Niqab

Niqab
Niqab in den Vereinigten Arabischen Emiraten

Der Niqab (arabisch ‏نقاب‎, DMG niqāb; türkisch peçe) ist ein Gesichtsschleier, der von einigen muslimischen Frauen getragen wird. Er wird in Verbindung mit einem Tschador, Çarşaf oder einem anderen, zumeist schwarzen Gewand getragen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Niqab entstammt ursprünglich der Beduinenkultur auf der Arabischen Halbinsel. Dort wurden schon in vorislamischer Zeit von Frauen und Männern Tücher verwendet, um Körper und Gesicht gegen Sand und Sonne zu schützen.[1]

Trageweise

Damit der Niqab nicht verrutscht, wird an einem der schmalen Enden an beiden Seiten jeweils ein etwa 20 cm langes Band angenäht, das die schmale Kante verlängert. Mit Hilfe dieser Bänder wird das Tuch hinter dem Kopf befestigt. Dabei kann der Niqab oberhalb oder unterhalb der Augen angebracht werden.

Verbreitung

Gesichtsschleier in Adana in der Türkei

Der Niqab ist traditionell vor allem auf der Arabischen Halbinsel verbreitet. In Saudi-Arabien und im Jemen beispielsweise trägt die große Mehrheit der Frauen einen Gesichtsschleier. Aber auch in Ägypten, Syrien, Jordanien, dem Irak sowie in nordafrikanischen Ländern wird der Niqab getragen.

Der schwarze Niqab mit Khimar in der jetzigen Form ist keine traditionelle islamische Frauenbekleidung. Er kam erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Regierungszeit des reaktionären Sultan Abdülhamid II. (1876-1908) in der Hauptstadt Konstantinopel als „Çarşaf“ auf, um westliche Einflüsse abzuwehren, und setzte sich von dort vor allem in entlegenen Landesteilen des damaligen Osmanischen Reiches wie etwa dem Jemen durch. Dort wie auch in Saudi-Arabien ist er noch heute verbreitet, während in der Hauptstadt durch die Revolution 1908 (bei der der Sultan gestürzt wurde) muslimische Frauen begannen, den Niqab/Çarşaf wieder abzulegen und sich teilweise sogar europäisch zu kleiden. Die traditionelle islamische Frauenbekleidung im Osmanischen Reich war vor 1876 bei weitem nicht so streng wie danach.

Niqab-Formen

Tschador mit „einfachem“ Niqab

Der Niqab ist ein dünnes Tuch aus Seide, Baumwolle oder Kunstfaser, das entweder das ganze Gesicht bedeckt oder den Teil des Gesichts unterhalb der Augenpartie. Verdeckt es die Augen, soll es nicht ganz blickdicht sein, so dass die verschleierte Frau noch sehen kann, ihr Gesicht aber von außen kaum noch zu erkennen ist.

Einfacher Niqab

Der einfache Niqab ist ein blickdichtes Tuch aus Seide, Baumwolle oder Kunstfaser, das Nase, Mund und alles darunter liegende bedeckt. Beim Essen und Trinken muss die Frau den Niqab ein wenig anheben und die Speisen unter dem Schleier zum Mund führen.

Niqab mit Augenschlitzen

Burkas, die meist einen integrierten Niqab haben

Der Niqab mit Augenschlitzen ist wiederum aus blickdichtem Material. Er besteht manchmal sogar aus mehreren Lagen und weist für die Augen Öffnungen auf - manchmal einen langen Schlitz für beide Augen. Diese Schlitze können durch einen Stoffsteg geteilt sein. Die Stoffbahnen sind an einem Band befestigt, das an der Stirn angelegt und hinter dem Kopf verknotet wird.

Religiöse Rechtfertigung

Fundamentalistische Moslems verweisen zur Rechtfertigung ihrer Kleidervorschriften auf Stellen im Koran und dessen Erklärung aus den „frühen Quellen des Islam“ wie die von Ibn Kathir und At-Tabarī. Dort sehen sie Belege für die Forderungen, den Niqab zu tragen.

Koran

„Prophet! Sag deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen (wenn sie austreten) sich etwas von ihrem Gewand (über den Kopf) herunterziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, dass sie (als ehrbare Frauen) erkannt und daraufhin nicht belästigt werden. Gott aber ist barmherzig und bereit zu vergeben.“

Sure 33, Vers 59: Übersetzung: Rudi Paret

Niqab-Verbote

siehe auch Verschleierungsverbot

Europa

Die Niederlande und Italien erwogen im November 2006 ein Verbot, den Niqab in der Öffentlichkeit zu tragen.

