Antibolschewistische Liga

Antibolschewistische Liga
Propagandaplakat 1918

Die Antibolschewistische Liga (später Liga zum Schutze der deutschen Kultur) war eine kurzlebige deutsche rechtsradikale Organisation zur Bekämpfung der Novemberrevolution, besonders des Spartakusbundes. Sie wurde Anfang Dezember 1918 von dem jungkonservativen Publizisten Eduard Stadtler gegründet und von Großindustriellen finanziert.

Nach Stadtlers 1935 veröffentlichten Erinnerungen organisierten und bezahlten deutsche Unternehmer aus einem bei einem Ligavortrag gebildeten Fonds die Militäreinsätze von Freikorps gegen den Berliner Januaraufstand und die Auftragsmorde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vom 15. Januar 1919.

Inhaltsverzeichnis

Ziele

Der Lehrer und ehemalige Generalsekretär des Windthorstbunds Stadtler war während des Ersten Weltkriegs Soldat an der Ostfront gewesen und im letzten Kriegsjahr in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Als Nationalist war er glühender Gegner der Arbeiterbewegung und ihrer Ziele. Dabei machte er keinen Unterschied zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus, die er beide im Sinne einer Verschwörungstheorie als Angriff auf alle Werte der deutschen Nation auffasste.

Deshalb versuchte Stadtler, der 1918 aus der Zentrumspartei ausgetreten war, sofort nach Kriegsende, Führungspersonen der deutschen Industrie sowie rechtsgerichtete Parteien- und Medienvertreter zur Bekämpfung des „Bolschewismus“ zu gewinnen. Das anfangs nur negative Programm des Antibolschewismus erkannte er früh als nicht ausreichend und suchte daher nach einem alternativen Gesellschaftsentwurf. Als Gegensatz zum „Klassenkampf-Sozialismus“ der Arbeiterparteien propagierte er „die Diktatur eines „nationalen“ oder „christlich-nationalen Sozialismus“. Diese Zielvorstellung sollte zum einen das Privateigentum an Produktionsmitteln vor Enteignungen schützen, wie sie die Rätebewegung in der Novemberrevolution forderte, zum anderen die Parlamentarische Demokratie zugunsten einer „zielbewußten diktatorischen Regierung“ abschaffen, um so den „Parteien- und Klassenkrieg“ im Rahmen einer autoritär-familialen Gesellschaft zu „überwinden“.[1]

Stadtler schwebte eine von nationalen Eliten geführte Volksgemeinschaft vor, wie sie die Deutschnationale Volkspartei, deren Mitglied er wurde, und die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei gemeinsam propagierten. Dabei wurde ihm das Führerprinzip sehr wichtig. 1933 trat er in die NSDAP ein und veröffentlichte 1935 seine Erinnerungen. Darin verwies er auch auf die Absicht der Großindustriellen, die seine Liga finanzierten, den Nationalsozialismus in Deutschland einzuführen. In einer Rede in Breslau erklärte er mit Bezug auf Industrieverbandschef Hugo Stinnes und Albert Vögler:

„Großindustrielle haben mir persönlich erklärt, wir wollen in Deutschland einen eigenen deutschen Sozialismus mit unseren Arbeitern machen, aber die Parteipolitik soll nicht dareinreden...“[2]

Gründung und Programm

Durch Vermittlung von Karl Helfferich, der sich selbst nicht sichtbar herausstellen wollte, erhielt Stadtler am 28. November 1918 als „Gabe der Deutschen Bank“ von deren Direktor Paul Mankiewitz 5.000 Mark in bar persönlich ausgehändigt. Weitere 3.000 Mark erhielt er von Friedrich Naumann aus einem politischen Fonds.[3] Damit konnte Stadtler am 1. Dezember 1918 in der Lützowstraße 107 in Berlin ein „Generalsekretariat zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus“ eröffnen. Die Geschäftsstelle war die Privatwohnung Heinrich von Gleichen-Rußwurms, einem der führenden Köpfe der Konservativen Revolution.

