- Pflegewissenschaft
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Pflegewissenschaft ist die wissenschaftliche Rahmenbezeichnung für anwendungsorientierte Fachrichtungen (Praxisdisziplinen) der Gesundheits- und Kranken-, Kinderkranken-, Alten- und Heilerziehungspflege. Die Pflegewissenschaft ist den Sozialwissenschaften zugeordnet und umfasst die Bereiche Pflegetheorie und Pflegeforschung. Bezugswissenschaften der Pflegewissenschaft sind die Medizin, Gesundheitswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Biologie, Philosophie und Geschichte.
Inhaltsverzeichnis
Spektrum
Das ganzheitliche Menschenbild liegt dem Spektrum der Pflegewissenschaft zugrunde. Die Sichtweise und das Erleben der gepflegten Person nimmt eine wichtige Rolle ein. Zentrale Ausbildungsthemen sind dementsprechend:
- das Erleben und Verhalten von Pflegenden und Gepflegten,
- die Interaktion zwischen Pflegenden und Gepflegten,
- die Wirkung von organisatorischen, gesellschaftlichen und ethischen Faktoren auf die Pflege.
- die Effektivität pflegerischer Maßnahmen auf die sozialen, emotionalen und körperlichen Aspekte des Patienten oder Bewohners;
- die Qualität, das Qualitätsmanagement und die Methoden der Evaluation.
Im Gegensatz zur frühen Pflegewissenschaft, in der vor allem die (meta-)theoretische Auseinandersetzung um Grundbegriffe dominierte, sind zunehmend Fragestellungen aus der Pflegepraxis relevant und Forschungsergebnisse sollen auf diese zurückwirken. Pflegepraxis und Pflegewissenschaft sind damit zwei sich wechselseitig beeinflussende Bereiche der Pflege (Pflege = Pflegepraxis + Pflegewissenschaft). Insbesondere die Überprüfung der Wirksamkeit von Pflegemaßnahmen und -konzepte steht dabei im Mittelpunkt und sollen unmittelbar die Qualität der Pflege verbessern helfen.
Geschichte
Erste pflegewissenschaftliche Orientierungen finden sich bereits im 19. Jahrhundert. So nutzte die englische Krankenschwester Florence Nightingale, die als die Pionierin der modernen Krankenpflege gilt, statistische Methoden zur Sammlung und Untersuchung von Gesundheitsdaten.
Die Wurzeln der modernen Pflegewissenschaft liegen hingegen im US-amerikanischen Raum: Der erste Studiengang wird dort bereits auf das Jahr 1907 datiert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sorgte in den USA die von der Russell Sage Foundation unterstützte und von Esther Lucille Brown herausgebrachte Studie Nurses for the future für neue Impulse[1], indem sie über die mangelhafte pflegerische Versorgung in den USA berichtete und ausdrücklich die Verweisung der Ausbildung an die Universitäten forderte. Dementsprechend entstanden zunächst pflegepädagogische und pflegemanagerielle Studiengänge. Zeitlich deutlich versetzt bildeten sich dann originär pflegewissenschaftliche Studienangebote, entstanden Forschungsinstitute und entsprechende Fachzeitschriften. 1952 eröffnete Hildegard Peplau den Wissenschaftsdiskurs um Pflegetheorien und Pflegemodelle[2].
Von den USA ausgehend gelangte die Akademisierungs-Bewegung mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in Europa an: In Heidelberg begannen bereits 1946 Gespräche zur Einrichtung eines Pflegestudienganges an der Universität Heidelberg. Diese führten 1953 zur Gründung der Schwesternschule der Universität Heidelberg. Der Wunsch nach einer akademischen Ausbildung scheiterte jedoch, nicht zuletzt am Widerstand der Schwesternorganisationen. In der DDR existierten erste pflegebezogene Studiengänge an der Humboldt-Universität zu Berlin und in Halle/Wittenberg bereits ab den 60er Jahren, wenngleich mit einer stärkeren pädagogisch-didaktischer oder medizin-naturwissenschaftlicher Prägung. Auch in Großbritannien und den skandinavischen Ländern wurden verhältnismäßig früh mit dem Aufbau von Pflegestudiengängen begonnen.
Ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre entstanden auch in der Bundesrepublik Deutschland pflegebezogene Studiengänge, zum Teil in Verbindung mit anderen Fachbereichen – wie beispielsweise die Besetzung des Lehrstuhls „Pflege- und Sozialwissenschaften“ an der Fachhochschule Osnabrück durch Ruth Schröck im Jahr 1987. In Ermangelung anderer Möglichkeiten war es zum damaligen Zeitpunkt üblich, dass die Lehrbeauftragten einem pflegewissenschaftlichen Abschluss aus den USA oder Großbritannien innehatten oder anderen wissenschaftlichen Disziplinen entstammten (z. B. Soziologie, Psychologie, Pädagogik). An dieser Situation hat sich – trotz inzwischen vielfältiger Studienabschlüsse und Promotionsmöglichkeiten – auch heutzutage nicht viel geändert.
Im selben Zeitraum entstanden auch außerhalb Fachhochschulen und Universitäten Institutionen, die sich der Förderung der Pflegewissenschaft und -forschung verschrieben haben. Zu nennen sei nur das aus einer Stiftung hervorgegangene Agnes-Karll-Institut für Pflegeforschung des DBfK. Im Jahre 1991 konnte das Institut eines der ersten Forschungsprojekte im Kernbereich von Pflege abschließen: Der Pflegeprozeß am Beispiel von Apoplexiekranken – Eine Studie zur Erfassung und Entwicklung ganzheitlich-rehabilitativer Prozeßpflege, die über die Dauer von drei Jahren vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert und unter der Leitung von Monika Krohwinkel durchgeführt wurde[3].