In Frankreich ist für Schülerinnen und Studentinnen im Klassenraum und auf dem Schulgelände jedes islamische Kopftuch und auch der Niqab verboten. Eine parteiübergreifende Enquete-Kommission der französischen Nationalversammlung empfahl im Januar 2010 ein vollständiges Verschleierungsverbot in öffentlichen Einrichtungen. Trägerinnen der Burka oder des Niqab sollen in staatlichen Schulen, Krankenhäusern, Postämtern und anderen Behörden nicht mehr bedient werden.

Anfang April 2010 wurde in Nantes gegen eine Autofahrerin wegen ihres durch die Niqab eingeschränkten Gesichtsfelds eine Geldbuße in Höhe von 22 Euro verhängt.[2] Frauen, die auf einer Verhüllung ihres Gesichtes bestünden, sollen zudem für Frankreich weder ein Visum erhalten noch die Staatsbürgerschaft annehmen dürfen. Männer, die ihre Frauen zum Tragen der Burka zwingen, sollen bestraft werden können. Die französischen Sozialisten nahmen an der Schlussabstimmung zu dem Bericht nicht teil; in anderen Parteien sind die Vorschläge der Kommission umstritten.[3] Das Verbot der Niqab wurde von der Nationalversammlung im September 2010 beschlossen.[4]

Am 29. April 2010 billigte die belgische Abgeordnetenkammer (einstimmig bei zwei Enthaltungen) ein Gesetz, das das Tragen von Burkas und Niqabs in Belgien verbietet. Der Beschluss tritt in Kraft, wenn auch der belgische Senat zustimmt.[5]

Im Juni 2010 verabschiedete in Spanien der Senat ein Verbot des Tragens von Niqabs und Burkas in der Öffentlichkeit.[6]

Islamisch geprägte Länder

Türkei

In der Türkei ist der Niqab an Schulen und Universitäten verboten; das jahrzehntealte türkische Kopftuchverbot an den Universitäten wurde im Februar 2008 aufgehoben. Am 5. Juni 2008 annullierte jedoch das türkische Verfassungsgericht mit neun zu zwei Stimmen diese Verfassungsänderungen. Nach Auffassung der Richter verstießen die Änderungen gegen mehrere Prinzipien der Verfassung, derzufolge die Türkei ein demokratischer Sozialstaat auf säkularer Grundlage sei. Gegen die Gesetzesänderungen der AKP hatte die CHP geklagt.

Tunesien

In Tunesien ist das Tragen der Niqab im öffentlichen Raum [7] offiziell nicht zulässig und wird unregelmäßig polizeilich verfolgt.

Syrien

In Syrien wurden bis Juli 2010 über 1200 Niqab tragende Lehrerinnen aus dem Schuldienst entlassen und in Bürojobs versetzt, weil die syrische Regierung eine islamistische Unterwanderung des Schulsystems fürchtet. Die Tageszeitung "The Economist" zitiert eine Frauenrechtlerin: “The niqab is a Wahhabi way of influencing Syria and is a form of violence against women,” says Bassam al-Kadi, the outspoken head of the Syrian Women’s Observatory, a lobby that strongly supports the curb."[8]. Frauen mit Gesichtsschleier dürfen sich an syrischen Universitäten nicht mehr immatrikulieren [9]

Unter Berufung auf die syrische Zeitung al-Watan zitierte die arabische Zeitung Kazdar.com den syrischen Kultusminister mit den Worten: "Die Entfernung von rund 1000 Lehrerinnen mit Gesichtsschleier aus der Lehrtätigkeit, von denen die Hälfte schon in Rente ist, ist eine unentbehrliche Aufgabe. Denn der Prozess des Lernens folgt einem sachorientierten, säkularen Modell. Diese Erscheinung [die Verschleierung des Gesichts] erfüllt nicht die Forderungen der Realität des Bildungssektors. Die Gesten, der Gesichtsausdruck, die Mimik und die Vermittlung von Informationen an die Adresse der Schüler müssen sich gegenseitig ergänzen."[10]

Ägypten

Seit 2009 wird in der ägyptischen Öffentlichkeit intensiv über den Niqab diskutiert. Auslöser war im Oktober 2009 ein Zusammentreffen des mittlerweile verstorbenen Großscheichs der Al-Azhar-Universität, Muhammad Sayyid Tantawi, mit einer etwa zwölfjährigen Schülerin in einer der Al-Azhar angegliederten Schule. Tantawi forderte die vollverschleierte Schülerin damals unter Verweis auf seine religiöse Autorität zum Ablegen des Niqab auf. Diese Art von Bedeckung sei eine Tradition und stelle für gläubige Muslime keine islamische Pflicht dar.[11] Angeblich soll er dabei auch gesagt haben, das Mädchen trage den Niqab wohl aufgrund ihres unvorteilhaften Äußeren. Vor allem letzteres führte zum Eklat. Im Folgenden wurde die Vollverschleierung in Einrichtungen der Al-Azhar-Universität (Kairo), der bedeutendsten Hochschule des sunnitischen Islam verboten. Es folgten eine Klagewelle und gerichtliches Hin und Her. Das Oberste Verwaltungsgericht hat ein grundsätzliches Niqab-Verbot unter Verweis auf die Religionsfreiheit für unzulässig erklärt. Die zahlreichen Niqab-Verbote in Schulen, Universitäten, Clubs und Restaurants wurden nicht angetastet.[12]

