- Marie Céleste
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Die Mary Celeste war eine Brigantine (zweimastiges Segelschiff), die 1872 auf halbem Wege zwischen den Azoren und Portugal verlassen im Atlantik treibend aufgefunden wurde. Wie es dazu kam, ist bis heute ungeklärt. Die Mary Celeste ist eines der berühmtesten Geisterschiffe.
Mary Celeste ist die richtige Schreibweise des Namens, wenn auch die Schreibweise „Marie Céleste“ existiert. Diese wurde vom Schriftsteller Arthur Conan Doyle für seinen 1884 erschienenen Roman The Captain of the Polestar benutzt, der das Mysterium um die Mary Celeste mit fiktiven Begebenheiten ausschmückte.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Mary Celeste war eine 31 Meter lange Brigantine mit einer Verdrängung von 282 Tonnen unter dem Befehl von Kapitän Benjamin Briggs. Am Fockmast fuhr sie vier Rahsegel (Fock-, Vormars-, geteiltes Vorbramsegel, kein Vorroyalsegel, so genanntes Jubiläumsrigg, nach anderen Abbildungen fünf Rahsegel: Fock-, geteiltes Vormarssegel, Vorbramsegel, Vorroyalsegel) und vier Vorsegel, am Großmast Großgaffelsegel und Toppgaffelsegel, dazu vier Stagsegel, insgesamt 14/15 Segel. Gebaut wurde sie 1861 auf der Spencer-Insel am Nordufer des Minas-Kanals der Fundybucht, Neuschottland (Kanada), und war ursprünglich auf den Namen The Amazon getauft. Nach verschiedenen negativen Begebenheiten wurde sie mehrmals verkauft, bis sie 1869 den Namen Mary Celeste erhielt.
Am 7. November 1872 lud die Mary Celeste Industriealkohol (Roh-Ethanol) der Firma Meissner, Ackermann & Co in New York City und lief nach Genua in Italien aus.
Am 4. Dezember (in anderen Quellen am 5. Dezember) wurde sie von der Bark Dei Gratia in scheinbar guter Verfassung gesichtet, jedoch war niemand an Bord. Kapitän Briggs, seine siebenköpfige Besatzung und die Passagiere wurden nie wieder gesehen.
Die Dei Gratia hatte New York sieben Tage nach der Mary Celeste verlassen. Bei der Annäherung konnte die Mary Celeste zwei Stunden lang beobachtet werden, und es wurde offensichtlich, dass sie führerlos trieb. Es waren keine Notsignale geflaggt. Kapitän Morehouse von der Dei Gratia kannte Kapitän Briggs persönlich als einen erfahrenen Seemann. Der Erste Offizier (Chief Mate) der Dei Gratia, Oliver Deveau, setzte mit einem Kommando in einem Ruderboot zur Mary Celeste über, um das Schiff zu untersuchen. Er fand eine defekte Lenzpumpe und eine Menge Wasser zwischen den Decks. Er berichtete an seinen Kapitän, auf dem Schiff wäre ein „total nasses Durcheinander“ („the whole ship was a thoroughly wet mess“). Selbst das Kapitänsbett war völlig durchnässt. In der Schiffsküche war der Ofen aus seinem Platz gerissen und die Küchenutensilien lagen verstreut herum.
Verschiedene Luken und die Lazaretttür standen offen, die Schiffsuhr war außer Funktion und der Kompass zerstört. Der Sextant und das Chronometer waren nicht aufzufinden, was darauf hinwies, dass das Schiff absichtlich verlassen wurde. Das einzige Rettungsboot schien eher absichtlich zu Wasser gelassen und nicht weggespült worden zu sein (andere Quellen behaupten jedoch, es sei noch an Bord gewesen).
Die Fracht von 1.701 Fass Ethanol im Zeitwert von 35.000 US-Dollar war intakt. Allerdings wurde bei der Entladung in Genua festgestellt, dass neun Fässer leer waren. Ein Nahrungsmittel- und Wasservorrat für sechs Monate war an Bord. Mit Ausnahme des Logbuches konnten keinerlei Schiffspapiere gefunden werden. Der letzte Eintrag im Logbuch datierte auf den 24. November und gab die Position mit 100 Meilen westlich der Azoren in der Nähe der Insel St. Mary an.
