Liberey

Liberey
Südwestansicht der Liberei
Südgiebel mit Blendnischen, Schmuckfries und Wappen
Südostansicht
Löwenfries-Detail
Herzogliches Wappen
Ratswappen
Vermutliches Wappen Johann Embers
Glasierte Formziegel am Südgiebel

Die Liberei, auch Liberey (von Lateinisch liber, Buch bzw. libraria für Büchersammlung [1]), in der frühen Neuzeit auch als Andreana bezeichnet,[1] ist ein kleiner, fast quadratischer, im Grundriss nur 5,50 m x 5,14 m[2] messender, kapellenartiger Backsteinbau aus dem frühen 15. Jahrhundert. Er befindet sich in der Kröppelstraße im Braunschweiger Weichbild Neustadt, nur wenige Meter südöstlich der Andreaskirche. Das Gebäude ist das einzige Zeugnis mittelalterlicher Backsteingotik der Stadt. Die Liberei gilt als ältestes freistehendes Bibliotheksgebäude nördlich der Alpen[2] und dürfte das älteste erhaltene Gebäude sein, das ausschließlich zu diesem Zwecke errichtet wurde.[1]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte und Zweck

Das Gebäude wurde 1412 von Johann Ember, dem damaligen Pfarrer der Andreaskirche, die die Pfarrkirche der Braunschweiger Neustadt war, gestiftet und sein Bau in Auftrag gegeben, um die der Andreasgemeinde gehörenden Bücher neben der Geistlichkeit der Stadt auch explizit „allen sonstigen ehrwürdigen Personen“ zugänglich machen zu können. Eine bereits damals vorhandene Pfarrbibliothek ging auf Magister Jordanus († 1309) zurück.[3]

Um Pfingsten 1413 dürfte das Gebäude im Rohbau fertiggestellt gewesen sein. Doch erst Mitte 1422, zehn Jahre nach Baubeginn, wurde das Dach gedeckt und die Inneneinrichtung eingebracht. Diese erhebliche Verzögerung der Fertigstellung wurde durch den sogenannten Braunschweiger Pfaffenkrieg, auch Papenkrieg genannt, verursacht.[4]

Dieser innerstädtische „Krieg“ zwischen dem Blasiusstift und dem „Gemeinen Rat“, dauerte von 1413-1420. Er wurde jedoch nicht mit Waffen, sondern mit Worten und kirchlichen Erlassen und gegenseitigen Bannen ausgetragen. Auslöser war der Streit um die Besetzung einer frei gewordenen Pfarrerssteller an St. Ulrici. Woraus sich in der Folge auch noch ein Streit um die Errichtung zweier neuer Lateinschulen anschloss. Daraus entspann sich ein insgesamt acht Jahre dauernder Streit. Während des „Pfaffenkrieges“ waren zahlreiche Kirchen der Stadt, darunter die Andreaskirche geschlossen. In ihnen fand z. T. über mehrere Jahre hinweg kein Gottesdienst mehr statt, da ihre Pfarrer in Bann waren. So erklärt man sich auch die mehrjährige Baupause durch die „Blockade“ der Andreasgemeinde.[5] Dass es sich bei der Stiftung um eine „Sühneleistung[6] seitens Embers handeln soll, kann durch die überlieferten Akten nicht gestützt werden.[7]

Nach der Fertigstellung handelte es sich folglich um eine frühe Art „öffentlicher Bücherei“ und macht die Braunschweiger Liberei somit zu einer der ersten für die Allgemeinheit nutzbaren Bibliotheken auf deutschem Boden. In ihr wurde der schon damals große Buchbestand der Andreaskirche aufgenommen. Das Gebäude wurde in einer Urkunde von 1422 als „libreria andreana“ bezeichnet..[8]