Mit seinen politischen Freunden Heinrich von Gleichen-Rußwurm, Franz Röhr, Cäsar von Schilling, Oskar Müller, Dörschlag, Axel Schmidt, Fritz Siebel, Momm und anderen bildete Stadtler einen „Aktionsausschuss“ und legte ein „Rettungsprogramm“ vor. Geplant war unter anderem eine Verlagsgründung zur Ausgabe von antibolschewistischen Propagandabroschüren, populäre Flugschriften unter dem Titel „Antispartakus“ zum Massenvertrieb durch Parteien und andere Organisationen, ein Vortragszyklus, die Ausbildung von Agitatoren und Rednern sowie die Errichtung eines antibolschewistischen Presse- und Nachrichtendienstes. An die Spitze seines Programms stellte Stadtler eine „zielbewußte diktatorische Regierung“ und die „Freimachung aller religiösen und sittlichen Impulse“.[4]

Antibolschewistenfonds

Am 10. Januar 1919 trafen sich ca. 50 Spitzenvertreter der deutschen Industrie-, Handels- und Bankenwelt und richteten einen Antibolschewistenfonds der deutschen Unternehmerschaft ein. Paul Mankiewitz von der Deutschen Bank organisierte das Treffen in den Räumen des Flugverbandshauses in Berlin. Unter den eingeladenen Teilnehmern, die ausdrücklich keine Vertreter schicken sollten, waren Industrieverbandschef Hugo Stinnes, Albert Vögler, Siemens, Otto Henrich (Siemens-Schuckert-Werke), Ernst von Borsig, Felix Deutsch von der AEG, Arthur Salomonsohn von der Disconto-Gesellschaft.

Einziger Tagesordnungspunkt dieser Sitzung war der Vortrag Eduard Stadtlers „Bolschewismus als Weltgefahr“, der die anwesenden Kapitalvertreter von der Notwendigkeit zum Handeln gegen die damalige Revolution überzeugen sollte. Nach der allgemeinen Betroffenheit über den Vortrag soll Stinnes anschließend geäußert haben, er halte jede Diskussion für überflüssig, er teile Stadtlers Ausführungen „in jedem Punkte“ und schlage vor, die deutsche Wirtschaft solle deshalb 500 Millionen Mark bereitstellen. Im Nebenzimmer sei diese Summe bewilligt worden und über die Verbände der Industrie, des Handels und der Banken auf das deutsche Kapital umgelegt worden. Ein neu gebildetes Kuratorium habe die Gelder verwaltet. Einem Vertrauensmann von Hugo Stinnes sei dieser Fonds zur Betreuung und Verteilung anvertraut worden. Gelder aus diesem Fonds seien von da an großzügig an alle antibolschewistischen Gruppen geflossen, u.a. folgende Organisationen:

  • die Antibolschewistische Liga unter dem Tarnnamen Generalsekretariat zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus
  • die Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus
  • die „Bürgerratsbewegung“
  • Werbebüros für die Freikorps
  • Studentenarbeitsstellen
  • Selbstschutzformationen
  • die Kassen der aktiven Truppen
  • die Sozialdemokratische Partei Deutschlands.[5]

Durch einen Bankkredit wurden unmittelbar nach seiner Einrichtung 50 Millionen sofort zur Verfügung gestellt.[6] Der Stinnes-Biograf Gerald D. Feldman schätzt, dass die Gesamtsumme etwa 250 Millionen betrug, also pro anwesender Person um die 5 Millionen Reichsmark bezahlt wurden.[7]

Da die Nationalsozialisten zu den eifrigsten organisierten Antibolschewisten gehörten, nahm Werner Maser an, dass „auch der NSDAP mit Sicherheit Geld aus dem 'Antibolschewistenfonds der Wirtschaft' zugeflossen“ sei.[8]

