Limeskastell Rißtissen

Limeskastell Rißtissen
Rißtissen
Alternativname Riusiava (umstritten[1][2][3][4])
ORL Keine Erfassung durch die Reichs-Limes-Kommission
Limesabschnitt Rätischer Limes,
ältere Donaulinie
Datierung (Belegung) Kastell:
A.a) um 45/50 bis um 70
A.b) um 70 bis um 90/95
B) Nachfolgebau
um 100 bis 110
Vicus: um 70 bis um 260
Typ Kohortenkastell
Einheit unbekannte Kohorte
Größe a) 1,7 ha
b) 1,9 ha
Bauweise a) Holz-Erde-Kastell
b) Holz-Erde-Kastell
Erhaltungszustand überbaut
Ort Ehingen-Rißtissen
Geographische Lage 48° 16′ 6,5″ N, 9° 50′ 0,5″ O48.2684722222229.8334722222222504Koordinaten: 48° 16′ 6,5″ N, 9° 50′ 0,5″ O
Höhe 504 m ü. NHN
Vorhergehend Kastell Emerkingen (Westsüdwest)
Anschließend Kastell Unterkirchberg (Ostnordost)

Das Kastell Rißtissen, dessen Gleichsetzung mit dem antiken Riusiava umstritten ist [1][2][3][4], ist ein ehemaliges römisches Kohortenkastell der älteren Donaulinie des Rätischen Limes auf dem Gebiet des heutigen Ehinger Ortsteils Rißtissen.

Inhaltsverzeichnis

Lage

Das Kastell liegt als Bodendenkmal im südöstlichen, höchstgelegenen Teil des Ortes Rißtissen. Sein Zentrum, die Principia (Stabsgebäude) befindet sich in etwa westlich des heutigen Römerweges, zwischen Wasserturm und Schule.

In antiker Zeit lag es in strategisch und verkehrsgeographisch bedeutender Position, unmittelbar an der in westöstlicher Ausrichtung verlaufenden römischen Donausüdstraße (heutige Heer- und Schloßstraße) und nur rund zwei Kilometer von der Donau selbst entfernt in einem Bereich, in dem eine weitere wichtige Straßenverbindung von der Donau in südliche Richtung abzweigte und in den Bodenseeraum nach Brigantium/Bregenz führte. Durch die Auswertung älterer sowie die Durchführung umfangreicher neuerer archäologischer Ausgrabungenen gelangte die jüngere Forschung der 1990er Jahre zu der Erkenntnis, dass das Kastell Rißtissen wohl einen nicht unbedeutenden Punkt auf den Nachschubwegen des römischen Heeres von Gallien sowie den germanischen Provinzen Germania Inferior und Germania Superior zum Balkan darstellte [5].

Forschungsgeschichte

Archäologie

Römische Spuren auf dem Gebiet von Rißtissen wurden erstmalig 1845 archäologisch nachgewiesen. Seitdem fanden in unregelmäßigen Abständen immer wieder wissenschaftliche Untersuchungen in diesem Gebiet statt. 1850 wurde eine Thermenanlage, 1891 ein großes Gebäude unsicherer Bestimmung ausgegraben. Besonders augenfällig war das hohe Aufkommen an römischen Münzen. 1912 wurde schließlich das ehemalige Kohortenkastell lokalisiert und zwischen 1912 und 1914 begann man mit seiner Ausgrabung. Die Freilegungsarbeiten wurden durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterbrochen und danach für lange Zeit nicht wieder wirklich systematisch aufgenommen. Leider sind auch die Aufzeichnungen der frühen Grabungen im Laufe der Zeit teilweise verloren gegangen. Alle nachfolgenden archäologischen Maßnahmen hatten lediglich den Charakter von Notgrabungen, so 1959/1960 beim Bau des Wasserturms und der Schule sowie 1967 beim Bau eines Kindergartens. Erst in den 1990er Jahren wieder hat sich der Archäologe Martin Kemkes des Kastells systematisch angenommen, neue Ausgrabungen durchgeführt und für eine adäquate Darstellung in der Literatur unter der Berücksichtigung der neugewonnenen Erkenntnisse gesorgt. Insgesamt ist das Kastell Rißtissen mit rund zwei Dritteln ergrabener Fläche heute eines der bestuntersuchten Kastelle dieses ehemaligen Grenzabschnitts.

Etymologie

In der Zeit zwischen den Weltkriegen stellte Robert Knorr die Überlegung an, dass Rißtissen möglicherweise mit dem bei Ptolemäus erwähnten Riusiava gleichzusetzen sei [1]. Oscar Paret schloss sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dieser Hypothese an [2], der jedoch in neuerer Zeit in der wissenschaftlichen[3] und populärwissenschaftlichen[4] Literatur widersprochen wird.

