Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain

Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain
Eingang zum Märchenbrunnen

Der Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain ist eine Brunnen- und Gartenanlage an der Westspitze des Volksparks Friedrichshain im Berliner Ortsteil Friedrichshain. Die Anlage wurde 1913 eröffnet und hat eine Ausdehnung von 90 Metern mal 172 Meter. Sie steht unter Denkmalschutz.

Inhaltsverzeichnis

Gestaltung

Die Gesamtanlage

Entwurfszeichnung von Ludwig Hoffmann

Der Entwurf für die Anlage stammt von dem Architekten und langjährigen Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann. Hauptbestandteil des Ensembles ist eine 34 Meter mal 54 Meter große Brunnenanlage im Stil des Neobarock. Ein in vier flachen Kaskaden angelegtes Wasserbecken enthält eine größere und neun kleine Fontänen, dazu sieben wasserspeiende Frösche, von denen einer als Froschkönig hervorgehoben ist. Nach Osten wird das Becken durch halbkreisförmige Arkaden abgeschlossen, in neun ihrer Öffnungen stehen steinerne Schalen, jede mit zwei Hundeköpfen verziert. In geringer Entfernung hinter den Arkaden befindet sich ein kleinerer, kreisrunder Brunnen mit Fontäne, der Delphinbrunnen, benannt nach den Wasserspeiern an seinem Rand.

Die Skulpturen

Ludwig Hoffmann legte besonderen Wert auf den plastischen Schmuck an seinen zahlreichen Bauten. Da er fand, dass dieser Aspekt der Architektur in Norddeutschland – und speziell in Berlin – traditionell unzulänglich vertreten war, arbeitete er in vielen Fällen mit drei aus Süddeutschland stammenden Bildhauern zusammen: Ignatius Taschner, Georg Wrba und Josef Rauch. Von ihnen stammt auch das umfangreiche Bildprogramm des Märchenbrunnens, insgesamt 106 figürliche oder rein dekorative Steinskulpturen. Taschner schuf die zentralen Motive, zehn Plastiken auf dem Beckenrand des Brunnens, mit denen er neun bekannte Märchen der Brüder Grimm interpretierte: Hänsel und Gretel (mit zwei Skulpturen, denen er die weniger bekannte zweite Fassung des Märchens von 1819 zugrunde legte; darin werden die geretteten Kinder auf dem Heimweg von einer hilfreichen Ente über ein trennendes Gewässer getragen), Der gestiefelte Kater, Hans im Glück, Die sieben Raben, Aschenputtel, Rotkäppchen, Brüderchen und Schwesterchen, Schneewittchen und die sieben Zwerge, Dornröschen. Wrba erhielt den Auftrag für vier Hermen, die in engen, heckengesäumten Wegen seitlich des Märchenbrunnens aufgestellt sind (Menschenfresser, Riesentochter, Rübezahl und Frau Holle), für sechs Kindergruppen in Nischen am Delphinbrunnen und für diverse dekorative Elemente. Von Rauch stammen die 14 Marmorskulpturen liegender jagdbarer Tiere auf den Arkaden.

Einer der sieben Schneewittchen-Zwerge trägt unverkennbar die Gesichtszüge des Malers Adolph Menzel. Man sah darin einen stillen Protest gegen eine Anweisung, mit der dem Künstler nach seinem Tode ein ehrendes Denkmal verweigert wurde. Menzel hatte zum Missfallen von Kaiser Wilhelm II. die harten Bedingungen der industriellen Arbeitswelt ungeschminkt dargestellt. Diese Deutung ist jedoch zweifelhaft, denn andererseits hatte Wilhelm II. die Arbeiten Menzels zur preußischen Geschichte sehr geschätzt und sogar ein Staatsbegräbnis für den Maler angeordnet, an dem der Kaiser selbst teilnahm.

Geschichte

Vor- und Baugeschichte

Der Brunnen 1913
Der Brunnen 2007

Die Anlage des Märchenbrunnens kommentierte Ludwig Hoffmann mit den Worten „Der Friedrichshain braucht wegen seines Charakters im volksreichen Nordosten der veredelnden Kunst nicht zu entbehren.“ In seinen Lebenserinnerungen beschrieb er die langwierige Entwicklungsgeschichte des Projektes.[1] Schon seit 1893 war ein Bau an dieser Stelle beabsichtigt. Bei seinem Amtsantritt als Stadtbaurat fand Hoffmann 1896 die Planung für eine zeittypische, reich dekorierte Prunkarchitektur vor, die von der entscheidenden städtischen Kunstkommission schon zur Ausführung bestimmt war. Hoffmann lehnte diese Entwürfe ab und entwickelte statt dessen die Idee eines Märchenbrunnens, nachdem er bei einer Besichtigung des Grundstücks dort zahlreiche spielende Kinder gesehen hatte. Die erste Entwurfsfassung wurde 1901 auf der „Grossen Berliner Kunstausstellung“ vorgestellt. Der Kaiser begrüßte den Plan, wünschte jedoch einige Änderungen.