Ein Teil der Mannschaft der Dei Gratia wurde abgestellt, um die Mary Celeste nach Gibraltar zu segeln. Während der Seegerichtsverhandlung lobte der Richter die Mannschaft für ihren Mut und ihren erfahrenen Umgang. Jedoch wendete sich das Blatt, als der Gerichtsoffizier der Admiralität, Frederick Solly Flood, die Anhörung plötzlich von einem Bergungsverfahren in ein Verfahren gegen die Männer der Dei Gratia wendete, weil er unlautere Machenschaften vermutete. Am Ende erhielt die Mannschaft zwar ein Bergungsgeld, es fiel jedoch deutlich geringer aus als erwartet – als „Strafe“ für ein vom Gericht nicht definiertes (und auch nicht bewiesenes) Unrecht.
Nach der Instandsetzung der Mary Celeste wurde das Schiff zwölf Jahre lang von verschiedenen Eignern genutzt, bis der letzte Eigner versuchte, es mit einer Ladung von Gummistiefeln und Katzenfutter vor dem Rochelais Riff bei Haiti zu versenken; offensichtlich, um eine unverhältnismäßig hohe Versicherungssumme für eine fast wertlose Ladung zu kassieren. Das Schiff ging jedoch nicht sofort unter, so dass Versicherungsinspektoren das Betrugsmanöver aufdecken konnten.
Die Überreste der Mary Celeste entdeckte der amerikanische Schriftsteller Clive Cussler am 9. August 2001 am Riff vor Haiti mit Hilfe der von ihm gegründeten Vereinigung NUMA (National Underwater and Marine Agency, keine staatliche Organisation, sondern eine private Einrichtung in Anlehnung an eine gleichlautende fiktive Organisation in den Büchern Cusslers).
Vermutungen
Dutzende von Theorien wurden zum Mysterium um die Mary Celeste geäußert, von Piraten bis zur Entführung durch außerirdische Lebensformen.
- Die Annahme, das Verschwinden hätte etwas mit dem berüchtigten Bermuda-Dreieck zu tun, entbehren jeder Grundlage. Davon war das Schiff viel zu weit entfernt.
- Die Vermutung von Sir William Charles Crocker, einem Versicherungsexperten, ist in etwa folgende: Die Ladung bestand u. a. aus (wie oben erwähnt) 1.701 Fässern mit Rohalkohol. Deshalb wurde auch seit Beginn der Reise wegen der austretenden Dämpfe immer wieder der Frachtraum gelüftet. Durch stürmisches Wetter musste man die Luken eine Zeit lang schließen und neun der Fässer hatten sich währenddessen durch Leckage entleert. Ihr Inhalt hatte die Luft im Frachtraum zu einer hochexplosiven Ethanol-Luftmischung gesättigt. Zwischen Frachtraum und Kombüse existierte eine Öffnung, durch die die Alkoholdämpfe in die Kombüse gelangen konnten. Als man dann den Herd anzündete, um eine warme Mahlzeit zuzubereiten, kam es vermutlich zu einer Verpuffung in der Kombüse, die sich durch den Kanal bis in den Frachtraum fortsetzte. Man fand deshalb keine Rauchspuren, weil eine Alkoholverbrennung keine Verbrennungsrückstände hinterlässt. Aus Furcht vor einer (weiteren) Explosion ging die gesamte Besatzung von Bord in das Rettungsboot. Das Rettungsboot war durch ein Seil mit dem Schiff verbunden, doch irgendwann riss das Seil und das Boot trieb ab.
- Eine weitere Vermutung ist, dass der Kapitän die Alkoholdämpfe entlüften wollte. Um den Dämpfen zu entgehen, hätte sich die Besatzung in das Rettungsboot begeben. Als dann ein Sturm aufkam, hätte die Besatzung nicht mehr zum Schiff zurückkehren können.