Die ägyptische Regierung hält sich im Niqab-Streit weitgehend zurück. Die politische Elite des Landes ist eindeutig gegen den Niqab. In Ägypten definiert die unter Sunniten weltweit sehr angesehene Al-Azhar-Universität, was als islamisch zu gelten hat und was nicht. Niqab-Trägerinnen stellen die religiöse Deutungshoheit der Al-Azhar infrage. Indirekt provozieren sie damit auch den Staat. Außerdem steht der Niqab dem Lebensgefühl und dem Gesellschaftsbild der politischen Klasse des Landes entgegen: Hier trägt man in der Regel nicht einmal Kopftuch. Auch viele andere Ägypter halten den Niqab für groben Unfug und für einen Import aus den unbeliebten Golfstaaten. Auch von streng Religiösen wird er oft abgelehnt. Die Regierung hat in dieser Frage also die gleiche Position wie ein Großteil der Bevölkerung. Sie kann durch ihre Anti-Niqab-Position Volksnähe demonstrieren und die politische Opposition zu einer Positionierung zwingen.[12]

Die Muslimbrüder, ein Teil der Opposition, unterstützen die Vollverschleierung, obwohl sie wissen, dass dies(e) unpopulär ist. Sie betonen dabei die Religionsfreiheit (nicht die Religion): Der Niqab müsse als individuelle religiöse Entscheidung von Staat und Behörden respektiert werden.

Der Niqab ist in Ägypten ein neues Phänomen. Bis in die 1990er Jahre war er fast unbekannt; man sah ihn nur bei Touristinnen aus den arabischen Golfstaaten. Verbreiteter wurde er dann vor allem durch die Frauen zurückkehrender Arbeitsmigranten. Bis 2009 nahm die Zahl der Niqab-Trägerinnen dann schnell zu. Die Gründe sind vielfältig und haben nicht alle mit einer freien Glaubensentscheidung zu tun; auch vieles andere spielt eine Rolle: religiöse Verunsicherung, familiärer Zwang, politischer Protest, modische Bequemlichkeit, Schutz vor Belästigung, tuschelnde Nachbarn und manchmal etwas Eitelkeit. Umgekehrt entscheiden sich viele Frauen bewusst gegen den Niqab und sogar gegen das Kopftuch.[12]

Viele Ägypter wehren sich auch deswegen gegen den Niqab, weil sie ihn als fremden kulturellen Einfluss aus dem Golf empfinden. Die saudi-arabische Regierung bzw. das Königshaus - sie sind Wahabiten (einer konservativen und dogmatischen Richtung des sunnitischen Islam) unterstützen seit Jahrzehnten mit viel Geld konservative islamische Gruppen, auch in Ägypten. Die Araber vom Golf sind in Ägypten traditionell unbeliebt. Sie stehen nicht im Ruf herausragender Frömmigkeit und gelten als reiche Emporkömmlinge ohne Kultur und Manieren. Seine Gegner stellen den Niqab daher als unägyptisches Utensil geheuchelter Frömmigkeit dar.[12]

Siehe auch

Literatur

  • Fadwa El Guindi: Veil. Modesty, privacy and resistance, Berg Publishers, New York 1999, ISBN 1859739296.

Weblinks

 Commons: Niqab – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Strenge Kleiderordnung. Wie der Schleier Ägypten erobert., Spiegel am 29. Juni 2008
  2. Burka und Polygamie im Visier des Gesetzgebers in Frankreich. Neue Zürcher Zeitung, 27. April 2010
  3. Abgeordnete für Verbot der Burka sueddeutsche.de, 27. Januar 2010
  4. Deutsche Welle:Frankreichs Burka-Verbot ist richtig
  5. Zeit online v. 29. April 2010
  6. Spanien bereit für das Burka-Verbot. Welt online vom 23. Juni 2010
  7. Tunisia: International Religious Freedom Report 2007 des Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor auf der Website des amerikanischen Außenministeriums state.gov, gesehen 17. November 2010 (englisch)
  8. Take it off. - A secular-minded government rejects excessively religious dress in school economist.com vom 15. Juli 2010
  9. Tagesspiegel Artikel "Leiser Beifall für Europa" vom 26. September 2010, S. 6
  10. zitiert nach www.islaminstitut.de (2. September 2010)
  11. taz:Niqab oder nicht Niqab?
  12. a b c d zenithonline.de 5. September 2010

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