Damit begannen jahrelange Auseinandersetzungen um die Befugnisse des Kaisers einerseits (er konnte durch den Polizeipräsidenten alles genehmigen oder ablehnen lassen, was auf Plätzen oder Straßen in Berlin errichtet werden sollte) und der städtischen Gremien andererseits (für Bauten auf Parkterrain waren allein sie zuständig). Hoffmann erreichte schließlich, dass die direkte Konfrontation mit dem Kaiser vermieden wurde, musste sich aber wegen seiner Nachgiebigkeit Kritik in der liberalen Presse und von Teilen der Stadtverordnetenversammlung gefallen lassen. In der Zwischenzeit überarbeitete er den Entwurf. Konkrete Bauaufträge konnten erst 1907 erteilt werden. Die Gesamtkosten einschließlich Garten-, Wege-, und Parkarbeiten betrugen nach Hoffmanns Angaben 960.000 Mark. Am 15. Juni 1913, dem 25. Jahrestag der Thronbesteigung durch Wilhelm II., wurde die Anlage der Öffentlichkeit übergeben.

Der Vorwärts, Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, schrieb am Tag vor der Einweihung: „Wenn am Sonntag die Hülle gefallen sein wird, werden die Märchengruppen dastehen als Mahnung an die Arbeiterschaft, daß ihrer noch die Aufgabe harrt, den Absolutismus zum Märchenschema zu machen.“ Der Vorwärts vier Tage nach der Einweihung über die Reaktion der Bevölkerung: „Der Märchenbrunnen erfreut sich eines ungeheuren Besuches, wie zu erwarten war, aber es in diesem Umfang noch niemals bei einer städtischen monumentalen Anlage beobachtet worden ist … Der Erfolg im Friedrichshain war der einzige sympathische im verflossenen Jubel der Jubiläumstage, weil er vor allem als echt künstlerisch angesehen werden kann … die Bewunderung aller Kreise für den Märchenbrunnen ist ehrlich. Enttäuschungen erleben nur Frauen, die mit dem Kinderwagen von weit her kommen. Sie werden in die Denkmalanlage nicht hineingelassen, so daß hier in den letzten Tagen eine wahre Burg von Kinderwagen aufgefahren war …“ (zitiert nach Vorwärts[2])

Zerstörung und Wiederherstellung

Die wiederaufgefundenen Skulpturen, August 1950

Der Märchenbrunnen und der Volkspark Friedrichshain insgesamt erlitten 1945 durch Kampfhandlungen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges starke Zerstörungen. Nach Kriegsende waren die Skulpturen verschwunden. Erst 1950 kamen sie hinter einer hohen Mauer in einem Gemüsegarten im Bezirk Friedrichshain wieder zum Vorschein, viele von ihnen stark beschädigt. In den Jahren 1950/51 wurde der Brunnen mit seinen technischen Anlagen wieder hergestellt, dabei ersetzte man die Märchenskulpturen durch gröbere Kopien, die umgebenden Gartenanlagen wurden vereinfacht neu gestaltet. Weitere Schritte zur Sanierung und zur Rekonstruktion zerstörter Figuren folgten in den Jahren 1972/73 sowie 1982/83.

In der Zeit nach 1990 wurde Vandalismus zum Dauerproblem. Zerstörte und vorsorglich abgebaute Figuren sowie Graffiti auf vielen Teilen der Architektur verunstalteten das Gesamtbild. 2005 begann eine umfassende, denkmalgerechte Wiederherstellung. Die Kosten von rund 1,3 Millionen Euro wurden zu 90 % vom Land Berlin, vom Bund und aus Mitteln der Europäischen Union bereitgestellt, den Restbetrag übernahmen Sponsoren aus der freien Wirtschaft. Als erster Bauabschnitt wurde am 24. Mai 2007 die Brunnenanlage der Öffentlichkeit übergeben, die gesamte Anlage ist seit Juli 2007 wieder zugänglich. Ein Zaun und die nächtliche Zugangssperre für den Bereich des Märchenbrunnens sollen künftigen Vandalismus verhindern.

Literatur

  • Georg Dehio et al. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler Berlin. München, Berlin 2000, S. 206. ISBN 3-422-03071-9
  • Düsing: Der Märchenbrunnen im Friedrichshain in Berlin. In: Zentralblatt der Bauverwaltung, Jg. XXXIII, Nr. 53 (5. Juli 1913), urn:nbn:de:kobv:109-opus-47084, S. 342–347. (Mit Lageplan und neun weiteren Abbildungen)
  • Jan Feustel: Spaziergänge in Friedrichshain. Berlin 1994, S. 16 ff.; ISBN 3-7759-0357-7
  • Ludwig Hoffmann: Lebenserinnerungen eines Architekten. Gebr. Mann Verlag, Berlin 1996. 154 ff, 224 ff. ISBN 3-7861-1388-2
  • Bernd Heimberger: Wo Menzel als Zwerg bei Schneewittchen platziert ist. Artikel in der Gewerkschaftszeitung „Tribüne“ vom 30. Juni 1983
  • Günter Koch: Der Märchenbrunnen – Kleinode der Großstadt. Artikel in der „Berliner Zeitung“ vom 22. Oktober 1981 und eine folgende Leserzuschrift vom 26. November 1981: 'Verkleideter Menzel' - nun suchen Sie einmal.
  • Rolf Pfeiffer: Am Brunnen vor dem Königstore. Artikel in der Zeitschrift „Die Wochenpost“ von 1982

Weblinks

 Commons: Märchenbrunnen (Berlin-Friedrichshain) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ludwig Hoffmann: „Lebenserinnerungen eines Architekten“ S. 154 ff, 224 ff. Gebr. Mann Verlag, Berlin 1996. ISBN 3-7861-1388-2
  2. Der Vorwärts, 19. Juni 1913
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