlrecht gilt, sind alle Minderheiten im Krim-Parlament unterrepräsentiert.
Seit der Orangefarbenen Revolution, die von den Krimtataren unterstützt wurde, versucht die Regierung in Kiew zunehmend, die Krimtataren gegen die russische Bevölkerungsmehrheit auf der Krim auszuspielen und unterstützt teilweise ihre nationalen Anliegen.
Die Mehrheit der Krimtataren ist sunnitisch. Heute sind vermutlich etwa 280.000 oder fast 12 Prozent der 2,5 Millionen Bewohner der Krim Krimtataren; 150.000 Krimtataren leben noch in Usbekistan, eine große Zahl auch im südrussischen Bezirk Krasnodar.
1992/93 wurde Krimtatarisch zur dritten Nutzssprache der Halbinsel erklärt, da deren Sprecher zwischenzeitlich über 10 Prozent der Bevölkerung ausmachten.
2006 kam es zu Ausschreitungen zwischen der slawischen Bevölkerung und der tatarischen Minderheit.
Bekannte Krimtataren
- İsmail Gasprinski (1851–1914), Intellektueller, Pädagoge, Verleger und Politiker
- Edige Mustafa Kirimal (1911–1980), türkischer Politiker und Vertreter der Krimtataren in Deutschland
- Noman Çelebicihan, Politiker, Präsident der kurzlebigen Republik der Krimtataren
- Cüneyt Arkin (* 1937), türkischer Schauspieler und Regisseur
- Mustafa Abdülcemil Kirimoglu (* 1943), sowjetisch-ukrainischer Politiker
- Khan Ahmed Tatlibal, Dichter
- Maxim Mehmet (* 1975), deutscher Schauspieler mit krimtatarischen Ahnen
Siehe auch
Literatur
- Alexandre Billette: Der russische Feind. In: Le Monde diplomatique. Nr. 8152, 15. Dezember 2006, S. 23.
- Brian Glyn Williams: The Hidden Ethnic Cleansing of Muslims in the Soviet Union: The Exile and Repatriation of the Crimean Tatars. In: Journal of Contemporary History. Bd. 37, Nr. 3, Juli 2002, ISSN 0022-0094, S. 323–347.
- Norman M. Naimark: Flammender Haß. Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert (= Fischer. Die Zeit des Nationalsozialismus 17890). Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-596-17890-2, S. 128–139.
- Greta Lynn Uehling: Beyond Memory. The Crimean Tatars' Deportation and Return. Palgrave Macmillan, New York NY u. a. 2004, ISBN 1-403-96264-2.
- V. Stanley Vardys: The Case of the Crimean Tartars. In: Russian Review. Bd. 30, Nr. 2, April 1971, ISSN 0036-0341, S. 101–110.
Weblinks
- Tatar.Net
- Vatan KIRIM, Krimtatar diaspora in der Türkei
- Kapitel Krimtataren in Studienarbeit "Die Nationale Frage auf der Krim" von Veit Kühne
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Einzelnachweise
- ↑ "The Crimean Tatars and their Russian-Captive Slaves" (PDF). Eizo Matsuki, Mediterranean Studies Group at Hitotsubashi University.
- ↑ Andrew G. Boston (18. April 2005): Black Slaves, Arab Masters. Frontpage Magazine. Abgerufen am 8. Januar 2011.
- ↑ Alan Fisher Muscovy and the Black Sea Slave Trade - Canadian American Slavic Studies, 1972, Vol. 6, pp. 575-594
- ↑ hier zitiert nach V. Stanley Vardys, 1971
- ↑ Isabelle Kreindler The Soviet Deportated Nationalities: A Summary and an Update, in: Soviet Studies, Vol 38, no 3, July 1986. p. 391
- ↑ Isabelle Kreindler The Soviet Deportated Nationalities: A Summary and an Update, in: Soviet Studies, Vol 38, no 3, July 1986. p. 391; http://www.qirimtatar.org/modules.php?name=Hronologiya&file=index&func=two
- ↑ 1944 deportiert, 2005 heimatlos und diskriminiert
- ↑ Александр Солженицын. Архипелаг ГУЛаг. Том 3. Глава 4. Ссылка народов
- ↑ Isabelle Kreindler The Soviet Deportated Nationalities: A Summary and an Update, in: Soviet Studies, Vol 38, no 3, July 1986. p. 396
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