Buchbestand

Über die Jahrhunderte wuchs der Buchbestand von ursprünglich etwa 50 Handschriften durch Schenkungen, wie z. B. der des Braunschweiger Stadtschreibers Gerwin von Hameln (um 1415–1496), der der Bibliothek allein 336 Bücher und weitere Handschriften vermachte. Die Bücher, hauptsächlich theologischen, kanonischen und römischrechtlichen Inhalts, lagen auf beiden Etagen aus und waren mittels Ketten an durchlaufenden Stangen befestigt. Die Bibliothek erlangte so allmählich den Rang einer bedeutenden wissenschaftlichen Forschungsstätte und genoss auch über die Grenzen der Stadt hinaus großes Ansehen. Der 1528 in Braunschweig tätige Reformator Johannes Bugenhagen hatte den Wert der „Andreana“ erkannt und sie dementsprechend in seiner Braunschweiger Kirchenordnung von 1531 ausdrücklich als Quelle des Wissens erwähnt. Auswärtige Gelehrte haben die Bücher nachweislich genutzt, so z. B. um 1555 der protestantische Theologe Matthias Flacius.[1]

Aufgrund der öffentlichen Zugänglichkeit der Bibliothek, wurde diese jedoch durch Diebstahl dezimiert. Dazu beigetragen haben in wesentlichem Maße auch die Erben Gerwins von Hameln, die sich an den Büchern bedienten. Nachfolgende Generationen ließen sowohl die Bücher als auch das Gebäude verkommen, bis es schließlich so baufällig war, dass es um 1700 an den Rat der Neustadt fiel. Im Jahre 1753 schließlich löste Herzog Karl I. die Liberei auf und ließ die noch verbliebenen Bände zusammen mit der Bibliothek des Geistlichen Ministeriums (nahe der Martinikirche) in die Brüdernkirche bringen.[9] Heute sind sie Bestandteil der Stadtbibliothek Braunschweig. Das Gebäude wurde anschließend als Pfarrwitwenhaus genutzt. 1862 wurde es durch Stadtbaumeister Carl Tappe restauriert.

Architektur

Die Liberei wurde von „Meister Heinrich, Werners Sohn“[8] aus Lüneburg im Stil der norddeutschen Backsteingotik erbaut. Das Gebäude hat dadurch in Braunschweig einen besonderen Stellenwert, denn es ist das einzige mittelalterliche Backsteingebäude der Stadt und das südlichste im Verbreitungsgebiet der Backsteingotik. Backsteine waren damals in der Stadt ungebräuchlich – in Braunschweig baute man Fachwerkhäuser. Im Inneren befanden sich zwei rippengewölbte Geschosse, die getrennt von einander von außen zugänglich waren.

Das Haus selbst verfügt auf beiden Seiten über Treppengiebel aus glasierten Formsteinen und Reliefziegel, wodurch besonders die Senkrechten betont werden. Zudem befinden sich auf der Südseite profilierte Blendnischen. Unter diesen verläuft über fast die gesamte Gebäudebreite ein Schmuckfries mit schreitenden Löwen, unter welchen sich wiederum drei Wappen befinden. Die Bedeutung dieser Wappenaufreihung und des darüber befindlichen Löwenfrieses sind bis heute nicht eindeutig geklärt und deshalb Gegenstand vielfältiger Spekulationen, z.B. in Bezug auf den „Pfaffenkrieg“ und Emberns Rolle darin. Es scheint aber sicher zu sein, dass das linke das Herzog Bernhard I. (bzw. des Blasiusstiftes) ist, das mittlere ist der Braunschweiger Löwe und schließlich rechts das des Auftraggebers des Baus, Pfarrer Johann Ember („Ember“ bedeutet Zuber oder Eimer).[8]