Auftragsmorde

Am 1. Januar 1919 schrieb Kommandeur Waldemar Pabst an den Vorsitzenden der provisorischen Reichsregierung, Friedrich Ebert:

„Solange Spartakus sich der Förderung des Polizeipräsidenten Eichhorn und ähnlicher Leute erfreut, wird es unmöglich sein, Ruhe zu schaffen…“[9]

Pabst befehligte die Garde-Kavallerie-Schützen-Division, die als eine der größten noch intakten Truppeneinheiten der Reichswehr unter dem Oberfehl Hans von Seeckts zum Jahresbeginn nach Berlin beordert worden war, um mögliche Aufstände gegen die provisorische Reichsregierung niederzuschlagen. Die Vertreter der USPD waren am 29. Dezember 1918 aus Protest gegen Eberts Verhalten bei den Weihnachtsunruhen aus der Übergangsregierung ausgetreten. Daraufhin hatte Ebert den der USPD nahestehenden Polizeipräsidenten Emil Eichhorn am 4. Januar entlassen und nach dessen Weigerung, sein Amt niederzulegen, am 6. Januar 1919 Gustav Noske beauftragt, militärische Maßnahmen gegen die Revolutionäre zu ergreifen. Noske hatte daraufhin zusätzliche Truppen nach Berlin beordert. Diese schlugen auf seinen Befehl hin vom 8. bis 12. Januar den Januaraufstand nieder und erschossen dabei hunderte Aufständische und unbewaffnete Zivilisten.

Nach dem Ende der Kämpfe und zwei Tage nach den Millionenspenden der deutschen Unternehmerschaft, am 12. Januar, besuchte Stadtler Pabst im Hotel Eden und überzeugte ihn nach eigenen Angaben von der „Notwendigkeit“, auch die Spartakusführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie Karl Radek – einem im Auftrag Lenins in Berlin anwesenden Sozialisten – zu ermorden. Er habe zu Pabst gesagt, „das Parlament könne uns Frontsoldaten gestohlen bleiben, auf Männer und Taten käme es an; wenn auf unserer Seite vorerst keine Führer zu sehen seien, dann dürfte wenigstens die Gegenseite auch keine haben.“[10]

Wahrscheinlich durch einen von der Antibolschewistischen Liga oder einer anderen Organisation Stadtlers bezahlten Spitzel wurden Liebknecht und Luxemburg am Abend des 15. Januar in ihrem soeben erst bezogenen Versteck in Wilmersdorf von einer „Wilmersdorfer Bürgerwehr“ aufgespürt, festgenommen und in das Hotel Eden gebracht. In den späteren Prozessen gegen ihre Mörder wurde mehrfach ausgesagt, ein „Helfersdienst der SPD“ habe eine Kopfprämie von 100.000 Mark für die Ergreifung der Spartakusführer ausgesetzt. Nach schwerer Misshandlung wurden sie in der Nacht von Angehörigen der Garde-Kavallerie-Schützendivision – laut Stadtler „Mannen Major Pabsts“[11] – ermordet. Die Mitglieder der Truppe und der Bürgerwehr erhielten pro Person eine hohe Belohnung, die wahrscheinlich ebenfalls aus dem Antibolschewistenfonds stammte.[12]

Liga zum Schutz der deutschen Kultur

Die Mitglieder der antibolschewistischen Liga vertraten einen „deutschen Sozialismus“, übernahmen also den Sozialismusbegriff unter nationalen Vorzeichen. Damit stellten sie ihr antirevolutionäres Projekt als Interesse der Bevölkerung dar. Heinrich Brüning, der Stadtler aus der gemeinsamen Studentenzeit in Straßburg kannte, urteilt darüber in seinen Memoiren:

„Sie wären vor den radikalsten sozialistischen Ideen nicht zurückgeschreckt, wenn diese einen Weg geboten hätten, die Einheit Deutschlands aufrechtzuerhalten.“[13]

