Nicomachus

Nicomachus

Virius Nicomachus Flavianus (* etwa 334; † 394) war ein spätantiker römischer Schriftsteller und Politiker. Er war gleichzeitig einer der führenden Köpfe der heidnisch-stadtrömischen Senatsaristokratie im späten 4. Jahrhundert.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Stark beschädigter Flügel mit Inschrift „NICOMACHORUM“. Die dargestellte Frau ist eine Priesterin der Ceres. Ihre Attribute entstammen dem Kult der Kybele.

Der hochgebildete Nicomachus Flavianus stammte aus einer der angesehensten Familien Roms. Er absolvierte erfolgreich den Staatsdienst, neben den üblichen Posten der Ämterlaufbahn (Quaestur und Prätur, wobei beide Ämter in spätrömischer Zeit kaum noch Bedeutung hatten) gehörte er unter anderem dem Kollegium der pontifices maiores an, war also für die Ausübung der traditionellen Götterdienste verantwortlich. 364/65 war Flavianus Statthalter von Sizilien, widmete sich nach 365 aber privaten Angelegenheiten. Von Kaiser Gratian wurde er jedoch 377 zum Vicarius Africae ernannt, fiel bald danach aber aufgrund seiner Unterstützung der Donatisten in Africa in Ungnade. Er genoss dafür das Wohlwollen Theodosius’ I., der sich zunächst mit dem Usurpator Magnus Maximus, der nach Gratians Tod den Westen des Imperiums beherrschte, verständigt hatte, 388 jedoch gegen ihn vorgegangen war. Im selben Jahr wurde Flavianus Quaestor sacri palatii des Theodosius (Flavianus war somit unter anderem für die Abfassung von Gesetzen zuständig), von dem ihm 390 die Prätorianerpräfektur von Italia, Illyria und Africa übertragen wurde, womit er einer der ranghöchsten zivilen Beamten des Reiches wurde. Theodosius bemühte sich offenbar sehr um Flavianus, um so eine Verständigung mit den heidnischen Senatskreisen in Rom zu erreichen, die in Opposition zu den christlichen Kaisern standen.

Dennoch unterstützte Flavianus nach dem mysteriösen Tod Valentinians II. den Usurpator Eugenius und dessen wichtigste Stütze, den Heermeister Arbogast. Im Dienste des Eugenius fungierte er wohl sogar als oberster Zivilbeamter im Westen. Die Erklärung für Flavianus’ Handeln bietet die Religionspolitik des Eugenius, die sich von der des Theodosius stark unterschied. Eugenius (obwohl selbst Christ) und Arbogast standen den heidnischen Kreisen nahe und ermöglichten ein letztes Mal die volle Entfaltung des alten Götterglaubens im Westen, wobei sich dagegen aber auch Widerstand formierte; gegen Flavianus ist das carmen adversus Flavianum (auch: carmen contra paganos) eines unbekannten christlichen Autors gerichtet.[1] 394 wurde Flavianus von Eugenius zum Konsul für den westlichen Reichsteil ernannt, was Theodosius freilich nicht anerkannte.

Währenddessen hielt sich Flavianus’ Freund und Verwandter Symmachus auffallend zurück, wohl aufgrund der Tatsache, dass er sich 388 zu sehr für Magnus Maximus engagiert hatte – er hatte eine Lobrede auf ihn gehalten – und nach der Niederwerfung der Usurpation nur knapp einer Bestrafung entgangen war. Dennoch wurde die ohnehin schon enge Verbindung zwischen den beiden Familien weiter gestärkt: Flavianus’ Sohn, Nicomachus Flavianus der Jüngere, heiratete eine Tochter des Symmachus.

Im selben Jahr ging Theodosius militärisch gegen Eugenius vor und vernichtete am 6. September 394 dessen Heer in der blutigen Schlacht am Frigidus. Flavianus beging daraufhin Selbstmord. In den folgenden Jahren wandelte sich die Zusammensetzung des Senats; die heidnischen Traditionalisten, bis dahin eine nicht zu unterschätzende Gruppe im Senat, wurden bald zu einer bedeutungslosen Minderheit (noch bis ins 6. Jahrhundert wurde Senatoren allerdings des Öfteren vorgeworfen, heimlich den alten Kulten anzuhängen).

