Nicaraguanische Revolution

Nicaraguanische Revolution

Die Nicaraguanische Revolution bezeichnet einen Abschnitt der nicaraguanischen Geschichte, in der die Diktatur des Somoza-Clans mit zahlreichen Opfern überwunden wurde.

Inhaltsverzeichnis

Anastasio Somoza Debayles zweite Amtsperiode

Bereits vor Beginn der zweiten Amtsperiode Anastasio Somoza Debayles am 1. Dezember 1974 waren 1973 und 1974 die Bauarbeiter in Streiks getreten, denen sich auch andere Berufe anschlossen. Im Dezember 1974 schloss sich die bürgerliche Opposition in der Unión Democrática de Liberación (UDEL, deutsch „demokratische Union für die Befreiung“) zusammen, diese wurde von Pedro Chamorro angeführt.

Am 27. Dezember 1974 um 23 Uhr stürmten einige Mitglieder der FSLN (Omar Halleslevens, Leticia Herrera, Hilario Sánchez, Javier Carrión, Joaquín Cuadra, Alberto Ríos, Róger Deshon, Eduardo Contreras, Germán Pomares, Hugo Torres, Olga Avilés, Eleonora Rocha und Félix Pedro Picado) bewaffnet eine Festveranstaltung im Haus des Regierungsministers Dr. José María Castillo Quant in der Colonia Los Robles in Managua. Castillo Quant, ein früherer Direktor der Banco Nacional de Nicaragua, wollte die FSLN nicht hereinlassen und wurde erschossen. US-Botschafter Turner Shelton und General José R. Somoza [1] hatten mit ihren Leibwächtern die Party bereits verlassen. Etwa 20 Gäste waren noch anwesend, darunter der Botschafter der Organisation Amerikanischer Staaten, Noel Pallais, der Botschafter von Chile begleitet von seinem Militärattaché und einem General der Carabineros, der Bürgermeister von Managua, Luis Valle Olivares, Kabinettsmitglieder wie Alejandro Montiel Arguello. Die Gruppe setzte auf der Party die Freilassung von acht Gefangenen der FSLN darunter Daniel Ortega mit einer halben Million United States Dollar und einen Flug nach Havanna am 30. Dezember 1974 durch. Bei dem Austausch vermittelte Monseñor Miguel Obando Bravo. Mit auf der Party war Guillermo Sevilla Sacasa, der Ehemann von Lillian Somoza Debayle – einer Schwester von Anastasio Somoza Debayle. Anastasio Somoza Debayle erklärte anschließend einen 33 Monate währenden Ausnahmezustand, unter dem bis zum 19. September 1977 die bürgerlichen Freiheitsrechte in Nicaragua ausgesetzt waren.[2] Überfälle der FSLN auf Kasernen der Guardia Nacional de Nicaragua folgten. Der Somoza-Clan ließ Verdächtige verschwinden. Es gab verschiedene Orte, an denen die Leichen der Opfer dieser Praxis des Verschwindenlassens aufgefunden wurden. Zu diesen gehörte der Krater des Vulkans Momotombo[3]; es wurden auch Leichen an der Küste angeschwemmt; die Opfer waren zuvor lebendig über dem offenen Meer aus Hubschraubern geworfen worden. Spätestens ab 1977 führte Somoza einen undifferenzierten schmutzigen Krieg gegen die Zivilbevölkerung Nicaraguas.

Am 10. Januar 1978 ließ der „Kronprinz“ der Diktatur, Anastasio Somoza Portocarrero, den Verleger und Koordinator der UDEL, Pedro Chamorro, ermorden. Protestdemonstrationen, ein Wirtschaftsboykott von oppositionellen Unternehmern, ein mehrtägiger Aufstand in Monimbó, dem indigenen Viertel von Masaya und Streiks waren die Folge.