Im Zeichen eines so verstandenen „deutschen Sozialismus“ lehnten nicht einmal alle Mitglieder der Antibolschewistischen Liga das Rätesystem ab. Im Februar 1919 veröffentlichten führende Mitglieder der Liga wie Stadtler, Ernst Troeltsch, Heinrich von Gleichen und Joachim Tiburtius in der katholischen Tageszeitung Germania einen Aufruf zur Gründung einer Liga zum Schutz der deutschen Kultur.[14] Ohne eine klare Frontstellung gegen Bolschewismus und Sozialismus war an eine weitere finanzielle Unterstützung durch die Industrie aber nicht mehr zu denken, die deshalb bereits im Frühjahr 1919 eingestellt wurde. Der Historiker Gerhard Schulz urteilt, auch mit Blick auf die Kontroverse über den Beitrag von Finanzhilfen aus der Industrie beim Aufstieg der NSDAP:

„Die Zusammenarbeit von Industriellen und der neu sich formierenden nationalistischen Richtung war also doch nur von kurzer Dauer.“[15]

Eduard Stadtler legte den Vorsitz der Liga noch im März 1919 nieder, die seitdem einen gemäßigteren Kurs verfolgte.

Einzelbelege

  1. Eduard Stadtler: Erinnerungen: Als Antibolschewist 1918–1919. Düsseldorf 1935, S. 16f.
  2. Eduard Stadtler: Erinnerungen. S. 60.
  3. Eduard Stadtler: Erinnerungen. S. 12f.
  4. Eduard Stadtler: Erinnerungen. S. 16.
  5. Eduard Stadtler: Erinnerungen. S. 46–49.
  6. Werner Maser: Die Frühgeschichte der NSDAP Athenäum-Verlag, 1965 , S. 407
  7. Gerald D. Feldman: Hugo Stinnes. Biographie eines Industriellen 1870–1924. Beck, München 1998, S. 553
  8. Werner Maser: Die Frühgeschichte der NSDAP, Athenäum-Verlag, 1965, S. 407
  9. Frederik Hetmann: Rosa L. Fischer, Frankfurt am Main 1979, S. 256.
  10. Eduard Stadtler: Erinnerungen. S. 52.
  11. Eduard Stadtler: Erinnerungen. Als Antibolschewist 1918–1919. Neuer Zeitverlag, Düsseldorf 1935, S. 52.
  12. Frederik Hetmann: Rosa L. Fischer, Frankfurt am Main 1979, S. 266f.
  13. Heinrich Brüning: Memoiren 1918–1932. DVA, Stuttgart 1970, S. 46.
  14. Kai-Uwe Merz: Das Schreckbild. Deutschland und der Bolschewismus 1917–1921. Propyläen, Berlin 1995, S. 276.
  15. Gerhard Schulz: Aufstieg des Nationalsozialismus. Krise und Revolution in Deutschland. Propyläen, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1975, S. 303.

Literatur

  • Eduard Stadtler: Lebenserinnerungen. Band 3: Als Antibolschewist 1918–1919. Neuer Zeitverlag, Düsseldorf 1935.
  • Eduard Stadtler: Weltrevolutions-Krieg. Neuer Zeitverlag, Düsseldorf 1937.
  • Reinhard Kühnl (Hrsg.): Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten. 2. erweiterte Auflage. Pahl-Rugenstein, Köln 1977, ISBN 3-7609-0305-3 (Kleine Bibliothek 62).
  • Gerhard Schulz: Aufstieg des Nationalsozialismus. Krise und Revolution in Deutschland. Propyläen, Frankfurt am Main u. a. 1975, ISBN 3-549-07309-7.
  • Klaus Gietinger: Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung der Rosa L. Verlag 1900, Berlin 2002, ISBN 3-930278-02-2.
  • Das Große Schmieren. In: Der Spiegel. Nr. 49, 1984 (online).

Weblinks


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