Kastellgeschichte

Bei dem Kohortenkastell von Rißtissen konnten insgesamt drei Bauphasen nachgewiesen werden. Ein erstes, etwa 1,7 ha großes Militärlager wurde in claudischer Zeit, um die Jahre 45 bis 50 im Rahmen eines planmäßigen und großräumigen infrastrukturellen Ausbaus des Donautals errichtet, das zu dieser Zeit auch die Nordgrenze Rätiens bildete. Dieses Kastell wurde möglicherweise im Zusammenhang mit den Wirren des Vierkaiserjahres 69 zerstört, vielleicht aber auch in derselben Zeit von der Besatzung im Rahmen eines planmäßigen Rückzugs niedergebrannt. Neben Rißtissen wurden nur in drei weiteren Donaulagern (Hüfingen, Aislingen und Burghöfe) Brandschichten aus dieser unruhigen Periode des Imperiums nachgewiesen.

Über den in dieser Zeit hier stationierten Truppenteil ist aus schriftlichen Quellen nichts bekannt, das Fundaufkommen spricht allerdings für eine kombinierte Einheit aus berittenen Bogenschützen und Fußsoldaten, höchstwahrscheinlich abkommandierten Legionsangehörigen.

Bereits kurze Zeit nach der Zerstörung, wohl im Jahre 70, wurde das strategisch und verkehrsgeographisch bedeutsame Kastell wieder aufgebaut. Eine hierbei vorgenommene Veränderung der Baustrukturen des Kastellinneren deutet auf einen Besatzungswechsel hin. Gesicherte Angaben zur Truppenart lassen sich aber wiederum nicht treffen. Gesichert erscheint lediglich, dass das Kastell eine primär logistische Aufgabe erfüllte.

Ende der Siebziger Jahre erfolgte, wohl im Zusammenhang mit dem Bau der Straße durch das Kinzigtal und der Errichtung der Kastelle am oberen Neckar groß angelegte Umbaumaßnahmen.

Nach der Vorverlegung und Verkürzung des Limes um das Jahr 90 wurde das Kastell überflüssig und bis spätestens zum Jahre 95 aufgegeben.

Nur kurze Zeit später, wohl im Zusammenhang mit den Dakerkriegen des Kaisers Trajan, gewann der Kastellplatz Rißtissen noch einmal militärische Bedeutung als logistischer Umschlagspunkt auf dem Nachschubweg von Gallien und den germanischen Provinzen zum Balkan. Um das Jahr 100 wurde innerhalb der alten Kastellanlage ein großer Magazinbau errichtet. Möglicherweise mit der Beendigung der Dakerkriege, spätestens aber um das Jahr 110 endet die militärische Nutzung des Ortes.

Kastellbefunde

Erste Bauphase

Die erste Anlage des Kastells Rißtissen erfolgte um die Jahre 45 bis 50 n.Chr. in Holz-Erde-Bauweise. Das viertorige Lager war etwa 1,7 ha groß und von einem Doppelgraben umgeben. Im Kastellinneren konnten eine schlichte Principia (Stabsgebäude), das Praetorium (Kommandantenwohnhaus), zwei Mannschaftsbaracken, ein Horreum (Getreidespeicher) und ein weiteres Magazin sowie ein größeres Gebäude ungesicherter Verwendung, das wohl logistischen Zwecken diente, nachgewiesen werden.

Zweite Bauphase

Nur kurze Zeit nach der Zerstörung um die Jahre 69/70 wurde das Kastell in leicht veränderter Form wieder aufgebaut. Veränderungen in der Baustruktur des Kastellinneren lassen hierbei auf einen Besatzungswechsel schließen. Im Wesentlichen wurden aber nur die zerstörten Bereiche neu errichtet. Erst Ende der Siebziger Jahre erfolgten größere Umbaumaßnahmen. Das Doppelgrabenssystem wurde durch einen einfachen Graben, die bis dahin aus Holz/Fachwerk bestehende Principia durch einen repräsentativen Steinbau ersetzt.

Dritte Bauphase

Innerhalb der Grundrisse des aufgelassenen Kastells erfolgte um das Jahr 100 unter Einbeziehung der Principiafundamente die Errichtung eines großen, dreischiffigen, steinernen Magazinbaus.

Vicus

Wie bei jedem römischen Militärlager bildete sich auch rings um das Kastell Rißtissen ein Vicus, eine Zivilsiedlung bestehend aus Angehörigen der Militärs, Händlern, Handwerken und Gastwirten. Der Vicus von Rißtissen hatte über das Ende der militärischen Nutzung des Platzes hinaus Bestand und prosperierte als Marktflecken weiter, nicht zuletzt aufgrund seiner verkehrsgeographisch begünstigten Lage. Die Siedlung war mit den typischen Ausstattungsmerkmalen der römischen Zivilisation versehen, dazu gehörte auch eine kleine Thermenanlage. Darüber hinaus sprechen die Qualität des Fundmaterials sowie die Steindenkmäler für eine überdurchschnittlich wohlhabende Bevölkerung. Längs der Ausfallstraßen des Vicus entstanden die Gräberfelder.

