Paulinus Dickopf

Paulinus Dickopf

Paul (Paulinus) Dickopf (* 9. Juni 1910 in Müschenbach; † 19. September 1973 in Bonn) galt als Kopf des Aufbaus des Bundeskriminalamtes (BKA) und war in der Zeit von 1965 bis 1971 selbst dessen Präsident. Er – als Alt-Kriminalist – prägte durch seine Arbeit die Kriminalitätsbekämpfung Deutschlands bis zu der Wende, deren Organisation (teilweise sogar Terminologie) zu großen Teilen der des Nationalsozialismus entsprochen hat. Dickopf gab mitunter seinen Vornamen auch als „Paulinus“ an.

Inhaltsverzeichnis

Werdegang

Dickopf im Juni 1936, Aufnahme aus dem Bundesarchiv

Dickopf wurde am 9. Juni 1910 in Müschenbach im Westerwald als Sohn eines Volksschullehrers geboren. Er besuchte bis ins Jahr 1928 ein Reformrealgymnasium, bestand nach eigenen Angaben die Reifeprüfung mit der Note „gut“. Die von ihm angestrebte Studienfachrichtung Forstwissenschaft blieb ihm aber trotzdem wegen des Numerus clausus versagt. In den darauffolgenden Jahren studierte er (teilweise als Gasthörer) Verwaltungsrecht in Frankfurt a.M. und Wien und verdiente sich seinen Unterhalt als Werkstudent. Im Sommer 1932 immatrikulierte er sich für ein Jura-Studium in Frankfurt. 1933 trat er dem NS-Studentenbund bei.[1] Nach Abbruch des Studiums nach sechs Semestern 1936 bewarb er sich, nachdem er einen freiwilligen Militärdienst abgeleistet hatte, bei der Kriminalpolizei. Die Eignungsprüfung bestand er 1937. Als Anwärter für den leitenden Kriminaldienst wurde er am 1. Juni 1937 bei der Kriminalpolizei-Leitstelle Frankfurt a.M. eingesetzt. In seinen Personalunterlagen der NSDAP wurde als „erlernter Beruf“ Student eingetragen. Im Juni 1939 legte er die Prüfung zum Kriminalkommissar ab und wurde SS-Untersturmführer beim Sicherheitsdienst (SD). Zum Leiter des kriminalpolizeilichen Erkennungsdienstes für Baden in Karlsruhe ernannt, wechselte im Oktober 1939 auf den Leitungsposten der kriminalpolizeilichen Verbindungsstelle beim Wehrkreiskommando in Stuttgart. Während der Kriegszeit war er im Einsatz bei der Militärischen Abwehr. 1941 wurde er mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern ausgezeichnet.[2]

Spionagetätigkeit

Etwa im Juni 1942 erhielt Dickopf die persönliche Mitteilung durch die Führungsspitze der Gegenspionage, dass er für einen Einsatz in der Schweiz vorgesehen sei. Die Einarbeitung werde in Paris erfolgen, danach solle er unter dem Namen „Peter Dorr“ als Mitarbeiter der Reichsbahnzentrale für den deutschen Fremdenverkehr in Zürich eingesetzt werden.[3] In späteren Aussagen und biographischen Aufzeichnungen behauptete Dickopf wiederholt, als „Regimegegner“ nach Paris und von dort aus in die Schweiz „geflohen“ zu sein.

Anfang August 1942 reiste er nach Paris, um sich bei der dortigen Verkehrszentrale zur Einarbeitung zu melden. Nach drei Monaten kehrte er nach Stuttgart zurück und erklärte einem Mitarbeiter, dass er den Büroleiter in Paris nicht habe sprechen können, dort aber einer anderen interessanten nachrichtendienstlichen Sache auf die Spur gekommen sei. Er kehrte nach Paris zurück, im Dezember 1942 zog er nach Brüssel. Bis zum Frühjahr 1943 ergibt sich eine Lücke in seiner Biographie. Zu diesem Zeitpunkt wurde sein Freund François Genoud tätig, der als V-Mann bei der Stuttgarter Abwehr ein und aus ging. Über Genoud erfuhr Dickopf, dass man über sein Ausbleiben beunruhigt sei und ihn in Südfrankreich vermutete. Als seine Behörde begann, Nachforschungen über ihn in Brüssel anzustellen, beschloss er „schnell abzureisen“. In der Nacht vom 17. Juli 1943 betrat Dickopf über die grüne Grenze Schweizer Boden.