- Es wurde auch spekuliert, ein Seebeben habe mehrere Besatzungsmitglieder ins Meer geschleudert und viel Wasser in das Schiff eindringen lassen, woraufhin die übrige Besatzung in der Annahme, dieses werde sinken, das Schiff überstürzt aufgegeben habe. Dafür wurden als Argumente angegeben, dass die Segelführung und die Segelbefestigung darauf hingedeutet hätten, dass die Mannschaft mitten während eines Manövers zur Änderung der Segelstellung dieses abgebrochen habe (oder beim Seebeben über Bord gegangen sei). Das Rettungsboot sei deshalb auch nicht mit einem Seil verbunden worden, ein gerissenes Seilende war nicht gefunden worden. Seebeben sind in der Region nördlich der Azoren häufig. Im Frühjahr 1873 wurde an der portugiesischen Küste ein Rettungsboot mit fünf stark verwesten Leichen, eine davon die eines Kleinkindes, angetrieben, in dem sich eine amerikanische Fahne befand (aber kein Hinweis auf das Schiff, von dem es stammte). Auf der Mary Celeste war keine Fahne gefunden worden.
- Das in Zagreb erschienene deutschsprachige „Morgenblatt“ druckte in der Ausgabe vom 1. Februar 1939 eine These des englischen Seemanns Georg Osborne ab: Demnach habe Osborne als Kapitän des Kutters Girl Pat beobachtet, dass „bei verschiedenen kleinen atlantischen Inseln [...] der Sand an den Küsten eine merkwürdige Zusammensetzung aufwies. Diese Inseln ragen oft als einsame Spitzen aus größerer Tiefe empor. Der Sand, der sich rund um diese Inseln ansetzt, rutscht oft bei der leisesten Berührung in die Tiefe.“ Nach seiner Theorie sei die Mary Celeste vor einer solchen Insel vor Anker gegangen oder sogar ein wenig den Strand hinaufgefahren. Nachdem die Besatzung das Schiff verlassen habe, sei der Sand abgerutscht und habe das Schiff freigegeben, das „selbst bei mäßigem Wind ganz alleine seine Fahrt fortsetzen [konnte], während die Mannschaft auf der Insel zurückblieb und nach und nach den Tod fand.“ Ob die in der Zeitung abgedruckte Ankündigung Osbornes, verschiedene kleine Inseln im Atlantik nach den Überresten der Besatzung abzusuchen, in die Tat umgesetzt wurde, ist nicht bekannt.
Logbuch
Die Besatzung und Passagiere der Mary Celeste sind wie folgt im Logbuch des Schiffes verzeichnet gewesen.
Besatzung
Name Status Nationalität Alter Benjamin S. Briggs Kapitän Amerikaner 37 Albert C. Richardson 1. Offizier Amerikaner 28 Andrew Gilling 2. Offizier Däne 25 Edward W. Head Steward und Koch Amerikaner 23 Volkert Lorenzen Seemann Deutscher/Nordfriese von Föhr,registriert in den Kirchbüchern von S.Laurentii/Süderende/Föhr ) 29 Arian Martens Seemann Deutscher/Nordfriese von der Insel Amrum 35 Boy Lorenzen (richtig „Lorenzen“) Seemann Deutscher/Nordfriese, Bruder von Volkert,registriert in den Kirchbüchern von St. Laurentii/Süderende/Föhr
23 Gottlieb Goudschaal Seemann Deutscher/Friese aus Westerende 23 Passagiere
Name Status Alter Sarah Elizabeth Briggs (geb. Cobb) Ehefrau des Kapitäns 30 Sophia Matilda Briggs Tochter 2 Sonstiges
Der amerikanische Schriftsteller Philip José Farmer verlegt einen Teil der Handlung seiner Nacherzählung des Jules-Verne-Romans In 80 Tagen um die Welt mit dem Titel Das echte Log des Phileas Fogg (Heyne, ISBN 3453310160) auf die Mary Celeste und gibt eine Science-Fiction-Deutung für die mysteriösen Vorgänge, die zum Verlassen des Schiffs geführt haben.
