Apriorismus

Apriorismus

Apriorismus bezeichnet in der Erkenntnistheorie eine Auffassung, die fordert: Die Wahrheit von einzelnen besonderen Aussagen muss bewiesen werden durch logische Deduktion aus letzten wahren Voraussetzungen, die in der philosophischen Tradition des Rationalismus als unabhängig von jeglicher Erfahrung denknotwendig in der Vernunft gegründet gesehen werden (etwa vorgestellt als evidente Axiome oder als a priori gültige Aussagen). Die hierzu geforderte Letztbegründung entspricht dem Satz vom zureichenden Grund.

Das Vorbild für diese Auffassung lieferte neben der Euklidischen Geometrie vor allem die Kritik der reinen Vernunft. Als Antwortversuch auf Humes Kritik der überkommenen Vorstellung von Kausalität wird versucht, das Kausalitätsprinzip als die notwendige Voraussetzung, dass die Natur durch Naturgesetze bestimmt sei (Determinismus), durch eine a priori-Begründung zu retten. Immanuel Kant war so von der Wahrheit der Newtonschen Physik überzeugt, dass er daraus meinte schließen zu können, es gebe gültige synthetische Urteile a priori.

Die Physik hat ihre Theorien seither immer wieder umgeändert, so dass Kants Überzeugung durch den Stand und die Entwicklung der Naturwissenschaften nicht mehr in dieser Weise gestützt wird. Der Apriorismus wurde vom Neukantianismus sowie von Jakob Friedrich Fries bis hin zu Husserl in mehr oder minder expliziter Form vertreten, wobei die kantsche Position, die selbst schon in Einzelheiten zwischen Metatheorie und Psychologie schwankte,[1] zum Teil stark umformuliert bzw. abgeschwächt wurde.

Ernst Cassirer trägt wie später auch Karl Popper der Kritik am Apriorismus dadurch Rechnung, dass er das Kausalitätsprinzip umdeutet zu einem Postulat der Methodologie: Suche nach Gesetzmäßigkeiten! (ohne dass damit eine entsprechende metaphysische Behauptung beabsichtigt wäre). Die Erkenntnistheorie von Apriorismus zu befreien, fordert schließlich Hans Albert, die Theorie des Erkennens als metaphysische und empirische Hypothesen zu deuten.[2]

Friedrich Engels leitete den Abschnitt „Philosophie“ des Anti-Dühring mit dem Kapitel „Apriorismus“ ein. Als „aprioristische Methode“ wird kritisiert, „die Eigenschaften eines Gegenstandes nicht aus dem Gegenstand selbst zu erkennen, sondern sie aus dem Begriff des Gegenstandes beweisend abzuleiten. Erst macht man sich aus dem Gegenstand den Begriff des Gegenstandes; dann dreht man den Spieß um und misst den Gegenstand an seinem Abbild, dem Begriff. Nicht der Begriff soll sich nun nach dem Gegenstand, der Gegenstand soll sich nach dem Begriff richten.“[3]

Max Weber kritisierte an Rudolf Stammler, dass dieser die materialistische Geschichtsauffassung auf einen Apriorismus zurechtbiege, in dem „Naturgesetze und logische Normen ineinander schwimmen,“ ein Scholastizismus, welcher noch weit hinter Kant zurückfalle.[4]

In der Volkswirtschaftslehre ist Ludwig von Mises als Vertreter einer ökonomischen Theorie hervorgetreten, die als aprioristische Wissenschaft auf gleicher Stufe neben Logik und Mathematik stehe.[5] Friedrich August von Hayek hingegen sieht in der Nationalökonomie neben der "Reinen Logik des Wählens" empirische Aussagen über wissende und handelnde Individuen als wesentlich an, welche erst idealtypische Kausalerklärung zulassen.[6] Hans Albert führt gegen die "merkwürdige Auffassung", dass menschliches Handeln durch eine apriorische Theorie ohne Zuhilfenahme von Erfahrungswissen erfasst und analysiert werden könne, als Argument anthropologische Untersuchungen wie etwa die von Arnold Gehlen an.[7]

Für den Fallibilismus ist der Haupteinwand, dass diese Art von Rechtfertigungsstrategie, um ihrer Zielsetzung gemäß die absolute Wahrheit von Aussagen zu begründen, dafür ausgerechnet die am schwächsten geprüfte bzw. prüfbare Grundlage wähle.

Literatur

  • Ernst Cassirer: Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik. Historische und systematische Studien zum Kausalproblem. Hamburg 2004.
  • Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Aufgrund von Manuskripten aus den Jahren 1930-1933. Tübingen 2. verbess. Auflage 1994
  • Hans Albert: Kritik der reinen Erkenntnislehre. Mohr: Tübingen 1987. ISBN 3-16-945229-0

Quellen

  1. Manfred Pascher: Einführung in den Neukantianismus. München 1997, UTB 1962.
  2. Hans Albert: Kritik der reinen Erkenntnislehre. Mohr: Tübingen 1987, S. 31.
  3. Friedrich Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft („Anti-Dühring“). Berlin 15. Aufl. 1970, S. 89.
  4. Max Weber: R. Stammlers 'Überwindung' der materialistischen Geschichtsauffassung. in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 7. Aufl. 1988. UTB 1492
  5. Ludwig von Mises: Grundprobleme der Nationalökonomie. Jena 1933, S. 12.
  6. F. A. Hayek: Wirtschaftstheorie und Wissen. In: F. A. Hayek: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung. Eugen Rentsch Verlag Erlenbach-Zürich 1952. S. 66f (Vortrag 10. November 1936)
  7. Hans Albert: Ökonomische Ideologie und politische Theorie. Göttingen 1972, S. 14. ISBN 3-509-00564-3

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