- Meißnerformel
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Der Erste Freideutsche Jugendtag fand am Wochenende des 11. und 12. Oktobers 1913 auf dem Hohen Meißner im Kaufunger Wald bei Kassel als „Fest der Jugend“ und Treffen der Jugendbewegung mit 2.000 - 3.000 Teilnehmern statt. Fast hundert Jahre nach dem Wartburgfest von 1817 war der Freideutsche Jugendtag das erste große Treffen einer rebellierenden Jugend in Deutschland, hier der einladenden Jugendbünde.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Ziel dieses, später auch Meißner-Tagung oder Hohe-Meißner-Treffen genannten, Jugendfestes war, die Geschlossenheit der Jugendbewegung mit Wandervögeln, Lebensreformern, Burschenschaftern, Schulreformern und anderen Gruppen nach innen und außen zu demonstrieren.
Konkreter Anlass war der gesellschaftskritische Protest und Widerstand gegen die im Oktober 1913 stattfindenden patriotisch-chauvinistischen Festakte des Kaiserreichs zur 100-Jahr-Feier der Völkerschlacht bei Leipzig, die bereits im Zeichen des sich ankündigenden Ersten Weltkrieges standen.
Die Meißner-Formel
In Kurzform fand die Geisteshaltung der Freideutschen Jugend Ausdruck in der sogenannten Meißner-Formel, die als zwar allgemeiner, aber richtungsweisender Lebensgrundsatz insbesondere die bündische Jugendbewegung entscheidend prägte. Neben der Meißnerformel wurden weitere programmatische Inhalte beschlossen, die jedoch keine außergewöhnliche Bedeutung erlangten.
Die Meißner-Formel einschließlich der beiden letzten, seltener zitierten Sätze lautet:
- „Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein.
- Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Alle gemeinsamen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei.“ [1]
Der Kreis der Bünde
Ein Zusammenschluss der folgenden Vereinigungen, Jugendbünde und lebensreformerischen Gruppen hatte das Meißnertreffen Pfingsten 1913 in Jena (und Göttingen) vorbereitet und fungierte als Einladerkreis.
- Akademische Vereinigung Jena
- Akademische Vereinigung Marburg
- Bund deutscher Wanderer
- Bund für freie Schulgemeinden
- Burschenschaft Vandalia-Jena
- Deutsche Akademische Freischar
- Deutscher Bund abstinenter Studenten
- Deutscher Vortruppbund
- Freie Schulgemeinde Wickersdorf
- Germania - Bund abstinenter Schüler
- Landschulheim am Solling bei Holzminden
- Österreichischer Wandervogel
- Serakreis Jena
- Wandervogel e.V. / Jungwandervogel
Aus diesem Kreis ging als lose Dachorganisation die Freideutsche Jugend beziehungsweise der „Verband Freideutscher Jugend“ hervor. Dieser Einigungsversuch ist historisch allerdings als gescheitert zu bewerten.
Bekannte Meißnerfahrer von 1913
- Knud Ahlborn, Arzt und Gründer der Volkshochschule Klappholttal auf Sylt
- Ferdinand Avenarius, Dichter
- Walter Benjamin, Philosoph und Literaturkritiker
- Eugen Diederichs, Verleger
- Adolf Grabowsky, Politikwissenschaftler
- Adolf Grimme, Kultusminister
- Julius Groß, Fotograf der Jugend- und Reformbewegungen
- Ludwig Gurlitt, Schulreformer
- Manfred Hausmann, Schriftsteller
- Fritz Helling, Pädagoge
- Helmut Hertling, Pädagoge und Friedensaktivist
- Gerhard Lütkens, Politiker
- Paul Natorp, Philosoph
- Friedrich Naumann, Politiker
- Gertrud Prellwitz, Schriftstellerin
- Alexander Schwab, Politiker und Publizist
- Alfred Carl Toepfer, Unternehmer, Stifter (nahm als einziger noch 75 Jahre später am Meißnertreffen 1988 teil)
- Bernhard Uffrecht, Reformpädagoge
- Gustav Wyneken, Reformpädagoge
Bleibendes
Heute erinnert an dem historischen Ort auf der Hausener Hute nahe dem Berggasthof „Hoher Meißner“ ein Basaltblock mit einer schlichten Gedenktafel an das erste Meißnertreffen.
Auch auf der nahegelegenen Jugendburg Ludwigstein erinnert eine Bronzetafel an den Ersten Freideutschen Jugendtag, zu dessen 50. Jahrestag das dortige Meißnerhaus benannt und eingeweiht wurde.
Erst durch dieses Treffen international bekannt geworden ist das Bild Lichtgebet des Künstlers Fidus. Als Ansichtskarte wurde es in seiner sechsten Fassung auf dem Treffen massenhaft vertrieben und konnte so zur Ikone der Reformbewegung schlechthin werden.
Kaum bekannt hingegen ist die Tatsache, dass der zuvor nur „Meißner“ genannte Berg erst durch die Teilnehmer dieses Treffens zum „Hohen Meißner“ gekürt wurde, und zwar laut Literatur in Anlehnung an die hohe „heilige“ Stimmung, die bei dem Treffen dort herrschte, nicht an die absolute Höhe über NN.
Spätere Freideutsche Jugendtage
- 1923 - Zweiter Freideutscher Jugendtag - „Tagung auf dem Hohen Meißner“
- 1963 - Dritter Freideutscher Jugendtag
- 1988 - Meißnertreffen
Als Fortsetzung der Meißnertreffen können die „Überbündischen Treffen“ (ÜT) gesehen werden, die 1957 auf Burg Hohenkrähen ihren Anfang nahmen und seither in unregelmäßigen Abständen und an verschiedenen Orten von den Jugendbünden veranstaltet werden. Die Überbündischen Treffen gehen meist auf die Initiative eines oder mehrerer Bünde zurück und dienen der Festigung des Zusammenhalts der Bünde im Sinne der Meißnerformel.
Literatur
- Freideutsche Jugend: Zur Jahrhundertfeier auf dem Hohen Meißner 1913. Eugen Diederichs, Jena 1913 (169 Seiten mit einem Bild von Fidus und weiteren Illustrationen; in Antiquariaten erhältliche Original-Dokumentation)
- Winfried Mogge, Jürgen Reulecke: Hoher Meißner 1913 - Der Erste Freideutsche Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern. Edition Archiv der deutschen Jugendbewegung Band 5. Verlag Wissenschaft und Politik. Köln 1988. ISBN 3804687237
Quellen
- ↑ Knud Ahlborn. In: Das Meißnerfest der Freideutschen Jugend 1913. Georg Callwey Verlag. München. 1913
Weblinks
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