Ebenfalls eine Science Fiction-Erklärung bietet eine Episode der langjährigen britischen SF-Fernseh-Serie Doctor Who der BBC an. Dort landet im dritten Teil des Sechsteilers The Chase namens Flight Through Eternity (BBC-Erstausstrahlung: 5. Juni 1965) der Protagonist mit seiner Zeitmaschine TARDIS für wenige Minuten auf der Mary Celeste, verfolgt von einer Zeitmaschine seiner Erzfeinde, der Daleks, bei deren Erscheinen die gesamte Besatzung des Schiffes vor Angst über Bord springt.
1935 erstellte der Regisseur Denison Clift nach einem eigenen Drehbuch unter dem Titel „The Mystery of the Marie Celeste“ eine Version der Geschichte als Meuterei-Film. Unter den Mitwirkenden war Dracula-Darsteller Bela Lugosi, der die Rolle des Anton Lorenzen spielte und dessen Rolle damit anspielt auf das tatsächliche Besatzungsmitglied Volkert Lorenson. Dieser Film war eine frühe Produktion der Hammer-Filmstudios, erhielt aber dennoch miserable Kritiken.
Frank Herbert verfasste 1964 die Kurzgeschichte The Mary Celeste Move (Die Mary Celeste Umzüge). In dieser beschreibt er ein verkehrsplanerisches Phänomen, bei dem Menschen urplötzlich ihre Heimat verließen, und sich mit ihrem gesamtem Habe an einem neuen Ort niederließen. Recherchen (in der Geschichte) ergaben, dass diese Personen aus Versehen mit ihren Fahrzeugen in das automatische Hochgeschwindigkeitsnetz gelangten und an einem fernen Punkt wieder ausgespuckt wurden. Schockiert über dieses traumatische Ereignis beschlossen sie dann, nie wieder das Verkehrssystem zu benutzen und an Ort und Stelle neu zu beginnen. Hierbei erwähnt Herbert die Geschichte der Mary Celeste als Parabel für Neuanfang, so habe der Kommandant der M.C. kurz nach Erreichen der neuen Welt seiner Mannschaft befohlen, das Schiff zu verbrennen, um ein klares Zeichen zu setzen, dass es von nun an kein Zurück mehr gäbe (dieses ist ebenfalls eine Anspielung auf das Schicksal des Schiffes der Meuterei auf der Bounty).
In Deutschland gab es 1972 nach dem Drehbuch von Rolf Olsen eine Verfilmung unter dem Titel Das Geheimnis der Mary Celeste, in der Hans-Joachim Kulenkampff mitwirkte.
Im Film „Ghost Ship“ (2002) mit Gabriel Byrne wird die Geschichte um die Mary Celeste in einer Erzählung erwähnt: Die Ladung sei Baumwolle gewesen, das Schiff sei vier Monate nach ihrem Verschwinden vor Tripolis im Mittelmeer unter vollen Segeln und ohne Besatzung bzw. Passagiere gesehen worden. Die Frage hierbei stellt der erzählende Kapitän (Byrne): „Das Schiff fuhr 4000 Seemeilen über offenen Ozean, durch die Straße von Gibraltar, unter vollen Segeln ... und kein Mann stand am Ruder.“
Die friesische Rockgruppe Mandrake veröffentlichte 2008 ihr Album Mary Celeste in Anlehnung an den Vorfall.
Literatur
- Vero Roberti: Das Geheimnis der Mary Celeste, Stalling - ISBN 3-7979-1841-0
- Eigel Wiese: Das Geisterschiff. Die wahre Geschichte der Mary Celeste, Europa Vlg. - ISBN 3-203-75103-8
- Lawrence David Kusche: The Bermuda Triangle Mystery Solved - ISBN 0-87975-971-2
- Brian Hicks: Ghost Ship: The Mysterious True Story of the Mary Celeste and her Missing Crew - ISBN 0-345-46391-9
- Paul Begg: Mary Celeste: The Greatest Mystery Of The Sea, Longman - ISBN 0-582-78422-0
- John Harris: Auf letzter Fahrt (Knaur Sachbuch 3745) ISBN 3-426-03745-9
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