1988 erschien mit der Zeitschrift Pflege aus dem Huber Verlag (Bern) erstmalig eine deutschsprachige Wissenschaftspublikation für die Pflege.
Am 27. Oktober 1999 wurde an der Medizinischen Fakultät Charité der Humboldt-Universität zu Berlin zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum der akademische Grad eines Doktors der Pflegewissenschaft (Doctor rerum curae, Dr. rer. cur.) verliehen.
Aufgabenschwerpunkte im deutschen Sprachraum
Die sich stets verbreiternde Alterspyramide führt zu einer verstärkten Nachfrage nach Pflegeleistungen, gleich in welcher Kostenträgerschaft und für jede Versicherungsform (nach Sozialgesetzbüchern SGB V etc.). Bisher wird der Bedarf an Pflegeleistungen knapp gedeckt, unter anderem durch Tätigkeit von Pflegern verschiedener europäischer und auch asiatischer Staatsbürgerschaften. Die Beiträge der Interessengruppen (Fachgesellschaften, Berufsverbände, Parteien, Gewerkschaften etc.) haben bisher keine grundlegenden Änderungen bewirkt und verschieben jeden Ansatz, der am Besitzstand rütteln könnte. Die Pflegewissenschaft muss der Politik daher neue Methoden zur volkswirtschaftlich finanzierbaren Erbringung dieser Leistungen liefern.
Das Mengenwachstum der Pflegeleistungen muss durch einen Zuwachs in der Leistungsqualität begleitet werden. Im Kern sind viele systematische und methodische Probleme ungelöst beispielsweise hinsichtlich
- der Attraktivität der Berufsbilder und der Förderung der Motivation unter wirtschaftlichen Schranken
- der Differenzierung der Ausbildungsgänge und der Rekrutierung für verschiedene Anforderungen
- den Möglichkeiten der Informationsgesellschaft angepassten Konzepten der Selbststeuerung
- der Wirksamkeit der Steuerungsmaßnahmen zur Steigerung der Effizienz
- der medizinischen Qualität in der täglichen Routine
- des angemessenen Outcome für die Pflegepersonen
Zur Nachwuchsförderung der wissenschaftlichen Tätigkeit sind in den letzten Jahren an verschiedenen Universitäten diverse Möglichkeiten zur Vorbereitung auf eine Promotion geschaffen worden, so z. B. an der Universität Witten/Herdecke oder an der Humboldt-Universität zu Berlin und zuletzt an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar. Die Karrieremöglichkeiten von Hochschulabsolventen pflegewissenschaftlicher Studiengänge sind jedoch quantitativ begrenzt: Zum einen sind weiterhin viele Lehrstühle mit Wissenschaftlern aus benachbarten Wissenschaftsdisziplinen besetzt, zum anderen schränken strukturelle und finanzielle Hindernisse der Hochschulen die Handlungsmöglichkeiten stark ein.
Pflegeforschungsinstitute
- Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V., Köln
- Institut für angewandte Pflegeforschung, Universität Bremen
- Institut für Pflegewissenschaft, Universität Basel
- Institut für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke
- Institut- für Pflege- und Gesundheitswissenschaft, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- Institut für Medizin-/Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft, Charité-Universitätsmedizin Berlin
- Institut für Pflegewissenschaft, Privatuniversität UMIT, Hall in Tirol
- Institut für Pflegewissenschaft, Universität Wien
- Institut für Pflegewissenenschaft, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg
- Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften
- Universität Osnabrück, Fachgebiet Pflegewissenschaft
- Zentrum für Pflegeforschung und Beratung (ZePB), Bremen
- Institut für Pflegewissenschaft, Medizinische Universität Graz
Siehe auch
Portal:Pflege – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Pflege
- Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft
- Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege
- Evidenzbasierte Pflege
- Pflegepädagogik
Literatur (Auswahl)
- Hermann Brandenburg, Stephan Dorschner (Hrsg.): Pflegewissenschaft 1. Lehr- und Arbeitsbuch zur Einführung in die Pflegewissenschaft. Huber, Bern 2001, ISBN 3-456-84161-2
- Nancy Burns, Susan K. Grove: Pflegeforschung verstehen und anwenden. Elsevier, München 2005, ISBN 3-437-25996-2
- Geri Lobiondo-Wood, Judith Haber: Pflegeforschung. Methoden, Bewertung, Anwendung. Elsevier, München 2005, ISBN 3-437-25936-9
- Pflegewissenschaft in der Praxis: Eine kritische Reflexion [Broschiert], hrg. von Silvia Käppeli, Bern: Huber, 2011
Weblinks
- Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft e.V.
- Schweizerischer Verein für Pflegewissenschaft
- Übersicht über Pflegestudiengänge in Deutschland
- Informationen zu Pflege in der Psychiatrie Schweiz/Deutschland
- Stiftung Pflegewissenschaft Schweiz
- Kombistudium Pflege am Vinzentinum-Linz
Einzelnachweise
- ↑ Artikel in Nurseweek
- ↑ Silvia Käppeli: Standortbestimmung von Pflegewissenschaft und Pflegeforschung im deutschsprachigen Raum unter Berücksichtigung der internationalen Entwicklung. In: Gesellschaft zur Förderung der Pflegewissenschaft NRW e.V. (Hrsg.): Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die Professionalisierung der Pflege. Bielefeld 1996, ISSN 1435-4081 [1]
- ↑ Gertrud Hundenborn: Zur Entwicklung von Pflegewissenschaft und Pflegeforschung. In: Gesellschaft zur Förderung der Pflegewissenschaft NRW e.V. (Hrsg.): Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die Professionalisierung der Pflege. Bielefeld 1996, ISSN 1435-4081 [2]
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