Besetzung des Nationalpalastes

Nationalpalast, Managua

Am 22. August 1978 besetzte eine Gruppe der FSLN, zu der Edén Pastora Gómez gehörte, den Nationalpalast in Managua und nahm das anwesende Parlament sowie mehrere Minister und Familienangehörige Somozas als Geiseln, um erfolgreich 60 Gefangene freizupressen. [4] Die Frente Amplio de Oposición (FAO), ein Oppositionsbündnis, rief zum Generalstreik auf; tägliche Massendemonstrationen im ganzen Land und spontane Aufstände steigerten sich am 9. September 1978 zu einem allgemeinen Aufstand, den die Nationalgarde mit größter Brutalität, Luftangriffen und Panzereinsätzen beantwortete: etwa 5000 Tote und ungefähr 10.000 Verletzte unter der Zivilbevölkerung waren das Resultat. US-Präsident Jimmy Carter machte die Gewährung von Militärhilfe von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig. Im Weiteren distanzierte er sich von Somoza und kürzte diesem die Militär- und Wirtschaftshilfe, um sie später endgültig einzustellen. Der Internationale Währungsfonds gewährte Somoza weitere 66 Mio. US-Dollar Kredit.

Miguel Obando Bravo verlangte von der Regierung, die „Untaten der Nationalgarde“ gegen die Zivilbevölkerung sofort zu stoppen. Der von US-Präsident Jimmy Carter eingesetzte US-Sonderbotschafter William Bowdler trat mit einer Vermittlungskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Managua zusammen. Die FAO forderte den bedingungslosen Rücktritt Somozas und die Bildung einer provisorischen Regierung aller anti-somozistischen Gruppen. Die FAO spaltete sich in eine bürgerliche Mehrheit, die einer Koalitionsregierung mit Somozas „Liberaler Partei“ unter Ausschluss der Sandinisten zustimmte, und eine Minderheit. Die Vermittlungsbemühungen scheiterten und mündeten 1979 in einer Wiedervereinigung der seit 1975 gespaltenen FSLN, die in der Folge einen unbefristeten Generalstreik im ganzen Land auslöste und ab Ende Mai in drei Wochen etwa 20 Städte eroberte. Somoza erklärte den Ausnahmezustand und ließ zusätzliche Verbände unter der Leitung ausländischer Söldner aufstellen.

Sturz des Somoza-Regimes

Mexiko brach seine diplomatischen Beziehungen zu Nicaragua ab, Brasilien, Costa Rica, Grenada und Panama folgten. Die Mitglieder des Anden-Pakts zogen nach und verpflichteten sich gegenüber dem neutralen, pazifistischen Costa Rica, im Falle eines Angriffs aus Nicaragua, diesem zu Hilfe zu kommen. Sie erkannten der FSLN den Status einer kriegsführenden Macht zu. Somozas Versuch, sich durch ein Treffen in Guatemala mit den Partnern des Zentralamerikanischen Verteidigungsrats CONDECA, dem neben Nicaragua El Salvador, Guatemala und Honduras angehörten, diplomatische und militärische Entlastung zu verschaffen, endete mit für Somoza enttäuschend geringen Waffenlieferungen an seine Nationalgarde.

Versuche der an Mittelamerika sehr interessierten Vereinigten Staaten in der OAS, eine panamerikanische Interventionstruppe nach Nicaragua zu entsenden, scheiterten. Ein US-Plan zur Bildung einer Übergangsregierung wurde ebenfalls von allen Seiten abgelehnt. Somoza floh am 17. Juli 1979 mitsamt seiner Familie und dem Generalstab der Nationalgarde nach Florida.