Flucht in die Schweiz und Verhaftung

Mit Hilfe von Genoud sollte nun die Legende vom übergelaufenen deutschen Abwehrmann aufgebaut werden. Unter einem Decknamen erhielt Dickopf einen Schweizer Flüchtlingspass und die Erlaubnis, sich in Lausanne, Genouds Wohnort, aufzuhalten. Offenbar kamen bei den Schweizer Behörden Zweifel auf, denn am 8. August 1944 wurden Dickopf, Genoud und dessen Ehefrau, sowie Dickopfs Brüsseler Vermieter Muhidin Daouk, ein Libanese, verhaftet. Die Untersuchungen hatte die Groupe du Lac des Sicherheitsdienstes beim Armeeoberkommando geführt. Bei seiner Verhaftung wurden mehrere echte und falsche Ausweispapiere auf die Aliasnamen Peter Diekmann, André Jung, André Donaldsen und Hans Hardegg gefunden. Sichergestellt wurden außerdem Dickopfs Kriminaldienstmarke, sein Dienstausweis der Kripo Karlsruhe, sein SS-Führerausweis, Reisepässe und ein manipulierter Ausweis des Wehrkreiskommandos V. Mitte November setzte die Schweizer Bundesanwaltschaft alle wieder auf freien Fuß. Dickopf musste aber als Internierter in einem Hotel in der Nähe von Bern Zwangsaufenthalt nehmen. In dieser Zeit schrieb er mehrere Berichte über die Organisation und Arbeitsweise der deutschen Nachrichtendienste.[4]

Nach heute vorliegenden Untersuchungen dürfte diese „Flucht“ wohl Teil der für ihn vorgesehenen nachrichtendienstlichen Legende sein. Tatsächlich war er ununterbrochen vom 16. April 1943 bis zum Kriegsende im Fahndungsbuch als „vermisst“ ausgeschrieben, wobei es unüblich war, vermisste Personen durch Haftbefehl zu suchen.[5] In einem Artikel in „Die Zeit“ schrieb Hansjakob Stehle 1977, Dickopf habe sich nach seiner „Flucht“ zu Genoud in die Schweiz nicht nur seinem Gastland und dem amerikanischen Geheimdienst angedient, sondern habe vor allem Informationen nach München für Martin Bormanns Parteikanzlei geliefert.[6]

Nach 1945

Am 10. Oktober 1945 erhielt er die schriftliche Mitteilung der Schweizer Bundesanwaltschaft, dass er aus dem Status des politischen Flüchtlings entlassen sei. Mit einer Empfehlung des OSS, der militärischen Abwehr der Amerikaner, gezeichnet von einem Mitarbeiter von Allen Welsh Dulles, kehrte er - nach mehreren vorangegangenen kurzen Aufenthalten - endgültig im Februar 1947 nach Deutschland zurück.[7]

Im Mai 1950 folgte die Anstellung beim Bundesministerium des Innern als Regierungs- und Kriminalrat. Unter dem ersten BKA-Präsidenten Max Hagemann mit seit 1951 dem Aufbau des Amtes befasst, avancierte er 1952 nach der Aufnahme des BKA in die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation IKPO (Interpol) zum Chef des deutschen Interpol-Zentralbüros. Ab November 1952 fungierte Dickopf als Ständiger Vertreter des BKA-Präsidenten. Im Januar 1965 wurde er nach dem Ausscheiden Reinhard Dulliens dessen Nachfolger an der Spitze des Amtes (= vierter BKA-Präsident).

Hermann Höcherl sagte bei seiner Amtseinführung am 19. Februar 1965: „Zu keiner Zeit haben Sie mit dem Nationalsozialismus paktiert.[8]

1968 wurde er zum Präsident von Interpol gewählt, was Dickopf angeblich den guten Kontakten François Genouds zum arabischen Lager verdankte.[9] Dickopfs Amtsführung beim BKA geriet zusehends unter heftige Kritik. Man warf ihm Inkompetenz, Unfähigkeit zur Rationalisierung von Arbeitsabläufen, mangelnde Zusammenarbeit mit den Landeskriminalämtern und Fehler bei der Verbrechensbekämpfung vor. 1971 wurde Dickopf schließlich in den Ruhestand versetzt, zum 1. Juli legte er auch alle anderen Ämter nieder. Trotz aller Kritik nannte ihn der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher in seiner Abschiedsrede „ein Vorbild für die gesamte deutsche Polizei“.[10]

Nach Paul Dickopf ist eine Straße in Meckenheim bei Bonn benannt, in der das BKA eine Außenstelle hat. Auch in Müschenbach (Westerwald) ist eine Straße nach ihm benannt worden.

Literatur

  • Dieter Schenk: Die braunen Wurzeln des BKA. Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-596-15782-X.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Lt. Schenk dauerte die Mitgliedschaft vom 13. Mai 1933 bis Juni 1937; in seinen diversen Lebensläufen verkürzte Dickopf diese Mitgliedschaft mehrere Male.
  2. Schenk, aaO, S.61f.
  3. Schenk, aaO, S.89
  4. Schenk, aaO, S.94f.
  5. Schenk, aaO, S.93
  6. Schenk, aaO, S.97f.
  7. Schenk, aaO, S. 111.
  8. zit.nach: Schenk, aaO, S. 271.
  9. dies geht nach Schenk aus einem unveröffentlichten „Spiegel“-Dossier hervor, vgl. S.303
  10. Schenk, aaO, S.300f.



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