Prestige (Soziolinguistik)

Prestige (Soziolinguistik)

Der ins Deutsche übertragene französische Begriff Prestige bedeutet Ansehen bzw. Geltung und entwickelte sich aus dem Lateinischen praestigiae mit der Bedeutung Gaukelei bzw. Blendwerk.

Umgangssprachlich wird Prestige oft konnotiert mit "positivem Ansehen". Der Begriff Prestige beinhaltet jedoch für sich allein gestellt keinerlei Wertung einer Person, sondern stuft ein Individuum ein in eine soziale Hierarchie bezüglich Macht und Sozialschichtung (Schicht bzw. hier Sprachliche Schicht). Der Gegenbegriff ist der eine negative Wertung beinhaltende Begriff Stigma.

Soziales Prestige bezeichnet nicht nur das Ansehen eines Menschen, welches ihm diverse Attribute, die die Mehrheit einer Gesellschaft schätzt, ohne eigenes Zutun verleihen, wie etwa das Haus in einem bestimmten Wohngebiet (bessere Gegend) oder der Besitz eines spezifischen Wagentyps. Soziales Prestige zeichnet sich überdies aus durch eine gewisse Sprechweise oder Sprachform. Die Soziolinguistik untersucht das Prestige und Stigma von Sprachformen, Sprachvarietäten oder Sprachen.

Regelmäßig hat eine sprachliche Standardvarietät, die sich vor allem im Sprachgebrauch privilegierter sozialer Schichten widerspiegelt, ein höheres Prestige als Dialekte. Auf der anderen Seite verbindet die Mehrheit oft positive Merkmale mit dem Dialekt, welchem mehr Menschlichkeit, Authentizität, Lebendigkeit und Wärme als der Standardvarietät zugesprochen wird (siehe auch: Sprachpflege, Dialektbarriere, Dialektniveau).

Da Sprachen, Sprachformen oder Varietäten mit höherem Prestige einen sozialen Aufstieg erleichtern, kommen diese in der Regel eher förmlich zum Einsatz (etwa in Bildungseinrichtungen, Beruf usw.)

Inhaltsverzeichnis

Einteilung

Die Soziolinguistik teilt die einzelnen Sprachvarietäten ein nach deren Prestige. Der Akrolekt (griech. akron 'Höchstes, Spitze') ist demnach die prestigeträchtigste Varietät und wird damit sozial als hochstehend eingestuft. Der Basilekt wiederum ist die Varietät mit dem größten Stigma. Weder als hoch noch als tief eingestufte Varietäten wiederum sind Mesolekte.

Das Englische als effizienteste Sprache

Das Englische ist im Moment weltweit die Sprache mit dem höchsten Prestige, legt man der Einstufung ein axiologisches Datenmodell zu Grunde, welches das Prestige daran bemisst, wie viele Menschen mit welcher Intensität im Moment eine Sprache erlernen.

Multilinguale Umgebungen und Dialekte

Sprachkontakte auf längere Zeit können eine Sprachmischung oder einen Sprachbund bewirken, oder es kommt zum Sprachkonflikt. Herrscht in einer Sprachgemeinschaft zwischen zwei Sprachversionen ein starkes soziales Gefälle, so setzt sich laut Sprachkontaktforschung meist die höher bewertete Variante auf Kosten der stigmatisierten Varietät durch. Dieser Sprachwechsel vollzieht sich unabhängig von der Zahl der jeweiligen Sprecher. Insbesondere bilinguale, multilinguale und spracherhaltende Gruppierungen sind davon betroffen. Es besteht die Möglichkeit, dass der Sprachwechsel Sprachverlust der Muttersprache oder Sprachtod nach sich zieht (siehe auch z. B: Gastarbeiter, Jiddisch).

Frauensprache

Für Deutschland gilt im Moment laut Senta Trömel-Plötz bezüglich der Frauensprache, dass Frauen weitaus sensibler auf Unterschiede im Status reagieren als Männer und sich an der sprachlichen Varietät mit dem höheren sozialen Prestige orientieren.

Linguistische Schizophrenie

Das Deutsche ist in der viersprachigen Schweiz (neben Italienisch, Rätoromanisch und Französisch) eine Varietät unter vielen und damit nicht sinnstiftend für die nationale Identität. Viele Sprecher des Schweizerhochdeutschen scheinen überdies die eigene Sprachvarietät als stigmatisiert zu empfinden gegenüber der hochdeutschen Variante. Erschwerend kommt hinzu, dass siebzig Prozent der Schweizer der Meinung sind, der Deutsche beurteile ihren Sprachgebrauch als von der Norm der Prestigevarietät abweichend und damit als schlecht. Aus dieser Wahrnehmung wiederum erwächst die Überzeugung, nicht richtig Hochdeutsch sprechen zu können und damit nur mangelnde Sprachkompetenz aufzuweisen. Jeder zwölfte bezeichnet des Weiteren das "Tütsch" als Fremdsprache (sprachwissenschaftlich gesehen, siehe Sieber 1986) und jeder zweite spricht ungern das sogenannte "Schriftdeutsch", welches jedoch die meisten zur Korrespondenz verwenden. Als typisch bezeichnen Rudolf Muhr und Wolfgang Pollak, dass die Betroffenen zwar die eigene Sprache als minderwertig betrachten, jedoch auf der anderen Seite die Sprachpflege favorisieren. Insbesondere Sprecher, welche sich selbst höher bewerten als den Standardsprecher, orientieren sich am deutschen Standarddeutsch. Die beiden Autoren bezeichnen diesen Ausdruck mangelnden Bewusstseins des Plurizentrizitätskonzepts (siehe auch Sprachkonflikt) als linguistische Schizophrenie. Ähnliche Tendenzen hat Muhr auch in Österreich nachgewiesen. Muhr diagnostiziert eine sprachliche Entäußerung.

Literatur

  • Ulrich Ammon: Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten, 1995
  • H. Strasser, P. - Stigma. HSK 3, I, 1987, 140-144
  • Helmut Glück (Hrsg.): Metzler-Lexikon Sprache. 4. Auflage; Verlag J.B. Metzler, Stuttgart und Weimar, 2010, ISBN 3-476-02335-4
  • Senta Trömel-Plötz: Frauensprache: Sprache der Veränderung, 1982
  • Rudolf Muhr: Österreichisch. Anmerkungen zur linguistischen Schizophrenie einer Nation. In: Klagenfurter Beiträge zur Sprachwissenschaft 8, 1982, S. 306-319.
  • Wolfgang Pollak: Was halten die Österreicher von ihrem Deutsch?, 1992:13f
  • Felicity J. Rash: Die deutsche Sprache in der Schweiz: Mehrsprachigkeit, Diglossie und Veränderung, 2002
  • Michael Clyne: Language and Society in the German-speaking Countries, 1984
    • ebd. Pluricentric Languages. Differing Norms in Different Nations, 1992
    • ebd. The German language in a changing Europe, 1995
  • Robert Schläpfer, Hans Bickel: Die viersprachige Schweiz, Aarau, 2000. ISBN 3-7941-3696-9
  • Peter Sieber, Sitta Horst: Mundart und Standardsprache als Problem der Schule, 1986:33f

Siehe auch

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