Zwar erließen die Söhne und Nachfolger Theodosius’ I., Arcadius und Honorius, im Mai 395 eine allgemeine Amnestie für Anhänger des Eugenius, wobei sie sich auf eine Anordnung ihres Vaters beriefen, doch unterlag Flavianus einer damnatio memoriae (wenn auch in abgemilderter Form), die in Kraft blieb. Von den Söhnen der Rebellen wurde ein Übertritt zum Christentum im Gegenzug für eine Begnadigung erwartet,[2] doch gab Flavianus’ Sohn, Nicomachus Flavianus, diesem Druck höchstens scheinbar und vorübergehend nach und konnte dennoch schon 399 seine Laufbahn im Staatsdienst fortsetzen. 431 gelang es ihm und dem Enkel des Flavianus, dem prominenten Senator Appius Nicomachus Dexter, mit Unterstützung einflussreicher Senatskreise eine öffentliche Rehabilitierung des Flavianus durchzusetzen. Es wurde eine Flavianus-Statue errichtet und die Kaiser Valentinian III. und Theodosius II. erklärten in gewundenen Formulierungen, ihr Großvater Theodosius I. habe Flavianus stets geschätzt, seinen Tod bedauert und dies im Senat erklärt. Die damnatio memoriae sei auf die Missgunst von Neidern zurückzuführen, denen die Kaiser alle Verantwortung zuschoben.[3]

Literarische Tätigkeit

Flavianus gehörte dem sogenannten Symmachuskreis an, einer Gruppe von gebildeten Persönlichkeiten aus der heidnisch-senatorischen Führungsschicht Roms, dem auch Vettius Agorius Praetextatus angehörte. Sie gaben unter anderem eine Neuausgabe des Geschichtswerks des Titus Livius und eine neue Ausgabe der Aeneis Vergils heraus; die prachtvolle spätantike Handschrift der Aeneis befindet sich heute im Vatikan (Cod. Vat. lat. 3225; Vergilius Vaticanus).

Flavianus übersetzte unter anderem griechische Werke ins Lateinische. Er befasste sich mit der griechischen Lebensbeschreibung des Pythagoreers Apollonios von Tyana, die Flavius Philostratos im 3. Jahrhundert verfasst hatte. Flavianus hat dieses Werk aber nicht, wie man früher annahm, ins Lateinische übersetzt, sondern nur eine Abschrift davon angefertigt.[4] Die Gelehrsamkeit des Flavianus kommt auch darin zum Ausdruck, dass er als einer der Gesprächspartner in den Saturnalia des Macrobius auftritt.

Flavianus verfasste ein heute verlorenes Geschichtswerk, das dem Kaiser Theodosius I. gewidmet war und den Titel Annales trug.[5] Es ist als das Hauptwerk des Flavianus anzusehen, er selbst wurde auf einer später (allerdings von Verwandten des Flavianus) gestifteten Inschrift sogar ehrfurchtsvoll als historicus disertissimus („gelehrtester Geschichtsschreiber“) bezeichnet.[6] Ansonsten ist nichts über das Werk bekannt, so dass über Aufbau und Inhalt nur spekuliert werden kann. Eine Kernfrage ist, ob Flavianus die Republik oder die Kaiserzeit behandelt hat.[7] Mehrere Forscher, so schon Otto Seeck (der annahm, das Werk habe bis ins Jahr 366 gereicht und sei an Thukydides orientiert gewesen), plädieren für letzteres und vermuten, dass das Werk Ammianus Marcellinus und anderen Geschichtsschreibern als Quelle gedient hat.[8] Nach den Überlegungen Bruno Bleckmanns, der ebenfalls diese Meinung vertritt, bot eine Behandlung der Kaiserzeit mehrere Vorteile. So konnte Flavianus Kaiser Theodosius, der selbst Interesse an Geschichte hatte,[9] im Vergleich zu dessen Vorgängern hervorheben, aber gleichzeitig ein konservatives, den heidnischen Senatskreisen genehmes Regierungsprogramm einfordern.[10] Nach einer plausiblen Vermutung der neueren Forschung gehörte der unbekannte Verfasser der Epitome de Caesaribus, der sich in seinem Werk auf die Annalen gestützt hat, zum Umkreis der Familie des Flavianus. Möglicherweise war die Epitome zum Teil als Ersatz für die Annalen gedacht, deren Verbreitung in Anbetracht der damnatio memoriae zeitweilig nicht opportun war.