Obwohl Somoza mit den USA eine Absprache getroffen hatte, nach der sein Schwager Francisco Urcuyo als Übergangspräsident nur den Waffenstillstand unterzeichnen und die Macht der fünfköpfigen Regierungsjunta übergeben sollte, forderte dieser die Sandinisten auf, die Waffen niederzulegen und ihn als Präsidenten bis 1981 zu akzeptieren. 36 Stunden später, am 19. Juli 1979 floh auch Urcuyo, nachdem sich immer mehr Einheiten der inzwischen führungslosen, an Munitionsmangel leidenden und sich in Auflösung befindlichen Nationalgarde den Sandinisten ergeben hatten. 20.000 bis 30.000 Menschen kostete dieser Kampf das Leben, eine noch größere Zahl wurde verletzt; die Zahl der Flüchtlinge wurde auf 150.000 Menschen geschätzt. Am 17. September 1980 wurde Anastasio Somoza Debayle in Asunción, Paraguay getötet.

Junta de Gobierno de Reconstrucción Nacional

Am 16. Juni 1979 bildeten Daniel Ortega, Sergio Ramírez und Moisés Hassan Morales von der FSLN, sowie der Unternehmer Alfonso Robelo [5] und Violeta Barrios de Chamorro eine Regierungsjunta. Westliche Regierungen forderten wiederholt das Abhalten von Wahlen, die angedrohte Nichtanerkennung blieb aber Rhetorik. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unter Helmut Kohl fror 1983 eine zur Zeit der Regierung von Anastasio Somoza Portocarrero bewilligte Entwicklungszusammenarbeit mit einem Volumen von 40 Millionen Deutsche Mark ein, machte deren Freigabe aber nicht von Wahlen abhängig. In verschiedenen Regionen versuchten „Contra“ genannte Konterrevolutionäre die Regierung durch Sabotage und Morde zu destabilisieren. Die „Contra“ wurde verdeckt durch die US-Regierung von Ronald Reagan initiiert und über die Iran-Contra-Affäre finanziert.

1984 fanden Präsidentschafts-, Kommunal- und Parlamentswahlen in Nicaragua statt. Die Revolution wurde von vielen Intellektuellen und Künstlern in Nicaragua und weltweit unterstützt. Zu den bekanntesten Unterstützern zählte der Priester und Schriftsteller Ernesto Cardenal, der nach dem Sturz von Somoza zum Kulturminister ernannt wurde und dieses Amt bis 1987 innehatte.

Als „Revolution“ wird in Nicaragua heute zumeist die Zeit der ersten Herrschaft der Sandinisten von 1979 bis 1990 bezeichnet, als die FSLN-Regierung 1979 die Schulpflicht für Kinder im Alter zwischen 6 und 13 Jahren durch gebührenfreie Schulen durchsetzte. Durch die 1980 und 1981 folgende landesweite Alphabetisierungskampagne wurde der Anteil von Analphabeten in der Bevölkerung von 50 Prozent (1979) auf 12 Prozent gesenkt.

Internationale Solidarität mit Nicaragua

Bald kamen freiwillige Helfer aus aller Welt, die ihre Arbeitskraft für Aufbauprojekte zur Verfügung stellten. In westlichen Städten wurde unter anderem von politisch Linken und kirchlichen Welthandelsgruppen unter dem Thema Dritte Welt ein Handel mit direkt importiertem Nicaragua-Kaffee betrieben, um so dem Land Devisen und den Kaffeebauern ein besseres Einkommen zu verschaffen und über die Vorgänge in Nicaragua aufzuklären.

Siehe auch

Veröffentlichungen

  • Perry Kretz Barfuss zum Sieg - Nicaragua; Salzburg, Hannibal-Verlag 1980 ASIN B003D3LNL6
  • Michael Rediske: Umbruch in Nicaragua. Die Entstehung der Revolution aus dem Zerfall bürgerlicher Herrschaft, 2. Aufl. Berlin-West 1985.

Einzelnachweise

  1. es:José R. Somoza
  2. El Nuevo Diario 27. Dezember 2008, A 34 años del golpe en la casa de Chema Castillo
  3. es:Momotombo
  4. El Nuevo Diario 17. August 2008, Recuerdan asalto al Palacio Nacional
  5. en:Alfonso Robelo

Weblinks


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