Oskar Wingen

Oskar Wingen

Oskar Wingen, häufig auch Oscar Wingen,[1] (* 21. Februar 1889 in Lennep; † wahrscheinlich zwischen 1945 und 1949[2]) war ein deutscher Bevölkerungstheoretiker, Staatsbeamter und Diplomat.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Jugend, Ausbildung und frühe Laufbahn

Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte Wingen Staatswissenschaften an der Universität Düsseldorf. Dort promovierte er 1915 mit einer Arbeit über Bevölkerungstheorien zum Dr. oec. Neben Lujo Brentano, Alfred Grotjahn und anderen galt er als einer der bedeutenden Theoretiker der Bevölkerungsentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.[3] Er wird in der Forschung meist den sogenannten Wohlstandstheoretikern zugerechnet, die von sozioökonomischen Einflüssen auf das generative Verhalten ausgingen.[4]

Während des Ersten Weltkriegs war Wingen von 1915 bis 1917 als Archivar und Direktorialassistent im Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in Kiel, dann von 1917 bis 1918 als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter bei der Reichsbekleidungsstelle in Berlin tätig.

Karriere als Staatsbeamter

Am 1. August 1918 trat Wingen in den Staatsdienst ein. Er war zunächst Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Reichswirtschaftsministerium, bevor er am 1. April 1919 ins Auswärtige Amt versetzt wurde, wo er weiterhin im Rang eines Wissenschaftlichen Hilfsarbeiters die Aufgaben eines Archivleiters in der Außenhandelsabteilung wahrnahm. Am 15. Juni 1921 wechselte er, noch immer als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in die Vereinigte Presseabteilung der Reichsregierung (Abteilung P des Auswärtigen Amtes). In dieser Eigenschaft nahm er 1921 als Pressereferent der Verhandlungsdelegation zur Reparationsfrage an der Saar- und Weltwirtschaftskonferenz in London teil. Etwa zur selben Zeit heirate Wingen Luise Schale (* 5. November 1892).

Als während des so genannten Ruhrkampfes, d.h. der Besetzung des Ruhrgebietes durch französische Truppen zur Erzwingung ausgebliebener deutscher Reparationszahlungen des Ersten Weltkrieges, der ehemalige Freikorpskämpfer Albert Leo Schlageter wegen der Verübung von Anschlägen auf die französischen Besatzungstruppen von diesen verhaftet und erschossen wurde, entschied sich die Reichsregierung angeblich erst auf Drängen von Wingen, der damals in der Presseabteilung der Reichsregierung tätig war, eine offizielle Entrüstungsbekundigung über die Exekution Schlageters, der von großen Teilen der Bevölkerung als Widerstandskämpfer betrachtet wurde, herauszugeben.[5]

Am 31. Oktober 1928 wurde Wingen als Mitarbeiter der Presseabteilung zum Regierungsrat befördert. Am 7. Oktober 1933 wurde Wingen unter Ernennung zum Oberregierungsrat dem Büro des Vizekanzlers in der Regierung Hitler, Franz von Papen, zur Verfügung gestellt, in dem er die Aufgaben eines Referenten für Saarangelegenheiten mit Ausnahme des Presse- und Propagandawesens übernahm.

Nach der Zerschlagung der Vizekanzlei am 30. Juni/1. Juli 1934 war Wingen in dem von Hermann Sabath geleiteten Büro zur Abwicklung der Vizekanzlei tätig. 1935 wurde ihm das Amt eines Oberregierungsrates beim Saarbevollmächtigten des Reichskanzlers beziehungsweise dem Reichskommissar für die Rückgliederung des Saargebietes anvertraut. Am 1. April 1935 wurde dieses Amt wieder offiziell in den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes übernommen. Sein erneuter offizieller Dienstantritt im Auswärtigen Amt erfolgte am 2. Mai 1935. Im Auswärtigen Amt wurde Wingen am 13. August 1935 zum Legationsrat befördert.

Ab 1937 war Wingen als Legationsrat in der Handelspolitischen Abteilung (W I) des Auswärtigen Amtes tätig. Seit dem Dezember 1938 war er außerdem beim Reichsinstitut für Außenhandel tätig. Am 25. November 1944 wurde er auf Veranlassung von Joachim von Ribbentrop gemäß dem Paragraphen 44 des Beamtengesetzes in den Wartestand, und damit praktisch in den vorzeitigen Ruhestand, versetzt.

Wingens Verbleib nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist nicht mit letzter Sicherheit geklärt. Der Berliner Meldestelle zufolge gilt er seit dem 9. Mai 1945 als vermisst. Das letzte erhaltene Dokument aus der Hand Wingens ist ein Schreiben an das Auswärtige Amt vom 26. Januar 1945, in dem er bestätigt, eine ihm postalisch zugesandte Kopie des Erlasses vom 4. Dezember 1944 erhalten zu haben. Ein Brief seines Kollegen im Auswärtigen Amt Hermann Sabath vom 26. November 1948 an Franz von Papen Jr. gibt schließlich Anlass zu der Annahme, dass er nach der Verhaftung durch die Rote Armee in der Gefangenschaft umkam:

„Über Herrn Wingen kann ich Ihnen leider nichts Erfreuliches berichten. Er wurde von den Russen wie so viele unserer Kollegen [des Auswärtigen Amtes] in ein Internierungslager gebracht. Seitdem hat man von ihm direkt nichts mehr gehört. Ich erfuhr nur von einem Beamten des Reichsfinanzministeriums, der mit ihm im Lager war und der durch das Zusammentreffen verschiedener glücklicher Umstände entlassen wurde, dass alle Lagerinsassen an Unterernährung litten und dass man mit ihrer Rückkehr nicht mehr rechnen dürfe. Viele waren bereits gestorben. Da Herr Wingen von zarter Gesundheit war, ist zu befürchten, dass auch er diese Hungerzeit nicht überstehen wird. Ihren Vater habe ich hierüber schon unterrichtet.“[6]

Schriften

  • Die Bevökerungstheorien der letzten Jahre. Ein Beitrag zum Problem des Geburtenrückganges, Stuttgart 1915. (Dissertation)
  • Die internationale Schiffsraumnot. Ihre Ursachen und Wirkungen. Kriegswirtschaftliche Untersuchungen aus dem Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Jena 1916.
  • Fünf Jahre Reparationspolitik. Ein Grundriss, Berlin s.l. [1924].
  • Weltverschuldung und Deutschlands Reparationslast, Berlin 1927.
  • Deutschlands künftige Stellung auf dem Weltmarkt, s.l.e.a.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. In der Literatur finden sich beide Schreibweisen ähnlich häufig. Die hiesige Lemmawahl orientiert sich an der Schreibweise von Briefköpfen im Bestand R 53 (Vizekanzlei von Papen) des Bundesarchivs, die Wingens Selbstschreibweise wiedergeben.
  2. Wingens Personalakte im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes reicht bis ins Frühjahr 1945.
  3. Thomas Etzemüller: Ein ewigwährender Untergang. Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2007, S. 44.
  4. Handbuch der Demographie Bd. 1: Modelle und Methoden. Berlin, 2000 S. 344.
  5. Deutsche Allgemeine Zeitung vom 9. Mai 1940.
  6. Brief Hermann Sabaths an Franz von Papen Jr. vom 26. November 1948, in: Nachlass Sabath, Ordner 17, Bundesarchiv Koblenz.

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