Lothar Beutel

Lothar Beutel

Lothar Beutel (* 6. Mai 1902 in Leipzig; † 16. Mai 1986 in Berlin-Steglitz) war ein deutscher Apotheker und SS-Führer. Zur Zeit des Nationalsozialismus war er Leiter des SD-Oberabschnitts Sachsen und Führer der Einsatzgruppe IV im deutsch besetzten Polen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte er einige Monate lang dem Freikorps Escherich an.

Beim Sicherheitsdienst (SD)

Nach dem Studium arbeitete Beutel als approbierter Apotheker. 1929 trat er in die NSDAP (Mitglieds-Nr. 135.238) und 1930 in die SS (Mitglieds-Nr. 2422) ein und wurde am 19. Juni 1931 zum SS-Untersturmführer ernannt. Er organisierte seit Herbst 1932 den Aufbau des Sicherheitsdienstes der SS (SD) in Sachsen. Am 9. November 1932 wurde er zum SS-Hauptsturmführer und am 1. Juli 1933 zum SS-Obersturmbannführer befördert. Anfang 1934 wurde er zum hauptamtlichen Leiter des SD-Oberabschnitts Sachsen bestellt und am 20. April 1934 zum SS-Standartenführer befördert.

Der Führer des SS-Oberabschnitts Mitte in Dresden, Friedrich Karl Freiherr von Eberstein, teilte in einer Nachkriegsaussage mit, dass Beutel bei der Niederschlagung der sogenannten Röhmrevolte am 30. Juni 1934 im Auftrag Exekutionsbefehle ausgeführt habe. Die Beförderung zum SS-Oberführer erfolgte zum 20. Januar 1936. Bei der Reichstagswahl 1936 kandidierte er erfolglos.

Im Dezember 1937 wurde Beutel in Bayern zum ersten Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD ernannt. Aufgabe dieser Inspekteure war die Organisation einer funktionierenden Zusammenarbeit zwischen Sicherheitspolizei und der staatlichen Verwaltung, den Gauleitern und der Wehrmacht. Am 20. April 1939 wurde Beutel zum SS-Brigadeführer befördert.

Bei den „Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei“ in Polen

Im Polenkrieg 1939 übernahm Beutel die Führung der Einsatzgruppe IV der „Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei“. Deren Aufgabe bestand in der „Bekämpfung aller reichs- und deutschfeindlichen Elemente rückwärts der fechtenden Truppe“ und gleichzeitig einer möglichst umfassende Vernichtung der polnischen Intelligenz. Die Einsatzgruppe IV war der 4. Armee unter General Günther von Kluge zu geteilt und bestand aus den nachstehenden zwei Einsatzkommandos (EK):

Nach Aussagen von Walter Hammer vor der Staatsanwaltschaft am Landgericht Berlin am 20. Juli 1965 ließ Beutel am 12. September 1939 als Vergeltungsmaßnahme für die beim „Bromberger Blutsonntag“ ermordeten Volksdeutschen mindestens 80 Polen erschießen. Die Staatsanwaltschaft vermerkte allerdings auch den Widerspruch, dass Hammer ebenfalls ausgesagt hatte, die Erschießungen hätten den ganzen Tag angedauert. Von daher ist von einer höheren Opferzahl auszugehen.[1]

Beutel war auch Teilnehmer einer großen Besprechung in Berlin am 21. September 1939, die Reinhard Heydrich mit den Amtschefs des Reichssicherheitshauptamtes, Adolf Eichmann und den Führern der Einsatzgruppen durchführte. Heydrich informierte die Teilnehmer auch über das den Juden und Polen zugedachte Schicksal und führte dazu aus:

„Die Juden-Deportation in den fremdsprachigen Gau, Abschiebung über die Demarkationslinie ist vom Führer genehmigt. Jedoch soll der ganze Prozeß auf die Dauer eines Jahres verteilt werden. Die Lösung des Polenproblems - wie schon mehrfach ausgeführt - unterschiedlich nach der Führerschicht (Intelligenz der Polen) und der unteren Arbeiterschicht des Polentums. Von dem politischen Führertum sind in den okkupierten Gebieten höchstens noch 3 % vorhanden. Auch diese 3 % müssen unschädlich gemacht werden und kommen in KZs. […] Die primitiven Polen sind als Wanderarbeiter in den Arbeitsprozeß einzugliedern und werden aus den deutschen Gauen allmählich in den fremdsprachigen Gau ausgesiedelt.“

Zusammenfassend stellte Heydrich fest:

„1.) Juden so schnell wie möglich in die Städte,

2.) Juden aus dem Reich nach Polen,

3.) die restlichen 30.000 Zigeuner auch nach Polen,

4.) systematische Ausschickung der Juden aus den deutschen Gebieten mit Güterzügen.“[2]

Beutel war daher, wie alle übrigen Einsatzgruppenführer, aufgrund seiner Funktion über die Absichten der obersten Führung aus erster Hand unterrichtet.

Die Einsatzgruppe IV war Anfang Oktober 1939 in Warschau stationiert. Bereits vom 13. September 1939 bis 23. Oktober 1939 war Beutel als Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) in Warschau tätig.

Ausstoß und Wiederaufnahme in die SS

Am 23. Oktober 1939 wurde Beutel wegen Unterschlagung und persönlicher Bereicherung als Führer der Einsatzgruppe IV durch seinen bisherigen Stellvertreter Josef Meisinger abgelöst und verhaftet. Er kam ins KZ Dachau, wurde zum SS-Mann degradiert und dann aus der SS ausgestoßen. In einer Strafeinheit der SS-Division „Totenkopf“ erhielt er die Möglichkeit, sich im Frankreichfeldzug zu rehabilitieren. Am 9. November 1940 wurde Beutel wieder als SS-Hauptsturmführer in die Allgemeine SS aufgenommen.

Aufgrund eines Armleidens arbeitete Beutel als Abteilungsleiter in der Reichsapothekenkammer. 1944 wurde er wiederum in der Waffen-SS verwendet, in Ungarn verwundet und im Juni 1945 in Berlin verhaftet.

Nach dem Krieg

Beutel kam in sowjetische Gefangenschaft, aus der er erst im Oktober 1955 entlassen wurde und fasste wieder Fuß als Apotheker in Berlin. Ein Strafverfahren gegen ihn und andere wegen der Vergeltungsmaßnahmen in Polen am 12. September 1939 wurde mit Beschluss des Landgerichts Berlin vom 26. März 1971 aufgrund mangelnder Beweise eingestellt.

Literatur

  • Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 2002, ISBN 3-930908-75-1
  • Helmut Krausnick, Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938-1942. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1981, ISBN 3421019878

Einzelnachweise

  1. Wildt, Generation, S. 446
  2. Protokoll der Besprechung vom 21. September 1939 in: Bundesarchiv R 58/825.

Weblinks


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