Unter dem Druck der Alamannen wurde der Vicus – wie alle römischen Gebiete westlich der Iller – um das Jahr 260 aufgegeben.

Bemerkenswert ist ein Vicusfund von rund 300 Münzgussformen der römischen Kaiser Septimius Severus, Caracalla, Diadumenianus und Elagabal. Auch wenn die Fundstelle auf die Zeit um das Jahr 220 datiert werden konnte, ist es bis heute unklar, ob es sich hierbei um die Hinterlassenschaften einer Falschmünzerwerkstatt oder um Notprägungen aus grenzpolitisch unruhiger werdenden Zeiten handelt.

Denkmalschutz, Fundverbleib und Spolien

Das Kastell Rißtissen ist ein Bodendenkmal im Sinne des Denkmalschutzgesetzes des Landes Baden-Württemberg (DSchG). Nachforschungen und gezieltes Sammeln von Funden sind genehmigungspflichtig, Zufallsfunde an die Denkmalbehörden zu melden.

Die Funde aus den Kastell- und Vicusgrabungen von Rißtissen befinden sich im Römermuseum in der Grundschule Rißtissen, im Museum der Stadt Ehingen [6] und im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart.

Bereits älteren Zufallsfunden entstammen zahlreiche Spolien, die schon im Vorgängerbau der heutigen Kirche St. Pankratius und Dorothea Verwendung gefunden hatten und die beim Neubau im Jahre 1784 erneut verbaut wurden. Insgesamt sieben Reliefsteine wurden in die Außenmauer eingelassen. Sie entstammen vermutlich dem Gräberfeld östlich des Vicus [7].

Der Bereich des ehemaligen Kastells sowie des Vicus ist heute weitestgehend überbaut, so dass keine Fragmente oder Geländeverformungen mehr sichtbar sind. Lediglich der Verlauf der Römerstraße lässt sich durch den teilweise nahezu identischen, modernen Straßenverlauf im Gelände erahnen.

Siehe auch

Literatur

  • Philipp Filtzinger: Ehingen-Rißtissen. In: Filtzinger, Planck, Cämmerer: Die Römer in Baden-Württemberg. 3. Auflage, Theiss, Stuttgart 1986, ISBN 3-8062-0287-7, S. 272ff.
  • Martin Kemkes: Ehingen-Rißtissen. In: Dieter Planck (Hrsg.): Die Römer in Baden Württemberg. Theiss, Stuttgart 2005, ISBN 3-8062-1555-3, S. 65 ff.
  • Martin Kemkes: Das Kastell Rißtissen und die militärische Sicherung der Donau im 1. Jahrhundert. In: Reinhardt, Wehrberger (Hrsg.): Die Römer an Donau und Iller. Neue Forschungen und Funde. Thorbecke, Stuttgart 1996, ISBN 3-7995-0410-9, S. 9ff.
  • Martin Kemkes: Das römische Kastell Rißtissen. Ungedruckte Dissertation, Freiburg 1996. Publikation in Vorbereitung
  • Gerhard Mildenberger: Neue Grabungen im Kastell Rißtissen. In: Fundberichte aus Schwaben. Neue Folge 16. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1961
  • Günter Ulbert: Das römische Donau-Kastell Rißtissen. Die Funde aus Metall, Horn und Knochen. Müller & Gräf, Stuttgart 1970

Anmerkungen

  1. a b c Robert Knorr: Rißtissen, das Riusiava des Ptolemäus. In: Germania. Anzeiger der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts. Jahrgang 16, 1932. De Gruyter, Berlin. S. 143 f.
  2. a b c Oscar Paret: Württemberg in vor- und frühgeschichtlicher Zeit. S. 402. Kohlhammer, Stuttgart 1961.
  3. a b c Rolf Nierhaus: Zu den topografischen Angaben in der Geographie des Klaudios Ptolemaios über das heutige Süddeutschland. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg, Stuttgart 1981, S.475ff.
  4. a b c Jürgen Meyer: Rätselhafte Spuren auf der Alb. Oertel & Spörer, Reutlingen 2007, ISBN 978-3-88627-413-0.
  5. Kemkes 1996, a.a.O.
  6. Museum der Stadt Ehingen auf der Webseite der Stadt Ehingen
  7. Alfons Senn: Die römischen Reliefsteine von Rißtissen. Neue Beobachtungen und Deutungen. Museumsgesellschaft, Ehingen 1987.

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