Es wurde sogar erwogen, dass Flavianus der Verfasser der Historia Augusta sein könnte bzw. sein Sohn der Autor dieses mysteriösen Werks war.[11]

Literatur

  • Bruno Bleckmann: Bemerkungen zu den Annales des Nicomachus Flavianus. In: Historia. Band 44, 1995, S. 83–99.
  • Herbert Bloch: The Pagan Revival in the West at the End of the Fourth Century. In: Arnaldo Momigliano (Hrsg.): The Conflict Between Paganism and Christianity in the Fourth Century. Oxford 1963, S. 193–218.
  • Robert Malcolm Errington: The Praetorian Prefectures of Virius Nicomachus Flavianus. In: Historia. Band 41, 1992, S. 439–461.
  • Thomas Grünewald: Der letzte Kampf des Heidentums in Rom? Zur posthumen Rehabilitation des Virius Nicomachus Flavianus. In: Historia 41 (1992), S. 462–487.
  • Charles W. Hedrick Jr.: History and Silence: The Purge and Rehabilitation of Memory in Late Antiquity. Austin 2000, ISBN 0-292-73121-3.
  • Tony Honoré, John Matthews: Virius Nicomachus Flavianus. Konstanz 1989.
  • Arnold Hugh Martin Jones, John Robert Martindale, John Morris: Virius Nicomachus Flavianus 15. In: The Prosopography of the Later Roman Empire (PLRE). Band 1, Cambridge University Press, Cambridge 1971, ISBN 0-521-07233-6, S. 347–349.
  • James J. O’Donnell: The Career of Virius Nicomachus Flavianus. In: Phoenix. Band 32, 1978, S. 129–143 (online).
  • Otto SeeckFlavianus 14). In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band VI,2, Stuttgart 1909, Sp. 2506–2511.
  • Jelle Wytzes: Der letzte Kampf des Heidentums in Rom. Brill, Leiden 1977.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Vgl. Bloch, The Pagan revival; zur Erhebung des Eugenius siehe Hartmut Leppin: Theodosius der Große. Darmstadt 2003, S. 205ff.
  2. Vgl. Ambrosius von Mailand, De obitu Theodsii 4.
  3. CIL 6, 1783; vgl. dazu auch die detaillierte Darstellung von Hedrick Jr., History and Silence, S. 1ff., engl. Übersetzung der Inschrift ebd., S. 2f.
  4. Zur Frage der angeblichen Philostratos-Übersetzung siehe André Loyen (Hrsg.): Sidoine Apollinaire. Bd. 3: Lettres (Livres VI-IX). Paris 1970, S. 196f.
  5. Vgl. zu den diesbezüglichen Datierungsvorschlägen Bleckmann, Bemerkungen, S. 96.
  6. CIL 6, 1782 = ILS 2947.
  7. Jörg Schlumberger: Die verlorenen Annalen des Nicomachus Flavianus. Ein Werk über Geschichte der römischen Republik oder Kaiserzeit?. In: Bonner Historia Augusta Colloquium 1982/83. Bonn 1985, S. 305–329. Schlumberger plädiert dafür, die Annalen als eine Geschichte der Kaiserzeit anzusehen.
  8. Siehe zusammenfassend und mit weiterer Literatur: Bleckmann, Bemerkungen. Bleckmann vermutet auch, dass die Annalen noch von Petros Patrikios im 6. Jahrhundert benutzt wurden und, vermittelt über diese oder eine ähnliche griechischsprachige Zwischenquelle, auch von mittelbyzantinischen Geschichtsschreibern wie Johannes Zonaras benutzt wurde. Dagegen äußerte sich John Matthews sehr skeptisch und schloss nicht aus, dass Flavianus eher die Republik behandelt hat: John F. Matthews: The Roman Empire of Ammianus. London 1989, S. 10 und S. 476f., Anmerkung 6.
  9. Vgl. Epitome de Caesaribus 48,11.
  10. Bleckmann, Bemerkungen, S. 97.
  11. Für Flavianus plädierte zuletzt Stéphane Ratti: Nicomaque Flavien senior auteur de l'Histoire Auguste. In: H. Brandt, G. Bonamente (Hgg.): Historiae Augustae colloquium Bambergense. Bari 2007, S. 305–317.

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