Kriegsschäden und Restaurierung

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Liberei bei den zahlreichen Luftangriffen auf Braunschweig, insbesondere am 10. und 15. Februar 1944, schwer beschädigt, so stürzten die Gewölbe ein und beide Giebel wurden stark beschädigt, wobei Teile des Südgiebels auf die Kröppelstraße stürzten. Angesichts der schweren Gebäudeschäden machten Denkmalschützer kurz nach Kriegsende den Vorschlag, lediglich den Nordgiebel zu belassen und den schwer in Mitleidenschaft gezogenen Südgiebel sowie die ebenfalls beschädigten Seitenwände unter Verwendung anderer Materialien wieder herzustellen. Dieser Vorschlag wurde jedoch aufgrund der historischen Bedeutung des Gebäudes nicht umgesetzt. 1947 gelang es, den Bestand des Bauwerks zu sichern. Das äußere Erscheinungsbild der einstigen Bibliothek konnte erst 1963/64 in vereinfachter Form wiederhergestellt werden, wobei der Nordgiebel schmucklos blieb. Erst zu diesem Zeitpunkt waren Ziegeleien technisch wieder in der Lage, die Formsteine herzustellen und zu glasieren. Die Innenraumrestaurierung (u. a. der eingestürzten Gewölbe) konnte dank privater Spenden, aber auch öffentlicher Geldmittel, 1984/85 vorgenommen werden, wobei auch wieder eine Treppe (diesmal aus Stahl) auf der Nordseite errichtet wurde, um in das Innere gelangen zu können. Heute dient ein Teil der Liberei der Gemeindearbeit, ein anderer beherbergt ein Steinmuseum, in dem Steine Braunschweigs mittelalterlicher Kirchen gesammelt werden.

Literatur

  • Reinhard Dorn: Mittelalterliche Kirchen in Braunschweig. Hameln, 1978
  • Hermann Dürre: Geschichte der Stadt Braunschweig im Mittelalter, Braunschweig 1861
  • Hermann Herbst: Die Bibliothek der Andreaskirche zu Braunschweig; in: Zentralblatt für Bibliothekswesen, Jg. 58, Heft 9/10, Sept./Okt. 1941, S. 301–338
  • Cord Meckseper (Hrsg.): Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150 – 1650, Band 1, Stuttgart 1985
  • Robert Slawski: St. Andreas – Neustadt – Braunschweig, Braunschweig 1996
  • Werner Spieß: Geschichte der Stadt Braunschweig im Nachmittelalter. Vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende der Stadtfreiheit 1491-1671, Band 2, Braunschweig 1966

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c Werner Spieß: Geschichte der Stadt Braunschweig im Nachmittelalter. Vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende der Stadtfreiheit 1491-1671, Band 2, Braunschweig 1966, S. 734f
  2. a b Cord Meckseper (Hrsg.): Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150 – 1650, Band 1, Stuttgart 1985, S. 580
  3. Hermann Herbst: Die Bibliothek der Andreaskirche zu Braunschweig; in: Zentralblatt für Bibliothekswesen, Jg. 58, Heft 9/10, Sept./Okt. 1941, S. 304
  4. Hermann Herbst: Die Bibliothek der Andreaskirche zu Braunschweig; in: Zentralblatt für Bibliothekswesen, Jg. 58, Heft 9/10, Sept./Okt. 1941, S. 316f
  5. Robert Slawski: St. Andreas – Neustadt – Braunschweig, Braunschweig 1996, S. 24
  6. Paul Jonas Meier und Karl Steinacker: Die Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Braunschweig, 2. Auflage, Braunschweig 1926, S. 30
  7. Hermann Herbst: Die Bibliothek der Andreaskirche zu Braunschweig; in: Zentralblatt für Bibliothekswesen, Jg. 58, Heft 9/10, Sept./Okt. 1941, S. 328
  8. a b c Reinhard Dorn: Mittelalterliche Kirchen in Braunschweig. Hameln, 1978, S. 208
  9. Gerd Spies (Hrsg.): Braunschweig – Das Bild der Stadt in 900 Jahren. Geschichte und Ansichten, Band 1, Braunschweig 1985, S. 31

52.26803262555610.5208897591677Koordinaten: 52° 16′ 5″ N, 10° 31′ 15″ O


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